Neandertaler
Der Neandert(h)aler (Homo neanderthalensis) gehört zur Gattung Homo und wurde nach dem Neandertal bei Mettmann (zwischen Düsseldorf und Wuppertal) benannt, wo Steinbrucharbeiter den Schädel dieses Urmenschen 1856 entdeckt und an Johann Carl Fuhlrott zur näheren Untersuchung weitergegeben hatten. Der Neandertaler lebte im Mittelpaläolithikum in der Zeit von ca. 130.000 v. Chr. bis ca. 30.000 v. Chr.
Der Name Neandertaler geht auf die Bezeichnung des irischen Wissenschaftlers William King zurück, der den namengebenden Fund aus dem Neandertal bei Düsseldorf als Homo neanderthalensis benannte. Neben der verbreiteteren wissenschaftlichen Bezeichnung Homo neanderthalensis ist auch der Name Homo sapiens neanderthalensis noch gebräuchlich, der eine engere Verwandtschaft mit dem anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens beziehungsweise Homo sapiens sapiens zum Ausdruck bringen soll. Je nach gewählten Name werden die beiden Formen als eigenständige Arten oder lediglich als Unterarten angesehen.
Auftreten, Zeitraum und Aussterben
Die ältesten Funde von Neandertalern stammen aus Kroatien und Italien, sie sind etwa 130.000 bzw. 120.000 Jahre alt.
Homo neanderthalensis stammt aller Wahrscheinlichkeit vom Homo heidelbergensis ab. Hierfür spricht auch, dass nach DNA-Analysen des Typus-Exemplars die letzten gemeinsamen Vorfahren von Homo sapiens vor etwa 600.000 Jahren lebten. Untersuchungen an einem anderen Exemplar aus dem Kaukasus (Georgien) sprechen für eine Auftrennung vor ca. 250.000 Jahren. Beide Untersuchungen zeigten eine sehr hohe genetische Übereinstimmung innerhalb der Neandertaler. Die Fossilfunde konzentrieren sich auf Europa und angrenzende Gebiete Asiens (Israel, Türkei, Irak) und Afrikas (Marokko). Dennoch wird der Neandertaler als typisch europäische Art angesehen, die besonders an das Leben in den Kaltzeiten der Würm-Eiszeit angepasst war.
Noch vor dem Kältemaximum der letzten Eiszeit drang der moderne Mensch aus Afrika über den Nahen Osten nach Norden vor und löste dabei den Neandertaler ab.
Wie diese Ablösungesprozesse vonstatten ging, ist bis heute nicht geklärt.
Viele Wissenschaftler vertreten heute die Theorie, dass der Neandertaler keineswegs ausgestorben ist, weil er primitiver als der moderne Mensch war. In Punkto Intelligenz konnte er wahrscheinlich mit dem modernen Homo sapiens sapiens mithalten. In Punkto Körperkraft war er ihm sogar überlegen. Ein durchschnittlicher Neandertaler-Mann hatte etwa die Kraft eines heutigen Gewichthebers.
Der Grund für sein Aussterben könnte vielmehr die Anpassung des Neandertalers an ein seßhaftes Leben im Wald gewesen sein, während der Homo sapiens sapiens ein Nomade war, der eher an offene Landschaften angepaßt war. Während der Neandertaler, dessen Nahrung zu 80 % aus Fleisch bestand, seine Beutetiere in einem festen Territorium jagte, folgte der Homo sapiens sapiens den Beutetieren auf ihrer Wanderschaft. Körperlich besaß der moderne Mensch mehr Ausdauer und Geschick als der Neandertaler und benötigte aufgrund seiner geringeren Muskulatur weniger Nahrung und weniger Fleisch. Der Neandertaler dagegen war sehr muskulös, dadurch aber etwas behäbiger und besaß weniger Kondition. Als das Klima Europas während einer sehr strengen Eiszeit vor 35.000 Jahren dramatisch abgekühlt war, der Wald der offenen Tundra gewichen war und viele Tiere im Winter nur noch in Südeuropa existierten, sind warscheinlich viele Neandertaler erfroren oder verhungert, während Homo sapiens sapiens besser in der Lage war, seine Beutetiere auf ihren alljährlichen Wanderungen zu folgen. Der leichtere Körperbau hat - so diese Theorie - des modernen Menschen sichererte diesem sein Überleben, während der Neandertaler ausstarb.
Denkbar und plausibel ist auch die Überlegung, dass eingeschleppte Krankheitskeime eine Rolle gespielt haben könnten, wie es auch z. B. nach der Entdeckung und Besiedelung Amerikas bei den Ureinwohnern der Fall war.
Andererseits legt die abwechselnde Nutzung der gleichen Siedlungsstätten im südöstlichen Mittelmeerraum (Israel) über einen Zeitraum von ca. 60.000 Jahren durch den Homo sapiens sapiens und den Homo sapiens neanderthalensis eher andere Ursachen nahe. Entscheidend könnte gewesen sein, dass der moderne Mensch länger lebte und mehr Kinder hatte. Statistische Bevölkerungsmodelle zeigen, dass schon Unterschiede von wenigen Prozent ausreichen, um in wenigen tausend Jahren eine Menschengruppe völlig in einer anderen aufgehen zu lassen.
Eine weitere, weniger verbreitete, Theorie geht davon aus, dass sich die beiden Unterarten im Laufe der Zeit, während der sie nebeneinander existierten, durchmischt (gekreuzt) haben. Denkbar ist also, dass der Neandertaler gar nicht ausgestorben ist, sondern absorbiert wurde. Es gibt Wissenschaftler die in so manchem modernem Menschen noch Merkmale des Neandertalers, wie z.B. die starken Augenbrauenwülste, zu erkennen glauben.
Bekannt ist nur, dass der moderne Mensch den Großteil der Kultur und Technik der Neandertaler übernommen hat und auf dieser Basis eine eigene aufbaute.
Die letzten Neandertaler lebten vor ca. 27.000 Jahren im Gebiet des heutigen Spanien.
Anatomie
Wenig bekannt ist, dass der Körperbau der Neandertaler je nach Verbreitungsgebiet variierte. Neandertaler in wärmeren Gegenden (z.B. dem Nahen Osten) waren schlanker und hatten weniger stark ausgeprägte "neandertalerartige" Züge. Die Anatomie des "klassischen Neandertalers" (s.u.) wird heute allgemein als eine Anpassung an das eiszeitliche Europa angesehen. Der Neandertaler war ca. 1,60 bis 1,70 Meter groß; die Männer brachten etwa 70, die Frauen 55 kg auf die Waage. Der Körperbau war daher sehr massig und wesentlich muskulöser als der von modernen Menschen. Neandertaler besaßen einen größeren Schädel als der Jetzt-Mensch. Dieser beherbergte ein entsprechend größeres Gehirn (ca. 1520-1750 cm³). Die Stirn war flach, auffällig sind weiterhin starke Augenbrauenwülste, große Augenhöhlen und eine extrem breite Nase, die sich wohl als Anpassung an die eiszeitlichen Außentemperaturen entwickelt hatte und der Vorwärmung der Luft diente, bevor diese in die Lungen gelangte. Weitere Theorien gehen davon aus, dass die Form des Schädels durch die starke Beanspruchung der Schneidezähne zu stande kam. Sie wurden nämlich - bewiesenermaßen - nicht nur zum Kauen, sondern auch als Werkzeuge benutzt. Die so genannte "Teeth - as - tool"-Hypothese von Smith besagt, dass die Zähne als Schraubstock und Zange eingesetzt wurden.
Kultur
Waffen (Speere, Messer etc.) und Feuer waren bei ihnen durchaus bekannt, die Toten wurden mit Grabbeigaben bestattet. Funde aus dem Harz zeigen, dass sie bereits Pech als Klebstoff aus Birken herstellen konnten. Der Neandertaler fertigte in den Eiszeiten als erste Menschenart Kleidung an. Aus Untersuchungen der Isotopenverhältnisse von Knochenproteinen lässt sich schließen, dass sich die Neandertaler fast ausschließlich von Fleisch ernährt haben.
In der Gudenushöhle (Kleines Kremstal, Niederösterreich) lässt die untere Kulturschicht (70.000 Jahre) Jagd auf Mammut, Nashorn, Ren, Wildpferd und Höhlenbär vermuten. Die obere Schicht (ab 20.000 Jahre) zeigte Ritzkunst und eine Flöte.
Verwandtschaft zum modernen Menschen
Die Verwandtschaftsbeziehungen zum heutigen modernen Menschen sind nicht geklärt. Die eine Theorie geht davon aus, dass der Neandertaler einer ausgestorbenen Seitenlinie der menschlichen Entwicklung angehört, die andere, dass er sich zumindest partiell mit den gleichzeitig mit ihm lebenden engeren Vorläufern des heutigen Menschen vermischte und so auch einen gehörigen Teil seines Erbgutes an uns weitergab (siehe auch Hominisation). In Spanien wurde ein Kinderskelett gefunden, das Merkmale von beiden Menschengruppen aufweist.
Untersuchungen der DNA des ersten Neandertaler-Fundes und der neuen Funde sowie des Kaukasus-Exemplars legen die Annahme nahe, dass der Neandertaler und der moderne Homo sapiens zu Zeiten der Koexistenz vor bis zu 30.000 Jahren keine der untersuchten Gene ausgetauscht haben. Da jedoch nur 370 bis 600 Basenpaare verglichen werden konnten, kann ein Genaustausch dennoch nicht ausgeschlossen werden.
Forschungsgeschichte
Die Stätte der ersten Neandertaler-Funde ist nicht mehr erhalten; die so genannte Kleine Feldhofer Grotte wurde im Rahmen des Kalkabbaus (der letztlich auch zur Entdeckung führte) zerstört. Zwei Arbeiter waren dort im August 1856 etwa 60 cm tief im Lehm auf fossile Knochen gestoßen, die zunächst unbeachtet mit Gesteinsschutt zu Tal geworfen wurden. Dort fielen sie dem Besitzer des Steinbruchs auf, der sie für Überreste eines Höhlenbären hielt und die größeren Knochenfragmente aus dem Schutt aufsammeln ließ. Anschließend wurden sie dem Elberfelder Lehrer Johann Carl Fuhlrott übergeben. Er erst erkannte auf Anhieb, dass die Überreste (einige Rippen, mehrere Bein- und Armknochen, ein Schädeldach, Becken-Fragmente) einem Menschen zuzuordnen waren, der sich allerdings vom heute lebenden Menschen unterschied. Seine letztlich korrekte Deutung wurde jedoch von den Gelehrten seiner Zeit nicht ernst genommen.
Heute befindet sich an der Stelle des Fundorts, 14 m unter dem Niveau von 1856 gelegen, ein kleiner Park, der auf die Entdeckung hinweist. Er gehört zum etwa 500 m entfernt liegenden Neandertal-Museum, das einen Einblick in die Geschichte der Menschheitsentwicklung gibt.
Nachgrabungen im Neandertal unter der Leitung des Tübinger Urgeschichtlers Ralf W. Schmitz und seines Kollegen Jürgen Thissen haben in jüngster Zeit neue, spektakuläre Funde am Standort der ursprünglichen Höhle zutage gefördert, nämlich die Überreste von zwei weiteren Neandertaler-Individuen. Unter den mehr als 60 Knochen und Knochensplittern konnten die Forscher die Armknochen eines erwachsenen Neandertalers sowie den Milchzahn eines Kindes nachweisen. Die aufgefundenen Knochen und Steinwerkzeuge sind rund 40.000 Jahre alt, was mit dem ersten Fund übereinstimmt.
Frankfurter Datierungen durch Reiner Protsch von Zieten
In dem Jahr 2004 wurde aufgedeckt, dass ein Professor des Frankfurter Instituts für Anthropologie, Herr Reiner Protsch von Zieten, Datierungen von vermuteten Neandertalerschädeln bewusst gefälscht bwz. Messungen mit fehlerhafter Kalibrierung ignoriert hatte. Von diesen Fälschungen waren mehrere unterschiedliche Fundstücke betroffen und der Fall wurde auch in den lokalen Frankfurter Tageszeitungen sowie dem Spiegel stark diskutiert. Die Recherchen führten dazu, dass im Jahr 2005 das Institut geschlossen wurde, weil es aus verwaltungstechnischen Gründen heraus nicht möglich war, den umstrittenen Professor zu entlassen.
Unter anderem werden nun nach erfolgten Überprüfungen die Datierungen von angeblichen Neandertalern aus Hamburg und Frankfurt/M (Neu-Isenburg) durch die Radiocarbonmethode als falsch eingestuft. Der Fall "Protsch von Zieten" erweckte weltweites Interesse, weil dadurch zahllose Fundstücke auf Unstimmigkeiten neu überprüft werden müssen. Auch Fremdenverkehrsämter mußten nach diesem Skandal ihre Marketingstrategien neu auslegen, weil historische Referenzen nun entfallen. Die Brisanz an diesem Fall ist die Tatsache, dass von Zieten ein langjähriger Mitarbeiter der Universität mit internationaler Reputation war. Seine Fälschungen wurden fast genauso lang teilweise bemerkt, aber kritische Stimmen konnten sich aufgrund der perfekten Selbstdarstellungspolitik in der Öffentlichkeit kaum durchsetzten. Über dessen Motive gibt es Spekulationen mit negativen Hintergrund wie Geltungssucht oder finanzieller Bereicherung.
Literatur
- Ernst Probst: Deutschland in der Steinzeit, München 1991. ISBN 3570026698
- Ernst Probst: Rekorde der Urzeit, München 1992. ISBN 3570013820
- Schmitz, R.W., Thissen, J.: Neandertal - Die Geschichte geht weiter. Berlin 2000. ISBN 3827413451
- Serre D., Langaney A., Chech M., Teschler-Nicola M., Paunovic M., et al.: No evidence of Neandertal mtDNA contribution to early modern humans. In: PloS Biology, vol. 2, Issue 3, DOI: 10.1371/journal.pbio.0020057, März 2004.
Weblinks
- Aktueller und allgemeinverständlicher Newsletter zur Neandertaler-Forschung
- Das Neanderthal-Museum
- Archäologie Online: Mythos Neandertaler
- Telepolis: Rothaarig durch Neandertaler-Gen?
- Telepolis: Kein liebevoller Neandertaler in uns
- Sigrid Hartwig-Scherer: Ein möglicher Neandertal-Hybrid und seine Folgen
- Netzeitung: Neue Funde im Neandertal
- ORF: Neandertaler - keine Rasse: Neues aus der Anthropologie in Wien
- aeiou.at: Jagd und Kunst, Gudenushöhle (Niederösterreich)
- James Q. Jacobs: Neanderthal DNA Sequencing (Genetische Analysen an Neandertalern, Englisch)
- Netzeitung: Hightech in der Altsteinzeit (Benutzen von Pech durch Neandertaler)
- Factum Magazin: Neandertaler wird ganz Mensch
- Landschaftsmuseum Obermain Kulmbach: Wie lebten die Neandertaler?