Zivilprozessrecht (Deutschland)
Das Zivilprozessrecht des Bundesrepublik Deutschland ein Rechtsgebiet, das die Summe aller gesetzlichen Bestimmungen, die den formalen Ablauf von Zivilverfahren (Zivilprozesse) regeln, umfasst. Es wird daher als formelles Zivilrecht bezeichnet, während das materielle Zivilrecht die inhaltliche Prüfung von Rechten und Ansprüchen betrifft (Entscheidung in der Sache).
Rechtsquellen
Die wichtigsten Rechtsquellen des deutschen Zivilprozessrechts sind die Zivilprozessordnung (ZPO) und das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Diese beiden Gesetze stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts, wurden aber vielfach überarbeitet.
Die Zivilprozessordnung regelt den Gang des erstinstanzlichen Verfahrens sowie den Verlauf des Berufungs- und des Revisionsverfahrens. Dabei wird geregelt, wie eine Klage erhoben wird, ob eine Partei sich eines Rechtsanwalts vor Gericht bedienen muss, wie Beweise zu erheben sind und in welcher Form das Gericht entscheiden muss. Außerdem wird das Verfahren der Zwangsvollstreckung aus zivilrechtlichen Urteilen geregelt.
Das Gerichtsverfassungsgesetz enthält das Gerichtsverfassungsrecht, das den Gerichtsaufbau und die Zuständigkeiten der Zivilgerichte regelt. Die Eingangsgerichte sind streitwertabhängig das Amtsgericht (Streitwerte bis 5.000 €) bzw. das Landgericht (Streitwerte über 5.000 €). Bestimmte Streitigkeiten sind den Amtsgerichten ausschließlich und streitwertunabhängig zugewiesen, wie zum Beispiel Streitigkeiten im Wohnraummietrecht. Bei den Amtsgerichten sind Abteilungen für Familiensachen eingerichtet, die Familiengerichte, die in Ehe-, Kindschafts- und Unterhaltssachen erstinstanzlich entscheiden. Als Berufungsgerichte werden das Landgericht (Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile) und das Oberlandesgericht (Berufungen gegen landgerichtliche Urteile und gegen Urteile der Familiengerichte) tätig. Durch die ZPO-Reform im Jahr 2002 wurde den Oberlandesgerichten zudem noch die Berufungszuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsbezug übertragen, was jedoch zu weiteren rechtlichen Problemen führt.[1] Im Berufungsverfahren werden in eingeschränktem Umfang erneut die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen aufgeklärt und das angefochtene Urteil einer Rechtsprüfung unterzogen. Gegen Urteile der Berufungsgerichte kann Revision mit dem Ziel einer Rechtsprüfung zum Bundesgerichtshof eingelegt werden, wenn das Berufungsgericht oder der Bundesgerichtshof auf Beschwerde gegen deren Nichtzulassung die Revision zugelassen hat. Die Nichtzulassung der Revision kann derzeit nur mit der an den Bundesgerichtshof zu richtenden Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn die Partei, die das Rechtsmittel einlegen will, mit einem Betrag von mehr als 20.000 € beschwert ist.
Für das Arbeitsrecht ist das Verfahren wegen vieler Besonderheiten im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) geregelt. Darüber hinaus sind natürlich auch im Zivilverfahren das Grundgesetz, der fair-trial-Grundsatz sowie die Europäische Menschenrechtskonvention zu beachten.
Erkenntnisverfahren
Der deutsche Zivilprozess beginnt mit einem Erkenntnisverfahren, in dem das Gericht den Rechtsstreit auf der Grundlage des materiellen Rechts verbindlich entscheiden soll. Das anschließende Vollstreckungsverfahren dient der Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidungen oder eines zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs.
Parteien des Rechtsstreites
Partei- und Prozessfähigkeit
Die Parteien des Rechtsstreits werden Kläger und Beklagter genannt. Partei kann nur sein, wer nach § 50 ZPO parteifähig ist. Von der Parteifähigkeit ist die Prozessfähigkeit zu unterscheiden.
Streitgenossenschaft (subjektive Klagehäufung)
Klagen mehrere Personen gemeinsam oder werden mehrere Personen gemeinsam verklagt, besteht zwischen ihnen Streitgenossenschaft. Es wird zwischen einfacher und notwendiger Streitgenossenschaft unterschieden. Die Voraussetzungen der einfachen Streitgenossenschaft sind in § 59 f. ZPO zu finden. Ungeschrieben treten daneben das Erfordernis einer gleichen Prozessart und das Fehlen eines Verbindungsverbotes, wie aus § 260 ZPO analog gefolgert wird.
Der Sinn der einfachen Streitgenossenschaft besteht darin, über eine Klage von oder gegen mehrere Personen möglichst prozessökonomisch und zweckmäßig zu verhandeln. Deshalb bleiben sich rechtlich nach § 61 ZPO auch selbständig; das Verhalten des einen hat keinen Einfluss auf das Verhalten des anderen.
Notwendige Streitgenossenschaft kann sich sowohl aus prozessualen als auch aus materiellrechtlichen Gründen ergeben. Prozessual ist die Streitgenossenschaft notwendig, wenn nach § 62 Abs. 1 Var. 1 ZPO das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann. Auf Leo Rosenberg geht die Formulierung zurück: „Die Rechtskrafterstreckung bei einem gedachten Nacheinander von Prozessen führt zur notwendigen Streitgenossenschaft beim Miteinander der Prozesse.“ Dafür genügt einseitige Rechtskrafterstreckung, d.h. Rechtskrafterstreckung nur für den Fall des Erfolges, wie sie beispielsweise in § 248 Abs. 1 S. 1 AktG vorkommt.
Unter § 62 Abs. 1 Var. 2 ZPO findet sich die notwendige Streitgenossenschaft aus materiellen Gründen: Hier ist materiellrechtlich Streitgenossenschaft zwingend, da die streitige Berechtigung nur gemeinschaftlich ausgeübt oder die streitige Verpflichtung nur gemeinschaftlich erfüllt werden kann. Dies wird diskutiert für:
- die Gesamthandsklage
- die Gesamtschuldklage
Abgelehnt wird notwendige Streitgenossenschaft für
- OHG und Gesellschafter nach § 129 HGB
- Hauptschuldner und Bürge nach § 768 Abs. 2 BGB
Beteiligung Dritter am Rechtsstreit
Dritte können am Prozess in Fällen der Haupt- und Nebenintervention, der einfachen und notwendigen Streitgenossenschaft teilnehmen.
Ablauf des Klageverfahrens
Das Klageverfahren beginnt mit der Klageerhebung durch einen Schriftsatz (Klageschrift) schriftlich oder bei amtsgerichtlichen Verfahren auch mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle. Vor Einreichung einer Klage ist zu beachten, dass immer eine gütliche Beilegung vor einer Schlichtungsstelle veranlasst werden soll, um den Prozess zu vermeiden. Erst wenn diese Güteverhandlung als fruchtlos (gescheitert) gilt, soll Klage eingereicht werden. Ebenfalls ist zu beachten, dass das Gericht in der Regel erst nach Einzahlung eines Kostenvorschusses tätig wird. Dann kann das Gericht einen frühen ersten Termin bestimmen oder stellt dem Beklagten die Klage zu und setzt eine Frist zur Verteidigungsanzeige sowie anschließend noch eine weitere Frist zur Klageerwiderung. Die Klageschrift besteht aus einem Antrag und einer Begründung, und in ihr müssen zudem einige Förmlichkeiten beachtet werden (§ 253 ZPO). Die Zuständigkeit des Gerichts muss nach Ort und Instanz exakt bestimmt werden, was nicht immer einfach ist. In den meisten Fällen kann die Zuständigkeit anhand des Wohnorts des Beklagten und am Streitwert festgemacht werden.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung soll vom Gericht erst dann anberaumt werden, wenn der Kläger als Vorschuss auf die Gerichtskosten die Prozessgebühr oder einen Auslagenvorschuss entrichtet hat. Den äußeren Ablauf des Zivilprozesses bestimmt in der Regel der Amtsbetrieb, die Aufklärung des Sachverhalts die durch die Wahrheitspflicht der Parteien und das richterliche Fragerecht gemäß §§ 138 und 139 ZPO modifizierte Verhandlungsmaxime. Grundsätzlich wird dabei die Wahrheit nicht von Amts wegen vom Gericht ermittelt, sondern das Gericht stützt seine Entscheidung nur auf die Tatsachen, die von den Parteien vorgetragen werden. Erst wenn etwas zwischen den Parteien streitig ist, erhebt das Gericht Beweise (z.B. Zeugenvernehmungen, Sachverständigengutachten, Urkundenbeweis oder Augenschein), sofern die beweispflichtige Partei ein taugliches Beweismittel angeboten hat.
Der Zivilprozess endet durch gerichtliche Entscheidung (Urteil oder Beschluss), gegen die dem Unterlegenen ab einem Streitwert von über 600,- € Rechtsmittel der Berufung oder Sprungrevision sowie andere Rechtsbehelfe offenstehen, sonst durch Rücknahme der Klage, Anerkenntnis des Beklagten, Erklärung der Erledigung der Hauptsache oder Vergleich zwischen den Parteien. Erscheint eine Partei nicht im Verhandlungstermin, so ergeht auf Antrag der anderen Partei ein Versäumnisurteil (anfechtbar durch Einspruch) oder wenn beide Parteien säumig sind nach Lage der Akten. Das Gericht ist nach der ZPO gehalten, in jeder Lage des Verfahrens möglichst eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen.
Klageerhebung und Verhandlung
Es beginnt mit der Erhebung der Klage. Diese erfolgt durch die Zustellung des Klageschriftsatzes (§ 253 Abs.1 ZPO), nach dem dieser bei Gericht eingereicht worden ist. Das zuständige Gericht bestimmt sich unter anderem nach dem Streitwert und ist entweder das Amtsgericht oder das Landgericht. Bevor die Klage dem Beklagten zugestellt wird, muss das Gericht entscheiden, ob zunächst ein schriftliches Vorverfahren (§ 276 ZPO) durchgeführt werden soll oder ein früher erster Termin (§ 275 ZPO) anberaumt werden soll, der zugleich auch Haupttermin sein kann. Der mündlichen Verhandlung soll im Allgemeinen eine Güteverhandlung vorangehen (278 ZPO). Das Gericht soll überhaupt in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein. Kommt es in der Güteverhandlung zu keiner Einigung, schließt sich daran die mündliche Verhandlung an.
Die Verhandlung ist dann kontradiktorisch. Die Parteien (Kläger und Beklagter) tragen ihre Argumente vor und beantragen Verurteilung und Klageabweisung. Im Gegensatz zum Strafprozess bestimmen die Parteien des Rechtsstreits den Streitgegenstand, die Beweismittel und in gewissem Umfang auch den Ablauf des Verfahrens (s.u. Beweislast).
In dem Verfahren ist das Gericht an die Prozessmaximen (Prozessgrundsätze) und damit auch an die Anträge der Parteien gebunden (Dispositionsmaxime). Kommt das Gericht zu der Entscheidung, dass die Klage nicht zulässig ist, wird es sie mit einem Prozessurteil abweisen. Wenn das Gericht der Auffassung ist, die Klage sei zulässig, muss es über die Begründetheit, über die materielle Rechtslage, entscheiden.
Neben den verschiedenen Prozessgrundsätzen unterscheidet sich der Zivilprozess vom Strafverfahren auch in Bezug auf die Beweislast, die im Strafverfahren allein der Staatsanwaltschaft obliegt. Kann im Zivilprozess eine entscheidungserhebliche Behauptung weder bewiesen noch widerlegt werden, so muss dies anhand der Beweislast entschieden werden.
Nach den Parteivorträgen, ggf.auch der Beweisaufnahme durch Sachverständige, Augenschein, Parteivernehmung, Urkundsbeweise und Zeugen, schließen sich die Anträge an.
Parteiverhalten im Prozess
Veräußerung der streitbefangenen Sache
Wird die streitbefangene Sache während des Prozesses veräußert, hast dies nach § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO keine Einfluss auf den Prozess: Die Partei führt das nunmehr fremde Recht in eigenem Namen als gesetzlicher Prozessstandschafter für den neuen Rechtsinhaber fort. Veräußert der Beklagte die streitbefangene Sache, kann sein Rechtsnachfolger nicht den Prozess für ihn übernehmen und muss sogar hinnehmen, dass die Rechtskraft des Urteiles gegen ihn wirkt; der Kläger kann durch Titelumschreibung nach § 727 ZPO gegen den Rechtsnachfolger vollstrecken. § 265 Abs. 2 ZPO gilt bei Veräußerung durch den Kläger nach herrschender Meinung mit einer kleinen Einschränkung: Er muss den Klageantrag auf Leistung an den Rechtsnachfolger umstellen; insoweit ist also die Veräußerung der streitbefangenen Sache relevant, weshalb man von der Relevanztheorie spricht.
Eine Ausnahme gilt nach § 265 Abs. 3 ZPO, wenn der Kläger die streitbefangene Sache veräußert und die Rechtskraft des Urteiles nicht gegen den Rechtsnachfolger wirkt, § 325 ZPO: Der Beklagte kann dann einwenden, dass dem Kläger die Sachbefugnis fehle.
Versäumnisverfahren
Erscheint eine Partei nicht im Termin zur mündlichen Verhandlung ist sie säumig. Dies gilt auch dann, wenn die Partei zwar anwesend ist, aber Anwaltszwang nach § 78 ZPO herrscht. Bei Säumnis des Klägers wird dessen Klage auf Antrag des Beklagten abgewiesen (§ 330 ZPO). Bei Säumnis des Beklagten wird durch § 331 Abs. 1 ZPO eine Geständnisfiktion ausgelöst: Das Vorbringen des Klägers gilt als zugestanden. Das heißt jedoch nicht zwangsläufig, dass der Klage stattgegeben wird; der Richter muss nämlich die Klage dennoch auf ihre Schlüssigkeit prüfen. Ist die Klage unschlüssig, ergeht ein quasikontradiktorisches Endurteil; so wird ein klageabweisendes Urteil bezeichnet, das nicht wegen, sondern trotz der Säumnis des Klägers ergeht. In den Fällen des § 335 ZPO darf kein Versäumnisurteil ergehen.
Gegen ein Versäumnisurteil können die Parteien innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Versäumnisurteiles Einspruch einlegen (§ 338 f. ZPO). Damit wird nach § 342 ZPO der Prozess in die Lage vor dem Versäumnisurteil zurückversetzt. Erscheint die Partei auch bei diesem Termin nicht, ergeht ein technisch zweites Versäumnisurteil, gegen das nach § 345 ZPO kein Einspruch mehr möglich ist; einzig möglich ist die Berufung mit der Begründung, es habe kein Fall der Säumnis vorgelegen.
Das Versäumnisverfahren können die Parteien auch zu ihrem Vorteil ausnutzen: Würde etwa ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach § 296 ZPO präkludiert, erscheint die Partei einfach nicht, es ergeht ein Versäumnisurteil und durch Einspruch wird das Verfahren wieder in die Situation vor dem Versäumnisurteil zurückversetzt. Dies wird Flucht in die Säumnis genannt.
Prozessbeendigende Handlungen der Parteien
Klagerücknahme
§ 269 ZPO eröffnet dem Kläger die Möglichkeit seine Klage zurückzunehmen. Im Gegensatz zum Klageverzicht steht einer späteren Klage jedoch keine Rechtskraft entgegen. Motive des Klägers können etwa die verschlechterte Beweislage oder Vermögenslosigkeit des Beklagten sein. Die Möglichkeit der Klagerücknahme besteht jedoch nicht unbeschränkt: Hat sich der Beklagte bereits zur Hauptsache geäußert, kann ohne seine Einwilligung die Klage nicht mehr zurückgenommen werden. Als folge der Klagerücknahme hat der Kläger die Kosten zu tragen. Ausnahmsweise kann die Kostentragungspflicht jedoch auch den Beklagten treffen, so besonders nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.
Beiderseitige Erledigungserklärung
Im Laufe eines Prozesses können auch Ereignisse eintreten, die den begonnen Prozess überflüssig machen: Der Beklagte zahlt oder die Parteien einigen sich außergerichtlich. Der Kläger wird in diesen Fällen oft nicht gewillt sein, die Kosten des Prozesses wie bei der Klagerücknahme zu tragen. Deshalb ermöglicht § 91a ZPO den Parteien die Möglichkeit durch beiderseitige Erledigungserklärung den Prozess zu beenden. Die Rechtsnatur dieser Erklärung ist im juristischen Schrifttum umstritten; folgende Positionen werden vertreten:
- Die Erledigungserklärung sei eine privilegierte Form der Klagerücknahme
- sie sei eine prozessuale Vereinbarung der Parteien (so Habscheid)
- sie sei ein Klagerverzicht der Klägers und ein Verzicht auf ein klageabweisendes Urteil des Beklagten (so Nikisch)
- die Erklärungen seien prozessuale Einverständniserklärungen, den Prozess ohne Urteil zu beenden.
Die Parteien sind bei der beiderseitigen Erledigungserklärung auch in der mündlichen Verhandlung vom Anwaltszwangszwang befreit, wie aus § 78 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 91a ZPO gefolgert wird. Die Erledigungserklärungen können auch schon vor Rechtshängigkeit abgegeben werden, auch wenn – streng genommen – zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Rechtsstreit existiert.
Wird beiderseitig Erledigung erklärt, so entfällt die Rechtshängigkeit der Hauptsache und das Gericht enscheidet nach § 91a ZPO nach billigem Ermessen durch Beschluss nur noch über die Kosten. Das Gericht wird dabei sowohl in Erwägung ziehen, wem die Kosten des Prozesses bei bisherigem Streitstand aufzuerlegen gewesen wären als auch, ob der Beklagte zur Klage Anlass gegeben hat (mit der Folge des § 93 ZPO). Trotz beiderseitiger Erledigung ist eine neue Klage des Klägers grundsätzlich zulässig.
Einseitige Erledigungserklärung
Widerspricht der Beklagte der Erledigungserklärung spricht man von einseitiger Erledigungserklärung. Sie ist gesetzlich nicht geregelt, aber unstreitig dennoch anerkannt. Auch ihre Rechtsnatur ist umstritten. Folgende Ansichten werden vertreten:
- Die einseitige Erledigungserklärung sei eine privilegierte Form der Klagerücknahme.
- Sie sei ein Prozessinstitut sui generis, d.h. eine Bewirkungshandlung, die auf Feststellung der Erledigung durch das Gericht gerichtet sei.
- Nach herrschender Meinung handelt es sich um eine Klageänderung in eine Feststellungsklage mit dem Inhalt, dass die Klage bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war.
Tritt das erledigende Ereignis zwischen An- und Rechtshängigkeit ein, ist umstritten, ob der Kläger noch Erledigung erklären kann: Die herrschende Meinung verneint dies mit der Begründung, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein Rechtsstreit bestehe. Da es unbillig sein kann, dass der Kläger in diesem Fall die Kosten des Rechtsstreites tragen soll, wollen einige Stimmen im Schrifttum dem Beklagten die reziproke Anwendbarkeit von § 93 ZPO zugute kommen lassen.
Umstritten ist, von welchem Streitwert ab einseitiger Erledigungserklärung auszugehen ist: Die herrschende Meinung will die bisher angefallenen Kosten des Rechtsstreits ansetzen. Andere gehen vom ursprünglichen Streitwert aus, da das Gericht ja auch die ursprüngliche Klage prüfen müsse. Verschiedene Oberlandesgerichte legten die Hälfte des ursprünglichen Streitswertes zugrunde.
Stellt das Gericht fest, dass die Klage ursprünglich zulässig und begründet war und Erledigung eingetreten ist, werden dem Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Prozessvergleich
Soweit der Streitgegenstand der Disposition der Parteien unterworfen ist, steht ihnen jederzeit die Möglichkeit offen, den Streit im Wege des Prozessvergleichs gütlich beizulegen. Ein Prozessvergleich hat Doppelnatur: d.h. er entfaltet sowohl in prozessualer als auch in materieller Hinsicht Wirkungen. Der Prozessvergleich kann sowohl aus prozessualen Gründen (z.B. keine Protokollierung gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) als auch aus materiellen Gründen (z.B. Anfechtung nach § 123 BGB) unwirksam sein. Führt dies zur Unwirksamkeit des Vergleichs ex tunc, muss der alte Prozess fortgeführt werden. Umstritten ist, vor welchem Gericht der Prozess fortgeführt wird: Das Bundesarbeitsgericht und große Teile des Schrifttums befürworten die Fortsetzung des Streits vor dem mit dem alten Prozess befassten Gericht, da dieses mit dem Streit vertraut sei. Der Bundesgerichtshof geht demgegenüber davon aus, dass der Vergleich prozessbeendende Funktion dennoch entfalte und ein neues Verfahren begonnen werden müsse. Als besondere Form des außergerichtlichen Vergleiches ist der Anwaltsvergleich nach § 796a ZPO zu nennen.
Verteidigungshandlungen des Beklagten
Dem Beklagten stehen zur Abwehr des Klageanspruches die Möglichkeiten offen, seinerseits mit einem eigenen Anspruch gegen den Kläger aufzurechnen oder gar selbst in die Offensive gehen und eine Widerklage erheben.
Prozessaufrechnung
Oftmals möchte der Beklagte seinen Anspruch durch die Aufrechnung eigentlich nicht verlieren und rechnet deshalb nur hilfsweise auf: Er stellt die Aufrechnung unter die Bedingung, dass er mit seiner primären Verteidigung (etwa Nichtbestehen des Klageanspruchs) nicht durchdringt; man nennt dies Eventualaufrechnung. In der gerichtlichen Praxis ist unbestritten, dass die Eventualaufrechnung trotz § 388 S. 2 BGB möglich ist. Im Schrifttum werden dafür unterschiedliche Rechtfertigungen vertreten:
- Die Eventualaufrechnung sei gar keine Bedingung, da die Entscheidung des Richters rechtstheoretisch von vornherein feststehe, d.h. der Fall sowieso nur eine einzig richtige Entscheidung zulasse
- Die sog. prozessrechtliche Theorie sieht die Prozessaufrechnung als ein Rechtsinstitut eigener Art, das überhaupt nicht § 388 S. 2 BGB unterliege.
- § 388 S. 2 BGB sei teleologisch zu reduzieren: Zwar sei die Eventualaufrechnung eine Bedingung. Sinn des § 388 S. 2 BGB sei aber, den Empfänger der Aufrechnungserklärung vor Unsicherheit zu schützen. Da es im Prozess aber noch zur Klärung über die Bedingung komme, bedürfe der Beklagte dieses Schutzes nicht.
Es ist möglich, dass die Aufrechnung des Beklagten zurückgewiesen wird, zum Beispiel, wenn sie nach § 296 ZPO verspätet vorgebracht wird. In diesem Fall erschiene es unbillig, die Aufrechnung materiellrechtlich für wirksam zu halten. Nach herrschender Meinung ist deshalb die Prozessaufrechnung weiterhin (konkludent) dadurch bedingt, dass die Aufrechnung vom Gericht für zulässig gehalten wird.
Umstritten ist ferner, ob der zur Aufrechnung gestellte Anspruch durch die Prozessaufrechnung rechtshängig wird. Dies wird von einer Mindermeinung mit der Begründung befürwortet, der Beklagte verlange vom Gericht eine Entscheidung über seine Forderung. Der Bundesgerichtshof und weite Teile des Schrifttums folgen dem jedoch nicht: Dadurch werde es nämlich dem Beklagten verwehrt den Anspruch auch in einem zweiten Prozess zur Aufrechnung zu stellen. Der Gefahr widersprechender Entscheidungen könne durch § 148 ZPO vorgebeugt werden.
Um zu vermeiden, dass der Beklagte mit erfundenen Forderungen aufrechnet, um den Prozess zu verschleppen, kann das Gericht ein klagestattgebendes Vorbehaltsurteil nach § 302 ZPO erlassen. Sowohl bei erfolgloser als auch bei erfolgreicher Aufrechnung erstreckt sich nach § 322 Abs. 2 ZPO die Rechtskraft auch auf die zur Aufrechnung gestellte Forderung.
Entscheidung
Wenn es nicht zur Anerkenntnis durch den Beklagten oder zum Klageverzicht durch den Kläger kommt, entscheidet das Gericht durch Sachurteil. Es wird verkündet und den Parteien zugestellt.
Damit ist die erste Instanz beendet; nun können innerhalb bestimmter Fristen Rechtsmittel eingelegt werden, sofern hierfür die Voraussetzungen vorliegen (s.u.). Das Urteil wird durch die Einlegung der Rechtsmittel nicht aufgehoben, sondern es wird lediglich der Eintritt der Rechtskraft aufgeschoben. Eine Zwangsvollstreckung ist daher nur vorläufig möglich, häufig nur gegen Sicherheitsleistung, oder der Beklagte kann die Vollstreckung zunächst durch Sicherheitsleistung abwenden.
Rechtsmittel und Rechtsbehelfe
Mögliche Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache sind die Berufung gegen Urteile der ersten Instanz und die Revision gegen Urteile des Berufungsgerichts (ausnahmsweise auch als Sprungrevision gegen erstinstanzielle Urteile). Ist das erstinstanzliche Urteil vor dem Einzelrichter beim Amtsgericht ergangen, so findet die Berufung vor der Zivilkammer des Landgerichts statt. Über die Berufung gegen ein erstinstanzielles Urteil der Zivilkammer des Landgericht entscheidet hingegen das Oberlandesgericht. Übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro nicht, so ist die Berufung gegen das Urteil nur zulässig, wenn das Erstgericht die Berufung im Urteil zugelassen hat (§ 511 Abs. 2 ZPO). In der Berufung ist eine erneute Feststellung der Tatsachen und Prüfung der Rechtsfragen möglich.
Zur Entscheidung über die Revision (auch im Fall der Sprungrevision) ist der Bundesgerichtshof zuständig. Auf die Revision kann nur geprüft werden, ob das Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht.
Ist der Rechtsweg erschöpft oder sind die Fristen für die Rechtsmittel verstrichen, wird das Urteil rechtskräftig. Auch das nicht für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil ist als Schuldtitel nun vollstreckbar. Nur unter engen Voraussetzungen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens noch möglich. Die Verfassungsbeschwerde ist ohnehin nur bei Rechtswegerschöpfung zulässig.
Rechtskraft
Man unterscheidet formelle und materielle Rechtskraft. Formelle Rechtskraft hat ein Urteil erlangt, wenn es nicht mehr durch ein Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf angefochten werden kann. Materielle Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) meint nach der heute herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie, dass jeder künftige Richter an die im Urteil getroffenen Feststellungen gebunden ist.
Wer die materielle Rechtskraft gegen sich gelten lassen muss, wird durch die subjektiven Grenzen der Rechtskraft bestimmt. Nach § 325 Abs. 1 ZPO wirkt das Urteil zunächst gegen die Parteien des Rechtsstreits, daneben deren Rechtsnachfolger. Nach § 325 Abs. 2 ZPO wirkt die Rechtskraft jedoch nicht gegen gutgläubige Rechtsnachfolger. Wie die Verweisung des § 325 Abs. 2 ZPO zu deuten ist, ist umstritten: Eine Ansicht bezieht den guten Glauben lediglich auf die Rechtshängigkeit. Nach herrschender Meinung hingegen ist die Vorschrift eine Verschärfung der materiellen Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbes: Neben den Anforderungen etwa des § 932 BGB muss demnach zusätzlich guter Glaube bezüglich der Rechtshängigkeit bestehen.
Andere Verfahrensarten
Eine ähnliche und oft einfachere und billigere Verfahrensform ist das Mahnverfahren (§§ 699-703 d ZPO), das allerdings nur zur Durchsetzung von Geldforderungen statthaft ist und unter anderem voraussetzt, dass die Gegenleistung bereits erbracht ist (oder aber der Anspruch des Gläubigers auf einer Gegenleistung nicht beruht, z.B. Kindesunterhalt).
Arrest und einstweilige Verfügung (§§ 916-945 ZPO) sind Eilverfahren zur vorläufigen Regelung des Rechtsverhältnisses, wenn es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, das Ergebnis eines regulären Klageverfahrens abzuwarten.
Mit einem selbständigen Beweisverfahren (§§ 485-494 a ZPO) können Beweise gesichert werden, auch vor einem Rechtsstreit, wenn die Beweismittel verloren zu gehen drohen.
Das Prozesskostenhilfeverfahren (§§ 114-127 a ZPO) ist neben den anderen Verfahren statthaft, soweit der Kläger oder Antragsteller wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage sein wird, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Angelegenheit aus der Perspektive des Antragstellers Aussicht auf Erfolg hat.
Der Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess bringt Erleichterungen für den Kläger gegenüber dem allgemeinen Klageverfahren, wenn es zur Darlegung seines Anspruchs ausreicht, das jeweilige Schriftstück als Beweismittel vorzulegen.
Im Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103-107 ZPO) stellt das Gericht fest, in welcher Höhe eine Partei der anderen Partei Kosten (Anwaltskosten, aber auch als Vorschüsse einbezahlte Gerichtskosten) zu ersetzen hat. Die Frage der Kostenschuld, also wer welchen Anteil der Kosten überhaupt zu tragen hat, wird regelmäßig in der Hauptentscheidung (meist Urteil) festgelegt (sog. Kostengrundentscheidung) – soweit das die Parteien nicht in einem Vergleich einvernehmlich regeln und eine gerichtliche Entscheidung darüber entbehrlich machen. Die konkrete betragsmäßige Höhe der zu zahlenden Gerichtskosten wird im Verfahren des Kostenansatzes nach § 19 GKG festgelegt.
Klauselverfahren
An das Erkenntnisverfahren schließt sich das sog. Klauselverfahren an. Für die Zwangsvollstreckung bedarf es einer sog. vollstreckbaren Ausfertigung des Vollstreckungstitels, die dem Vollstreckungsgläubiger auf Antrag vom Prozessgericht erteilt wird. Das Klauselverfahren gehört nicht zum Vollstreckungsverfahren, sondern ist diesem noch vorgeschaltet. In diesem Verfahrensstadium gelten dementsprechend auch besondere Rechtsbehelfe, z.B. die Klauselerinnerung, Klauselgegenklage etc.
Vollstreckungsverfahren
Literatur
- Wolfgang Grunsky: Zivilprozessrecht. Heymanns, 2008, ISBN 978-3-452-26765-8.
- Othmar Jauernig, Friedrich Lent (Begr.): Zivilprozessrecht. C.H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-55713-2.
- Hanns Prütting, Markus Gehrlein (Hrsg.): Zivilprozessrecht Kommentar. Luchterhand, Köln 2009, ISBN 978-3-472-07253-9.
- Christoph G. Paulus: Zivilprozessrecht: Erkenntnisverfahren und Zwangsvollstreckung. Springer, Berlin 2004, ISBN 978-3-540-43770-3.
- Günther Prechtel (Begr.), Rainer Oberheim: Erfolgreiche Taktik im Zivilprozess. Luchterhand, Köln 2009, ISBN 978-3-472-07516-5.
- Leo Rosenberg (Begr.), Karl Heinz Schwab: Zivilprozessrecht. C.H. Beck, München 2004, ISBN 978-3-406-50386-3.