Axiomensystem
Ein Axiomensystem (auch: Axiomatisches System) ist im engeren Sinn ein System aus Axiomen und Regeln[1]. Die Regeln ermöglichen, aus den Axiomen und den schon bewiesenen Sätzen neue Theoreme (formal) zu beweisen. In einem etwas anderen Nebensinn ist ein Axiomensystem "eine Menge von Sätzen ..., die sich in Axiome und ...Theoreme gliedert"[2].
Allgemeines
Ein Axiomensystem als Produkt der Axiomatisierung eines Wissensgebietes dient einer ökonomischen und übersichtlichen "Darstellung der in ihm geltenden Sätze und der zwischen ihnen bestehenden Folgerungszusammenhänge"[3].
Die Axiomatisierung zwingt zugleich zu einer klaren und eindeutigen Begrifflichkeit.
Die Elemente eines axiomatischen Systems sind:
(a) eine Menge von Basiselementen,
(b) eine Menge (als wahr vorausgesetzter) Aussagen über diese Basiselemente (= Axiome) und
(c) eine Menge von logischen Schlussregeln zur Ableitung weiterer Aussagen. [4]
Axiome, logische Axiome und Beweiskalküle
Die Regeln, wie man aus vorgegebenen Sätzen neue beweisen kann, werden in sogenannten Beweiskalkülen formuliert.
Das Verhältnis der Kalküle zu einer Semantik wird durch die Begriffe Vollständigkeit und Korrektheit charakterisiert. Vollständigkeit des Kalküls bedeutet, dass alles, was (semantisch) gültig ist, im Kalkül bewiesen werden kann. Umgekehrt bedeutet die Korrektheit des Kalküls, dass alles, was bewiesen werden kann, auch (semantisch) gültig ist. Aus letzterem folgt insbesondere, dass man im Kalkül keine Widersprüche beweisen kann.
Einige dieser Kalküle verwenden neben Schlußregeln (wie etwa dem Modus Ponens) auch logische Axiome. Diese sind (semantisch gesehen) allgemeingültig und werden im Kalkül für die Vollständigkeit benötigt. Diese logischen Axiome sind von den nichtlogischen Axiomen zu unterscheiden. Letztere sind nicht allgemeingültig und beschreiben (unabhängig vom gewählten Kalkül) immer ein Wissensgebiet.
Eigenschaften von Axiomen
Eine Menge M von Axiomen wird konsistent (oder widerspruchsfrei) genannt, falls man aus diesen Axiomen keine Widersprüche ableiten kann. Das bedeutet: es ist nicht möglich, sowohl einen Satz A als auch seine Negation ¬ A mit den Regeln des Axiomensystems herzuleiten. Das ist gleichbedeutend dazu, dass nicht jeder Satz der Sprache aus der Menge M hergeleitet werden kann. Dies setzt voraus, dass der Beweiskalkül -- also die Regeln mit denen im Axiomensystem bewiesen wird -- nicht schon Widersprüche erzeugt.
Ein Axiom A wird unabhängig von einer Menge M von Axiomen genannt, wenn A nicht aus den Axiomen in M hergeleitet werden kann. Entsprechend ist eine Menge M von Axiomen unabhängig, wenn jedes einzelne der Axiome in M von den restlichen Axiomen unabhängig ist.
Eine Menge M von Axiomen wird vollständig genannt, wenn für jeden Satz A der Sprache gilt, dass der Satz A selbst oder seine Negation ¬ A aus den Axiomen in M hergeleitet werden kann. Dazu gleichbedeutend ist, dass jede Erweiterung von M durch einen bisher nicht beweisbaren Satz widersprüchlich wird.
Forderungen an ein Axiomensystem
An ein axiomatisches System werden Forderungen gestellt. Die Forderungen an ein axiomatisches System können in unbedingte und in weniger strenge eingeteilt werden.[5]
Als unabdingbar gelten[6]:
- Widerspruchsfreiheit;
- Unabhängigkeit und
- Vollständigkeit.
Als wünschenswert[7] die
- Einfachheit
Widerspruchsfreiheit
Ein Axiomatisches System muss widerspruchsfrei sein.
Ein Widerspruch liegt vor, wenn man aus einem Kalkül sowohl A als auch ¬ A herleiten kann. Das bedeutet dann, dass man alles herleiten kann. Widerspruchsfrei ist also ein Kalkül, in dem es Aussagen gibt, die nicht herleitbar sind.[8]
Oder in Worten von Tarski: „Man nennt eine deduktive Disziplin widerspruchsfrei, wenn keine zwei Lehrsätze dieser Disziplin einander widersprechen oder, mit anderen Worten, wenn von zwei beliebigen sich widersprechenden Sätzen (...) mindestens einer nicht bewiesen werden kann.“[9]
In einer strengeren Fassung bedeutet die Forderung der Widerspruchsfreiheit: "Es muss nicht nur bewiesen werden, dass kein Widerspruch besteht, sondern auch, dass ein Widerspruch im System nicht vorkommen kann."[10]
Vollständigkeit des Systems
Ein System ist vollständig, „wenn aus seinen Axiomen alle wahren Aussagen des Gebietes ableitbar sind“.[11]
Nach Prechtl ist eine Vollständigkeit im weiteren Sinn und im engeren Sinn zu unterscheiden. Während die obige Definition die Vollständigkeit im weiteren Sinn betrifft, liegt eine Vollständigkeit im engeren Sinn vor, wenn jede nicht aus den Axiomen ableitbare Aussage zusammen mit den Axiomen einen Widerspruch herzuleiten gestattet.[12]
Dies dürfte den Formulierungen von Tarski und Hilbert/Ackermann entsprechen: „Man nennt dagegen eine Theorie vollständig, wenn von zwei beliebigen sich widersprechenden und ausschließlich von Ausdrücken der betrachteten Theorie und der ihr vorangehenden Theorien formulierten Sätzen mindestens ein Satz bewiesen werden kann.“[13] „Sinngemäß wird die Vollständigkeit des Axiomensystems so definiert, dass wir von ihm verlangen, dass der Begriff der herleitbaren Formel sich mit dem Begriff der allgemeingültigen Formel deckt.“[14]
Als vollständig gelten der Aussagenkalkül[15] und die elementare Geometrie.[16]
Unabhängigkeit der Axiome
„Unabhängig sind die Axiome, wenn keines von ihnen aus den anderen ableitbar ist“.[17]
(Einfachheit des Axiomensystems)
Ein Axiomensystem soll einfach sein.[18]
Axiomensysteme in einzelnen Bereichen
Logik
Für die elementare Aussagenlogik, die Prädikatenlogik erster Stufe und verschiedene Modallogiken gibt es axiomatische Systeme, die die genannten Anforderungen erfüllen.[19]
Für die Prädikatenlogiken höherer Stufen lassen sich nur widerspruchsfreie, aber nicht vollständige axiomatische Systeme entwickeln.[20] Das Entscheidungsproblem ist in ihnen nicht lösbar.
Arithmetik
Für die Arithmetik gilt der Gödelsche Unvollständigkeitssatz: Ist sie widerspruchsfrei, dann ist sie unvollständig; ist sie vollständig, dann kann ihre Widerspruchsfreiheit nicht bewiesen werden.
„Die angesprochene Unvollständigkeit der Arithmetik beispielsweise bedeutet folgendes: Für jede nur denkbare Formalisierung der elementaren Arithmetik gilt, dass es in ihr Sätze gibt, die in dieser Formulierung weder beweisbar noch widerlegbar sind. Mit anderen Worten: Es gibt in jeder dieser Formalisierungen Sätze A mit der Eigenschaft, dass sich weder A noch ¬ A beweisen lässt."[21]
Geometrie
Hilbert gelang es 1899, die euklidische Geometrie zu axiomatisieren.
(Sonstige) Axiomensysteme aus dem Bereich der Mathematik
- Huntingtonsches Axiomensystem
- Peano-Dedekindsches Axiomensystem der Arithmetik
- Wahrscheinlichkeitstheorie
- Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre
Sprachwissenschaft
Karl Bühler versuchte 1933, eine Axiomatik der Sprachwissenschaft zu entwickeln.
Axiomatisches System und Gödelscher Unvollständigkeitssatz
Nach dem 1931 von Gödel bewiesenem Gödel-Theorem (auch: Unvollständigkeitssatz) ist es für ein mathematisches formales System „unmöglich, zugleich dessen Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu beweisen“[22]. "Kein adäquates Axiomensystem der Theorie eines unentscheidbaren Kalküls ist absolut-vollständig."[23]
Die Gödelschen Unvollständigkeitssätze "beweisen die Grenzen formalistischen Denkens und die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens" [24] und zeigen eine „absolute Grenze“ der formalen Logik".[25]
Siehe auch
- Aussage
- Axiom
- Axiomatisierung
- Begriffssystem
- Beweis
- Entscheidbar
- Formales System
- Widerspruchsfreiheit
Quellen
- ↑ Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, 10. Aufl. (1993), S. 79
- ↑ Regenbogen/Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe (2005)/Axiomatisches System
- ↑ Regenbogen/Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe (2005)/Axiomatisches System
- ↑ Bußmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, 3. Aufl. (2002)/Axiom
- ↑ Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, 10. Aufl. (1993), S. 80
- ↑ Hilbert/Ackermann, Grundzüge, 6. Aufl. (1972), S. 98; Prechtl, in: Metzler Philosophie Lexikon, 2. Aufl. (1999)/Axiom, Axiomensystem
- ↑ Prechtl, in: Metzler Philosophie Lexikon, 2. Aufl. (1999)/Axiom, Axiomensystem
- ↑ So Hilbert/Ackermann, Grundzüge, 6. Aufl. (1972), S. 99; vgl. auch Prechtl, in: Metzler Philosophie Lexikon, 2. Aufl. (1999)/Axiom, Axiomensystem
- ↑ Tarski, Einführung, 5. Aufl. (1977), S. 144
- ↑ Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, 10. Aufl. (1993), S. 80
- ↑ Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, 10. Aufl. (1993), S. 80
- ↑ Prechtl, in: Metzler Philosophie Lexikon, 2. Aufl. (1999)/Axiom, Axiomensystem
- ↑ Tarski, Einführung, 5. Aufl. (1977), S. 144
- ↑ Hilbert/Ackermann, Grundzüge, 6. Aufl. (1972), S. 100
- ↑ Tarski, Einführung, 5. Aufl. (1977), S. 146
- ↑ Tarski, Einführung, 5. Aufl. (1977), S. 146
- ↑ Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, 10. Aufl. (1993), S. 80; vgl. auch Prechtl, in: Metzler Philosophie Lexikon, 2. Aufl. (1999)/Axiom, Axiomensystem
- ↑ Prechtl, in: Metzler Philosophie Lexikon, 2. Aufl. (1999)/Axiom, Axiomensystem
- ↑ Regenbogen/Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe (2005)/Axiomatisches System
- ↑ Regenbogen/Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe (2005)/Axiomatisches System
- ↑ Hoyningen-Huene, Logik (1998), S. 272
- ↑ Schülerduden, Philosophie (2002), Satz vom (verbotenen) Widerspruch
- ↑ Lorenzen, Logik, 4. Aufl. (1970), S. 136
- ↑ Zoglauer, Einführung (1999), S. 115
- ↑ Hoyningen-Huene, Logik (1998), S. 272