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Himmelfahrt Mohammeds

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Die Himmelfahrt Mohammeds wird im islamischen Schrifttum in drei inhaltlich klar zu unterscheidenden Varianten überliefert:

Persische Miniaturmalerei aus dem 16. Jahrhundert: Mohammeds Aufstieg in den Himmel
  • Die Himmelfahrt (Miʿrādsch) von einem Ort im Kaaba-Heiligtum in Mekka über eine Leiter in den Himmel;
  • die nächtliche Reise (Isrāʾ) des Propheten von Mekka aus auf dem wundersamen Reittier Buraq zu einem im Koran als „ferne Kultstätte“ bezeichneten Ort mit seinem anschließenden Bericht darüber im Kreis der Quraisch nach der Rückkehr nach Mekka;
  • die Kombination der Reise nach Jerusalem (bait al-maqdis), mit anschließender Himmelfahrt (miʿrādsch) von Jerusalem aus. Die ersten zwei Varianten gehen auf entsprechende Koranverse zurück.[1] Ihre Kombination ist mit inhaltlichen Varianten im Hadith, der Koranexegese, der Historiographie und in den islamischen Prophetenlegenden (Qiṣaṣ al-anbiyāʾ) dokumentiert.

Die Himmelfahrt in Koran, Hadith und der Geschichtsschreibung

al-Miʿrādsch

al-Miʿrādsch المعراج / al-miʿrāǧ ist aus dem arabischen Verb ʿaraǧa : in die Höhe steigen, hinaufsteigen abgeleitet. Weitere Ableitungen daraus sind u. a.:miʿradsch / معرج / miʿraǧ / ‚Leiter, Treppe‘ und al-miʿrādsch: denn die Himmelfahrt soll über eine Leiter stattgefunden haben.

In Sure 53, Vers 1-18 und in Sure 81, Vers 19-25 wird in Form einer Vision[2] über die Begegnung Mohammeds mit Gott und den Propheten auf unterschiedlichen Stufen im Himmel berichtet, die dann in der Hadith-Literatur und der Koranxegese der betreffenden Verse bereits im frühen 8. Jahrhundert mit legendenhaften Berichten ergänzt wurde. Diese in ihrem Inhalt und Wortlaut variierenden Berichte sind in der Hadith-Literatur bei al-Buchārī († 870), Muslim ibn al-Haddschadsch († 875), Ahmad ibn Hanbal († 855), an-Nasāʾī († 915), in der Koranexegese bei at-Tabarī († 923), Ibn Kathīr († 1373) und anderen Kommentatoren des Korans erhalten.[3]

Alle Berichte stimmen darin überein, daß Gabriel mit „dem Gesandten Gottes in den siebten Himmel hinaufstieg „( ʿaraǧa bi-rasūli ʾllāh ilā ʾs-samāʾ as-sābiʿa )“, wo er Gottes Offenbarung samt der Verpflichtung der zunächst fünfzig täglichen Gebete erhielt.

In der islamischen Geschichtsschreibung faßt at-Tabarī dieses Ereignis wie folgt zusammen:

„Als der Prophet die Verkündigung erhalten hatte und bei der Kaaba schlief, wie das die Quraisch zu tun pflegten, kamen die Engel Gabriel und Michael zu ihm und sprachen: Mit Bezug auf wen haben wir den Befehl erhalten? Worauf sie selbst erwiderten: Mit Bezug auf ihren Herrn. Darauf gingen sie fort, kamen aber in der nächsten Nacht zu Dreien wieder. Als sie ihn schlafend fanden, legten sie ihn auf den Rücken, öffneten seinen Leib, brachten Wasser vom Zamzambrunnen und wuschen das, was sie in seinem Leibe an Zweifel, Götzendienst, Heidentum und Irrtum fanden. Dann brachten sie ein goldenes Gefäss, das mit Glaube und Weisheit gefüllt war, und so wurde sein Leib mit Glaube und Weisheit gefüllt. Darauf wurde er zum untersten Himmel emporgehoben.“

at-Tabarī: Übersetzung: Joseph Horovitz in: A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941. S. 509

Unter dem Titel „Die Himmelfahrt und die Verordnung der Gebete“ faßt Muhammad ibn Saʿd in seinem Klassenbuch die älteste Variante der schriftlich dokumuntierten Nachrichten[4] zusammen und datiert das Ereignis auf einen Samstag, den 17. Ramadan, achtzehn Monate vor Mohammeds Hidschra. [5] Demnach begleiteten die Engel Gabriel und Michael Mohammed im Kaaba-Heiligtum zu einem Platz zwischen Zamzam-Brunnen und dem Maqām Ibrāhīm. Dort soll eine Leiter (miʿrāǧ) aufgestellt gewesen sein, mithilfe derer Mohammed und Gabriel in den Himmel hinaufstiegen. Oben angekommen soll Mohammed die früheren Propheten getroffen haben. Einer Überlieferungsvariante zufolge stieg Gabriel mit Mohammed in den Himmel und hielt dabei dessen Hand fest.[6] Am Zizyphusbaum[7] angelangt, der in Sure 53, Vers 14 erwähnt wird, erblickte Mohammed das Paradies und die Hölle. Anschließend sind ihm die ursprünglich fünfzig Gebete, die dann durch die Vermittlung von Mose auf fünf reduziert wurden, auferlegt worden. Diese hat Mohammed nach seiner Rückkehr mit Gabriel in Mekka zu den Gebetszeiten verrichtet.

Das Motiv der Leiter, die in dieser Variante der Himmelfahrtslegende den Zugang zum Himmel ermöglicht, war schon den vorislamischen Dichtern bekannt; sie dient als Mittel, dem zu entgehen, was man im Diesseits vermeiden will.[8] Die Übernahme des Motivs der Jakobsleiter (Bibel) nach Gen 28,11 EU gilt in der Forschung als gesichert; der in der Himmelfahrtslegende verwendete Begriff miʿrāǧ dürfte Mohammed durch die Vermittlung der äthiopischen Varianten des Jubiläenbuches bekannt gewesen sein. So heißt Gott in Sure 70, Verse 3-4 „der mit der Himmelsleiter“ (ḏī l-maʿāriǧ), zu dem die Engel und der Geist aufsteigen.[9]

Während bei Ibn Saʿd das Ereignis relativ kurz dargestellt, aber genau datiert ist, werden in die anderen, um die gleiche Zeit verbreiteten aber undatierten Überlieferungsvarianten weitere Episoden aufgenommen. Das von den Traditionariern genannte „hochgeschätzte Haus“ - al-bait al-maʿmūr - wird im Paradies lokalisiert und als das himmlische Gegenstück zum Kaaba-Heiligtum verstanden.[10]

Sowohl die Himmelfahrt von Mekka als auch die zu Beginn der Sure 17 kurz erwähnte nächtlich Reise des Propheten von Mekka nach der „fernen Kultstätte“ stehen unter dem Einfluß der apokalyptischen Literatur.[11] Im Gegensatz zu der Isrāʾ-Legende wird al-Miʿrāǧ in die Frühzeit Mohammeds versetzt; die Öffnung der Brust und die Reinigung des Herzens erfüllen den Zweck der Prophetenweihe, die der Himmelfahrt des Berufenen vorausgeht.[12] Im Mittelpunkt dieses Berufungserlebnisses steht stets der Erzengel Gabriel; allerdings, so die Legende, erhielt Mohammed den Koran nicht von Gabriel, sondern von Gott selbst, vor dessen Thron er im Himmel stand. Die Theologie verband die Miʿrādsch-Legende zwangsläufig mit der Frage, ob Mohammed bei dieser Begegnung Gott erblicken und als Gestalt sehen konnte. In einigen auf Mohammed zurückgeführten Erklärungen soll er lediglich Licht (nūr) und den Thron Gottes gesehen und dessen Stimme gehört haben, denn zwei Vorhänge haben ihn von Gott getrennt.[13]

al-Isrāʾ

al-Isrāʾ الإسراء leitet sich als Verbalsubstantiv aus dem arabischen Verb asrā "in der Nacht reisen, reisen lassen" ab und wird im Zusammenhang mit der nächtlichen Reise Mohammeds nach der fernen Kultstätte in Sure 17, Vers 1 verwendet:

„Gepriesen sei der, der mit seinem Diener (d. h. Mohammed) bei Nacht von der heiligen Kultstätte (in Mekka) nach der fernen Kultstätte (in Jerusalem), deren Umgebung wir gesegnet haben, reiste, um ihm etwas von unseren Zeichen sehen zu lassen...“

Koran, Sure 17, Vers 1: Übersetzung: Rudi Paret

Ibn Ishāq stellt in seiner Prophetenbiographie zunächst die nächtliche Reise Mohammeds „nach der fernen Kultstätte“, die im ersten Vers der 17. Sure[14] angedeutet wird, nach mehreren Quellen vor.[15]

Die nächtliche Reise erfolgte entweder von einem Ort in der Nähe des Kaaba-Heiligtums, oder vom Haus der Umm Hāniʾ, der Tochter von Abū Tālib ibn ʿAbd al-Muttalib auf dem Rücken des Reittiers al-Buraq. In Jerusalem soll Mohammed drei Propheten (Abraham, Mose und Jesus) getroffen und mit ihnen als ihr Imam gebetet haben. Mose und Abraham soll er – in Gesellschaft des Erzengels Gabriel – bereits unterwegs getroffen haben. Anderen Berichten zufolge fand das gemeinsame Gebet in Betlehem (Bait Laḥm) statt. Dieses Ereignis kombiniert Ibn Ishaq anschließend mit der Miʿrādsch-Legende unter Verwendung folgender Worte Mohammeds:„nachdem ich zu Ende geführt habe, was in Bait al-maqdis war, ist mir eine Leiter gebracht worden...“[16] Bei Ibn Ishāq ist es also noch deutlich erkennbar, daß die Tradition über Mohammeds Himmelfahrt aus zwei Komponenten besteht.[17] Beide Legenden werden auch von Ibn Saʿd getrennt vorgestellt und unterschiedlich datiert: die nächtliche Reise nach Jerusalem fand am 17. Rabīʿ al-awwal, ein Jahr vor der Hidschra statt. [18]

In einigen Überlieferungsvarianten der Isrāʾ-Legende wird erwähnt, daß die Reise so schnell stattgefunden habe, daß Mohammeds Bett nach seiner Rückkehr noch warm gewesen sein soll und der Wasserkrug, den er beim Aufstehen mit seinem Fuß umgestossen habe, noch nicht ganz ausgelaufen war.

In der Theologie wird die Frage erörtert, ob die nächtliche Reise im Schlaf, oder im wachen Zustand erfolgt sei und ob es Mohammeds Körper oder nur sein Geist war, der wanderte. Ibn Hadschar al-ʿAsqalānī führt mit Hinweis auf die unterschiedlichen Auslegungen der Himmelfahrtslegende (miʿrādsch) im ersten Kapitel über das rituelle Gebet bei al-Buchari aus, daß diese, wie auch wie die nächtliche Reise, in ein und derselben Nacht im wachen Zustand stattfand (isrāʾ). Anderen Ansichten zufolge, so Ibn Hadschar, fanden beide Reisen im Schlaf entweder in derselben Nacht, oder in verschiedenen Nächten statt. Er selbst, als Kommentator von Bucharis Werk, ist der Meinung, daß die nächtliche Reise nach Jerusalem im wachen Zustand erfolgte. Der Beweis dafür ist der klare Wortsinn des Korans (ẓāhir al-Qurʾān) und der Umstand, daß die Quraisch den Propheten betreffs seiner angeblichen nächtlichen Reise der Lüge bezichtigten. Wäre die Reise im Schlaf als Traum erfolgt, so seine Schlußfolgerung, hätten die Quraisch Mohammed nicht der Lüge bezichtigen können. [19] Anhänger der Mu'tazila haben die nächtliche Reise nach Jerusalem als Traum erklärt; schon al-Hasan al-Basri soll, mu'tazilitischen Berichten zufolge, diese Ansicht vertreten haben. [20]

Ähnlich argumentiert auch at-Tabari in seinem Korankommentar: im Koran wird gesagt, daß Gott seinen Diener (bi-ʿabdihi) und nicht seinen Geist zu reisen veranlaßte. Im letzteren Fall wären die Dienste des wundersamen Buraq überflüssig gewesen, da Reittiere Körper und keine Geister tragen. Wäre Mohammed nicht körperlich in den Himmel gestiegen, würde das Ereignis keinen Beweis für seine göttliche Sendung liefern.[21]

Isrāʾ und Miʿrādsch werden trotz der Unterscheidung zwischen zwei Legenden manchmal als Synonyme gebraucht; al-Buchārī beginnt in seinem oben genannten „Ṣaḥīḥ“ das Buch Kitāb aṣ-salāt mit dem Kapitel: wie sind die Gebete während der nächtlichen Reise (isrāʾ) zur Pflicht gemacht worden? Anschließend stellt er die Miʿrādsch-Legende dar, die mit der Öffnung der Brust und der Reinigung des Herzens beginnt und mit der Himmelfahrt vom Kaaba-Heiligtum in den Himmel fortgesetzt wird. [22]

al-Baihaqī, einer der bekanntesten Traditionarier der schāfiʿitischen Rechtsschule (*994; †1066) im 11. Jahrhundert [23] stellt im zweiten Band seines Werkes Dalāʾil an-nubuwwa „Beweise der Prophetie“ die Überlieferungsvarianten beider Legenden auf nunmehr 45 Seiten zusammen und dokumentiert damit die in seiner Zeit bekannte Vielfalt der Himmelfahrtslegenden.[24]

al-Isrāʾ und al-Miʿrādsch

Jerusalem:Süd-West Mauer unterhalb des Tempelberges

Die Zusammenlegung beider Legenden klingt schon im gegenwärtig ältesten, schriftlich dokumentierten Bericht von Ibn Ishaq an. Die Reise findet auf dem Reittier al-Buraq statt, der Aufstieg in den Himmel von Jerusalem aus erfolgt über die Leiter. Mohammed band das Reittier an einer Stelle fest, die bereits die Propheten vor ihm genutzt haben sollen: an der südwestlichen Ecke des Tempelberges. Gemäß dem Geographen Ibn al-Faqīh al-Hamadānī (lebte im 9. Jahrhundert),[25] soll der Erzengel Gabriel „in den Eckstein des östlichen Minaretts“ mit seinem Finger ein Loch gebohrt haben, an dem al-Buraq festgebunden wurde. Dieser Stein wird auch in den zwei ältesten Werken über die Vorzüge Jerusalems genannt: von al-Mušarraf ibn al-Muraǧǧā al-Maqdisī in der Mitte des 12. Jahrhunderts[26] und von Muḥammad ibn Aḥmad al-Wāsiṭī (†1520)[27] Im Zuge von Ausgrabungen in den 1980-er Jahren ist an der entsprechenden Stelle ein solcher Eckstein freigelegt worden.[28]

Nach dem Mohammed zwei Rakʿas in der Moschee (masdschid) betete, stieg Gabriel mit ihm (ʿaraǧa bī) in den Himmel auf, wo Mohammed auf verschiedenen Stufen des Himmels Propheten traf und schließlich die fünf täglichen Gebete als religiöse Pflicht erhielt.[29]

al-Isrāʾ und die ferne Kultstätte

Den im Koran belegbaren Ausgangspunkt zu Mohammeds Himmelfahrt bildet, wie bereits erwähnt, der erste Vers der 17. Sure, in dem eine nächtliche Reise vom Heiligtum in Mekka zur "fernen Kultstätte" kurz erwähnt wird. Der Vers wird dann in der Traditionsliteratur und Koranexegese mit der Himmelfahrt von Jerusalem aus verbunden.

In der Forschung gibt es über die Definition und Ortung der koranischen "fernen Kultstätte" - al-masdschid al-aqṣā - unterschiedliche Ansichten. B. Schrieke [30] geht davon aus, daß die Bezeichnung in Sure 17, Vers 1 weder auf den Tempelberg noch auf die Stadt Jerusalem, sondern auf ein himmlisches Heiligtum hinweist. Während Josef Horovitz [31] sich dieser Interpretation anschließt, vertritt A. Guillaume die Ansicht, daß die im fraglichen Koranvers erwähnte Nachtreise Mohammeds in Februar 630 eine heimlich durchgeführte kleine Pilgerfahrt ('umra) von einem Ort namens "die ferne Kultstätte" im Tal Dschi'rana, rund 15 km nördlich von Mekka, nach Mekka und zurück gewesen sei.[32] Sowohl M. Plessner [33] als auch Rudi Paret [34] haben diese Interpretation nicht nur zurückgewiesen, sondern verstehen unter der koranischen Bezeichnung „ferne Kultstätte“ Jerusalem.[35] In der Encyclopaedia of the Qurʾān wird allen Thesen Rechnung getragen:„die fernste Stätte (al-aqṣā“) des Gebets kann im Himmel, in Jerusalem oder vielleicht an einem Mekka nahegelegenen Ort gewesen sein“[36]

al-masdschid al-aqṣā

Eine genauere Definition der koranischen "fernen Kultstätte" wird durch Vers 7 derselben Sure ermöglicht, in dem die Zerstörung des Tempels – masdschid genannt – durch die Feinde der Juden angedeutet wird:

„Und wenn die Drohung vom letzten (Mal) in Erfüllung geht (w. kommt), sollen sie (d. h. die Feinde) euch schlimm mitspielen (w. eurem Antliz Schlimmes antun) und die Kultstätte (in Jerusalem) betreten, wie beim ersten Mal, und völlig zugrunde richten...“

Koran, Sure 17, Vers 7: Übersetzung Rudi Paret

Das "neue Jerusalem" als christliche Neugründung, [37] worauf schon Eusebius von Caesarea, wahrscheinlich unter dem Einfluß der Offenbarung des Johannes 3,12 bzw. 21, 2, Bezug nimmt und dessen Bedeutung durch den Bau der Grabeskirche unter Konstatin I. unterstrichen wird, entsteht in der Nähe des zerstörten Tempelberges, der in Sure 17, Vers 7 als al-Masdschid, d. h. Kultstätte, Ort der Niederwerfung, des Gebetes, genannt wird. Somit hat der Koran den Tempelberg als zerstörtes Heiligtum sich „angeeignet“ und ihn zum Ziel einer visionären Reise Mohammeds gemacht, der sich dadurch nunmehr im Kreis der biblischen Propheten behauptet.[38] und – wie oben erwähnt – mit ihnen das gemeinsame Gebet verrichtet. Kein spezielles Gebäude, sondern die ganze Stadt stellt die heilige Einheit dar; im koranischen al-masdschid al-aqṣā scheint eine islamisierte Version des irdischen Jerusalem weiterzuleben.[39]

Auch der koranische Begriff „aqṣā“ dient stets der Beschreibung eines Ortes auf Erden. In Sure 28, Vers 20 und Sure 30, 20 ist von „einem weit entfernt gelegenen Bezirk der Stadt“ die Rede; in Sure 8, Vers werden die „nähere Talseite“ und die „fernere Talseite“ erwähnt. Sie beziehen sich auf die Topografie (Kartografie) des Schlachtfeldes bei Badr.[40] Ein Hinweis darauf, al-aqṣā müsse auf einen Ort im Himmel bezogen werden, findet sich im Koran nicht. [41]

Die Fortsetzung des ersten Verses „…deren Umgebung wir gesegnet haben…“ bezieht sich auf Orte im Heiligen Land und nicht nur auf den zerstörten Tempelberg: Sure 7, 137: "Und wir gaben dem Volk, das (vorher) unterdrückt war, die östlichen und westlichen Gegenden des Landes (d.h. das ganze Land) zum Erbe, (-jenes Landes) das wir gesegnet haben" (d.h. an die Kinder Israels). In Sure 21, Vers 71 heißt es: "Und wir retteten ihn und Lot in das Land, das wir für die Menschen in aller Welt gesegnet haben".[42]

Schon die frühesten Koranexegeten sind der Meinung, daß die ferne Kultstätte auf ein Heiligtum in Jerusalem hinweist. Während der koranische Ausdruck an sich abstrakt bleibt und Gegenstand einer Vision ist, ist die Exegese und Traditionsliteratur bestrebt, das Heiligtum zu lokalisieren. Dies geschieht vom Standpunkt derjenigen Gelehrtengenerationen aus, für die Jerusalem seit dessen Eroberung im Jahre 638 ein Begriff war; sie nannten die Stadt mit dem islamischen Namen: Bait al-Maqdis[43].

Dieser Name steht für die Stadt Jerusalem im gesamten islamischen Schrifttum:

  • Vier Städte sind Teil vom Paradies: Mekka, Medina, Jerusalem (bait al-maqdis) und eine Stadt namens Mansura… [44] * Der Berg von Jerusalem dschabal bait al-maqdis hat vor dem Berg Qāsiyūn bei Damaskus aus Gottes Gnaden Priorität.[45]
  • In der islamischen eschatologischen Literatur ist mehrfach von der Zerstörung Jerusalems (bait al-maqdis) die Rede.[46]
  • Abū Ḥafs al-Mauṣilī, ein Prediger der Aqsa-Moschee im 13. Jahrhundert verfaßte eine kritische Abhandlung über Hadithe, die die Vorzüge von Jerusalem (bait al- maqdis), vom Felsendom, Asqalān (heute Aschkelon) und Qazvin zum Thema haben.[47]

Es ist erwähnenstwert, daß die ältesten Traditionen keine spezifische Moschee in Jerusalem namens al-masdschid al-aqṣā nennen. Dies steht im Einklang mit der abstrakten Bedeutung des Begriffes im Koran.[48]

Die schiitische Version der Himmelfahrt

Nach schiitischer Auffassung ist die koranische „ferne Kultstätte“ (al-masdschid al-aqṣā) nicht in Jerusalem (bait al-maqdis), sondern im Himmel.[49] Soweit schriftlich dokumentiert, geht die erste schiitische Interpretation von Mohammeds Himmelfahrt auf den ibaditischen Koranexegeten Hūd ibn Muḥakkam al-Huwwārī[50] aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts zurück. In seinem vierbändigen Tafsīr-Werk[51] referiert der Verfasser die Miʿrāǧ-Legende, d. h. die Himmelfahrt von Mekka aus in den Himmel, auf dem Rücken des weißen Reittieres al-Burāq und in Begleitung von Gabriel. In einer Variante wird auch das Motiv mit der Leiter in den Kommentar aufgenommen. Das Ziel der Reise ist - gemäß Sure 17, Vers 1 - stets „bait al-maqdis“ im Himmel.[52]

Etwas später entstand die Koranexegese des schiitischen Gelehrten Abū n-Nadr al-ʿAyyāšī († gegen 932) aus Samarqand,[53] dessen Werk auch Ibn an-Nadim kannte. In der Exegese von Sure 17, Vers 1 soll der sechste Imam Dschaʿfar as-Sādiq († 765) bestätigt haben, daß die „ferne Kultstätte“ im Himmel sei. Auf den Einwand seiner Zuhörer, die koranische „ferne Kultstätte“ sei aber Jerusalem (Bait al-maqdis), erwiderte er: „die Moschee von Kufa ist besser“. Eine ähnliche Meinung vertrat bereits Muhammad ibn ʿAlī al-Bāqir ((† 732): der Prophet sei vom Kaaba-Heiligtum direkt in den Himmel hinaufgestiegen und der Bereich zwischen diesen beiden Punkten sei heiliges Gebiet (Haram). [54]

Die Himmelfahrt in der islamischen Literatur

Die Himmelfahrtslegenden werden in den literarischen Gattungen der Hadithliteratur,der Prophetenbiographie, der Prophetenlegenden (Qiṣaṣ al-anbiyāʾ) und in Werken, die man unter dem Titel „Beweise der Prophetie“ (Dalāʾil an-nubuwwa) zusammenfaßt überliefert.

Mit der isrāʾ-Legende beschäftigt sich eine weitere literarische Gattung im islamischen Schrifttum: die Sammlungen von Traditionen über die Vorzüge von Jerusalem (faḍāʾil bait al-maqdis), die neben stadtgeschichtlichen und topographischen Informationen die heiligen Orte der Stadt und ihrer Umgebung beschreiben.[55]

Monographische Abhandlungen liegen seit dem 8. Jahrhundert vor. Das wohl älteste Kitāb al-miʿrāǧ verfaßte Hišām ibn Sālim al-Ǧawālikī († vor 799), ein schiitischer Theologe in Kufa. Das Werk ist in späteren Schriften der Schia erhalten. [56]

Der Qairawāner Gelehrte Aḥmad ibn Muḥammad, Abū Ǧaʿfar al-Qaṣrī (†933-934) widmete in seinem Kitāb al-Muʿǧizāt „Das Buch der Wunder“, das noch im 11. Jahrhundert in Gelehrtenkreisen der Stadt gelesen wurde und in Handschriftenfragmenten erhalten ist, einen Abschnitt der isrāʾ-Legende.[57]

Literatur

  • A. A. Bevan: Mohammed's Ascension to Heaven. In: Studien zur semitischen Philologie und Religionsgeschichte. Julius Wellhausen zum siebzigsten Geburtstag am 17. Mai 1914 gewidmet. Giessen 1914. S. 51-61
  • B. Schrieke: Die Himmelsreise Mohammeds. In: Der Islam 6 (1916), S. 1-30
  • J. Horovitz: Mohammeds Himmelfahrt. In: Der Islam 9 (1919), S. 159-183
  • Heribert Busse: Jerusalem in the story of Muhammad's night journey and ascension. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam (JSAI) 14 (1991), S.1-40
  • Josef van Ess: Le miʿrāǧ et la vision de Dieu dans les premières spéculations théologiques en Islam. In: M. A. Amir-Moezzi (Hrsg.): Le voyage initiatique en terre d'Islam. Paris 1996. S. 27ff.
  • M. J. Kister: Sanctity joint and divided: on the holy places in the islamic tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam (JSAI 20 (1996), S. 18-65
  • Uri Rubin: Muhammad's night journey (isrāʾ) to al-masdjid al-aqṣā. Aspects of the earliest origins of the islamic sanctitiy of Jerusalem. In: al-Qantara 29 (2008), S. 147-164
  • Uri Rubin: Between Arabia and the Holy Land: A Mecca-Jerusalem axis of sanctity. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam (JSAI) 34 (2008), S. 345-362
  • The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 7, S. 97
  • A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941. S. 227-228 (Isrāʾ); S. 509-511 (miʿrādj)
  • Klaus Kreiser, Werner Diem, Hans Georg Majer (Hrsg.): Lexikon der islamischen Welt. Kohlhammer. Stuttgart 1974.Bd. 2, S. 31 ISBN 3-17-002161-3

Quellenangaben

  1. H. Busse (1991), S. 7
  2. Richard Bell: Muhammad's Visions. In: The Muslim World 24 (1934), S. 145-154; Rudi Paret: Mohammed und der Koran. S. 44-46
  3. H. Busse (1991), S. 4-5 hat die einschlägigen Quellen und ihre Varianten zusammengestellt
  4. H. Busse (1991), S. 7
  5. Die Angaben in Hans Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart (ʿ-r-ǧ): die Himmelfahrt (die Muḥammad von Jerusalem aus am 27. Raǧab unternommen hat) sind entsprechend zu korrigieren. Dies geht nicht auf das Traditionsmaterial, sondern auf den willkürlich festgelegten Festtag der Muslime zurück
  6. H.Busse (1991), S. 8
  7. So in der Übersetzung von „sidrat al-muntahā“ bei Rudi Paret; bei H. Busse (1991), S. 7 steht:Lotusbaum
  8. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 7, S. 97
  9. A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941. S. 510; Rudi Paret: Der Koran. Kommentar und Konkordanz. S. 488 mit Hinweis auf J. Horovitz (1919), S. 176
  10. H. Busse (1991), S. 10
  11. H. Busse (1991), S. 6; ausführlich: Mary Dean-Otting: Heavenly journeys. A study of the motif in Hellenistic and Jewish Literature. Frankfurt a. M., Bern, New York 1984
  12. A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941. S. 509; H. Birkeland: The legend of the opening of Muhammad's breast. Oslo 1955
  13. Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft. Bd. 4, S. 391-392
  14. Daher der Name der Sure: al-Isrāʾ: „die nächtliche Reise“. Andere Namen der Sure sind: Subḥāna: „gepriesen sei er...“, da es das erste Wort nach der Basmala ist und Banī/Banū Isrāʾīl:„die Kinder Israels“, da sie in Vers 101 genannt werden. Siehe Rudi Paret: Der Koran. Kommentar und Konkordanz. S. 539; Lamya Kandil: Die Surennamen in der offiziellen Kairiner Koranausgabe und ihre Varianten. In: Der Islam 69 (1992), S. 44-60; hier: S. 50
  15. A. Guillaume (1970), S. 181-184
  16. A. Guillaume (1970), S. 184-185
  17. H. Busse (1991), S. 15
  18. H. Busse (1991), S. 11; U. Rubin in al-Qantara (2008), S. 163. Anm. 56
  19. Fatḥ al-bārī, Bd. 1, S. 460
  20. Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft. Bd. 4, S. 596 mit Quellenangaben
  21. Handwörterbuch des Islam. S. 228
  22. K. aṣ-ṣalāt, Kapitel 1. Nr. 349. In: Ibn Hadschar al-ʿAsqalānī:Fatḥ al-bārī. Bd. 1, S.458-459. Kairo 1960
  23. Carl Brockelmann: Geschichte der arabischen Litteratur. Zweite den Supplementbänden angepasste Auflage. Brill, Leiden 1943. Bd. 1, S. 446-447; The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 1, S. 1130, wo das hier folgende Werk nicht erwähnt wird
  24. 1. Auflage. Kairo 1969. Bd. 2, S. 106-151
  25. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 3, S. 760
  26. Faḍāʾil bait al-maqdis wa-ḫalīl wa-faḍāʾil aš-šām (Die Vorzüge von Jerusalem, Hebron und die Vorzüge von Syrien). Hrsg. Ofer Livne-Kafri. Shfaram 1995. S. 79-80 und S. 249
  27. Faḍāʾil bait al-muqaddas. Hrsg. Isaac Hasson. Jerusalem 1979. (The Max Schloessinger Memorial Series. Texts 3). S. 99
  28. H. Busse (1991), S. 16-17 und Anm. 88
  29. Zu Einzelheiten in den Varianten der kombinierten Version siehe H. Busse (1991), S. 15-21
  30. Der Islam 6 (1916), S. 14
  31. Der Islam 9 (1919), S. 162-163
  32. Alfred Guillaume: Where was al-masjid al-aqṣā? In: al-Andalus 18 (1953), S. 323-336
  33. Muhammad's clandestine ʿUmra in Dhū ʾl-Qaʿda 8 H. and Sura 17,1. In: Rivista degli Studi Orientali 32 (1957), S. 525-530)
  34. Die ferne Kultstätte in Sure 17,1. In: Der Islam 24 (1959), S. 150-152
  35. R. Paret: Der Koran. Kommentar und Konkordanz. S. 296: „Tatsächlich ist aber Jerusalem (oder ein Ort innerhalb von Jerusalem) damit gemeint“.
  36. Encyclopaedia of the Qurʾān, Brill, Leiden 2006. Bd. 1, S. 125: „…the farthest (al-aqṣā) place of prayer might have been in heaven, in Jerusalem, or perhaps in a location near Mecca.“ Siehe auch Bd. 1, S. 177 und Bd. 3, S. 427; Uri Rubin in al-Qantara (2008), S. 149, Anm. 5
  37. F. E. Peters: Jerusalem: the holy city in the eyes of chronicles, visitors, pilgrims, and prophets from the days of Abraham to the beginnings of modern times. Princeton 1985. S. 132-140
  38. Uri Rubin: Between Arabia and the holy land: a Mecca-Jerusalem axis of sanctity. In: (JSAI 34 (2008), S. 345-362; hier: S. 347-348; ders. in al-Qantara (2008), S. 153-154
  39. Uri Rubin,in al-Qantara (2008), S. 155: „In short, the Qurʾānic al-Masjid al-Aqṣā seems to reflect an Islamized version of the earthly - yet divinely purified - Jerusalem, as envisioned in Christian texts of late-antiquity“-
  40. Uri Rubin, in al-Qantara (2008), S. 150
  41. Uri Rubin, in al-Qantara (2008), S. 151
  42. Zu weiteren Beispielen siehe Uri Rubin in al-Qantara (2008), S. 152, Anm. 14
  43. Uri Rubin in al-Qantara (2008), S. 157 und 158: „As for Jerusalem, the earliest isrāʾ-versions do not specify any particular destination within the city, and only say that the Prophet arrived in Bayt al-Maqdis, i.a. Jerusalem“
  44. M. J. Kister (1996), S. 24. Anm. 39
  45. M. J. Kister (1996), S. 26
  46. M. J. Kister (1996), S. 30
  47. M. J. Kister (1996), S. 63
  48. Uri Rubin in: al-Qantara (2008), S. 159
  49. Uri Rubin in: al-Qantara (2008), S. 162
  50. Fuat Sezgin: Geschichte des arabischen Schrifttums. Brill, Leiden 1967. Bd. 1, S. 41: dort ibn Muḥkim; Uri Rubin in: al-Qantara (2008), S. 162, Anm. 57
  51. Erstmalig herausgegeben von Bel-Ḥāǧǧ ibn Saʿīd Šarīfī. Beirut 1990
  52. Bd. 2, S. 397-406
  53. Fuat Sezgin: Geschichte des arabischen Schrifttums. Brill, Leiden 1967. Bd. 1, S. 42
  54. Uri Rubin in: al-Qantara (2008), S. 161
  55. Amikam Elad: The history and topography of Jerusalem during the early islamic period. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam (JSAI), 14 (1991), S. 41-70
  56. Josef van Ess:Theologie und Gesellschaft. Bd. 1, S. 342-344 und Bd. 4, S. 388
  57. Miklos Muranyi: Beiträge zur Geschichte der Ḥadīṯ- und Rechtsgelehrsamkeit der Mālikiyya in Nordafrika bis zum 5. Jh. d. H. Wiesbaden 1997. S. 178-180