Zum Inhalt springen

Homo faber (Roman)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. Juni 2005 um 15:39 Uhr durch 193.170.222.242 (Diskussion) (Personen). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Homo faber ist ein 1957 erschienener Roman des Schweizer Autors Max Frisch und zählt im deutschsprachigen Raum zu den wichtigsten und meistgelesenen Werken des 20. Jahrhunderts. 1991 wurde Homo faber von Volker Schlöndorff mit Sam Shephard, Julie Delpy und Barbara Sukowa in den Hauptrollen verfilmt.

Inhalt

Die Handlung des Romans spielt unter anderem in Mexiko, den Vereinigten Staaten, Kuba, Griechenland, Italien – Ländern, die Frisch bereist hatte.

Der Schweizer Ingenieur Walter Faber hat ein Weltbild, das durch eine blinde Technikgläubigkeit geprägt ist. Dass sein Flugzeug in der mexikanischen Wüste notlanden muss und sich sein Jugendfreund im Dschungel von Guatemala erhängt hat, kann diese Vorstellung nicht erschüttern. Erst eine Romanze mit einem lebensfrohen jungen Mädchen, Sabeth, das sich später als seine eigene Tochter herausstellt, und ihr Tod durch einen Unfall auf einer Reise durch Italien und Griechenland, bewirken eine Änderung seiner Einstellung. Zum Schluss trifft er auch Hanna, die Mutter von Sabeth. Sie war Fabers Freundin aus Studienzeiten, die sich von ihm trennte, als sie schwanger wurde, und ihm die Geburt ihrer Tochter verschwieg. Nun arbeitet die Frau, die sich im Gegensatz zu Faber immer für Kunst und Mythologie interessierte, als Archäologin in einem Athener Institut. Die betont emanzipierte Hanna sah Sabeth immer als allein ihr Kind an.

Den zweiten, sehr kurzen Teil des Berichtes schreibt Faber im Krankenhaus, während er auf die Operation seines wahrscheinlich unheilbaren Magenkrebses wartet. Der nüchterne, klare, beinahe kalte Stil des ersten Teiles ist fast völlig verschwunden und einer intensiveren Lebenwahrnehmung gewichen. Eine Annäherung von Faber und Hanna deutet sich an.

Personen

Lebenslauf Homo Faber

  • Name: Walter Faber
  • Spitzname: Homo faber (homo: Mensch) (faber: Handwerker)
  • Geboren am: 29.04.1907
  • Geburtsort: Schweiz
  • Religion: katholisch
  • Familienstand: Ledig (1 Tochter Elisabeth (Sabeth) (20))
  • Beruf: Staudamm-Ingenieur
  • 1933 bis 1935 Assistent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich.
  • 1936 Bagdad
  • 1957 von New York nach Caracas, um eine Turbinenmontage zu leiten.
  • seit 1946 in Manhattan leben und arbeiten als Entwicklungshelfer für die UNESCO.
  • In der Zeit vom 19.7.1957 liegt Faber im Athener Krankenhaus, um sich einer Magenoperation (Diagnose: Magenkrebs) zu unterziehen und stirbt unmittelbar Tage später an der Operation die um 08.05 Uhr anfing im Alter von 50 Jahren.

Protagonist Walter (Homo) Faber

  • absoluter Rationalist ("Das Wahrscheinliche (dass bei 6 Mrd Würfen mit einem regelmäßigen Sechserwürfel annähernd 1 Mrd Einser vorkommen) und das Unwahrscheinliche (dass bei 6 Würfen mit demselben Würfel einmal 6 Einser vorkommen) unterscheiden sich nicht dem Wesen nach, sondern nur der Häufigkeit nach, wobei das Häufigere von vornherein als glaubwürdiger erscheint. Es ist aber, wenn einmal das Unwahrscheinliche Eintritt nichts Höheres dabei, keinerlei Wunder oder Derartiges, wie es der Laie so gerne haben möchte.")
  • hasst alles, was er nicht kontrollieren kann:
    - den Bartwuchs ("Ich fühle mich nicht wohl, wenn unrasiert; nicht wegen der Leute, sondern meinetwegen. Ich habe das Gefühl, ich werde etwas wie eine Pflanze, wenn ich nicht rasiert bin, ...")
    - befürwortet den Schwangerschaftsabbruch sowohl bei Hanna als auch grundsätzlich("Wo kämen wir hin ohne Schwangerschaftsunterbrechung? Fortschritt in Medizin und Technik nötigen gerade den verantwortungsbewussten Menschen zu neuen Maßnahmen. Verdreifachung der Menschen in einem Jahrhundert. Früher keine Hygiene. Zeugen und gebären und im ersten Jahr sterben lassen, wie es der Natur gefällt, das ist primitiver, aber nicht ethischer.")
    - den Alterungsprozess ("Ich habe sie immer gefürchtet; was man auch dagegen tut: ihre Verwitterung. Überhaupt der ganze Mensch! – als Konstruktion möglich, aber das Material ist verfehlt: Fleisch ist kein Material, sondern ein Fluch.")
  • will sich nicht binden ("Ich kannte ihre Vorwürfe und hatte sie satt. Dass ich grundsätzlich nicht heirate, das hatte ich oft genug gesagt, zumindest durchblicken lassen, zuletzt aber auch gesagt, und zwar auf dem Flugplatz, als wir drei Stunden lang auf diese Super-Constellation hatten warten müssen. Ivy hatte sogar geweint, somit gehört, was ich sagte.")
  • hält nicht viel von Frauen ("Sie schauen tagelang zu, wie ich den Motor zerlege. Die Mütter gaffen auch zu, sie kommen nicht aus dem Gebären heraus, scheint es, sie halten ihren letzten Säugling an der braunen Brust, abgestützt auf ihrer neuen Schwangerschaft, so stehen sie da, während ich den Motor putze, und gaffen, ohne ein Wort zu sagen, da ich sie nicht verstehe.")
  • hat auch keine männlichen Freunde ("Ich habe niemand gesagt, dass meine Tochter gestorben ist, denn niemand weiß, dass es diese Tochter je gegeben hat, und ich trage auch keine Trauer im Knopfloch, denn ich will nicht, dass sie mich fragen, denn es geht sie ja alle nichts an.")
    Sein einziger wirklicher Freund, Joachim, begeht Selbstmord, was ihn nicht sonderlich (er wundert sich nur woher Joachims Radio Strom bezieht) erschüttert . Verehrt seinen ehemaligen Professor.
  • ist eifersüchtig auf Sabeths Freund ("Ich wartete einfach, bis der junge Mann gleichfalls fand, es gäbe nichts mehr zu tun, wir sollten das Mädchen jetzt allein lassen – „Tschau!“ sagte er.
    Ich durchschaute ihn, er wollte mich irgendwo auf Deck verlieren, um dann allein in ihre Kabine zurückzukehren. Ich forderte ihn zu einem Pingpong ... So blöd, wie vermutet, war er nicht, wenn auch keineswegs sympathisch. ")

    Er würde das aber nie zugeben.
  • rechtfertigt sich ständig ("Was ist denn meine Schuld? Ich habe sie auf dem Schiff getroffen, als man auf die Tischkarten wartete, ein Mädchen mit baumelndem Roßschwanz vor mir. Sie war mir aufgefallen. Ich habe sie angesprochen, wie sich Leute auf einem solchen Schiff eben ansprechen; ich habe dem Mädchen nicht nachgestellt.")

Sonstige Personen

Es ist schwierig, andere Figuren zu charakterisieren, da man sie alle nur aus der Sichtweise Walter Fabers kennenlernt und diese Sicht ist natürlich nicht sehr objektiv.

Ivy

  • ist oberflächlich ("Ivy war Mannequin, sie wählte ihre Kleider nach der Wagenfarbe, glaube ich, die Wagenfarbe nach ihrem Lippenstift oder umgekehrt, ich weiß es nicht. Ich kannte nur ihren ewigen Vorwurf: dass ich überhaupt keinen Geschmack habe und dass ich sie nicht heirate. Dabei war sie, wie gesagt, ein lieber Kerl.")

Sabeth

  • ist fröhlich und optimistisch. Damit steht sie als krasses Gegenstück zu Walter Faber.
  • naiv ("Sie war wirklich ein Kind, wenn auch Kettenraucherin, sie hielt es wirklich für Zufall, dass man sich in diesem Paris nochmals getroffen hatte.")

Hanna Landsberg

  • Stammt aus München
  • Halbjüdin
  • Ist 1938 nach Paris emigriert
  • Hat Kunstgeschichte (bei Prof. Wölfflin) studiert
  • Ist sehr empfindlich, sprunghaft und hat ein unberechenbares Temperament
  • Ist selbstständig (Archeologin). Sie hat mit mehreren Männern zusammengelebt: Mit Walter Faber, Joachim und mit Hr. Piper. Aber sie hat diese Männer nie gebraucht. Sie lebt allein in Athen.
  • Ist sehr emanzipiert (Gott ist eine Frau) und sehr egoistisch. Wollte ihre Tochter immer für sich allein (wenn möglich ohne Vater, weshalb Faber auch der ideale Kandidat ist) und wollte nicht einmal Joachim an der Erziehung teilhaben lassen.

Herbert

  • Kommt aus Rostock und ist somit Deutscher
  • Blond
  • Rosige Haut
  • Alter: anfangs 35
  • Hat einen Bruder: Joachim
  • Reisebekanntschaft Fabers

Reisestationen

Erste Station

  1. New York
  2. Zwischenlandung in Houston
  3. Weiterflug in Richtung Caracas
  4. Notlandung in Mexiko (Tamaulipas)
  5. Aufenthalt in der Wüste
  6. Flug nach Mexiko City ... Caracas mit Herbert in Campeche (Mexiko)
  7. Aufenthalt in Palenque
  8. Fahrt von Plantage (Guatemala) nach Zürich
  9. Faber in Caracas
  10. Flug nach New York
  11. Schiffsreise nach Europa
  12. Paris
  13. Italienreise mit Sabeth
  14. Griechenland (im Rückblick)
  15. Athen

Entwicklung der Beziehung zu Sabeth

  • Faber ist zunächst zurückhaltend
  • Sie erinnert ihn an Hanna / Er vergleicht sie mit ihr
  • Der Rossschwanz steht häufig für Sabeth
  • Er ist in der Beziehung der Lehrer / entdeckt gleichzeitig Schönes an ihr
  • Er ist fasziniert von der Jugend
  • Sie ist interessiert an der Technik (Maschinenfreund) er kann ihr Interesse gar nicht glauben
  • Er ist eifersüchtig auf den Baptisten
  • Er fühlt sich alt in der Gegenwart von Sabeth / manchmal verhält er sich fast väterlich
  • Er möchte nicht, dass sie Stewardess wird. Ihr soll nichts passieren.
  • Er denkt viel an Sabeth und viel über Sabeths Verhalten in ihrer Gegenwart nach.
  • Faber macht Sabeth am Ende der Schiffsreise einen Heiratsantrag, der jedoch unbeantwortet bleibt
  • Joachim spielt(e) für Sabeth eher die Rolle des Erzeugers, ihre Mutter wollte sie immer alleine erziehen, weil sie Hannas (ihr) Kind ist! Sabeth weiß nicht viel über Joachim
  • Sie reden, spielen, er beobachtet sie, sie essen gemeinsam, streiten sich, er zeigt ihr den Maschinenraum, er versorgt sie, sie philosophieren
  • Sabeth hat viele Interessen
  • Sie ist klug, gebildet und spricht auch gut Englisch
  • Sie ist offen für Neues

Rolle der Schifffahrt für Faber und Sabeth

  • Begrenzter Raum
  • Müssen sich miteinander beschäftigen
  • Können sich nicht aus dem Wege gehen.
  • Muss sich mit sich selbst beschäftigen
  • Können sich Kennenlernen – haben Zeit dazu
  • Er kann ein neues Zeitgefühl bekommen

Deutungen

Motive

  • Walter Fabers Rationalismus
  • seine Eifersucht auf Sabeths "Schnäutzchenfreund"
  • Liebe (Walter Fabers Liebe zu Sabeth, aber auch zu Hanna)
  • Verdrängen (Walter Faber versucht die ganze Zeit, die Vermutung zu verdrängen, dass Sabeth seine Tochter sein könnte.)
  • Schicksal – Zufall (Walter streitet die Existenz des Schicksals ab, aber es ist schon eine Reihe sehr unwahrscheinlicher Zufälle, die zu Sabeths Tod führen. Diese Reihe von Zufällen zerstört im Laufe des Berichts Fabers Rationalismus)
  1. das Treffen mit Herbert im Flugzeug
  2. der Flugzeugabsturz
  3. das Treffen mit Sabeth
  4. der Schlangenbiss
  • Tod (der Selbstmord Joachims, Sabeths Unfall und Fabers wahrscheinlich tödliche Krankheit)
  • Schuld (Walter Faber ist an Sabeths Tod schuld. Denn sie stirbt nicht am Schlangenbiss, sondern durch die Schädelfraktur, die sie sich beim Sturz von der Böschung zugezogen hat. Sie ist vor ihm zurück gewichen. Walter Faber hat sich außerdem schuldig gemacht, indem er ein Verhältnis mit Sabeth eingegangen ist, obwohl er hätte wissen können, dass sie seine Tochter ist (>Ödipus).)

Einen Großteil der Schuld trägt jedoch auch Hanna, die mit ihrem unglaublichen, eifersüchtigen Anspruch auf Sabeth sowohl verhindert, dass Faber von Sabeth erfährt, als auch sehr wahrscheinlich Joachim in den Selbstmord treibt.

Thema

Das technik- und zukunftsorientierte Weltbild Fabers hindert ihn, das Leben unmittelbar in seiner Gegenwart zu erleben. Erst die lebensfrohe Tochter bewirkt eine Wandlung. Auf der anderen Seite wird aber von einigen Literaturkritikern auch das Weltbild der Mutter Hanna, das auf Mythen, antike Maternalität und Vergangenheit gerichtet ist, als ebenso hinderlich und zum Scheitern verurteilt gesehen. Der unwissentliche Inzest Fabers mit seiner Tochter wird auch als eine moderne Fassung des Ödipus-Mythos gesehen.

Bedeutung

Mit dem Begriff des homo faber - lat.: Mensch, der seine Umwelt durch seine Fertigkeiten unter Kontrolle hat - fügte Max Frisch den bedeutsamen Wesensmerkmalen, die die (vermeintliche?) Sonderstellung des Menschen "auf der Welt" erklären helfen sollen, ein weiteres hinzu. Er grenzt sich somit u.a. vom Menschenbild eines Aristoteles ab, der den Menschen als zoon politikon (politisches Lebewesen) sieht - aber auch von einem Immanuel Kant, der mit seinem homo rationabile (vernünftiger Mensch) die Fähigkeit des Menschen zu vernunftbegabtem Handeln in den Vordergrund stellt. "Homo faber" ist hier aber auch eine taxonomische Bestimmung (biolog. Einordnung aller Lebewesen in Stammbäume) eines Typs Mensch. Der "Homo faber" grenzt sich vom "Homo sapiens (sapiens)", dem "normalen" Menschen ab. Der Typ des Ingenieurs (faber=lat. der Schmied), den Walter Faber im Roman verkörpert, unterscheidet sich also von den Menschen in seiner Umgebung.

Insofern bringt Max Frisch zum Ausdruck, dass er die Stellung des Menschen in der Welt pessimistischer sieht - gleichzeitig aber regt "Homo Faber" zum Nachdenken über das in den westlichen Industriegesellschaften vorherrschende Machbarkeitsdenken an. Sind es also nicht nur die Liebe und das Anerkennen der eigenen Begrenztheit angesichts des Todes, die Anlass zur Hoffnung geben?