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Juristische Fachsprache

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Die juristische Fachsprache ist die Fachsprache der Rechtsanwender und Forschungsgegenstand der Rechtslinguistik.

Die Notwendigkeit, sich in Rechtssachen exakt und möglichst eindeutig auszudrücken, hat zu einer sehr ausgeprägten Fachsprache der Juristen geführt. Sie ist geprägt durch einen hohen Abstraktionsgrad. Recht selbst kann nur durch Sprache zum Ausdruck gebracht werden. Daher spielt insbesondere die Hermeneutik eine gewichtige Rolle. Sie hat als „juristische Methode“ Eingang in die Lehre der Rechtswissenschaften gefunden. Wichtigstes Merkmal der juristischen Fachsprache ist die Eindeutigkeit (Konkordanz) der Begriffe. Ohne sie kann keine gemeinsame Basis der Verständigung gefunden werden. Das Ziel der Schaffung oder Wiederherstellung des Rechtsfriedens wäre nicht erreichbar.

Auch die Effizienz des juristischen Systems wird von der Sprache getragen. Um den enormen Anforderungen an die Komplexität und Präzision Rechnung zu tragen, bedarf es einer kalkülartigen Fachsprache, die dadurch für den rechtsunkundigen Laien oftmals schwer oder nicht verständlich wirkt. Dies ist gerade im deutschen Recht besonders deutlich. So ist das Bürgerliche Recht mit dem BGB als zentraler Quelle, von einem hohen Abstraktionsgrad gekennzeichnet, der für den Rechtskundigen eine Lösung für eine Vielzahl unterschiedlicher konkreter Rechtsfragen bereithält. Der juristische Laie kann dies aber gerade wegen des Abstraktionsgrades und der speziellen Fachsprache oft nicht erfassen. Juristische Termini werden zwar auch umgangssprachlich verwendet, in der Regel jedoch mit anderer Bedeutung, die von beruflichen Rechtsanwendern anders verstanden werden.

Die besondere Eigenschaft einer Fachsprache ist es, Wörter und Wendungen zu prägen, die nur von den Anwendern dieser Fachsprache verstanden werden. Daher wird allen Fachsprachen vorgeworfen, nicht verständlich für die Allgemeinheit zu sein. Um die empfundene Unverständlichkeit hervorzuheben, wird die juristische Fachsprache umgangssprachlich auch als „Juristenlatein“ bezeichnet.

Abweichungen zur Standardsprache

Neben Fachtermini und charakteristischen Wendungen werden in der juristischen Fachsprache teilweise Begriffe auch anders verwendet als in der Standardsprache.

Beispiele:

  • und und oder sind Begriffe aus der Logik, dann verbindet den Tatbestand mit der Rechtsfolge (siehe auch: Syllogismus). Formulierungen „wird mit A bestraft“, „hat B zu erfolgen“ weisen auf das Legalitätsprinzip hin, kann bedeutet meist das Opportunitätsprinzip (Ermessen), gilt ist meist die Fiktion: all das nicht unähnlich zum allgemeinen Sprachgebrauch. Interessant sind in diesem Zusammenhang juristische Expertensysteme (Computer).
  • grundsätzlich bedeutet juristisch gesehen vom Grundsatz her in der Bedeutung von im Prinzip, in der Regel (Ausnahmen sind möglich), während es in der Umgangssprache eher in der Bedeutung immer, aus Prinzip (keine Ausnahmen) verwendet wird. Hierfür findet sich in deutschen Gesetzen meist stets. In der sonstigen Rechtssprache (Urteile, Kommentarliteratur, Schrifttum) ist der Gegenbegriff generell, was bedeutet dass gerade keine Ausnahmen möglich sind.
  • regelmäßig wird im engeren Wortsinn als der Regel gemäß (wenn also keine Ausnahme greift) verstanden, in der Umgangssprache eher als zeitlich gleichmäßig wiederkehrend oder häufiger; Beispiel: „dieser Umstand für sich begründet regelmäßig keine Haftung.“
  • vorbehaltlich findet sich im Europarecht und stellt Rangordnungen und Systematiken innerhalb bestehender Regelungen her ( = diese Vorschrift tritt zurück), findet sich in der Alltagssprache jedoch kaum. Ähnlich abweichend ( = diese Vorschrift geht vor), hier sagt man im Alltag trotzdem.
  • Besitz ist juristisch gesehen die tatsächliche Herrschaft einer Person über eine Sache und damit vom Eigentum zu unterscheiden. Die Umgangssprache trennt diese Begriffe nicht scharf, sondern verwendet sie weitgehend synonym. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass das deutsche Verb für Eigentum, eignen, aus der Alltagssprache fast verschwunden ist (und praktisch nur noch im Wort Schiffseigner vorkommt), so dass besitzen aus sprachökonomischen Gründen als Eigentümer von etwas sein verwendet wird (im Gegensatz zum Englischen: to own für Eigentum und to possess für Besitz). Einfach und gesprochen aber oft haben.
  • unverzüglich wird juristisch als ohne schuldhaftes Zögern (Legaldefinition gem. § 121 BGB) verstanden, was auch eine Reaktionszeit von mehreren Tagen bedeuten kann, in der Umgangssprache wird darunter eher sofort verstanden.
  • Wenn Gefahr im Verzug ist, bedeutet das, dass die Gefahr gerade im Verzug (also in der Verzögerung) liegt, dass also dringendes Handeln geboten ist, während die Umgangssprache den Begriff eher allgemein als drohende Gefahr, Gefahr im Anzug versteht.
  • Leihe ist nach § 598 des Bürgerlichen Gesetzbuches wie folgt definiert: „Durch den Leihvertrag wird der Verleiher einer Sache verpflichtet, dem Entleiher den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu gestatten.“ Im allgemeinen Sprachgebrauch werden aber auch Gebrauchsüberlassungen gegen Zahlung einer Geldleistung (Autoverleih, Skiverleih etc.) als „Leihe“ bezeichnet, obwohl es sich dabei juristisch um Vermietungen handelt. Auch das „Leihen“ von zwei Eiern beim Nachbarn ist keine Leihe sondern vielmehr ein Sachdarlehen – bei der Leihe muss man immer genau die Sache zurückgeben, die man geliehen hat, siehe § 604 BGB; das ist nach dem Verbrauch der Eier unmöglich. Merke: „Nur der Laie sagt Leihe.“

Kritik

Juristische Sprache (umgangssprachlich „Juristendeutsch“ oder „Juristenlatein“) gilt für Rechtslaien oft als unverständlich oder verwirrend. Dies hat verschiedene Gründe. Einerseits ist die Rechtsterminologie schlicht ungewohnt, andererseits hält sich gerade dort veralteter Sprachgebrauch besonders lange (die meisten bedeutenden deutschen Gesetze wie das BGB stammen aus der Zeit um 1900). Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass gerade die Gesetze selbst oft dazu geführt haben, dass die Begriffe heute nicht mehr verstanden werden. So begründet beispielsweise § 1006 BGB eine Eigentumsvermutung des Besitzers, d.h. vom Besitzer (s.o.) wird vermutet, dass er Eigentümer ist. Dies führte seit der Einführung des BGB dazu, dass die Begriffe Eigentum und Besitz heute oftmals synonym verwendet werden. Während Laien dem Wortlaut des Gesetzes oft große Bedeutung beimessen, ist er für Juristen nur eines von mehreren Gliedern des Auslegungskanons. Letztlich ist die juristische Fachsprache näher an der Umgangssprache (dies insbesondere in neueren Gesetzen) als die mathematische oder naturwissenschaftliche Fachsprache, ist allerdings im Alltag präsenter. Das führt dazu, dass Rechtslaien meinen einen Begriff bzw eine Norm zu verstehen, weil sie die verwendeten Begriffe ebenfalls kennen -allerdings unter einer anderen Bedeutung. Diese Phänomen tritt in anderen Fachsprachen seltener auf, weil die Begriffe dort völlig unbekannt sind und vom Leser direkt als "unverständlich" behandelt werden. Wie jede Fachsprache, erfüllt die juristische den Zweck, klare, unmissverständliche und eindeutige Anweisungen an die Zielgruppe zu geben. In der praktischen Anwendung wird durch die Einflüsse des Europarechts und des internationalen Wirtschaftsrechts zunehmend auch englische Rechtsterminologie üblich, was wiederum auf Kritik stößt.

Der Sinn „komplizierter“ Gesetze lässt sich auch auf folgende Formel bringen: Ungerechte Gesetze sind einfach - „Du sollst nicht töten; Tod dem Mörder“. Gerechte Gesetze sind dagegen kompliziert, weil sie relativieren müssen - „Du sollst nicht töten, außer aus Notwehr, sonst wirst du bestraft, außer du bist Kind oder betrunken, und kommst einige Jahre ins Gefängnis, je nachdem ob du im Affekt oder aus Hinterlist gehandelt hast...“

Siehe auch

Literatur

Bücher

  • Kirchner: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Auflage, De Gruyter Recht, Berlin 2008.
  • Karl-Heinz List: Einfach gut formulieren: kurz, klar und korrekt schreiben, Verlag Bildung und Wissen, Nürnberg 2007, ISBN 3821476664.
  • Anton Schäfer: Abkürzungen, Begriffe, Zitiervorschläge (Akronyme), Verlag Österreich, 2008, ISBN 978-3704651129.
  • Tonio Walter: Kleine Stilkunde für Juristen. Verlag Beck, München, 2002, ISBN 3406498795.
  • Uwe Wesel: Fast alles, was Recht ist: Jura für Nichtjuristen, 8. Auflage, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007.
  • Nikolaus Benke/Franz-Stefan Meissel, Juristenlatein. 2800 lateinische Fachausdrücke und Redewendungen der Juristensprache übersetzt und erläutert. In Fortführung des gleichnamigen Werkes von Hofrat Dr. Karl Luggauer, Wien 2. Auflage 2002. ISBN 3-214-09697-4.

Zeitschriften

  • Tonio Walter: Sprache und Stil in Rechtstexten. In: JR. Jahrgang 2007, Seite 61–65.

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