Heiliger Gral
Die Legende vom Heiligen Gral ist eine in etwa 900 Jahre alte, verworrene und schemenhafte Geschichte, die reich an Symbolik, vielfältig und häufig widersprüchlich ist. Der Mythos birgt ein Geheimnis in sich, das bis heute nicht gelüftet, die Menschen immer in seinen Bann gezogen hat und immer noch zieht.
Die Herkunft des Namens ist nicht restlos geklärt (okzitanisch grazal, altfranzösisch graal 'Gefäß, Schüssel'). Von den vielen etymologischen Erklärungsversuchen gilt heute die Herleitung von griech.-lat. crater (Mischgefäß) über mittellat. cratalis/gradalis als am wahrscheinlichsten.

Der Heilige Gral ist den Überlieferungen nach ein wundertätiges und in späteren Versionen sakrales Gefäß, eine Schale, ein Kelch oder ein Smaragd, der aus Luzifers Krone fällt, als dieser in die Hölle fährt. Auch als Stein der Weisen findet der Gral eine Bedeutung in der Literatur und Darstellenden Kunst. Zusammen mit einer rätselhaften blutenden Lanze wird der Gral in einer Burg von Gralskönig und Gralsrittern bewacht. Er spendet Glückseligkeit, ewige Jugend und Speisen in unendlicher Fülle.
Der mystische Gral wird auch als eine (leider verschollene) Blut-Reliquie begriffen, die in ihrer Umstrittenheit im weitesten Sinne vergleichbar mit dem Turiner Grabtuch, dem Eucharistie Wunder von Lanciano oder dem Blut-Wunder von San Gennaro in Neapel ist.
Keltischer Ursprung
Etliche Variationen der Gralslegende legen nahe, dass es vermutlich gegen Ende des 5. Jahrhunderts eine gemeinsame keltische Originalerzählung gegeben haben muss, die unter ungeklärten Umständen verlorenging. Auch wird bereits früh auf mysteriöse Dokumente verwiesen, und es ist einmal von einer geheimen Mitschrift der Worte Jesus Christus, ein anderes Mal von der Botschaft eines Engels, von Abschriften aus alchemistischen Traktaten oder von einem Originaldokument aus Spanien, Brittanien oder dem Fernen Osten, Jerusalem, die Rede.
Die Legende
Es wird ein Held in eine verzauberte Welt geboren. Seine Bestimmung ist es, sich auf die Suche nach einem geheimnisvollen Gegenstand aus einer jenseitigen Parallelwelt zu machen, der Heiliger Gral genannt wird. Die Aufgabe dieses Helden ist es, die natürliche Ordnung und Harmonie der in Unordnung geratenen Welt wiederherzustellen. Er erhält je nach künstlerischer Umsetzung die unterschiedlichsten Namen: Artus, Gawain, Galahad, Parzival, Perceval, Peredur, Perlesvaus oder Bors.
Er wird als Sohn aus geheimnisumwobenen Familienverhältnissen dargestellt, der die zwei mächtigsten magischen Kräfte in sich vereint, den größten Heldenmut und eine unschuldige Reinheit. Er wird entweder von seiner Mutter oder von einer Kriegerin, die Zauberkräfte hat, erzogen, und wächst ohne Geschwister und Freunde auf. Ihm fehlt der Sinn für die Wirklichkeit, diesen Mangel gleicht er jedoch durch seine Unschuld oder Naivität wieder aus, weshalb er auch "tumber Tor" oder "großer Narr" genannt wird.
Kurz nachdem er sein behütetes Zuhause verläßt, um sich auf die Suche zu begeben, wünscht er sich nichts sehnlicher, als der bedeutendste Ritter seiner Zeit zu werden. Am Hof von König Artus wird seine Bestimmung erkannt, und obwohl er sich häufig als dummer Narr erweist, wird er zum Ritter geschlagen und in die Gemeinschaft der Tafelrunde aufgenommen. Der Held erwirbt sich durch seine Herkunft und seinen tollkühnen Umgang mit Waffen hohes Ansehen. Bei den Rittern der Tafelrunde erwirkt er größte Bewunderung, als er sich in seiner naiven Art einfach auf den Platz der Gefahr setzt, der als Tabu gilt, und stets für den Auserwählten freigehalten wurde. Damit wird deutlich, daß es sich bei dem Narren nur um den erwarteten Auserwählten handeln kann. In der Artus-Sage ist dies ein Ort im Wald an dem ein Amboss steht in dem das Schwert Excalibur (Schwert) steckt, das nur vom legitimen Thronerben des Königs herausgezogen werden kann. Es wird somit zur Nagelprobe für den Helden.
Die Handlungsstränge einzelner Gralslegenden gehen nun etwas auseinander: Entweder reitet der Held nun alleine los, um sich auf die Suche zu begeben, oder der Heilige Gral erscheint als strahlende Vision am Tisch der Tafelrunde, sodass sich alle Ritter bereit erklären, gemeinsam auf die Suche nach dessen Geheimnis zu gehen. Im folgenden werden in diversen Variationen die Abenteuer der Ritter geschildert, die verschiedene Aufgaben lösen müssen. Der Held muss sich immer wieder neuen Rätseln stellen, z.B, die richtige Frage stellen, sich selbst treu bleiben, eine Burg erobern oder ein Unrecht rächen. Da der Zauberer Merlin als eigentlicher Initiator der Suche nach dem Gral angesehen wird, erscheint auch er in einigen Gralslegenden, um helfend einzugreifen. Zuletzt gelingt es den Rittern gemeinsam, das Geheimnis des Heiligen Grals zu enthüllen. Die Ritter, die mit einem Makel behaftet sind, scheitern dabei.
Der Held verändert sich auf der Suche nach dem Gral. Durch seine Taten kann er den Hüter des Grals, der verletzt oder krank ist, heilen, und das zerstörte Land wieder zu einem Paradies erblühen lassen.
Entwicklung der Legende
Chrétien de Troyes
Der Gral taucht in der europäischen Dichtung kurz vor 1200 n. Chr. erstmals auf. Die älteste bekannte Quelle dafür ist der mystisch-religiöse 'Perceval'-Roman (auch Le Conte del Graal) des französischen Dichters Chrétien de Troyes um 1180. Chrétien und seine Zeitgenossen kannten die Artuslegenden, von denen die Gralslegende nur eine war, die aus dem sogenannten "Matière de Bretagne", aus dem britannischen Sagenkreis stammten. Die Legenden dieses Sagenkreises waren durchwoben von Begegnungen mit dem Übernatürlichen und mit magischen und mystischen Mächten. Es wird vermutet, dass Chrétien auch die irischen echtrai oder Adventüren, die ersten von Flüchtlingen auf das europäische Festland mitgebrachten keltischen Legenden mit vielen Gralsthemen, kennenlernte. Bei Chrétien ist der Gral eine mit kostbaren Edelsteinen verzierte, magische Goldschale, in der dem Vater des legendären Fischerkönigs Bran in einer feierlichen Prozession eine Hostie zugetragen wird, die seine einzige Nahrung bildet.
Helinandus
Helinandus berichtet in seiner Chronik gegen Ende des 12. Jahrhunderts, dass ein in Britannien lebender Einsiedler eine Vision von dem Hüter eines Kelches, Joseph von Arimathia, hat. Bei dem Kelch soll es sich um den Kelch handeln, mit dem Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl gefeiert hat. Mit eben diesem Kelch soll Joseph von Arimathia das Blut Christi am Kreuz aufgefangen haben.
Robert de Boron
Vermutlich etwas jünger ist der 'Roman de l´estoire dou Graal' des Robert de Boron, der an die Legendenbildung um Joseph von Arimathia und die apokryphen Evangelien anknüpft und den Gral zum Abendmahlkelch macht.
Wolfram von Eschenbach
In die deutschsprachige Literatur kommt das Thema durch Wolfram von Eschenbachs Übersetzungsbearbeitung von Chrétiens Roman, 'Parzival'. Wolfram nennt allerdings - in möglicherweise ironischer Absicht - einen Dichter namens Kyot de Provence als seine Hauptquelle. Kyot will in Toledo ein arabisches Manuskript entdeckt haben, dass 1200 v. Chr. von dem jüdischen Astronomen namens Flegetanis geschrieben worden sein soll.
In Wolframs Gralsversion wird die 'Gralssuche' als das Streben des Einzelnen nach Ganzheit dargestellt. Der Gral wird als Quell dieser Ganzheit betrachtet. So wird der nach ihm Suchende schon genährt, wenn sich der Gral in der Nähe befindet. Wolfram beschreibt in seinem Parzival eine Trennung zwischen Natur und dem Übernatürlichen oder Gott, und wandelt die Erzählung dahingehend, dass die Suche des naiven Helden nach dem Heiligen Gral zur Versöhnung zwischen Natur und Übernatürlichem führt. Der Name Parzival oder Perceval kann auch mit "Perce à Val" (das Tal durchqueren) übersetzt werden. Wolfram beschreibt den Gral lyrisch, als " ... Inbegriff paradiesischer Vollkommenheit, Anfang und Ende allen menschlichen Strebens und ein nie versiegendes Füllhorn irdischer Köstlichkeiten ..."
Richard Wagner
Grals- und Parzivalmotive tauchen seitdem in der europäischen Literatur und Kunst in vielerlei Variationen auf. Eine der bekanntesten künstlerischen Darstellungen ist die Oper Parsifal von Richard Wagner.
Gralssuche
Die Gralssuche wird ebenso vielfältig beschrieben, wie der Heilige Gral selbst. Sie wird definiert als
- Suche nach Erleuchtung,
- Suche nach Vollkommenheit,
- Suche nach dem letzten Ursprung,
- Kessel der Wiedergeburt,
- direkte Kommunion mit Gott durch den Leib Christi, und als
- Quell der ewigen Jugend.
Der Heilige Gral kann nur zusammen mit der Suche nach dem Gral gedacht werden, denn beide symbolisieren das höchste Streben nach Erfüllung, das Ziel und den Weg des Menschen zu diesem Ziel. Insofern kann der Gral, und mit ihm die Suche, für jeden Menschen jede nur mögliche Bedeutung annehmen.
Gralsburg
Die Gralsburg wurde und wird immer wieder von neuem als realer historischer Ort gesucht. Es gibt einige, sehr weit auseinander liegende Orte, die auf die Gralsburg zutreffen könnten. Die Burg, die nach allen Beschreibungen wohl aber die meisten Übereinstimmungen aufweist, ist das Castell Dinas Bran in Llangolan in Nordwales am Fluss Dee. Der Überlieferung nach war sie die Burg des walisischen Gottes Bran.
Gralshüter
Die Templer sollen eine Zeit lang im Besitz und Hüter des Heiligen Grals gewesen sein.
Die Legende heute
Die mythische Gralsvorstellung des Hochmittelalters setzt sich ungebrochen in die Moderne fort. Bis heute werden zahlreiche Versuche unternommen, seine Geschichte (nicht als literarisches Motiv, sondern als historisch-übernatürliche Realität, als wahrer Gegenstand) aufzudecken. Die Gralssuche, der jedes Jahr ernst gemeinte Bücher gewidmet werden, ist somit ein irrationales Signum der gegenaufklärerischen, esoterischen Strömung der Moderne.
Eine solche neuzeitliche Interpretation deutet das französische "San Greal" als bewusst verschlüsseltes "Sang real", also als "königliches Blut", was einen Hinweis geben soll auf die angebliche Blutslinie von Jesus. Laut dieser Theorie soll Maria Magdalena die Frau von Jesus gewesen sein und Nachkommen zur Welt gebracht haben. Da Maria Magdalena ihren Lebensabend in Südfrankreich verbracht habe, wird versucht, eine Verbindung des merowingischen Königshauses mit dem Haus David bzw. Jesus zu beweisen.
Andere Forscher interpretieren den Gral als eine Schale, die durch göttliche Fügung in der Ära von König David in einer Höhle unter dem Kreuzigungshügel Golgotha vor Feinden versteckt wurde, und so in der Lage war, Blutstropfen die vom Kreuz Jesu auf die Erde gefallen sind, durch Ritzen im Fels bis hinab in das Versteck geleitet zu haben. Dem Gral wird zum Teil zugeschrieben, ein Synonym für die jüdische Bundeslade zu sein, in der die zwei von Moses geschriebenen Tafeln mit den 10 Geboten aufbewahrt wurden. Demnach müsste der Gral eher kastenförmig anstatt schalenförmig gewesen sein. Aufgrund der Annahme, dass die Lade bzw. der Gral mehrfach mit Gott in Berührung gekommen ist, sollen ihm deswegen grosse Kräfte inne wohnen.
In der Unterhaltungs-Industrie wurde dem Gral zugeschrieben, dass dieser unter bestimmten Bedingungen leuchten würde.
Gralsbewegung
Oskar Ernst Bernhardt (1875 - 1941) gründete eine religiöse Sekte in Vomperberg/Tirol, Österreich, nach deren Lehre Abd-ru-shin (eine Eigenbezeichnung Bernhardts) als Nachfolger Christi auf die Erde gekommen ist. Er erzählte eine neue Schöpfungsgeschichte aus einer Zusammensetzung moderner Physik, biblischen Passagen und keltischen Sagen. Bernhardt trat als Vermittler und Verfasser der Botschaft des Heiligen Grals auf.
Der Gral in Filmen
In zahlreichen Filmen begeben sich die Helden auf die Suche nach dem Gral oder dessen Entsprechung. So z.B. in:
- Monty Python "Die Ritter der Kokosnuss" (1975)
- Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (1989)
- TV-Serie Merlin mit Thommy Orner
- Merlin und Mimm, Zeichentrickfilm von Disney
Bibliographie
Quellentexte
- Chrétien de Troyes, Le Conte de Graal or Perceval, Übersetzung ins Englische von N. Bryant, Cambridge, N.J., 1982
- Malory, Sir Thomas, Die Geschichte von König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde, Übersetzung von H. Findeisen nach K. Lachmann, Frankfurt / Main 1977
Allgemeine Literatur
- Bahrs, Ulrich, Gral-Wanderer, 1928
- Baigent, Michael; Leight, Richard; Lincoln, Henry, Der Heilige Gral und seine Erben, Orbis Verlag 2002, ISBN 3572013143
- Bayer, Hans, Gralsburg und Minnegrotte, Berlin 1978
- Bayer, Hans, Gral - Die hochmittelalterliche Glaubenskrise im Spiegel der Literatur, Stuttgart 1983
- Berling, Peter, Die Kinder des Gral, Bergisch Gladbach 1991
- Birch-Hirschfeld, Adolf, Die Sage vom Gral - Ihre Entwicklung und dichterische Ausbildung in Frankreich und Deutschland im 12. und 13. Jahrhundert, eine literarhistorische Untersuchung, Wiesbaden 1969
- Evola, Julius, Das Mysterium des Grals, ISBN B0000BHW23
- Greiner, Wolfgang, Grals-Geheimnisse, Berlin 1926
- Godwin, Malcolm, Der Heilige Gral - Ursprung, Geheimnis und Deutung einer Legende, Bechtermünz Verlag 1994, ISBN 386047247X
- Kircher, Bertram (Hrsg.), Das Buch vom Gral - Mythen, Legenden und Dichtungen um das größte Geheimnis des mittelelterlichen Abendlandes, München 1989
- Lange, Hans-Jürgen, Otto Rahn und die Suche nach dem Gral, ISBN 3927940453
- Lampo, Hubert, Artus und der Gral, München 1985
- Mertens, Volker, Der Gral. Mythos und Legende, Stuttgart 2003, Reclam, ISBN 3150182611
- Matthews, John, Der Gral - Die Suche nach dem Ewigen, Braunschweig, 1992
- Rahn, Otto, Kreuzzug gegen den Gral, ISBN 3927940712
- Ravebcroft, Trevor, Der Kelch des Schicksals - Die Suche nach dem Gral, Basel 1982
Belletristik
- Bradley, Marion Zimmer, Die Nebel von Avalon, Frankfurt / Main 1984
- Chapman, Vera, Die drei Desmoiselles, München 1984
- MacGregor, Rob, Indiana Jones und der letzte Kreuzzug, München 1989
- Stewart, Mary, Merlins Abschied, München 1989
- Stewart, Mary, Flammender Kristall, München 1989
- White, Terrence Hanbury, Das Buch Merlin, Knaur, Düsseldorf / Köln 1980, ISBN 3426010321
- White, Terrence Hanbury, Der König auf Camelot, 2 Bände, Hobbit-Presse / Klett-Cotta, Stuttgart 1984, ISBN 3608950761
Links Wikipedia
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