Friedrich Spieser
Friedrich (Fritz) Spieser (* 1.Oktober 1902 in Waldhambach, † 23.Februar 1987 in Burg Stettenfels) war ein autonomistischer elsässischer Politiker und Verleger.
Leben
Spieser verbrachte als viertes Kind des lutherischen Pastors Hans Spieser eine unbeschwerte Kindheit in Waldhambach. 1914 zog die Familie wegen einer Erkrankung des Vaters nach Zabern, wo der Junge das Gymnasium besuchte. Da er 1918 nach der Rückgliederung des Elsass an Frankreich gegen die Einführung des französischsprachigen Unterrichts protestierte, wurde er vom Unterricht ausgeschlossen. Ab 1920 konnte er seinen Schulbesuch zunächst an dem von Bernd Isemann geleiteten privaten Institut Fecht in Kirchheim unter Teck, nach dessen Schließung dann am Reformgymnasium in Stuttgart fortsetzen. Der aus dem Elsass stammende Friedrich Lienhard, Schriftsteller und Wortführer der Heimatkunstbewegung, verhalf ihm zu einer Wohnstelle in einer Ausbildungsstelle für protestantische Geistliche. Dort wurde Spieser in den Köngener Bund aufgenommen. In dieser Stuttgarter Zeit lernte Spieser auch den ebenfalls aus dem Elsass stammenden Hochschullehrer Paul Schmitthenner kennen, einen Vertreter der Heimatschutzarchitektur , der ihn mit seinen Vorstellungen stark beeindruckte. Nach dem Tod seines Vaters im Februar 1922 kehrte Spieser ins Elsass zurück. Aus dem französischen Militärdienst wurde er aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig entlassen. Nach einer zeitweiligen Anstellung als Deutschlehrer an einer privaten protestantischen Schule in Glay (bei Montbéliard) und einem längeren Sanatoriumsaufenthalt arbeitete er als Hauslehrer der Kinder einer adeligen schwäbischen Familie auf Burg Gamburg und Schloss Mespelbrunn. In Abendkursen bereitete er sich auf das Abitur vor und erhielt 1926 auf Fürsprache eines elsässischen Gönners durch das französische Unterrichtsminsterium die Anerkennung seines Abschlusses.
Studienzeit und autonomistische Aktivitäten im Elsass der Vorkriegszeit (1926-1939)
Spieser schrieb sich danach zunächst an der Theologischen Fakultät der Universität Straßburg ein. Da er es aber als "Bildungsschwindel" ansah, als deutschsprachiger Elsässer in französischer Sprache lutherische Theologie zu studieren[1], wechselte er an die Universität Grenoble, hörte dort 1928-1929 verschiedene philologische Vorlesungen und erwarb den akademischen Grad licence ès lettres. Am 26.April 1926 gründete Spieser im Elsass den Wanderbund Erwin von Steinbach, elsässische Jugendwanderer (häufig auch kurz Erwinsbund genannt), der mit Jugendlichen Wanderungen, Musik-, (deutschsprachige) Gesangs- und Volkstanzveranstaltungen durchführte, vor allem im nördlichen Elsass und im Bitscher Land. Außerdem gab diese Vereinigung eine Sammlung deutschsprachiger Volkslieder heraus.[2] Vorbilder für den Erwinsbund waren vor allem der Wandervogel und die Bündische Jugend in Deutschland. Wie andere deutschsprachige und autonomistische Vereine im ehemaligen Reichsland Elsaß-Lothringen wurde auch der Erwinsbund vom deutschen Außenministerium über Mittelsmänner finanziell unterstützt. [3] 1930 kehrte Spieser nach Deutschland zurück, immatrikulierte sich an der Universität Göttingen und hörte insbesondere bei Herman Nohl, einem der Jugendbewegung nahestehenden Pädagogen und Philosophen. An der Universität Marburg promovierte Spieser schließlich bei dem Germanisten und Volkskundler Kurt Wagner mit einer Arbeit über die Entwicklung des Volksliedes, die sich stark auf die Forschungen des katholischen Priesters und Lothringer Volkskundlers Louis Pinck bezog.[4] Im August 1931 heiratete Spieser Agnes Eleonore zu Dohna-Schlobitten, eine Tochter von Richard zu Dohna-Schlobitten. Mit den finanziellen Mitteln seiner Frau, aber (über Mittelsmänner) auch mit Unterstützung[5] der Hamburger Stiftung F.V.S. (heute: Alfred-Toepfer-Stiftung F.V.S.) und des Volksbund für das Deutschtum im Ausland erwarb er am 17.September 1932 die Ruinen der Hüneburg bei Dossenheim (Elsass) und baute diese 1934 bis 1935 aus, erschwert durch Schikanen der französischen Behörden. Diesen konnte sich Spieser entziehen, indem er auf der Hüneburg eine Wanderherberge einrichtete, die dem offiziellen französischen Jugendherbergsverband (L.F.A.J.) angeschlossen wurde. 1937 begann Spieser mit der Herausgabe der Straßburger Monatshefte. Zeitschrift für das deutsche Volkstum am Oberrhein, einer Zeitschrift für regionalistische Literaten und Künstler. Seine kulturpolitischen Aktivitäten führten immer wieder zu heftigen Angriffen in der französischsprachigen Presse des Elsass.[6]
Erstes Exil in Deutschland (1939-1940)
Mit der Verschärfung der politischen Situation in Zusammenhang mit der Sudetenkrise wurde wegen des Verdachts auf Spionage für Deutschland die Hüneburg polizeilich durchsucht und Spieser verhört. Nach der Besetzung der "Rest-Tschechei" durch die deutsche Wehrmacht wurden im Rahmen der Maßnahmen der Regierung Daladier gegen elsässische Autonomisten schließlich auch die Straßburger Monatshefte ebenso wie der Erwinsbund am 21. April 1939 verboten.[7] Spieser wurde vor einer Verhaftung durch die französischen Behörden gewarnt und floh über Luxemburg zur Familie seiner Frau nach Westpreußen. Nach Beginn des 2. Weltkriegs richtete Spieser am 10. September 1939 eine langen Brief an Hitler, in dem er ihn bat, das Elsass zu befreien und ihm nach dem Vorbild von Böhmen und Mähren den Status eines Reichsprotektorats zu verleihen. Während des "Drôle de guerre" richtete Spieser Denkschriften an den Gauleiter von Baden und das Oberkommando der Wehrmacht, in denen er Einschätzungen zur Stimmung der elsässischen Soldaten in der französischen Armee und Ratschläge zur Behandlung der elsässischen Bevölkerung nach der bevorstehenden Besetzung gab. Am 5. Juni 1940 wurde der französische Staatsangehörige Spieser von einem französischen Militärgericht in Nancy wegen Hochverrats in Abwesenheit zum Tode verurteilt.[8]
Aktivitäten im besetzten Elsass (1940-1944)
Nach der Besetzung des Elsass durch deutsche Truppen kehrte er in der Uniform der Wehrmacht zurück. Spieser beteiligte sich an den Aktivitäten einer Organisation, die der elsässischen Bevölkerung die nationalsozialistische Weltanschauung näherbringen sollte (Elsässischer Hilfsdienst). Obwohl er damals noch nicht Mitglied der NSDAP war, wurde er am 7.September 1940 durch Heinrich Himmler anlässlich eines Besuchs auf der Hüneburg zum SS-Sturmbannführer ernannt. Ende November 1940 war Spieser führendes Mitglied einer Delegation elsässischer Autonomisten, die in Berlin von führenden Nationalsozialisten empfangen wurde. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) schätzte Spieser als "politisch unbedingt zuverlässig" ein. Auf die Hüneburg, die beschlagnahmt und von französischen Truppen stark beschädigt worden war, wurde der Leichnam von Karl Roos überführt. An der feierlichen Beisetzung nahmen Formationen des Elsässischen Hilfsdienstes, dessen Nachfolgeorganisation Opferring der NSDAP und Einheiten der neugegründeten elsässischen Hitlerjugend teil, die meist aus dem Erwinsbund stammten. Spieser gründete 1940 in Straßburg zusammen mit einer Buchhandlung seinen Hünenburg-Verlag neu, in dem auch wieder seine Straßburger Monatshefte erschienen. Das Unternehmen florierte bis 1944.[9]
Zweites und endgültiges Exil in Deutschland (1944-1987)
Ab September 1944 hielt sich Spieser mit seiner Familie dann überwiegend bei Verwandten seiner Frau in Deutschland auf und kam nur noch tageweise ins Elsass zurück. 1945 gelang es ihm auf der Flucht durch Deutschland, sich unter falschem Namen der Gefangennahme durch amerikanische und später sowjetische Truppen zu entziehen. Wegen aktiver Kollaboration mit Nazideutschland wurde er ab September 1945 von der französischen Justiz gesucht. Sein Aufenthaltsort während der nächsten Jahre ist nicht eindeutig bekannt: während Spieser selbst später von einem Aufenthalt in Schweden berichtete, gibt es Vermutungen, dass er sich auf Schloss Lich versteckt hielt.[10] Am 4. September 1947 wurde Spieser von einem Gericht in Straßburg in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die beschlagnahmte Hüneburg wurde zu Gunsten des französischen Staates enteignet und später verkauft. 1952 veröffentlichte Spieser in seinem wiederbelebten Hünenburg-Verlag (Stuttgart) seine Memoiren.[11] 1957 erwarb er die Burg Stettenfels bei Heilbronn. Die teilweise verfallene Burg wurde restauriert und zu einem Begegnungszentrum, in dessen Räumlichkeiten neben Familienfeiern auch Dichterlesungen, Gesangsdarbietungen, Konferenzen (u.a. der Erwin von Steinbach-Gesellschaft) stattfinden konnten. Diese Nutzung erinnerte ebenso wie manche Bauelemente an die Hüneburg.[12]
Spiesers politische Vorstellungen
Spieser war durch seinen Vater geprägt, der neben seinem geistlichen Amt ein begeisterter Pangermanist war, sich als Dialektforscher und vergleichender Linguist betätigte und für die Deutschsprachigkeit des Reichslandes Elsaß-Lothringen einsetzte.[13] Friedrich Spiesers Denken bezog sich in Fortführung dieser familiären Tradition auf politische Begriffe der deutschen Romantik wie Volkstum und Volksgeist. Volks- und Brauchtumspflege waren für ihn von hoher Bedeutung, um die "wurzellosen" Industriearbeiter und Intellektuellen der Großstädte in die Volksgemeinschaft zurückzuführen, deren Idealbild das "unverbrauchte und bodenständige" Bauerntum war. Auch Spiesers intensive Beschäftigung mit Familienforschung diente dieser Suche nach den eigenen Wurzeln.
In den 20er Jahren wurde Spieser in seiner Schulzeit durch bürgerlich-konservative Künstler im Umfeld von Paul Schmitthenner ebenso wie durch die Jugendbewegung beeinflusst und begeisterte sich für deren Idee einer Umwandlung von herrenlosen Burgen in Jugendherbergen. Seine Tätigkeit als Hauslehrer in adligen Häusern verstärkte noch diese Begeisterung und seine Faszination durch den traditionsbewußten deutschen Adel, den er ebenso idealisierte wie die Bauernschaft. Bei seiner ersten Rückkehr ins Elsass fand Spieser rasch Anschluß an "heimattreue" (d.h. regionalistische bzw. autonomistische) Kreise, ohne sich jedoch parteipolitisch zu binden. Er widmete sich vielmehr aktiv der Brauchtumspflege (Erwinsbund). Während des anschließenden Studiums in Deutschland suchte und fand Spieser Bestätigung für seine Überzeugungen. Nach der Studienzeit wieder ins Elsass zurückgekehrt, verstärkte er seine Aktivitäten und begann, die Hüneburg zu einer Jugendherberge und einem Begegnungszentrum für Gleichgesinnte zu machen. Auch seine herausgeberische Tätigkeit in dieser Zeit diente dem Zweck, das deutsche Volkstum im Elsass zu erhalten und zu stärken (v.a. Elsaß-Lothringer neuer Heimat-Kalender und die Straßburger Monatshefte). 1932 war Spieser an der Gründung der Elsaß-lothringischen Jungmannschaft beteiligt. Diese vertrat separatistische Ziel und orientierte sich in ihrem öffentlichen Auftreten zunächst an bündischen, später aber immer mehr an nationalsozialistischen Vorbildern.
Angeregt von der nationalsozialistischen Propagandaidee einer "Neuordnung Europas" entwickelte Spieser den Plan, bei der Umgestaltung Westeuropas an das burgundische Reich Karls des Kühnen anzuknüpfen. Er trat für eine Zerschlagung Frankreichs auf ethnischer Grundlage ein: Lothringen, Burgund und Savoyen sollten dem Deutschen Reich zugeschlagen werden. Das Elsass sollte direkt ins deutsche Reich integriert werden, aber seine 'alemannische Besonderheit' bewahren. Diese regionalistische Position brachte Spieser zeitweilig in Gegensatz zur Politik des badischen Gauleiters und Chef der Zivilverwaltung im Elsass, Robert Wagner, der im Zuge seiner Germanisierungspolitik massive Umsiedlungen von Elsässern in den Osten anstrebte.[14]
Schon 1932 begann sich Spieser für "Volksmedizin" zu interessieren und beschäftigte sich mit Augendiagnostik, Magnetopathie, Wünschelrutengängern und Astrologie. Da er diese okkulten Erscheinungen für wissenschaftswürdig hielt, begrüßte er die Einrichtung eines Instituts für Psychologie und klinische Psychologie an der Medizinischen Fakultät der Reichsuniversität Straßburg und unterstützte das Institut 1942 mit einer namhaften Summe als Hünenburg-Stiftung. Den Leiter des Instituts, den Psychologen und Parapsychologen Hans Bender regte Spieser zu Forschungen über das Wünschelrutengehen an.
Einzelnachweise
- ↑ Friedrich Spieser: Tausend Brücken: Eine biographische Erzählung aus dem Schicksal eines Landes, Hünenburg Verlag 1954, S.154 und S.591-592
- ↑ Friedrich Spieser: Frau Nachtigall; Straßburg 1928
- ↑ Lothar Kettenacker: La politique de nazification en Alsace, in: Saisons d´Alsace n° 65, Strasbourg 1978, S. 92-93; s.a. Christian Baechler: L'Alsace-Lorraine dans les relations franco-allemandes de 1918 à 1933. In: Jacques Bariéty (Hrsg.): La France et l'Allemagne entre les deux guerres mondiales. Presse Universitaire de Nancy, Nancy 1987; S. 69-109; eine abweichende Darstellung, nach der Spieser erst ab 1931 im Erwinsbund führend aktiv war, findet sich bei Philip Charles Farwell Bankwitz: Alsatian autonomist leaders 1919 - 1947. The Regents Press of Kansas, Lawrence (USA) 1978. ISBN 0-7006-0160-0. S. 58
- ↑ Friedrich Spieser: Das Leben des Volksliedes im Rahmen eines Lothringerdorfes: Hambach, Kreis Saargemünd Diss. Universität Marburg 1934; s.a. Werke
- ↑ Philip Charles Farwell Bankwitz: Alsatian autonomist leaders 1919 - 1947. Regent Press, Lawrence (Canada) 1978, S. 59
- ↑ Léon Strauss: Fritz Spieser: Le reconstructeur de la burg. In: Groupe de Recherche sur le chateau de Hunebourg, 1987; Hunebourg. Un rocher chargé d`histoire du Moyen Age à l´époque contemporaine; Société Savante d´Alsace 1997 (Collection «Recherches et documents» tome 59). ISBN 2-904920-17-X, S. 130-135
- ↑ L´Alsace francaise vom 10.5.1939
- ↑ Léon Strauss: Fritz Spieser: Le reconstructeur de la burg. In: Groupe de Recherche sur le chateau de Hunebourg, 1987; Hunebourg. Un rocher chargé d`histoire du Moyen Age à l´époque contemporaine; Société Savante d´Alsace 1997, S. 143-145
- ↑ Heinz-Dietrich Loock: Der Hünenburg-Verlag Friedrich Spiesers und der Nationalsozialismus. In: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte Bd. 2, München 1966, S. 430-431
- ↑ Léon Strauss: Fritz Spieser: Le reconstructeur de la burg. In: Groupe de Recherche sur le chateau de Hunebourg, 1987; Hunebourg. Un rocher chargé d`histoire du Moyen Age à l´époque contemporaine; Société Savante d´Alsace 1997, S. 163
- ↑ Tausend Brücken: Eine biographische Erzählung aus dem Schicksal eines Landes (s. Werke)
- ↑ http://www.burg-stettenfels.de/burg_saele.asp
- ↑ M.J.Bopp: Die evangelischen Geistlichen in Elsaß-Lothringen 1959, S. 521-522
- ↑ Friedrich Spieser: Die Ehre des Elsasses, Hünenburg Verlag, Straßburg 1942
Werke
- Frau Nachtigall: Volkslieder vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Lami, Straßburg 1928 (als Hrsg., zusammen mit Carl Reyß)
- Das Leben des Volksliedes im Rahmen eines Lothringerdorfes: Hambach, Kreis Saargemünd. Bausteine zur Volkskunde und Religionswissenschaft, Bd.8. Konkordia, Bühl (Baden) 1934
- Kampfbriefe aus dem Elsass, Volk und Reich Verlag, 1941
- Die Ehre des Elsasses, Hünenburg Verlag, 1942
- Tausend Brücken: Eine biographische Erzählung aus dem Schicksal eines Landes, Hünenburg-Verlag, Heilbronn 1954
- Und dennoch rauscht der Wald, Hünenburg-Verlag, Stuttgart 1953
- Volkslied in Stein (umspielt von kontrapunktischen Gedanken), Hünenburg-Verlag, 1956
Bibliographie
- Lothar Kettenacker: La Politique de nazification en Alsace, édit. Istra, Strasbourg, 1978 (Saisons d’Alsace n° 65 et 68)