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Hilde Domin

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Hilde Domin, geborene Löwenstein, verheiratete Hilde Palm (* 27. Juli 1909 in Köln; † 22. Februar 2006 in Heidelberg), war eine deutsche Schriftstellerin. Sie war vor allem als Lyrikerin bekannt. Nach ihrem Exil in der Dominikanischen Republik, von der Domin ihren Namen nahm, lebte sie von 1961 an in Heidelberg.

Leben

Hilde Domin war die Tochter des jüdischen, promovierten Rechtsanwalts und Kölner Justizrates Eugen Siegfried Löwenstein (1871-1942) und dessen Frau Paula, einer ausgebildeten Sängerin.[1] Sie wurde 1909 (bis 1999 gab Domin 1912 als Geburtsjahr an) in Köln, Riehler Straße geboren. Nach dem Abitur am Merlo-Mevissen Lyzeum in Köln studierte sie von 1929 bis 1932 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg zunächst Jura wegen der Begeisterung ihres Vaters über Gustav Radbruch.[2], später Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Philosophie an der Universität zu Köln, Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Ihre wichtigsten Lehrer waren Karl Jaspers und Karl Mannheim. In Heidelberg nahm sie wie schon in Köln an einem Diskussionszirkel teil. Eine besondere Freundschaft verband sie u.a. mit Hans Georg Gadamer und mit Richard Löwenthal.[2] Im Sommer 1931 lernte sie in der Universitätsmensa ihren späteren Ehemann kennen, den Altphilologie- und Archäologiestudenten Erwin Walter Palm.[3]

1932 begann sie zusammen mit Palm ein Auslandsstudium in Rom. Nach Hitlers „Machtergreifung“ wurde das Studienland zum Exil. An dem angesehenen Istituto Superiore di Scienze Sociali e Politiche Cesare Alfieri in Florenz machte sie am 6. November 1935 das diploma di laurea in Scienze Sociali e Politiche mit höchster Punktzahl und Auszeichnung. Während sie nach Rom zurückreiste und von 1935 bis 1938 Deutschunterricht für Privatschüler gab, ging Palm in Florenz bis Februar 1935 weiter seinen Studien nach. Am 30. Oktober 1936 heiratete sie ihren Lebensgefährten Erwin Walter Palm.

Die italienischen Rassengesetze vom 17. September 1938 zwangen alle Juden, Italien bis zum 12. März 1939 zu verlassen. Deshalb floh das Paar 1939 in letzter Minute aus Italien - das von Mussolini gesetzte Ultimatum für die Ausreise war bereits überschritten. Über Paris flohen sie nach Großbritannien, lebten wie die meisten jüdischen Flüchtlinge im Londoner Stadtteil Hampstead, bevor die Eltern Löwenstein in Minehead, Somerset ein Häuschen erwarben. Dort unterrichtete Hilde Palm ein halbes Jahr lang als Sprachlehrerin am St. Aldwyn’s College. Angesichts der Kapitulation Frankreichs und des drohenden Blitzkriegs entschlossen sie sich zur Flucht aus England. Am selben Tag wie auch Stefan Zweig flohen sie am 26. Juni 1940 über Kanada in die Dominikanische Republik. Dort war Hilde Palm die Assistentin ihres Mannes: Sie übersetzte und tippte seine Arbeiten, dokumentierte seine Studien fotografisch und unterrichtete von 1948 bis 1952 Deutsch an der Universität von Santo Domingo.

Schon 1946 begann sie mit ersten schriftstellerischen Tätigkeiten, der zunehmenden seelischen Vereinsamung setzte sie ihr Schreiben entgegen, das sie nach dem Tod ihrer Mutter, 1951, vor dem Selbstmord rettete. Sie war „eine Sterbende, die gegen das Sterben anschrieb“. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1954 veröffentlichte sie Gedichte unter dem Pseudonym Domin - sie hatte sich nach dem Namen ihrer Insel genannt, wo sie ihr Dichterleben begann. Lieben und geliebt werden, vor allem aber Gebrauchtwerden war für Hilde Domin der eigentliche Sinn des Lebens.[4]

1954 kehrte sie nach 22 Jahren im Exil in die Bundesrepublik zurück, doch pendelte sie noch sieben Jahre zwischen Spanien und Deutschland hin und her, bevor sie sich 1961 endgültig in Heidelberg niederließ. Ihren Weg als Schriftstellerin musste sie sich erkämpfen. Neben Gedichten, Erzählungen und einem Roman in Montageform schrieb sie zunehmend Essays und literaturwissenschaftliche Abhandlungen, die viel zu wenig Beachtung fanden. Vor allem ihrer Lyrikanalyse Wozu Lyrik heute wäre mehr Beachtung gezollt worden, „stammte sie aus der Feder eines männlichen Theoretikers“, so Ulla Hahn in ihrer Laudatio 1992 anlässlich der Verleihung des Hölderlinpreises an Hilde Domin. Sie war als Übersetzerin und Herausgeberin tätig, stand jungen Dichterkollegen mit Rat zur Seite.

Domin trug in Lesungen ihre Gedichte zweimal vor. Sie las in Gefängnissen, Schulen und Kirchen. In einem Interview 1986 wurde ihr die Frage gestellt, wie viel Mut ein Schriftsteller benötige. „Ein Schriftsteller braucht drei Arten von Mut. Den er selber zu sein. Den Mut, nichts umzulügen, die Dinge beim Namen zu nennen. Und drittens den, an die Anrufbarkeit der anderen zu glauben.“ Im Wintersemester 1987/88 hielt sie als vierte Frau nach Ingeborg Bachmann, Marie Luise Kaschnitz und Christa Wolf die Frankfurter Poetik-Vorlesungen.

Zu ihrem 95. Geburtstag am 27. Juli 2004 wurde Hilde Domin die Ehrenbürgerwürde der Stadt Heidelberg verliehen. Die Dominikanische Republik zeichnete sie mit dem höchsten Orden aus, den der Inselstaat zu vergeben hat: del mérito de Duarte, Sánchez y Mella. Bereits zu ihrem (eigentlich 83.) 80. Geburtstag stiftete die Stadt 1992 ihr zu Ehren den alle drei Jahre vergebenen Literaturpreis „Literatur im Exil“, der seit ihrem Tod „Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil“ heißt. Am 15. Februar 2006 wurde sie Ehrenmitglied des P.E.N.-Club des Exils.

Hilde Domin war seit 1930 Mitglied der SPD, sah sich aber in späteren Interviews auch als Vordenkerin der Grünen. Ihren Lebensabend verbrachte die Dichterin in Heidelberg; bis ins hohe Alter unternahm sie Lesereisen, so noch 2003 in Spanien und 2005 in England.

Am 22. Februar 2006 starb Hilde Domin in Heidelberg im Alter von 96 Jahren an den Folgen eines Sturzes.[5] Sie wurde auf dem Heidelberger Bergfriedhof beigesetzt und ruht im selben Grab wie ihr 1988 verstorbener Mann in unmittelbarer Nähe des Grabes des Dichters Friedrich Gundolf.

Am 7. März 2007 wurde die Haus- und Landwirtschaftliche Schule Herrenberg Hilde-Domin-Schule genannt.[6] Auch in Köln trägt seit Oktober 2008 eine städtische Schule an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ihren Namen.[7] 2008 erhielt in Köln ein Rosengarten in der Nähe ihres Geburtshauses am ehemaligen Fort X in Neustadt-Nord den Namen Hilde-Domin-Park.[8]

Werke

  • Herbstzeitlosen. Gedicht, 1955
  • Ziehende Landschaft. Gedicht, 1955
  • Wo steht unser Mandelbaum. Gedicht, 1957
  • Nur eine Rose als Stütze. Gedichte. S. Fischer, Frankfurt am Main 1959, ISBN 978-3-10-015301-2
  • Rückkehr der Schiffe. Gedichte, 1962, Fischer, 6. Auflage 2006, ISBN 978-3-596-12208-0
  • Linguistik. Gedichte, 1963
  • Hier. Gedichte, 1964, ISBN 978-3-10-015303-6
  • Tokaidoexpress. Gedicht, 1964
  • Höhlenbilder. Gedichte, 1968
  • Das zweite Paradies. Roman in Segmenten. 1968
  • Wozu Lyrik heute. Dichtung und Leser in der gesteuerten Gesellschaft. 1968, Fischer, 3. Auflage 2005, 240 S., ISBN 978-3-596-12204-2
  • Ich will dich. Gedichte, Fischer Taschenbuch, 1970, ISBN 978-3-596-12209-7
  • Von der Natur nicht vorgesehen. Autobiographisches. 1974, Fischer Taschenbuch, 2005, 4. Auflage, 192 S., ISBN 978-3-596-12203-5
  • Aber die Hoffnung. Autobiographisches aus und über Deutschland. 1982
  • Unaufhaltsam. Gedicht, 1962
  • Rufe nicht.
  • Das Gedicht als Augenblick von Freiheit. Frankfurter Poetik-Vorlesungen 1987/1988. Fischer Taschenbuch, 4. Auflage 2005, 112 S., ISBN 978-3-596-12205-9
  • Gesammelte Essays. Heimat in der Sprache. S. Fischer, 1993, ISBN 3-10-015315-4
  • Der Baum blüht trotzdem. Gedichte, 1999, ISBN 3-10-015322-7
  • Magere Kost.
  • Haus ohne Fenster.
  • Gesammelte autobiographische Schriften. Fast ein Lebenslauf. Fischer, 2005, ISBN 3-596-14071-4
  • Wer es könnte. Gedichte und Aquarelle. Illustriert von Andreas Felger. Präsenz Kunst & Buch, ISBN 978-3-87630-514-1
  • Sämtliche Gedichte. Hrsg. von Nikola Herweg und Melanie Reinhold, S. Fischer, 2009, 352 S., ISBN 978-3-10-015341-8

Briefe

Die Literatur- und Kunsthistoriker Jan Bürger, Leiter der Handschriftenabteilung im Literaturarchiv Marbach, und Frank Druffner stellten im Januar 2007 Briefe zwischen Domin und Erwin Walter Palm aus 40 Jahren (1931 bis 1960) vor, die neben dem persönlichen Aspekt zwei Emigrantenschicksale sehr genau widerspiegeln. Die Briefe wurden in der letzten Wohnung Domins gefunden, ihre Existenz war vorher nicht bekannt.[9] Sie liegen nun als Veröffentlichung vor:

  • Hilde Domin: Die Liebe im Exil. Briefe an Erwin Walter Palm aus den Jahren 1931 - 1959. Herausgegeben von Jan Bürger und Frank Druffner unter Mitarbeit von Melanie Reinhold. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, gebunden, ISBN 978-3-10-015342-5. (Besprechung: [3])

Auszeichnungen

Literatur

  • Michael Braun: Exil und Engagement. Untersuchungen zur Lyrik und Poetik Hilde Domins. Frankfurt am Main, Berlin, Bern. Lang 1994, Literarhistorische Untersuchungen 23, ISBN 3-631-47065-7
  • Margret Karsch: Das Dennoch jedes Buchstabens. Hilde Domins Gedichte im Diskurs um Lyrik nach Auschwitz. Bielefeld 2007, ISBN 3-899-42744-0
  • Ilka Scheidgen: Hilde Domin, Dichterin des Dennoch. Biografie. 2. Auflage 2006, ISBN 3-7806-3012-5
  • Marion Tauschwitz: „Dass ich sein kann, wie ich bin.“ Hilde Domin. Die Biografie. ISBN 978-3-930378-81-4, Palmyra Verlag Heidelberg, Mai 2009
  • Marion Tauschwitz (Hrsg.): Unerhört nah - Erinnerungen an Hilde Domin. ISBN 978-3-924566-33-3, Kurpfälzischer Verlag, Heidelberg, Februar 2009

Filme

  • Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin. Dokumentarfilm, Deutschland, 2005-2007, 95 Min., Buch, Regie, Kamera und Schnitt: Anna Ditges, Produktion: Punktfilm, Filmseite
  • Wortwechsel: Hilde Domin. Gespräch, Deutschland, 1991, 45 Min., Christa Schulze-Rohr, Produktion: SWF
  • Hilde Domin. In: Zeugen des Jahrhunderts. Rüdiger Schwab im Gespräch mit Hilde Domin. ZDF-Interview vom 24./25. Januar 1989, 60 Minuten, Prod. Nr. 6354/1543. Gesendet am 1. und 5. November 1989.

Literatur von und über Hilde Domin im Katalog des Ibero-Amerikanischen Instituts Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Quellen

  1. Ulla Hahn: „Schreiben war das Unverlierbare“, Emma, Nr. 4, Juli/August 2009
  2. a b Hilde Domin, Lyrikerin, im Gespräch, BR-alpha, 23. Juli 1999, PDF-Datei, 46,7 kB, 12 S.
  3. a b Volker Weidermann: „Hilde Domin zum Hundertsten. Eine großartige Sekretärin und Dichterin“, FAS, 27. Juli 2009
  4. Amors Pfeile - oder: die Magie der Liebe, Deutschlandfunk, Reihe: Freistil, Sendung vom 25. Dezember 2005
  5. Rainer Hartmann: „Ich setzte den Fuß in die Luft“, Kölner Stadt-Anzeiger, 24. Juli 2009
  6. vgl. Hilde-Domin-Schule, Herrenberg
  7. Hilde-Domin-Schule, Kinderkrankenhaus Riehl, Köln
  8. „Eine Rose als Stütze.“ Park nach Lyrikerin Hilde Domin benannt, Stadt Köln, 18. Juni 2008
  9. Vgl. „Zeitkapsel: „Die Insel im Schrank. Hilde Domin und Erwin Walter Palm in der Dominikanischen Republik“, Literaturhaus Frankfurt, 16. Januar 2007


Koordinaten: 50° 57′ 7,7″ N, 6° 57′ 38,1″ O