Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel
War SLA mit Einspruch --78.55.247.103 11:07, 18. Sep. 2009 (CEST)
Bei der Vernichtung von Buchbeständen der DDR Anfang 1991 wurden innerhalb eines kurzen Zeitraumes zahlreiche Bücher und Broschüren aus Lagerbeständen makuliert, um einen herrschenden Platzmangel zu beseitigen.[1] Hierbei soll es sich nach Einschätzung einiger um die weltweit größte bislang bekannte Büchervernichtung gehandelt haben[2].
Vorgehen

Der Bestand des Leipziger Kommissions- und Großbuchhandels (LKG), dem ehemaligen Zentralen Buch- und Auslieferungslager der DDR, umfasste 1991 allein mehr als 10 Millionen ohne Unterscheidung etwa zwischen politischer Literatur und Schöner Literatur allesamt als unverkäuflich eingestufte Bücher und Broschüren, die nach der Deutschen Wiedervereinigung zunächst Papiermühlen übergeben wurden oder in Heizkraftwerken verheizt. Später sollen unzählige Bücher und Broschüren aus dem LKG auch einfach im Tagebau bei Leipzig verschüttet worden sein. Eine wilde Müllhalde mit mindestens einer Million Büchern und Broschüren aus dem LKG wurde zudem in Kömmlitz bei Borna entdeckt. Zu diesen Büchern kamen aber noch Lagerbestände aus dem lokalen Volksbuchhandel und ganze Betriebsbibliotheken. Unterschiedlichen Berichten zufolge ist es 1991 insgesamt zur Zerstörung von 30 000 bis 70 000 Tonnen Büchern und Broschüren gekommen, das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel sprach 1991 gar von möglicherweise 500 000 Tonnen[3].
Mehrmalige „Bereinigungen“ der Lagerbestände der Buchhändler führten zudem zu Müllbergen aus Büchern und Broschüren, teilweise wurde zuvor noch versucht die alten DDR-Bestände zu Tiefstpreisen zu verrammschen, doch ein dennoch geringes Kaufinteresse machte den kartonweisen Abtransport der Bücher und Broschüren in die Papiermühlen unumgänglich. In Leipzig kam es zu Situationen, wo noch Unmengen von Büchern und Broschüren aus den zum Abtransport bereitgestellten Kartons herausgerissen wurden und sich später über die gesamte Stadt verteilt fanden[4].
Reaktionen und Einschätzungen
Die Unabhängige Autorengemeinschaft „Als Zeitzeugen erlebt“ sieht die Makulierung als Indiz für die bewusste Vereinnahmung der DDR durch die BRD.
Der Verband deutscher Schriftsteller wurde erst Ende 1991 auf die Dimensionen der Makuliering aufmerksam und reagierte mit Protest, während in der Presse die Problematik noch weitgehend unbeachtet blieb[5]. Der Leipziger Dichter Dieter Mucke äußerte sich im Oktober 1991 auf einer Pressekonferenz des Verbandes deutscher Schriftsteller:
- Meines Erachtens handelt es sich hier wirklich um die grösste Büchervernichtung seit der Nazizeit, und ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der in dem bekannten Heine-Wort benannte schreckliche Kausal-Zusammenhang, wer Bücher verbrennt/vernichtet, verbrennt/vernichtet auch Menschen, keine logische Abstraktion oder historische Remineszenz ist, sondern schon wieder deutsche Gegenwart. Deshalb fordere ich als ein in Leipzig geborener Dichter, daß dieses barbarische und faschistoide Verbrechen der Büchervernichtung endlich geahndet wird.[6]
Zahlreiche Schriftsteller thematisierten die Vernichtung ihrer Bücher in der Folgezeit in literarischen Texten, noch mehr fand das Thema Eingang in die Publizistik.[7]
Rainer Schmitz (FOCUS) nennt die Büchervernichtung 2006 „die demütigenste Phase, die die Schöne Literatur bislang in der Weltgeschichte erleben mußte“.
Dennoch gab es auch gelungene Rettungsaktionen, am bekanntesten dürfte die Bücherscheune Katlenburg sein, die 400 000 DDR-Bücher führt, die der Pfarrer Martin Weskott zum größten Teil um 1991 von der Deponie in Kömmlitz retten konnte.
Literatur
- Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 24/91
- Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 48/92
- Klaus Deterding: Der Reigen des Lebens, 1993
- Sächsische Zeitung 23. Mai 1998
- Sächsische Zeitung 24. Mai 1998
- Rainer Schmitz: Was geschah mit Schillers Schädel, Berlin 2006
- Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen, Leipzig 2001
- Marie-Kristin Rumland: Veränderungen in Verlagswesen und Buchhandel der ehemaligen DDR, 1989-1991, 1993
- Frankfurter Allgemeine Zeitung 31. Oktober 2001
- Frankfurter Allgemeine Zeitung 26. Februar 2002
- Unabhängige Autorengemeinschaft Als Zeitzeugen erlebt: Spuren der Wahrheit: Vereinnahmung der DDR: Erlebnisse, Betrachtungen, 2003
Einzelbelege
- ↑ Frank Thomas Grub: "Wende" und "Einheit" im Spiegel der deutschsprachigen Literatur: ein Handbuch, 2003, S. 21 f.
- ↑ Rainer Schmitz: Was geschah mit Schillers Schädel, Berlin 2006, S. 878
- ↑ Rainer Schmitz: Was geschah mit Schillers Schädel, Berlin 2006, S. 878 f.
- ↑ Marie-Kristin Rumland: Veränderungen in Verlagswesen und Buchhandel der ehemaligen DDR, 1989-1991, 1993, S. 100
- ↑ Klaus Deterding: Der Reigen des Lebens, 1993, S. 70
- ↑ zitiert nach Frank Thomas Grub: "Wende" und "Einheit" im Spiegel der deutschsprachigen Literatur: ein Handbuch, 2003, S. 21
- ↑ vgl. Frank Thomas Grub: "Wende" und "Einheit" im Spiegel der deutschsprachigen Literatur: ein Handbuch, 2003, S. 21