Heiliges Römisches Reich
Heiliges Römisches Reich, später Heiliges Römisches Reich deutscher Nation war die offizielle Bezeichnung für das Reich, das sich 962 mit der Regentschaft von Otto I. aus dem karolingischen Ostfrankenreich herausbildete und bis 1806 bestand.Das Reich jedoch endete 1804.
Die Formel Römisches Reich (lat. Imperium Romanum) gehörte bereits zum Kaisertitel Karls des Großen, erst in der Zeit Kaiser Friedrichs I. tauchte 1157 der Zusatz Heilig (lat. Sacrum) in der Kaisertitulatur auf. In deutschsprachigen Urkunden trat die Wendung Heiliges Römisches Reich ab Kaiser Karl IV. auf (erstmals belegt 1254). Ab 1438 findet sich erstmals der Zusatz Nationis Germanicae (dt. deutscher Nation), 1486 wird diese Titulatur erstmals in einem Gesetz verwendet. Seit 1512 ist die offizielle Titulatur des Reiches Sacrum Romanum Imperium Nationis Germanicae (dt. Heiliges Römisches Reich deutscher Nation). Mit der Niederlegung der Reichskrone durch Kaiser Franz II. am 6. August 1806 erlosch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.
Der Name drückt den Anspruch aus, einerseits der Nachfolger des antiken Römischen Reiches und damit gleichsam der Herrscher der Welt zu sein und andererseits wird dieser Anspruch ins Heilige erhöht, aus dem die irdische Herrschaft abgeleitet wird.
Charakter des Reiches
Das so genannte Heilige Römische Reich war der Nachfolgestaat des Ostfrankenreiches (das auch Regnum Teutonicorum genannt wurde). Dieses Reich war aber ein Gebilde, das sich niemals zu einem Nationalstaat, wie etwa Frankreich oder Großbritannien entwickelte und aus ideengeschichtlichen Gründen auch nie als solcher verstanden werden wollte. Es schloss zwar bis zum westfälischen Frieden den gesamten deutschen Sprachraum ein und die Könige und Kaiser stammten zumeist aus deutschen Fürstenhäusern; es bestand aber vielmehr aus quasi selbständigen Fürsten- und Herzogtümern, die den Kaiser als Oberhaupt des Reiches anerkannten.
Bei seiner größten Ausdehnung umfasste das Reich den größten Teil der heutigen Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, Sloweniens, der Schweiz, Liechtensteins, Belgiens, der Niederlande, Luxemburgs, der Tschechischen Republik, den östlichen Teil Frankreichs, des nördlichen Italiens und des heutigen westlichen Polens. Im Reich wurde daher nicht nur Deutsch (bzw. dessen Dialekte) geschrieben und gesprochen, sondern auch viele slawische Sprachen und die Sprachen, aus denen sich das moderne Französisch und Italienisch entwickelte. Lateinisch war die Sprache der Gelehrten und des Klerus.
Struktur und Institutionen
Es gab einige zentrale Institutionen, wie den Reichstag, das Reichskammergericht, den Reichshofrat und die im Kriegsfall zusammengestellte Reichsarmee, aber keine Reichsregierung und auch keine Hauptstadt im eigentlichen Sinne. Zur Einhaltung des Landfriedens und für militärische Zwecke war das Reich in Reichskreise geteilt.
Der Versuch eines Reichsregiments wurde 1502 und wiederholt von 1520 bis 1522 gemacht, scheiterte jedoch immer aus finanziellen Gründen. Vor allem nach dem Westfälischen Frieden 1648 war das Reich nurmehr ein lockerer Verband deutscher Territorien mit der gleichen Rechtsprechung; oder wie Voltaire spottete: weder heilig, noch römisch, noch ein Reich. Eine engere Zusammenarbeit scheiterte meist am Partikularismus der größeren Fürsten und zuletzt am Dualismus Preußen-Österreich.
Entstehung des Namens
Mit der Krönung des Frankenkönigs Karl des Großen zum Kaiser durch Papst Leo III. im Jahr 800 erhob dieser den Anspruch auf die Nachfolge des antiken römischen Imperiums, der so genannten Translatio Imperii, obwohl geschichtlich und dem Selbstverständnis nach das christlich-orthodoxe byzantinische Reich aus dem alten römischen Reich entstanden war; nach Ansicht der Byzantiner war das neue westliche „Römische Reich“ ein selbsternanntes und illegitimes. Die Herausforderung zeigte sich sogar auf den Wappen der beiden Reiche, die beide einen doppelköpfigen Adler zeigten (im Heiligen Römischen Reich allerdings erst sehr viel später).
Die Bestrebung Karls des Großen, sein Frankenreich als Großmacht neben Byzanz und dem Kalifat zu behaupten, hatte zu seinen Lebzeiten Bestand. Aber mit seinem Tod entstand ein Gegensatz zwischen der germanischen Tradition, das Reich zwischen den Söhnen aufteilen zu müssen, und den machtpolitischen und kirchlichen Interessen, die Einheit des Reichs zu wahren. Die Tradition setzte sich zuletzt durch und das Frankenreich zerfiel in das Westfrankenreich auf dem Boden des heutigen Frankreichs und in das Ostfrankenreich auf dem westlichen Teil des heutigen Deutschlands.
Die Kaiserwürde verblieb beim Ostfrankenreich, als Otto I. der Große sich 962 im Zuge italienischer Eroberungen in Rom zum Kaiser krönen ließ. Interessanterweise trug das Reich zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Prädikat heilig. Dies war nicht notwendig, da die Machtverhältnisse zu dieser Zeit so waren, dass der Kaiser sich vom Machtanspruch des Papstes emanzipiert hatte. Außerdem wurde der Kaiser als Stellvertreter Gottes auf Erden angesehen. Es bestand also keine Notwendigkeit, dies besonders hervorzuheben. Das Reich war heilig.
Erst nachdem die geistliche Macht nach dem Investiturstreit von 1075 bis 1122 auf den Papst übergegangen war, versuchten die Kaiser diesen Anspruch nunmehr verbal für sich zu reklamieren. So verlieh Friedrich I., genannt Barbarossa, dem Reich den Titel sacrum imperium.
Und im so genannten Interregnum von 1254 bis 1273, als es keinem der drei gewählten Könige gelang, die Königsmacht zur Geltung zu bringen, verband sich der Anspruch, der Nachfolger des Römischen Reiches zu sein, mit dem Prädikat heilig zur Bezeichnung Sacrum Romanum Imperium (deutsch: Heiliges Römisches Reich). Also ausgerechnet während der kaiserlosen Zeit wurde der Machtanspruch um so tönender angemeldet.
Der Zusatz Nationis Germanicae („Germanischer Nation“, aber übersetzt als „Deutscher (Teutonicae) Nation” ) erschien erst im Spätmittelalter um 1450, wohl weil sich die Macht der Kaiser im wesentlichen auf das Gebiet der heutigen deutschsprachigen Länder bezog.
Bis 1806 war Heiliges Römisches Reich deutscher Nation die offizielle Bezeichnung des Reiches (oft abgekürzt als SRI für Sacrum Romanum Imperium auf lateinisch oder HRR auf deutsch).
Geschichte
Entstehung des Reiches
Das Heilige Römische Reich entstand aus dem Ostfränkischen Reich. Nach der Kaiserkrönung Ottos I. wurde es üblich, dass die ostfränkischen Könige zu Kaisern gekrönt wurden. Daher wurde im Laufe der Zeit das Ostfränkische Reich als westlicher Nachfolger des Römischen Reichs akzeptiert. Da das Reich im Gegensatz zum antiken christlich war, wurde es bald als Heiliges Römisches Reich bezeichnet. Der Zusatz deutscher Nation bürgerte sich zum Ausklang des Mittelalters ein.
Mittelalter
Siehe auch: Deutschland im Mittelalter
Im hohen Mittelalter ergab sich eine Umstrukturierung in der Struktur des Reiches. Schon im Ostfränkischen Reich hatten sich aus den ursprünglich nur als Verwaltungseinheiten gedachten Grafschaften größere Einheiten zusammengeschlossen, die weitgehend den alten Stämmen entsprachen. Diese territorialen Einheiten wurden nun Herzogtümer genannt. Die Herzogtümer waren relativ abgeschlossene Einheiten. Während in unteren „Verwaltungsebenen“ einzelne Rechte und persönliche Bindungen die Machtverhältnisse ausmachten, existierten die Herzogtümer in einer territorialstaatsähnlichen Form. Im Kampf der Herzogtümer gegen die Königsmacht wurden einige der alten Stammesherzogtümer zerschlagen, andere verloren durch die Verleihung der Reichsunmittelbarkeit weite Gebiete. Diese Entwicklung konzentriert sich vor allem im 12. Jahrhundert. Im Laufe der Jahrhunderte kam es durch Bündelung und Neuverteilung von Einzelrechten wieder zu territorialen Herrschaften, die aber deutlich kleiner als die Herzogtümer waren. Dieser Prozess war etwa um 1500 abgeschlossen.
Das hochmittelalterliche Reich, also etwa um die Mitte des 11. Jahrhunderts, umfasste etwa 800.000 bis 900.000 km² und wurde von ungefähr 8 bis 10 Millionen Menschen bewohnt (über das gesamte Hochmittelalter wuchs die Bevölkerung auf schließlich geschätzte 12-14 Millionen Ende des 13. Jahrhunderts an). Es bestand seit 1032 aus dem Regnum Francorum (Ostfrankenreich) später auch Regnum Teutonicorum genannt, dem Regnum Langobardorum oder Regnum Italicum im heutigen Nord- und Mittelitalien und dem Königreich Burgund.
Neuzeit
Eine der Möglichkeiten, den Beginn der Neuzeit zu markieren, ist die Einführung des Allgemeinen Landfriedens im Jahre 1495. Bald darauf wurde die Struktur des Reiches verändert. 1500 und 1512 wurde das Reich in Reichskreise eingeteilt.
Reformation
Im Zuge der Reformation zerbrach die Macht des Königs/Kaisers langsam. Es bildeten sich konfessionsgebundene Bündnisse zwischen Reichsständen, die mehrmals gegeneinander Krieg führten. In der Mitte des Jahrhunderts wurde den Reichsständen das Recht zugestanden, die Konfession ihrer Untertanen zu bestimmen ("cuius regio, eius religio"). Dadurch wurden die Reichsstände konfessional einheitlich. Ausnahmen zu dieser Regel waren nur viele der Reichsstädte und das Hochstift Osnabrück. Mit der konfessionellen Einheitlichkeit eines Territoriums war der Prozess der Territorialstaatsbildung endgültig abgeschlossen. Der Höhepunkt der durch die Reformation eingeleiteten Veränderungen war der Dreißigjährige Krieg. In seinem Verlauf versuchte der Kaiser ein letztes Mal, seine alte Machtstellung zurückzugewinnen und die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Dieser Versuch scheiterte. Es entstand ein Reich, in dem es kaum noch zu Verschiebungen der Grenzen der Territorien kam, und in dem der Kaiser fast nur noch repräsentativen Charakter hatte. Er wurde weitgehend auf seine gleichzeitige Funktion als Reichsstand, seit dem 15. Jh. also meist als Erzherzog von Österreich, zurückgeworfen. Verschiebung von Grenzen sollte in Zukunft vornehmlich durch faktische Einverleibung von Territorien in größere Reichsstände geschehen.
Das Ende des Reiches
Das Reich zerbrach während der Napoleonischen Kriege, als auf Veranlassung Napoleons ein Teil der deutschen Fürsten den Rheinbund bildeten. Die Säkularisationen durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 hatten bereits das prekäre politisch-konfessionelle Gleichgewicht des Reiches zerstört, das mit dem Westfälischen Frieden konstituiert worden war. 1806 legte Kaiser Franz II., der schon 1804 als Franz I. den Titel eines Kaisers von Österreich angenommen hatte, die Krone des Heiligen Römischen Reiches nieder.
Nach Ende des Reiches
Nach dem Wiener Kongress im Jahre 1815 schlossen sich die deutschen Einzelstaaten zum Deutschen Bund zusammen. Zuvor, im November 1814, richteten jedoch 29 Souveräne kleiner und mittlerer Staaten folgenden Wunsch an den Kongress:
- die Wiedereinführung der Kaiserwürde in Deutschland bei dem Komitee, welches sich mit der Entwerfung des Planes zu einem Bundesstaat beschäftigt, in Vorschlag zu bringen
Grundlage dieser Petition war kaum patriotischer Eifer. Eher kann davon ausgegangen werden, dass diese die Dominanz der durch Napoleon zu voller Souveränität und Königstiteln gelangten Fürsten, z.B. die Könige von Württemberg, Bayern und Sachsen, fürchteten.
Aber auch darüber hinaus wurde die Frage, ob ein neuer Kaiser gekürt werden soll, diskutiert. So existierte u. a. der Vorschlag, dass die Kaiserwürde zwischen den mächtigsten Fürsten im südlichen Deutschland und dem mächtigsten Fürsten in Norddeutschland alternieren solle. Im allgemeinen wurde jedoch von den Befürwortern des Kaisertums eine erneute Übernahme der Kaiserwürde durch Österreich, also durch Franz I., favorisiert.
Da aber auf Grund der geringen Macht der Befürworter der Wiederherstellung, der kleinen und mittleren deutschen Fürsten, nicht zu erwarten war, dass der Kaiser in Zukunft die Rechte erhielte, die diesen zu einem tatsächlichen Reichsoberhaupt machen würde, lehnte Franz die angebotene Kaiserwürde ab. Dementsprechend betrachteten Franz I. und sein Kanzler Metternich diese in der bisherigen Ausgestaltung nur als eine Bürde. Auf der anderen Seite wollte Österreich aber den Kaisertitel für Preußen oder einen anderen starken Fürsten nicht zulassen.
Der Wiener Kongress ging auseinander, ohne das Kaisertum erneuert zu haben. Daraufhin wurde am 8. Juni 1815 der Deutsche Bund als lockere Verbindung der deutschen Staaten gegründet. In diesem führte Österreich bis 1848 den Vorsitz.
Literatur
- Gotthard, Axel: Das Alte Reich. Darmstadt 2003, ISBN 3534151186
- Prietzel, Malte: Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter. Darmstadt 2004, ISBN 3534151313
- Schmidt, Georg: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806. München 1999, ISBN 340645335X
- Schulze, Hans K.: Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Bd. 3, Stuttgart u.a. 1998, ISBN 3170130536 Gutes Überblickswerk
Siehe auch
- Liste der römisch-deutschen Herrscher, Geschichte Deutschlands, Deutschland im Mittelalter, Reichskleinodien, Deutsche Länder (HRR), Reichsbanner des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, Reichstagsmuseum
Weblinks
- Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation
- Karte: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation um 1580
- Ausstellung „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962–1806“ 28. August bis 10. Dezember 2006 in Berlin und Magdeburg