Zum Inhalt springen

Revolutionen 1848/1849

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 23. September 2009 um 22:44 Uhr durch Ulitz (Diskussion | Beiträge) (Längerfristige Entwicklungsstränge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Februarrevolution in Paris
Märzrevolution in Berlin
Ausrufung der Repubblica di San Marco in Venedig
Volksfest bei der Proklamation der römischen Republik von 1849 in Rom
Karikatur von Ferdinand Schröder zur Niederlage der Revolutionen in Europa 1849. Zuerst erschienen in: Düsseldorfer Monatshefte, 1849 unter dem Titel Rundgemälde von Europa im August MDCCCXLIX

Als Revolution von 1848/49 – bzw. genauer in der Pluralform Revolutionen von 1848/49 – werden die Aufstände und revolutionären Erhebungen in mehreren Ländern Mitteleuropas bezeichnet, die vor allem durch die „Initialzündung“ der französischen Februarrevolution von 1848 und die Ausrufung der Zweiten französischen Republik ausgelöst wurden. Bereits im Vorfeld hatte es Liberalisierungstendenzen in einigen Fürstentümern (so etwa schon ab 1846 in einigen italienischen Staatsgebilden in Form der Einführung von Verfassungen mit bürgerlichen Rechten) oder auch revolutionäre Entwicklungen gegeben, wie beispielsweise der Sonderbundskrieg von 1847 in der Schweiz; – Entwicklungen, die die Erhebungen in Frankreich und den Staaten des deutschen Bundes (vgl. Märzrevolution) ab Februar/März 1848 begünstigten. Diese bisweilen als Völkerfrühling bezeichneten Prozesse hielten teils bis ins Jahr 1849 an. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um Erhebungen, die sich gegen die nach dem Wiener Kongress von 1814/15 beschlossene Restaurationspolitik der mächtigsten zentraleuropäischen Fürstentümer und Monarchien der sogenannten Heiligen Allianz richteten. Die Restaurationsmächte – ihnen voran die am Absolutismus des 18. Jahrhunderts und der Vorstellung des Gottesgnadentums orientierten Monarchen Österreichs, Preußens, Russlands und (eingeschränkt) Frankreichs – waren seit dem Ende der napoleonischen Kriege bestrebt gewesen, die Macht- und Sozialstrukturen in Europa wieder herzustellen, wie sie vor der französischen Revolution von 1789 geherrscht hatten (vgl. Ancien Régime).

Getragen wurden die Erhebungen von den in der Aufklärung fußenden Ideen des klassischen Liberalismus, der sich mit dem zu der Zeit als progressiv geltenden Nationalstaatsgedanken (Nationalismus) und dem Prinzip der Volkssouveränität verband. Insofern waren viele der Revolutionen von 1848/49 auch das Ergebnis von jeweils unterschiedlich entwickelten nationalen Einheits- und Unabhängigkeitsbewegungen, die sich bereits in den vorausgehenden Jahrzehnten – oft im politischen Untergrund – entwickelt hatten. Gefordert wurden Verfassungen für die jeweiligen Staatsgebilde, Presse-, Meinungsfreiheit und weitere demokratische Rechte, Bauernbefreiung, Liberalisierung der Wirtschaft, Aufhebung der Zollschranken bis hin zur Abschaffung monarchischer Herrschaftsstrukturen zugunsten der Etablierung republikanischer Staatsgebilde, oder zumindest die Einführung von konstitutionellen Monarchien.

Auf der sozioökonomischen Ebene bildete die Industrielle Revolution, die mit neuartigen technologischen Entwicklungen in Produktion und Gewerbe Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts ihren Anfang in Großbritannien genommen, und im Lauf des 19. Jahrhunderts auch den europäischen Koninentalraum erfasst hatte, einen wichtigen Nährboden für die Erhebungen, die in der zunehmend notleidenden Bevölkerung der landlosen Bauern und der neu entstehenden Schicht des Industrieproletariats eine revolutionäre Basis entstehen ließ, auf die bereits frühsozialistische Ideen einwirkten (vgl. auch Pauperismus, die vorindustrielle Massenarmut).

Die Revolutionen, die anfangs in einigen (z.B. italienischen und deutschen) Ländern durch Zugeständnisse der herrschenden Fürsten in Form von Verfassungszusagen und der Einführung liberaler Reformen in ihrer Stoßkraft abgeschwächt wurden, gelten insbesondere in Bezug auf den Vorstellungsraum Deutschland − zumindest hinsichtlich ihrer unmittelbaren Niederschlagung bis Spätsommer 1849 – als gescheitert. Viele Aktivisten wanderten danach freiwillig oder unfreiwillig insbesondere in die USA aus, wo sie als Forty-Eighters gegenüber anderen Einwanderern früherer oder späterer Zeitabschnitte in der Bezeichnung differenziert herausgestellt werden.

Längerfristige Entwicklungsstränge

Obwohl insbesondere die nationalstaatlichen Zielsetzungen der meisten europäischen Revolutionen von 1848/49 mit ihren grundsätzlichen Veränderungsanliegen vorerst gescheitert waren und speziell in den deutschen Staaten in eine Periode der politischen Reaktion mündeten (vgl. Reaktionsära), bilden diese Revolutionen in der rückblickenden historischen Betrachtung den Endpunkt eines längerfristigen Prozesses, der mit der ersten bürgerlichen Revolution in Europa, der französischen Revolution von 1789 begonnen hatte, und der die Etablierung des vormalig politisch relativ einflusslosen Dritten Standes – des Bürgertums – als einflussreichen Wirtschafts- und Machtfaktor neben der Aristokratie langfristig festigte. In diesen Prozess, der bisweilen als „Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen“ bezeichnet wird, sind auch verschiedene Ereignisse und Entwicklungen vor 1848/49 eingebunden, ohne die die Revolutionen um die Mitte des 19. Jahrhunderts kaum denkbar wären. Dazu gehören beispielsweise die napoleonische Hegemonie mit der Verbreitung des Code Civil zwischen ca. 1799 und 1812 ebenso wie die Spanische und die Griechische Revolution in den 1820er Jahren, die französische Julirevolution von 1830 und die Abspaltung Belgiens als konstitutionelle liberale Monarchie von den Niederlanden (Belgische Revolution) ebenfalls 1830, sowie die verschiedenen Aufstände des frühen Risorgimento in den italienischen Staaten. Spätestens ab 1848 wurde die Bourgeoisie, im engeren Sinn das Großbürgertum, zur ökonomisch herrschenden Klasse der Gesellschaften Zentraleuropas. Die Jahre 1848/49 markieren nach marxistischer Diktion auch die Trennung der Arbeiterklasse bzw. des Proletariats als neue potenziell revolutionäre Klasse vom Bürgertum.

Die revolutionären Schübe zwischen 1789 und 1848/1849 prägten die politische Kultur und das pluralistische Demokratieverständnis der meisten Staaten Zentraleuropas in der Moderne langfristig und nachhaltig. So z.B. in der Bundesrepublik Deutschland, deren Grundgesetz auf dem 1848/1849 in der ersten gesamtdeutschen Nationalversammlung ausgearbeitetem Verfassungsentwurf basiert, in Österreich, Frankreich, Italien, Ungarn, Polen, Dänemark, der Tschechoslowakei bzw. im heutigen Tschechien und der Slowakei. Mit den Ereignissen von 1848/1849 wurde der Siegeszug der bürgerlichen Demokratie in die Wege geleitet, der auf lange Sicht die spätere historische, politische und soziale Entwicklung fast ganz Europas bestimmte.

Die Revolutionen von 1848 gaben in zwischenstaatlichen Grundzügen zusätzlich zu vorherigen, in der Aufklärung begründeten Entwicklungen einige ideelle Impulse für die Entwicklung der Europäischen Union (EU) im späten 20. Jahrhundert. So vertrat der italienische Revolutionär Giuseppe Mazzini schon vor den revolutionären Wirren um 1848 ein Europa der Völker. Er stellte diese Utopie gegen das Europa der autoritären Fürstentümer und nahm damit eine politisch-soziale Grundidee der EU vorweg.

Die revolutionären Erhebungen von 1848/49 im Einzelnen (Verweise auf die Hauptartikel)

zu den österreichischen Provinzen und Kronländern außerhalb des Deutschen Bundes siehe z.B. Slowakischer Aufstand und die Unterkapitel bei 'Deutsche Revolution 1848/49': Ungarn bzw. bei 'Revolution von 1848/49 im Kaisertum Österreich' das Unterkapitel Ungarn und Kroatien, ansonsten im folgenden einen Teil der unter österreichischer Hoheit stehenden italienischen Provinzen

Literatur

  • Manfred Botzenhart: 1848/49. Europa im Umbruch. Paderborn 1998.
  • Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt, Dieter Langewiesche (Hrsg.): Europa 1848. Revolution und Reform. Bonn 1998.
  • Wolfgang Hardtwig (Hrsg.): Revolution in Deutschland und Europa 1848/49. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998.
  • Dieter Langewiesche (Hrsg.): Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte. Ergebnisse und Nachwirkungen. München 2000.
  • Wolfgang J. Mommsen: 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830–1849. Frankfurt am Main 1998.
  • Eric Hobsbawm: Europäische Revolutionen. 1789 bis 1848. Kindler, Zürich 1962; erneut 1978, ISBN 3-463-13715-1.
  • Eric Hobsbawm: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Campus-Verlag, Frankfurt/New York 1991, ISBN 3-593-34524-2.
  • Heinz Rieder: Die Völker läuten Sturm - Die europäische Revolution 1848/49, Casimir Catz Verlag, Gernsbach 1997, ISBN 3-925825-45-2
  • Fischer Weltgeschichte Band 26: Das Zeitalter der europäischen Revolution 1780–1848, Hrsg.: Louis Bergeron, François Furet, Reinhart Koselleck, ISBN 3-596-60026-X
  • Fischer Weltgeschichte Band 27: Das bürgerliche Zeitalter, Hrsg.: Patrik Verley, Jean-Pierre Daviet, Guy Palmade, ISBN 3-596-60027-8