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Joschka Fischer

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Joseph Martin (Joschka) Fischer (* 12. April 1948 in Gerabronn, damals Landkreis Crailsheim) ist ein deutscher Politiker. Er ist ein führendes Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und seit dem 27. Oktober 1998 Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Joschka Fischer

Leben

Herkunft und Jugend

Fischer wurde als drittes Kind eines Metzgers geboren. Die Eltern mussten als Ungarndeutsche 1946 Budapest verlassen. Der von ihm geführte Vorname leitet sich von Jóska ab, einer Verniedlichungsform des ungarischen Vornamens József.

Noch vor Beendigung der Untersekunda verließ Fischer 1965 das Gottlieb-Daimler-Gymnasium in Stuttgart-Bad Cannstatt ohne Abschluss und begann in Fellbach eine Lehre als Fotograf, die er 1966 abbrach.

Danch arbeitete er vorübergehend als Spielwarenverkäufer. Im November 1966 sterben Fischers Schwester und sein Vater.

Studentenbewegung

Ab 1967 engagierte er sich in der Studentenbewegung und in der Außerparlamentarischen Opposition (APO). Er lebte ab 1968 in Frankfurt am Main als Gelegenheitsarbeiter und besuchte als Gasthörer Vorlesungen von Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und Oskar Negt. Hier setzte er sich umfangreich mit den Schriften von Karl Marx, Mao Zedong und Georg Wilhelm Friedrich Hegel auseinander. Bis 1975 war er Mitglied der linksradikalen und militanten Gruppe Revolutionärer Kampf. Er beteiligte sich führend an mehreren Straßenschlachten mit der Polizei („Putztruppe“). Als Außenminister entschuldigte sich Fischer für seine damalige Gewalttätigkeit, wollte sich aber gleichzeitig nicht davon distanzieren. Er beteuerte zudem, niemals Molotowcocktails eingesetzt zu haben. Aus der Frankfurter Zeit stammt auch seine Freundschaft mit dem deutsch-französischen Studentenführer Daniel Cohn-Bendit.

1969 nahm Fischer in Algier an einer Konferenz der damals terroristischen PLO teil. Auf dieser Konferenz propagierte der Palästinenserführer Jassir Arafat den Kampf gegen Israel bis zum „Endsieg“.

1971 begann er eine Tätigkeit bei der Adam Opel AG in Rüsselsheim mit dem Ziel, über die Gründung einer Betriebsgruppe die Arbeiter zu politisieren und letztlich für eine „Revolution“ zu gewinnen. Diese Form der „Basisarbeit“ fand aber nicht den erwarteten Erfolg; zudem wurde Fischer wegen dieser Aktivitäten schon nach einem halben Jahr fristlos entlassen.

Nach weiteren Gelegenheitsarbeiten – unter anderem als Übersetzer von Romanen bei Jörg Schröders Olympia Press (Quelle) – bestand Fischer 1976 die Prüfung für den Personenbeförderungsschein. Er arbeitete in Frankfurt noch bis 1981 als Taxifahrer und bis 1982 als Aushilfe in einem Buchladen.

Am 14. Mai 1976 wurde Fischer im Zusammenhang mit einem Angriff mit Molotowcoctails, bei dem 2 Polizisten schwer verletzt wurden, verhaftet. Er blieb allerdings nur 2 Tage in Haft. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Molotowcoctails im Zuge einer Demonstration anläßlich des Todes von Ulrike Meinhof geworfen worden und dass bei der Planung der Demo der Einsatz von Molotowcoctails diskutiert, für gut befunden und die Diskussion von Fischer geleitet wurde.

Die Ereignisse im so genannten Deutschen Herbst im Jahr 1977 (Entführung und Ermordung des BDA-Präsidenten Hanns-Martin Schleyer, Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut, Suizid der RAF-Gründer) leiteten bei ihm, nach eigenen Angaben, einen Erkenntnisprozess ein, den er als Illusionsverlust bezeichnet und der schließlich zu seiner Abkehr von radikalen und gewalttätigen Politikvorstellungen führte.

Am 11. Mai 1981 wurde der hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry mit einer Schusswaffe ermordet, die, zusammen mit anderen aus einer amerikanischen Kaserne gestohlenen Waffen, im Jahre 1973 in Joschka Fischers Auto transportiert worden war. Fischer meinte dazu, er habe dem späteren Terroristen Hans-Joachim Klein den Wagen lediglich gegeben, um von ihm einen neuen Motor einbauen zu lassen. Erst später habe er erfahren, dass mit dem Auto gestohlene Waffen transportiert wurden.

Realpolitik bei den Grünen

Noch vor seinem Parteibeitritt im Jahr 1982 gründete Fischer 1981 mit Daniel Cohn-Bendit und anderen den Arbeitskreis Realpolitik in Frankfurt, der für die Partei Die Grünenrealpolitisch“ genannte Positionen formuliert. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen neuen Positionen führte im Kreisverband Frankfurt zur Polarisierung in Realos und Vertreter eines „öko-fundamentalistisch“ genannten Standpunktes (Fundis), in deren Verlauf sich Fischer 1982 für die Bundestagswahl 1983 als Kandidat für Die Grünen durchsetzen konnte.

1983 wurde er in den Deutschen Bundestag gewählt und gehörte damit der ersten Bundestagsfraktion der Grünen an, für die er als Parlamentarischer Geschäftsführer tätig war. Er machte sich auch als Redner einen zum Teil umstrittenen Namen (Zitat: Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!). Wegen des damals bei den Grünen noch geltenden Rotationsprinzips schied er 1985 wieder aus dem Bundestag aus.

Erste Ministerposten

Die Turnschuhe des Außenministers in dessen Arbeitszimmer im Auswärtigen Amt

Im Jahr 1985 kam es in Hessen zur Bildung der ersten rot-grünen Landesregierung unter Ministerpräsident Holger Börner. In diesem Kabinett wurde Fischer Staatsminister für Umwelt und Energie. Bereits seine Vereidigung sorgte für Aufsehen, da er in grobem Jackett und Turnschuhen erschien. Dieser Auftritt prägte den Begriff des „Turnschuh-Ministers“.

Im Februar 1987 wurde Fischer von Ministerpräsident Börner aus seinem Amt entlassen, da die Grünen in einem Ultimatum den Fortbestand der Koalition von der Rücknahme der Genehmigung für das Hanauer Nuklearunternehmen Alkem abhängig gemacht hatten.

Die darauf folgenden Neuwahlen im April 1987 endeten mit einem Sieg von CDU und FDP. Walter Wallmann (CDU) wurde Ministerpräsident und Wolfgang Gerhardt (FDP) sein Stellvertreter. Fischer wurde bei dieser Wahl in den Hessischen Landtag gewählt und übernahm den Vorsitz der Landtagsfraktion der Grünen.

Bei den Landtagswahlen 1991 verlor die Regierungskoalition ihre Mehrheit. Es kam zu einer Wiederauflage der rot-grünen Koalition, diesmal unter Ministerpräsident Hans Eichel (SPD). Fischer wurde wieder Umweltminister. Zugleich war er Stellvertreter des Ministerpräsidenten und Staatsminister für Bundesangelegenheiten.

Im Oktober 1994 legte er alle Ämter in Hessen nieder und wurde, nachdem die Grünen bei der Bundestagswahl am 16. Oktober 1994 den Wiedereinzug in den Bundestag schafften, neben Kerstin Müller zum Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

1995 löst er eine innerparteiliche Kontroverse aus, da er mit der strikt pazifistischen Ausrichtung der Partei bricht, als er militärische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der UN-Schutzzonen in Bosnien und Herzegowina befürwortet. Auch durch die wirtschaftspolitische Hinwendung der Grünen zur Marktwirtschaft lässt er sie immer mehr zu einer „realpolitischen“ Partei werden.

Außenminister und Vizekanzler

Joschka Fischer und Paul Wolfowitz

Bei der Bundestagswahl im Herbst 1998 verlor die CDU-FDP-Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl nach 16 Jahren ihre Mehrheit. Es kam zur Bildung der ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene. Fischer wurde im Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 27. Oktober 1998 zum Vizekanzler und Außenminister ernannt.

1999 unterstützte Fischer maßgeblich die deutsche Beteiligung am völkerrechtlich umstrittenen Kosovo-Krieg, wodurch erstmalig seit dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten an einem Krieg beteiligt waren. Er begründete diesen Krieg mit dem Verweis auf den deutschen Völkermord an den Juden. So sagte er bei einem Besuch in Auschwitz: Zur Verhinderung eines neuen Auschwitz „ist die Bundeswehr in Bosnien“ und sie werde daher „wohl auch in das Kosovo gehen“. Dem Nachrichtenmagazin Newsweek sagte Fischer auf die Frage, ob er zwischen den Ereignissen im Kosovo und dem Nationalsozialismus eine direkte Parallele sehe: „Ich sehe eine Parallele zu diesem primitiven Faschismus. Es ist offensichtlich: Die 30er Jahre sind wieder da, und das können wir nicht akzeptieren.“ (Quellen: [1],[2]) Es war unter anderem von Rudolf Scharping behauptet worden, dass es im Kosovo Konzentrationslager gebe, was sich aber als falsch herausstellte.

Kritiker werfen Fischer vor, als Aussenminister Positionen zu vertreten, die er vor der rot-grünen Regierungsübernahme abgelehnt hatte. So schrieb er noch 1994 in seinem Buch Risiko Deutschland:

"Die weitere Entwicklung ist unschwer abzusehen: Es fängt heute mit der Parole »Mehr Verantwortung übernehmen!« an, dann werden die ersten Kriegseinsätze stattfinden, die ersten Toten wird es geben, die ersten vaterländischen Rituale werden folgen, die Generalität wird mehr Freiheiten wollen, Kriegshelden werden wieder heroisiert, längst überwunden geglaubte Traditionen werden exhumiert werden, und die von den Deutschnationalen heißersehnte Wiederkehr des »Primats der Außenpolitik« wird dann »gefeiert« werden dürfen; parallel dazu wird Deutschland einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erhalten, in dem als ständige Mitglieder heute nur lauter Nuklearmächte sitzen."

Wegen seines Werbens als deutscher Außenminister für den Einsatz der NATO im Kosovo-Krieg wurde er unter anderem in Internet-Foren, aber auch von Angehörigen der Friedensbewegung als Kriegsverbrecher bezeichnet. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat allerdings entschieden, dass diese Bezeichnung rechtswidrig ist.

Heftige Kritik an Joschka Fischer wurde auch wegen seiner Haltung bezüglich des Tschetschenien-Kriegs geäußert. Während der Bundestagsabgeordnete Joschka Fischer im Januar 1995 noch die Untätigkeit der Bundesregierung angesichts des „grausamen Mordens einer nuklearen Supermacht gegen ein kleines Volk im Norden des Kaukasus“ verurteilte, erklärte er 2000 als Außenminister, dass Russland nicht isoliert werden dürfe und es legitim sei, gegen Terror vorzugehen.

Es wird vor allem seiner Person zugerechnet, dass die Grünen bei der Bundestagswahl 2002 ihr Ergebnis um 1,9 Prozentpunkte auf 8,6 % verbessern konnten, wodurch die Grünen trotz des verkleinerten Bundestages 8 Sitze hinzugewinnen konnten und so der Regierungskoalition einen knappen Sieg ermöglichten.

Fischer galt als aussichtsreicher Kandidat auf den für 2006 geplanten Posten des Außenministers der Europäischen Union. Am 1. September 2003 verkündete er allerdings gemeinsam mit Bundeskanzler Schröder, dass beide bei der nächsten Bundestagswahl 2006 wieder zusammen antreten wollen.

Anfang 2005 stand Fischer als verantwortlicher Minister im Mittelpunkt der so genannten Visa-Affäre und trat vor laufenden TV-Kameras als Zeuge am 25. April 2005 vor dem Visa-Untersuchungsausschuss auf, wo er, aufgrund heftiger Kritik, eigene Versäumnisse einräumte und die komplette politische Verantwortung übernahm. Einen daraus folgenden Rücktritt als Außenminister und Vizekanzler schloss Fischer aus, obwohl einige Stimmen einen solchen forderten. Als Konsequenz aus der Visa-Affäre musste er Einbußen in den bis dato unerreicht hohen Beliebtheitswerten hinnehmen.

Ehrungen und Auszeichnungen

Im Mai 2002 wurde Fischer mit der Ehrendoktorwürde der Universität Haifa ausgezeichnet. Am 4. Mai 2004 erhielt er den renommierten Gottlieb-Duttweiler-Preis in Rüschlikon, Schweiz. Im Mai 2005 erhielt Fischer in seiner Funktion als Außenminister die höchste Auszeichnung des Zentralrates der Juden in Deutschland, den Leo-Baeck-Preis, für seine Verdienste im Nahost-Konflikt als Vermittlungpartner zwischen Palästinensern und Israeli.

Familiäres

Alle vier Ehen Fischers – mit Edeltraud (1967–1984), Inge (1984–1987), Claudia (1987–1999) und Nicola (1999–2003) – endeten mit einer Scheidung. Seit Sommer 2003 hat Joschka Fischer eine neue Lebensgefährtin: die Studentin Minu Barati (* 1976). Erst am 26. November 2004 zeigte er sich erstmals mit seiner 28 Jahre jüngeren Freundin öffentlich auf dem Bundespresseball in Berlin. Aus der zweiten Ehe hat Fischer zwei Kinder, einen Sohn (* 1979) und eine Tochter (* 1983).

Das von Joschka Fischer 2004 angenommene Wappen zeigt in der unteren Hälfte einen Fisch in Rot, der für den Familiennamen Fischer steht, und oben zwei gekreuzte rote Fleischerbeile mit schwarzem Griff. Sie verweisen auf den Berufsstand des Metzgers, der von sechs Generationen der Familie Fischer ausgeübt wurde. Die Farben Rot und Silber entspringen dem Stadtwappen von Fridingen an der Donau im Landkreis Tuttlingen, der Stammheimat der Familie Fischer. Die roten Flügel als Helmzier über rot-silbernen Helmdecken stehen für das Amt des Bundesaußenministers. Fischer hat das Wappen in der Rhein-Main-Wappenrolle eintragen lassen. (Quellen:[3] - mit Bild, [4])

Bücher von Joschka Fischer

  • Die Rückkehr der Geschichte: Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. (ISBN 3-462-03035-3)
  • Mein langer Lauf zu mir selbst. Knaur, München 2003. (ISBN 3-426-62208-4)
  • Die Weisheit der Mitte: Deutschland, Nationalstaat und europäische Integration. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002. (ISBN 3-462-03035-5)
  • Vom Staatenbund zur Föderation: Gedanken über die Finalität der europäischen Integration. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2000. (ISBN 3-518-06614-5)
  • Die globale Revolution: Wohlstandsverlust und Solidarität. 1996.
  • Risiko Deutschland: Krise und Zukunft der deutschen Politik. Knaur, München 1995. (ISBN 3-426-80075-6)
  • Der Umbau der Industriegesellschaft. Plädoyer wider die herrschende Umweltlüge. Goldmann, München 1993. (ISBN 3-442-12434-4)
  • Die Linke nach dem Sozialismus. Hoffmann & Campe, Hamburg 1993. (ISBN 3-455-10309-X)
  • Für einen neuen Gesellschaftsvertrag: politische Antwort auf die globale Revolution. Droemer Knaur, München 2000. (ISBN 3-426-77436-4)
  • Mehrheitsfähig: Plädoyer für eine neue Politik. Eichborn, Franfurt a. M. 1989. (ISBN 3-821-80414-9)
  • Rechtsstaat und ziviler Ungehorsam: ein Streitgespräch mit Daniel Cohn-Bendit und Alexander Gauland. 1988. (ISBN 3-61004709-7)
  • Regieren geht über Studieren. Ein politisches Tagebuch. Athenäum-Verlag, Frankfurt a. M. 1987. (ISBN 3-620-08443-X)
  • Der Ausstieg aus der Atomenergie ist machbar. Rowohlt, Reinbek 1987. (ISBN 3-499-15923-6)
  • Von grüner Kraft und Herrlichkeit. Rowohlt, Reinbek 1984. (ISBN 3-499-15532-X)
  • Und Tischbein hatte doch recht. 1984. (ISBN 3-927-13303-5)

Literatur

  • Autonome L.U.P.U.S.-Gruppe (Hrsg.): Die Hunde bellen ... Von A–RZ. Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre. 1. Auflage. Unrast, Münster 2001. (ISBN 3-89771-408-6, Inhaltsverzeichnis)
  • Christian Schmidt: „Wir sind die Wahnsinnigen ...“ Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang. Econ-und-List-Taschenbuch-Verlag, München 1999. (ISBN 3-61226-628-4)
  • Power and the Idealists : Or, The Passion of Joschka Fischer, and Its Aftermath von Paul Berman. ISBN 1932360913

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