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Gespenstschrecken

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Gespenstschrecken

Malaiische Riesengespenstschrecke (Heteropteryx dilatata)

Systematik
Unterstamm: Tracheentiere (Tracheata)
Überklasse: Sechsfüßer (Hexapoda)
Klasse: Insekten (Insecta)
Unterklasse: Fluginsekten (Pterygota)
Überordnung: Neuflügler (Neoptera)
Ordnung: Gespenstschrecken
Wissenschaftlicher Name
Phasmatodea
Jacobson & Bianchi, 1902
Unterordnungen

Die Gespenstschrecken oder Phasmiden (Phasmatodea, Syn. Phasmida) sind eine Ordnung der Insekten. Zur Zeit (Stand Mitte 2009) sind fast 3.000 gültige Arten bekannt.[1] Fast alle leben in tropischen und subtropischen Gebieten, vor allem in der orientalischen Region.

Namensgebung

Den Namen Gespenstschrecken, vom wissenschaftlichen Namen Phasmatodea (griechisch: Phasma = Gespenst) abgeleitet, erhielten diese Insekten aufgrund ihres Aussehens. Je nach Körperform und Größe werden bestimmte Arten auch „Stabschrecken“, „Wandelnde Blätter“ oder „Wandelnde Äste“ genannt,[2] wobei nur die Wandelnden Blätter eine taxonomische Einheit bilden, nämlich die Phyllioidea. Vielfach werden Gespenstschrecken in der deutschen Sprache aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu den Heuschrecken auch „Stabheuschrecken“ genannt, obwohl sie zu verschiedenen (wenn auch nah verwandten) Ordnungen gehören. Letztendlich gehören diese Insekten nicht einmal zu den Schrecken im wörtlichen Sinn (= Springer), da sie nicht springen können und zur Fortbewegung meist nur bedächtig wandeln.[2]

Die wissenschaftlichen Bezeichnung der Ordnung lautet Phasmatodea und geht auf Jacobson und Bianchi 1902 zurück. Bis heute findet man besonders im englischen Sprachraum und im Amateurbereich die Bezeichnung Phasmida Leach, 1815,[1], welche aber als falsche Ableitung des oben erwähnten Wortes Phasma gilt und in Phasmatodea korrigiert werden musste.[3]

Merkmale

Wandelndes Blatt

Die Körperlänge von Gespenstschrecken-Arten kann zwischen 15 und 328 Millimetern betragen.[4] So gilt die erst im Jahre 2008 von Philip Bragg beschriebenen Art Phobaeticus chani mit einer Körperlänge von 328 Millimetern und einer Gesamtlänge von 570 Millimetern nicht nur als längste Gespenstschrecke, sondern auch als das längste lebende Insekt.[5][6] Die Grundfarbe von Gespenstschrecken ist meist braun oder grün, wobei neben allen Übergängen auch weiße, gelbe, rote, blaue und schwarze Körperzeichnungen auftreten können. Zu den farbigsten Vertretern gehört die Australische Riesenstabschrecke (Eurycnema goliath).

Die Gespenstschrecken können extrem lange und dünne (Stabschrecken), blattartig verbreiterte (Wandelnde Blätter) oder anders geformte Körper haben. Mit ihrer Körperform ahmen sie stets Pflanzenteile, wie Stängel, Äste oder Blätter in ihrer Umgebung nach (Phytomimese). Mit Hilfe dieser Tarnung sind sie insbesondere für ihre Fressfeinde nur schwer zu entdecken. Die Beine sind im Gegensatz zu ihren Verwandten, den Langfühlerschrecken und den Kurzfühlerschrecken, also den Heuschrecken, nicht zu Sprungbeinen umgebildet.

Ihre Antennen können in der Länge und der Anzahl der Glieder sehr stark variieren. Das Spektrum reicht von sehr kurzen Antennen mit acht Gliedern bis hin zu langen Antennen mit etwa 100 Gliedern. Die Facettenaugen sind meist klein. Bei einigen Arten sind zwischen diesen noch bis zu drei Einzelocellen zu finden (wie bei den Männchen der Wandelnden Blätter).

Australische Riesenstabschrecke
(Eurycnema goliath)

Die Vorderbrust (Pronotum) der Tiere ist stets sehr kurz. Der Hinterleib (Abdomen) besteht aus elf Gliedern, wobei das erste immer mit dem letzten Brustsegment (Metanotum) verwachsen ist, was auf der Rückenseite in den meisten Fällen an einer entsprechenden Fuge zu erkennen ist, während auf der Bauchseite eine nahtlose Verschmelzung vorliegt. Die Rückenplatte (Tergit) des elften Analsegments ist stark zurückgebildet und wird Epiproct oder Supraanalplatte genannt. Auf ihrer ventralen Seite haben die paarigen Paraprocten ihren Ursprung, neben welchen die Cerci entspringen. Die Cerci dienen als Tast- oder Klammerorgane bei der Paarung oder Eiablage. Bei den Männchen einiger Vertreter sind Dornenfelder auf dem ventralen Epiproct oder zu Klammerorganen umgebildete, nach ventral gebogene Ränder der zehnten Rückenplatte zum Fixieren des Weibchens bei der Paarung vorhanden. Außerdem findet sich unter dem zehnten Tergum bei vielen Arten eine Platte mit nach hinten gerichtetem Haken (Vomer), welche zum Verankern am siebten Abdominalsternum des Weibchens dient. Das Abdomen besteht auf der ventralen Seite bei den Männchen aus nur neun und bei den Weibchen aus acht Bauchplatten (Sterna). Das achte Sternum der Weibchen ist oft vergrößert und wird als Subgenitalplatte oder Operculum bezeichnet. Es verdeckt die Geschlechtsorgane einschließlich des aus Anhängen des achten und neunten Abdominalsegments bestehenden Ovipositors. Der Ovipositor ist somit nicht wie bei den Langfühlerschrecken der Legestachel. Dieser wird bei vielen Arten als sekundärer Legestachel auf der Bauchseite aus dem Operculum und auf der Rückenseite entweder aus dem verlängerten Epiproct (beispielsweise bei den Heteropterygidae) oder dem verlängerten zehnten Abdominaltergum (beispielsweise bei den Eurycanthinae) gebildet.

Gespenstschrecken gehören zwar zu den Fluginsekten (Pterygota), bei denen die Imagines am Meso- und Metanotum je ein Paar Flügel haben, können aber auch ungeflügelt oder unvollständig geflügelt sein. Neben Vertretern mit Vorder- und Hinterflügeln gibt es auch viele mit reduzierten Vorderflügeln und solche mit fehlenden Hinterflügeln. Sind Vorderflügel vorhanden, sind sie stets als Tegmina ausgebildet, also vollständig sklerotisiert und mit erkennbarer Aderung. Sie können sehr klein sein (wie z. B. bei Pseudophasma acanthonotum) oder auch so groß wie der Hinterleib (wie z. B. bei den Weibchen der Wandelnden Blätter). Wenn Hinterflügel vorhanden sind, können diese komplett häutig, also wenig sklerotisiert sein oder sie haben ein stärker sklerotisiertes Costalfeld, welches ähnlich den Elytren der Käfer das Abdomen bedeckt. Ihr hinterer Bereich, das Analfeld, ist stets häutig und ermöglicht einigen Arten, zu fliegen. Dieser Flügelaufbau ist vergleichbar mit dem der Hemielytren der Wanzen. Sind Flügel vorhanden, können diese entweder zum Fliegen dienen, die Mimese ergänzen oder werden in die Feindabwehr miteinbezogen (Abwehrstridulation, Zeigen von grellen Farben oder Vergrößern des Körperumrisses).

Lebensweise

Ernährung

Regeneration des rechten Hinterbeins bei einer L-2-Larve der Riesen-Stabschrecke
(Phobaeticus serratipes)

Alle Gespenstschrecken sind phytophag, also Pflanzenfresser. Während es Arten gibt, die auf bestimmte Pflanzenarten oder -gruppen spezialisiert sind, so die auf Farne angewiesene Farn-Stabschrecke (Oreophoetes peruana), sind andere sehr unspezialisiert und gelten als polyphage Pflanzenfresser. Zur Nahrungsaufnahme wandeln sie meist nur träge auf den Nahrungspflanzen umher. Vorwiegend sind sie nachtaktiv und bleiben tagsüber am gleichen Ort.[2]

Abwehrverhalten

Viele Arten verharren selbst bei Berührung und unternehmen keine Flucht- oder Gegenwehrversuche.[2] Einige Vertreter lassen sich einfach mit längs angelegten Beinen fallen und verharren dann in dieser Schreckstarre am Boden. Andere setzen sich aktiv gegen Fressfeinde zur Wehr, indem sie ihre Flügel aufspannen, um größer zu erscheinen oder Warnfarben zu zeigen, erzeugen Geräusche (Abwehrstridulation) mit den Flügeln oder den Fühlern oder schlagen mit den Beinen nach Feinden. Dazu strecken sie ihre Hinterbeine aufgeklappt in die Luft und verharren, bis sich der Feind nähert. Dann schlagen sie Schenkel und Schienen ihrer Hinterbeine zusammen und üben Druck auf ihren Feind aus, was bei größeren Tieren durch Dornen an den Hinterbeinen recht schmerzhaft sein kann. Diesen Vorgang wiederholen sie in unregelmäßigen Abständen.

Zusätzlich zu ihrem Aussehen tarnen sich einige Gespenstschrecken durch bestimmte Verhaltensweisen vor ihren Fressfeinden. So schaukeln viele Vertreter bei der Fortbewegung hin und her, um dadurch sich im Wind bewegende Pflanzenteile nachzuahmen. Einige Gespenstschrecken sind in der Lage, durch Hormonausschüttungen ihre tagsüber hellere Farbe in der Nacht in eine dunklere zu ändern (physiologischer Farbwechsel).[2] Durch die Wirkung der Hormone können sich orange-rote Farbkörnchen in den Farbzellen der Haut zusammenballen beziehungsweise ausdehnen und erzeugen dadurch den Farbwechsel.[2]

Um Fressfeinden zu entkommen, können viele Arten einzelne Extremitäten an dafür vorgesehenen Bruchstellen zwischen Schenkel und Schenkelring abwerfen (Autotomie) und diese bei der nächsten Häutung teilweise wieder ersetzen (Regeneration).[2] Vor allem bei Stabschrecken, insbesondere bei deren Nymphen, ist dieses Verhalten zu beobachten.

Fortpflanzung

Kopulation von Phyllium siccifolium, die Spermatophore ist als weiße Perle zu erkennen

Gespenstschrecken sind hemimetabole Insekten. Eine großer Teil der Arten ist zur jungfräulichen Fortpflanzung fähig (fakultative Parthenogenese).[2] Sie sind folglich nicht auf Männchen angewiesen; eine Befruchtung ist nicht erforderlich.

Findet geschlechtliche Fortpflanzung statt, steigt das Männchen auf das Weibchen, wobei es oft das hintere Abdomen des Weibchens mit den zangenförmigen oder klammerartigen Cerci oder dem Vomer beziehungsweise anderen Strukturen fixiert. Dann schiebt das Männchen seine äußeren Geschlechtsorgane unter die Subgenitalplatte des Weibchens. Dort wird ein oft rundlicher, mit einer Ableitungsröhre versehener Samenträger (Spermatophore) deponiert, welcher erst nach seiner Entleerung abgeworfen wird. Die darin enthaltenen Spermien werden vom Weibchen in der Samentasche (Receptaculum seminis) bis zur Befruchtung des jeweils heranreifenden Eies gespeichert. Bei manchen Arten, wie den Vertretern der Gattungen Anisomorpha und Peruphasma, lassen sich die Männchen über Wochen oder gar den Rest ihres Lebens von den Weibchen tragen. Entsprechend häufig oder langwierig sind die Kopulationen. Bei Anisomorpha monstrosa und Malacomorpha guamuhayaense wurden Männchen bei Paarungen mit subadulten Weibchen beobachtet, die nach der Imaginalhäutung noch einige Zeit weiter mit der Exuvie kopulierten.[7]

Die Eier der Gespenstschrecken unterscheiden sich meist so stark von einander, dass sie zur Bestimmung der Arten besser geeignet sind als die Tiere selbst. Schon die äußere Hülle, das Exochorion, hat oft eine sehr charakteristische Form und Oberfläche. Das gleiche gilt für die Mikropylarplatte auf der dorsalen Seite der Eier auf der sich die Mikropyle befindet. Diese entspricht der Eintrittsstelle des Spermiums. Außerdem befindet sich am vorderen Pol der Eier der Deckel (Operculum), welcher von der schlüpfenden Nymphe aufgedrückt wird. Auf diesem wiederum sitzt bei den Eiern vieler Arten ein mehr oder weniger auffälliges Capitulum.[8]

Ei von Haaniella muelleri in der Dorsalansicht

Die Länge der Eier wird vom Operculumrand zum gegenüber liegenden Pol gemessen. Die Breite wird in der Dorsal- und die Höhe in der Lateralansicht ermittelt. Steht das Operculum nicht im rechten Winkel zur Längsachse, sondern sitzt schräg auf dem Ei, wird diese Abweichung als Opercularwinkel bezeichnet und kann ebenfalls zur Artbestimmung herangezogen werden.[9]

Einige Gespenstschrecken legen Eier, die in auffallender Weise Pflanzensamen mit Elaiosomen ähneln. Die Capitula dieser Eier üben auf Ameisen die gleiche Anziehungskraft wie die Elaiosomen aus. Die südafrikanische Gespenstschrecke Phalces brevis (Syn. Phalces coccyx) kommt häufig im Heideland der östlichen Kapprovinz vor, in dem [[ |myrmekochore]] Pflanzen vorherrschen. Ameisen unterscheiden nicht zwischen Elaiosomen und Capitula und tragen Samen und Eier in gleicher Weise in ihre Nester, wo die Capitula ebenso wie die Elaiosomen verzehrt werden, ohne die Eier zu beschädigen.[10] Auch die wie Pflanzensamen aussehenden Eier der Australischen Gespenstschrecken (Extatosoma) werden von den Feuerameisen der Gattung Leptomyrmex eingesammelt und in die Speicherkammern des Ameisennestes gebracht. Sehr wahrscheinlich wird auch hier das Capitulum der Eier verzehrt. Durch das Klima in diesen Bauten können sich die Nymphen sehr gut entwickeln und schlüpfen dort aus. In den ersten zwei bis drei Tagen ist ihr Körper schwarz und der Kopf rot. So sehen sie den Feuerameisen sehr ähnlich und können unversehrt den Ameisenbau verlassen.[11]

Die Eier der Gespenstschrecken werden meist einzeln abgelegt. Dabei lassen die Weibchen diese entweder zu Boden fallen, stechen sie in Blätter ein, kleben sie an oder legen sie mittels eines Legebohrers (Ovipositor) in den Boden ab. Die Entwicklungsdauer der Embryos im Ei beträgt je nach Art etwa drei bis zwölf Monate, in Ausnahmefällen bis zu drei Jahren. Die Nymphen wachsen in drei bis zwölf Monaten zu adulten Insekten heran. Weibchen leben meist länger als Männchen, nämlich zwischen drei Monaten und einem Jahr. Das höchste registrierte Alter erreichte ein Wildfangweibchen von Haaniella scabra aus Sabah (Borneo), das Oskar V. Conle mehr als fünf Jahre hielt.[12] Die Männchen werden meist nur drei bis fünf Monate alt; die einiger Wandelnder Blätter leben nur einen knappen Monat.[8]

Systematik

Äußere Systematik

Die Stellung der Phasmatodea innerhalb der Überordnung der Neuflügler (Neoptera) ist sehr umstritten. Sie werden in dieser Überordnung zwar stets den Polyneoptera, einer systematisch noch ungeklärten Gruppe zugeordnet, aber ihre weitere Einordnung variiert ebenso wie die der anderen hier platzierten Ordnungen. Aus phylogenetischer Sicht werden bei den Polyneoptera die Phasmatomorpha und die Orthopteromorpha unterschieden:[13]

Polyneoptera
                         
   ├── Orthopteromorpha
   │
   │      ├── Grylloblattiformia
   │      │        
   │      │        ├── Grylloblattodea  o. Notoptera (Grillenschaben)
   │      │        │       
   │      │        └── Dermaptera (Ohrwürmer)
   │      │                            
   │      ├── Oothecariformia 
   │      │                                 
   │      │        ├── Mantodea (Fangschrecken)
   │      │        │ 
   │      │        └── Blattodea (Schaben)
   │      │             
   │      │               ├── = Isoptera (Termiten)   
   │      │               └── ? Zoraptera (Bodenläuse)
   │      │   
   │      └── Orthopteriformia
   │        
   │               ├── Mantophasmatodea (Gladiatorschrecken)
   │               │
   │               ├── Ensifera (Langfühlerschrecken)
   │               │ 
   │               └── Caelifera (Kurzfühlerschrecken)
   │   
   └── Phasmatomorpha
 
          ├── Plecopteriformia
          │        
          │        ├── Plecoptera (Steinfliegen)
          │        │       
          │        ├── Timematodea (Timemas)
          │        │ 
          │        └── Embioptera (Tarsenspinner)              
          │                       
          └── Phasmatiformia 
                                      
                   └── Phasmatodea (Gespenstschrecken)
               

Alternativ ist auch die folgende Systematik zu finden (Siehe auch Systematik der Insekten), welche die Neuflügler (Neoptera) in Paurometabola und Eumetabola aufteilt. Nach dieser Einteilung gehören die Gespenstschrecken zu den Paurometabola. Allerdings ist ihre Position innerhalb dieser Gruppe umstritten und wird aktuell diskutiert (hier am Fragezeichen „?“ zu erkennen):[14]

Paurometabola
        
      ├── Plecopteroida
      │            
      │       ├── Plecoptera (Steinfliegen)
      │       │
      │       └── Embioptera (Tarsenspinner)
      │
      └── Orthopteromorpha
         
              ├── Blattoptriaformes
              │      
              │        ├── ? Notoptera o. Grylloblattodea (Grillenschaben)
              │        │
              │        └── N.N.
              │
              │             ├── Dermatera (Ohrwürmer)
              │             │
              │             └── Blattopteroida
              │     
              │                      ├── Mantodea (Fangschrecken)
              │                      │ 
              │                      └── Blattodea
              │       
              │                              ├── Blattariae (Schaben)
              │                              │ 
              │                              └── Isoptera (Termiten)
              │  
              └── Orthopteroida
        
                      ├── ? Ensifera (Langfühlerschrecken)
                      │
                      ├── ? Caelifera (Kurzfühlerschrecken)
                      │
                      ├── ? Phasmatodea (Gespenstschrecken)
                      │
                      └── ? Mantophasmatodea (Gladiatorschrecken)


Innere Systematik

Die Systematik der Gespenstschrecken unterliegt häufigen Änderungen und ist teilweise sehr umstritten. Dies ist unter anderem darin begründet, dass ständig neue Arten gefunden und bearbeitet werden. Durchschnittlich gibt es etwa einhundert Neubeschreibungen pro Jahr. Die unter anderem daraus resultierenden Erkenntnisse schlagen sich in häufigen Revisionen nieder. Eine der umfassensten war die 2004 von Oliver Zompro veröffentlichte Arbeit, in der die Timematodea aus der Ordnung der Phasmatodea gelöst und als nahe Verwandte der Steinfliegen (Plecoptera) und der Tarsenspinner (Embioptera) erkannt wurden.[15] Allein im Jahr 2008 gab es zwei weitere größere Arbeiten, die neben der Aufstellung neuer Taxa bis in die Ebene der Unterfamilien, auch die Neuzuordnung vieler Taxa bis in die Ebene der Familien zur Folge hatten.[16][17] Die hier bis auf Tribus-Ebene dargestellte Systematik folgt dem Phasmida Species File Online (Stand Juni 2009) und berücksichtigt damit zwar die 2008 veröffentlichten Änderungen, jedoch nicht den neuen Status der Timematodea:[1]

Farn-Stabschrecke
(Oreophoetes peruana peruana), ♀
Familie Diapheromeridae
Spanische Stabschrecke
(Leptynia hispanica)
Familie Diapheromeridae
Annam-Stabschrecke
(Medauroidea extradentata), ♀
Familie Phasmatidae
Dorngespenstschrecke
(Eurycantha calcarata), ♂
Familie Phasmatidae
Teppichschrecke
(Neohirasea maerens), ♀
Familie Phasmatidae
Ctenomorpha marginipennis
Familie Phasmatidae
Australische Gespenstschrecke
(Extatosoma tiaratum), ♂
Familie Phasmatidae
Großes Wandelndes Blatt
(Phyllium giganteum), ♀
Familie Phylliidae
Borneo-Dornschrecke
(Epidares nolimetangere), ♂
Familie Heteropterygidae
Samtschrecke
(Peruphasma schultei)
Familie Pseudophasmatidae

Unterordnung Agathemerodea

  • Agathemeridae Bradler, 2003
    • Agathemerinae Bradler, 2003
      • Agathemerini Bradler, 2003

Unterordnung Timematodea Parker, 1982

  • Timematidae Caudell, 1903
    • Timematinae Caudell, 1903
      • Timematini Caudell, 1903

Unterordnung Verophasmatodea

Teilordnung Anareolatae Redtenbacher, 1906

Teilordnung Areolatae Redtenbacher, 1906

Überfamilie Aschiphasmatoidea Brunner von Wattenwyl, 1893

Überfamilie Bacilloidea Brunner von Wattenwyl, 1893

Überfamilie Phyllioidea Kevan, 1982

  • Phylliidae Brunner von Wattenwyl, 1893

Überfamilie Pseudophasmatoidea Rehn, J. A. G., 1904

Gespenstschrecken und Mensch

Gespenstschrecken als Haustiere

Indische Stabschrecke (Carausius morosus)

In jüngerer Zeit erfreuen sich Gespenstschrecken wachsender Beliebtheit. Allerdings finden sie sich schon länger in menschlicher Obhut. So wurde Eurycnema versirubra (Syn. Eurycnema versifasciata) schon von den Ureinwohnern der Sunda-Inseln als Haustier gepflegt.[18] In Europa wird seit vielen Jahrzehnten die Indische Stabschrecke (Carausius morosus) als Versuchstier an Universitäten und als Demonstrationsinsekt für Tarnung, Fortbewegung, Entwicklung, Sinnesleistung und Stoffwechsel in Schule und Lehre eingesetzt,[19] was ihr auch den Beinamen Laborstabschrecke oder Laboratoriumsstabschrecke eingetragen hat.[8] Seither nahm die Anzahl der in den Terrarien der Liebhaber in Zucht befindlichen Arten permanent zu. Ein regelrechter Boom setzte Anfang der 1980er Jahre ein. In diese Zeit fiel auch die Gründung verschiedener Vereine, die sich die Haltung und Zucht der Gespenstschrecken zur Aufgabe gemacht haben. So wurde in England die Phasmid Study Group gegründet, deren größte Errungenschaft die Etablierung einer international einheitlichen Liste ist, auf der die mehr als 300 bisher in Terrarien gehaltenen Gespenstschreckenarten geführt werden.[20] Auch die niederländisch-belgische PHASMA beschäftigt sich ausschließlich mit Gespenstschrecken und veröffentlicht vierteljährlich die Zeitschrift PHASMA. In Deutschland sind die Phasmidenliebhaber im ZAG (Zentrale Arbeitsgemeinschaft) Wirbellose e. V. organisiert, welcher ebenfalls vierteljährlich die gut einhundert Seiten starke Zeitschrift ARTHROPODA herausbringt.[9]

Gespenstschrecken als Schädlinge

Da alle Vertreter der Ordnung phytophag sind, können einzelne Arten auch als Schädlinge an Kulturpflanzen in Erscheinung treten. So finden sich in den botanischen Gärten Mitteleuropas gelegentlich ausgesetzte oder entflohenen Stabschrecken als Schädlinge. An erster Stelle ist hier die Indische Stabschrecke (Carausius morosus) zu nennen. Die aus Australien nach Südamerika eingeschleppte Art Echetlus evoneobertii ist in den brasilianischen Eukalyptus-Plantagen zu einem ernst zu nehmenden Schädling geworden.[18]

Gefährdung und Schutzmaßnahmen

Baumhummer
(Dryococelus australis)

Über die Gefährdung von Gespenstschrecken-Arten ist wegen ihrer versteckten Lebensweise nur wenig bekannt. Die Zerstörung von Habitaten und die Einschleppung von Fressfeinden haben bei einigen Arten schon zu massiven Auswirkungen geführt. So hat die Einschleppung der Wanderratte auf die Lord-Howe-Insel im Jahr 1913 dazu geführt, dass der gesamte Bestand des endemischen Baumhummers (Dryococelus australis) schon 1920 als ausgestorben galt. Erst die Entdeckung einer weniger als 30 Tiere zählenden Population auf der 23 Kilometer entfernt liegenden Nachbarinsel Ball’s Pyramid bewies ihr Überleben. Wegen der geringen Populationsgröße und weil der Lebensraum der dort gefundenen Tiere nur auf ein Areal von 6 m x 30 m beschränkt war, wurde beschlossen ein Zuchtprogramm durchzuführen. Der Baumhummer wird auf der Roten Liste der IUCN als vom Aussterben bedroht (Critically Endangered) eingestuft.[21]
Wiederholte Besuche bestimmter Habitate zeigen, dass dies kein Einzelfall ist. So wurde Parapachymorpha spinosa noch Ende der 1980er Jahre im Bereich des Bahnhofs von Pak Chong in Thailand gefunden. Nach der Erweiterung des Bahnhofsgeländes konnte die Art ab Ende der 1990er Jahre weder hier noch in der Umgebung nachgewiesen werden.[9]
Insbesondere für Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet werden Schutzmaßnahmen von Spezialisten und Liebhabern initiiert. Die 2004 in der Cordillera del Condor im Norden von Peru entdeckte Samtschrecke (Peruphasma schultei) kommt auf einer Fläche von nur fünf Hektar vor. Da es in diesem Gebiet noch weitere endemische Arten gibt, wurde es von der peruanischen Regierung unter Schutz gestellt. Von der INIBICO NGO (eine peruanische Naturschutzorganisation)[22] wurde im Rahmen eines Benefiz-Projekts für die Bewohner des Cordillera del Condor Nationalparks außerdem ein Zuchtprogramm für die Samtschrecke gestartet. Das bis Ende 2007 angesetzte Projekt hatte zum Ziel, jeweils die Hälfte der Nachzuchten auszuwildern beziehungsweise zu verkaufen.[23]
Dank der Phasmidenliebhaber konnten diese und andere Arten so vermutlich vor ihrem Aussterben gerettet werden.

Quellen

  1. a b c Paul D. Brock: Phasmida Species File Online. Version 2.1/3.5. (abgerufen am 14. Juni 2009) http://Phasmida.SpeciesFile.org
  2. a b c d e f g h Dr. Dr. h. c. Bernhard Grzimek, in Grzimeks Tierleben, Band 2: Insekten (ISBN 3-423-05970-2)
  3. Oliver Zompro: Stabschrecken, Gespenstschrecken, Wandelnde Blätter - Phasmidensystematik im Überblick I., Arthropoda 17 (1) April 2009, Sungaya-Verlag Kiel. ISSN 0943-7274
  4. Oliver Zompro: Zwergformen der Phasmatodea - die Kleinen unter den Riesen, Arthropoda 16 (3) November 2008, Sungaya-Verlag Kiel. ISSN 0943-7274
  5. Oliver Zompro: Die längste Stabschrecke - das längste lebende Insekt, Arthropoda 16 (4) Dezember 2008, Sungaya-Verlag Kiel. ISSN 0943-7274
  6. www.spiegel.de - Spiegel Online zur Neubeschreibung von Phobaeticus chani
  7. Ingo Fritzsche: Zur Entdeckung von Malacomorpha guamuhayaense Zompro & Fritzsche, 2008, Arthropoda 16 (1) März 2008, Sungaya-Verlag Kiel. ISSN 0943-7274
  8. a b c Christoph Seiler, Sven Bradler & Rainer Koch: Phasmiden - Pflege und Zucht von Gespenstschrecken, Stabschrecken und Wandelnden Blättern im Terrarium - bede, Ruhmannsfelden 2000, ISBN 3-933646-89-8
  9. a b c Ingo Fritzsche: Stabschrecken - Carausius, Sipyloidea & Co., Natur und Tier Verlag, Münster 2007, ISBN 978-3-937285-84-9
  10. S.G. Compton und A.B. Ware: Ants disperse the elaiosome-bearing eggs of an African stick insect. Psyche Band 98, 1991, Seite 207-213.[1]
  11. Stephan Schorn: Die Australische Riesengepenstschrecke Extatosom tiaratum, Natur und Tier Verlag, Münster 2009, ISBN 978-3-86659-123-3
  12. www.phasmatodea.de - Phasmatodea Seite von Oskar V. Conle und Frank H. Hennemann
  13. Oliver Zompro: Das System der geflügelten Insekte (Pterygota), Arthropoda 16 (1) März 2008, Sungaya-Verlag Kiel. ISSN 0943-7274
  14. David Eades: Polyneoptera Species File Online, Version 1.1/3.5. (abgerufen am 14. Juni 2009), http://Polyneoptera.SpeciesFile.org
  15. Oliver Zompro: Revision of the genera of the Areolatae, including the status of Timema and Agathemera (Insecta, Phasmatodea). Goecke & Evers Verlag, Keltern, 2004, ISBN 3-931374-39-4
  16. Frank H. Hennemann & Oskar V. Conle: Revision of Oriental Phasmatodea: The tribe Pharnaciini Günther, 1953, including the description of the world's longest insect, and a survey of the family Phasmatidae Gray, 1835 with keys to the subfamilies and tribes (Phasmatodea: "Anareolatae": Phasmatidae) (Zootaxa 1906), Magnolia Press, Auckland, New Zealand, 316 pp.; 30 cm. 15 Oct. 2008, ISBN 978-1-86977-271-0 (paperback), ISBN 978-1-86977-272-7 (Online edition) (pdf des Abstracts auf www.mapress.com)
  17. Cliquennois. 2008. Ann. Soc. entomol. Fr. n.s. 44(1):60
  18. a b Oliver Zompro: Schon gewusst? - Bemerkenswertes über Phasmiden, Arthropoda 17 (1) April 2009, Sungaya-Verlag Kiel. ISSN 0943-7274
  19. Siegfried Löser: Exotische Insekten, Tausendfüßer und Spinnentiere - eine Anleitung zur Haltung und Zucht. Ulmer Verlag, Stuttgart 1991, ISBN 3-8001-7239-9
  20. www phasmida myspecies - Phasmid Study Group Culture List (engl.)
  21. Dryococelus australis in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN 2008. Abgerufen am 1. März 2009.
  22. www.inibico.org - Seite der peruanischen Naturschutzorganisation INIBICO
  23. www.phasmatodea.de - Phasmatodea-Seite von Oskar V. Conle und Frank H. Hennemann über Peruphasma schultei
Commons: Gespenstschrecken – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Gespenstschrecke – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen