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Landwehrkanal

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Karte der Berliner Wasserstraßen
Urbanhafen um 1900
Hochbahnbrücke über den Kanal um 1900
Landwehrkanal in Kreuzberg (Reichpietschufer/Schöneberger Ufer)
Uferpromenade in Kreuzberg
Brücken über den Landwehrkanal
Gedenkstätte für Rosa Luxemburg am Landwehrkanal
Hausboote auf dem Landwehrkanal an der Unteren Schleusenbrücke in Tiergarten
Briefmarke 1978

Der Landwehrkanal wurde zwischen 1845 und 1850 in Berlin gebaut, um die Spree als Transportweg zu entlasten. Er verbindet die obere Spree am Osthafen mit der unteren Spree und führt durch die Ortsteile Kreuzberg, Neukölln, Tiergarten und Charlottenburg.

Vorgeschichte, Planung und Bau

Der Begriff der Landwehr oder Landhege bezeichnete im spätmittelalterlichen Festungsbau eine vor der Stadtmauer liegende Feldbefestigung. Sie markierte oft die Außengrenzen des städtischen Einflussbereiches. Schon vor 1700 (der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt) wurde vor der Berliner Stadtmauer zwischen Schlesischem und Halleschem Tor ein sogenannter „Landwehrgraben“ angelegt. Er sollte Spreewasser aufnehmen, wenn der Fluss Hochwasser führte und wurde 1705 zum Floßgraben ausgebaut, um die Holztransporte zum Königlichen Holzplatz am Halleschen Tor zu erleichtern.

Im frühen 19. Jahrhundert reichte die Transportkapazität der Spree nicht mehr aus. Insbesondere die Mühlendamm-Schleuse, die nun schon mitten in der Stadt lag, war den Anforderungen nicht mehr gewachsen. Die Schleusenkammern waren zu schmal und zu kurz, die Wartezeiten wurden unzumutbar lang. Es entstand die Idee einer Wasserstraße, die den Durchgangsverkehr außen um die Stadtmauern herumleiten sollte. Ein Plan von 1818 sah einen Umgehungskanal vor, der elf Meter breit und mindestens 1,30 Meter tief sein sollte. Die Vorbereitungen für den Bau waren schon weit gediehen, als König Friedrich Wilhelm III. das Unternehmen 1820 aus Kostengründen abbrechen ließ.

1840 erhielt Peter Joseph Lenné den Auftrag für verschiedene größere Projekte im Süden Berlins. Parallel zur Bebauung des Köpenicker Feldes und zum Bau des Luisenstädtischen Kanals verfolgte er die alte Idee eines Entlastungskanals für die Spree. Neben seinem eigentlichen Zweck sollte er für die Entwässerung der Felder sorgen, die als Bauland vorgesehen waren und den Materialtransport zu den Baustellen erleichtern. Bürokratische Vorgänge verursachten erhebliche Verzögerungen. 1845, bei Baubeginn, lag noch nicht einmal die genaue Trasse in allen Punkten fest. Der Ingenieur Helfft als Bauleiter des Kanals beschrieb die Linienführung:

„Der ungefähr 13/8 Meilen [10,4 Kilometer] lange Landwehrkanal tritt oberhalb des Schlesischen Thores, nicht weit von der ehemaligen Mündung des Landwehrgrabens aus der Spree … und mündet endlich oberhalb Lietzow, bei dem neuen königlichen Salzmagazine, in die Spree aus.“

Am 2. September 1850 fand die Einweihung statt. Die Presse und die Berliner Bevölkerung nahmen kaum Notiz davon, der Kanal lag schließlich weitab, noch außerhalb der Stadtmauern.

Eigenschaften und Entwicklung

Der Landwehrkanal war an der Oberfläche 20 Meter, an der Sohle aber nur zehn Meter breit, die Ufer waren also abgeschrägt, sodass Schiffe nicht direkt anlegen konnten. Durch Schleusentore an beiden Endpunkten (Oberschleuse an der Lohmühleninsel und Unterschleuse) ließ sich die Wassertiefe regulieren, sie sank nie unter 1,50 Meter, unabhängig vom Wasserstand der Spree. Ursprünglich lagen zwei Häfen am Kanal, der Urbanhafen im Ortsteil Kreuzberg und der Schöneberger Hafen auf dem Gelände des heutigen – nach Felix Mendelssohn Bartholdy benannten – Parks. Vom Urbanhafen aus, von dessen einstiger Ausdehnung nur ein wesentlich kleineres, schmales Becken geblieben ist, führte der Luisenstädtische Kanal über den Wassertorplatz, Oranienplatz und das Engelbecken nach Norden zur Spree. Er wurde 1926/1927 zugeschüttet und durch einen breiten, stellenweise parkartigen Grünstreifen ersetzt. Lenné hatte am Landwehrkanal zur Erholung der Einwohner in den neu entstehenden Stadtvierteln baumbestandene Uferpromenaden anlegen lassen. Ob dieser Zweck damals erreicht werden konnte, ist zumindest fraglich: Berlin hatte noch keine Kanalisation, die Abwässer flossen ungeklärt in den Kanal, in dem die Anwohner auch wuschen und badeten.

Die Möglichkeiten des Kanals waren bald erschöpft. Bei Begegnungen oder Überholmanövern wurden die Uferbefestigungen immer wieder beschädigt, Sand brach durch und beeinträchtigte die Schifffahrt. Nach einer Verfügung von 1880 durfte der Verkehr nur noch in jeweils einer Richtung durchgeleitet werden. Ein erster Ausbau erfolgte zwischen 1883 und 1890. Die neue Wassertiefe betrug nun 1,75 Meter. Brücken, die bisher bei jeder Schiffspassage hochgezogen werden mussten, wurden umgebaut. Der zweite große Umbau zwischen 1936 und 1941 brachte weitere Verbesserungen. Schleusen wurden verlegt und erweitert. Nachdem die Uferschrägen beseitigt waren, hatte der Kanal eine nutzbare Breite von 22 Metern, Schiffe konnten anlegen, ohne den Durchgangsverkehr zu behindern. In der Mitte der Fahrrinne war der Kanal jetzt zwei Meter tief. Die Brücken blieben allerdings unverändert – bei Durchfahrten wird der Raum nach oben knapp.

Funktionswandel und Einzelaspekte

Nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs, als gewaltige Mengen Trümmerschutt abtransportiert werden mussten, hatte der Landwehrkanal noch einmal eine wichtige Funktion. Später, während sich bei zunehmender Motorisierung der Lastverkehr auf die Straße verlagerte, verlor der Kanal allmählich seine Bedeutung als Transportweg für Massengüter. Inzwischen wird er fast nur noch von Ausflugsschiffen und Sportbooten genutzt. Die Uferbefestigungen mit ihren Geländern und Treppen stehen unter Denkmalschutz.

Im ebenfalls denkmalgeschützten Pumpwerk Hallesches Ufer ist das Berliner Lapidarium untergebracht. Hier wurden bis 2009 steinerne Denkmäler (insbesondere aus der Siegesallee) aufbewahrt, die zur Zeit nicht gebraucht werden oder die besonders geschützt werden müssen, während an ihren einstigen Standorten Kopien zu sehen sind. Im Mai 2009 wurden sämtliche Standbilder aus dem Lapidarium in die Zitadelle Spandau umgesetzt.

Am Rande des Landwehrkanals und im Großen Tiergarten wird an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 erinnert. Rosa Luxemburg war während des Abtransports nach einem Verhör im Wagen erschossen worden. Die Mörder, Angehörige eines Freikorps, warfen ihren Körper in den Kanal. Ihre Leiche konnte erst Ende Mai 1919 geborgen werden.

In den 1920er-Jahren wurde nach einem Selbstmordversuch Anna Anderson aus dem Landwehrkanal gerettet, die behauptete, die russische Zarentochter Anastasia Nikolajewna Romanowa zu sein.

Sanierung des Landwehrkanals

Bei Untersuchungen des Kanalufers wurde festgestellt, dass die Uferbefestigung durch Wellenschlag von auf dem Kanal fahrenden Booten und Schiffen auf einigen Strecken unterspült wurde. Im Frühjahr 2007 kam es dadurch unter anderem zu einer Absackung der Ufermauer an einer Schiffsanlegestelle. Das Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin ließ daraufhin Sicherungsmaßnahmen durchführen, die heftig umstrittene Baumfällungen und eine Sperrung des Kanals für den Schiffsverkehr beinhaltete. Eine Bürgerinitiative sammelte innerhalb von vier Monaten über 25.000 Unterschriften gegen das Vorgehen des Amtes und erreichte die Einleitung eines Mediationsverfahrens zur Sanierung und zukünftigen Nutzung des Kanals. Am 10. Dezember 2007 wurde unter Beteiligung von Behörden, Gewerbetreibenden und Vertretern der Bürgerinitiative ein entsprechendes Arbeitsbündnis geschlossen.

Nachdem in der Mediation keine einvernehmliche Einigung zur Forderung nach einer integrierten Sanierungsplanung erzielt werden konnte, verließ ein Teil der Bürgerinitiative die Verhandlungen und wirbt seit Sommer 2008 mit einer jährlichen Paddelparade unter dem Motto Landwehrkanal für Alle! für eine nachhaltige Sanierung des Kanals, die neben ökologischen Aspekten und einem Vorrang für emissionsfreie Verkehrsmittel auch die Verbesserung der Erholungsnutzung, barrierefreie Zugänge für Gehbehinderte und einen kreuzungsfreien Fuß- und Radweg entlang beider Seiten des Kanals beinhaltet.

Das Mediationsverfahren "Zukunft Landwehrkanal", das seit 2007 vom Mediationsteam Beate Voskamp und Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH) geleitet wurde und noch andauert, stellt eines der größten Mediationsverfahren in Deutschland dar. Die Teilnehmer/innen des Mediationsforums formulierten in ihrem Arbeitsbündnis am 21. Januar 2008 als Ziel des Mediationsverfahrens „von allen Beteiligten als nachhaltig, d.h. als ökonomisch, ökologisch und sozialverträglich angesehene, unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes stehende sowie technisch machbare Lösungen für die vielfältigen Themen sowohl für die gegenwärtige Situation als auch für die Zukunft des Landwehrkanals in Berlin in einem Konsensfindungsverfahren zu erarbeiten.“ Neben Mediationsforum und Arbeitskreisen wurde in Lösungssondierungsgruppen und in weiteren Besprechungen zu vielfältigen Themen konstruktiv gemeinsam gearbeitet.

Eine Besonderheit besteht in Zweigleisigkeit des Verfahrens: Einerseits geht es um konkrete Verabredungen über die beabsichtigte Kanalsanierung, andererseits hat es sich als sinnvoll und in Teilen als notwendig erwiesen, den Blick auch über die Ufermauern hinaus zu werfen und das Umfeld mit einzubeziehen. So wird einerseits nach einer konsensorientierten Gesamtlösung im Rahmen einer langfristigen Planung gesucht. Andererseits werden auf dem Weg dahin auch jeweils einvernehmlich aktuell anstehende Fragen geklärt und Entscheidungen getroffen.


Commons: Landwehrkanal – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 52° 29′ 52″ N, 13° 23′ 33″ O