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Boxeraufstand

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Unter dem Boxeraufstand (traditionell: 義和團起義, vereinfacht: 义和团起义, Pinyin: Yìhétuán qǐyì) versteht man den Aufstand eines chinesischen Geheimbundes, genannt "Faust für Recht und Harmonie" (Wade-Giles: I-ho t´uan). Die Bezeichnung Boxer ist die Verallgemeinerung des Namens im Englischen und bezog sich auf das Schattenboxen ihrer Mitglieder auf öffentlichen Plätzen.

Datei:Chinesischer 'Boxer', 1900.jpg
Ein "Boxer" (1900)

Die Heiße Phase des Aufstandes fand in der Zeit von April bis August 1900 statt.

Vorgeschichte

Die "Boxer" war ursprünglich eine zu Zeiten von Kaiser Qian Long in Henan gegründete Sekte namens I-ho t´uan. Der Gründer war ein gewisser Hao Sheng-wen. Diese Sekte war ein Ableger der mit der Weißen Lotus-Sekte assozierten "Pa-kua-chiao"-Sekte (Pinyin: Baguajiao) und wurde 1808 erstmals offiziell erwähnt. (Die Weiße Lotus-Sekte leitete 1795-1804 einen großen Aufstand.) Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die "Boxer" locker in mehreren Untergruppen organisiert. In Shandong wirkte z.B. die Gesellschaft der großen Messer (chin. 大刀会 Dadaohui), welche die Förderung des Gouverneurs Li Ping-heng erhielt und maßgeblich am Aufstand beteiligt war.

China hatte sich bis in das 19. Jahrhundert erfolgreich gegen den Rest der Welt abgeschottet. Dann forderte der Kolonialismus der Europäer, US-Amerikaner, Japaner und Russen seinen Anteil an Qing-China. Bis zum Ende des Jahrhunderts erwarben die Ausländer große Macht in China, obwohl sie gerade mal 10 855 Köpfe zählten - im Vergleich zu etwa 470 Millionen Chinesen.

Missionare streiften durch China, ausgestattet mit Sonderrechten, die sie vor der chinesischen Justiz schützten, dazu seit März 1899 auch mit amtlichen Rangstufen. Sie gewannen neue "Gläubige" oftmals mit dem Versprechen, sie in Straffällen und Streitigkeiten zu unterstützen. In chinesischen Augen gewährten sie dabei nicht nur "Reischinesen" (d.h. Leuten, die um materieller Vorteile willen übertraten) sondern auch Banditen und Gesindel Unterschlupf.

Als der ausländische Handel (Import) um 1897 verstärkt die einheimischen Erzeugnisse verdrängte, wurden viele Menschen erwerbslos. Das betraf besonders die Bereiche Heimweberei und die Spinnerei, wo viele Menschen arbeiteten und erklärt, warum die Boxer fremde Maschinen wie technische Einrichtungen blindlings zerstörten. Im Transportwesen sah die Lage ebenso aus, da die Kanalschiffahrt gegen die Eisenbahn chancenlos war.

Gesandtschaftsviertel kurz vor dem Boxeraufstand

Dazu kamen Hungersnöte aufgrund von Überschwemmungen und Heuschreckenplagen in Shandong 1899. Im folgenden Jahr 1900 verzeichnete man eine Trockenheit in Nordchina. Der Staat, der im 19. Jahrhundert aufgrund von Überbevölkerung, Korruption und ausländischer Einmischung zerfiel, war längst nicht mehr in der Lage, die soziale Not abzufedern und die Boxer erhielten massenhaft Zulauf.

Die Boxer profilierten sich so als eine Bewegung, die Christianisierung ablehnte und die chinesische Kultur und Traditionen durch die Industrialisierung untergehen sah. So z.B. sah man in dem Rost, der von den Telegraphenleitungen tropfte, das Blut der Geister. Überhaupt hielten sich die Boxer aufgrund taoistischer Praktiken und Amulette für unverwundbar.

Die Kaiserinwitwe Cixi (Tzu-Hsi) und ein Teil ihrer Regierung unterstützten die Boxer stillschweigend gegen die Ausländer im Land. Das taten sie a) aus Fremdenhass, und b) damit sich die Wut der "Boxer" gegen die Ausländer und nicht gegen ihre geschwächte Dynastie richtete. In manchen Provinzen (z.B. Shandong) wurden die Boxer auf Aufforderung der Regierung in Milizeinheiten organisiert, trugen Banner mit der Aufschrift "Unterstützt die Qing-Dynastie (Mandschu-Dynastie) und vernichtet die Fremden."

Der Boxeraufstand

Am 11. Januar 1900 erlaubte Kaiserinwitwe Cixi (Tzu-Hsi), die Regentin Chinas, die Boxerbewegung. Wenn friedliche und gesetzestreue Menschen ihre Fertigkeiten in mechanischen Künsten üben, um sich und ihre Familien zu erhalten, steht das im Einklang mit dem Prinzip: „Auf der Hut sein und sich gegenseitig helfen.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte die Boxerbewegung allerdings schon die Hauptstadt und die sie umgebende Provinz erfasst, der Preis für Messer verdoppelte sich.

Der Beginn des Aufstandes wird auf den 18. Mai gelegt, als die Boxer in mehreren Provinzen gleichzeitig mit dem Marsch auf Peking begannen, was zu Unruhen führte, die über 70 Menschenleben forderten. Als eine der ersten Maßnahmen hatten sie am 27. Mai die Bahnlinie dahin unterbrochen und sämtliche Telegraphenleitungen gekappt. Trotzdem kam am 9. Juni eine letzte Nachricht durch und unterrichtete Admiral Seymour über den Ernst der Lage in der Hauptstadt.

Am 10. Juni marschierte ein 2066 Mann starkes britisches Expeditionskorps von Tientsin los, um die Gesandtschaften zu schützen. Sie wurden von den Boxern aufgehalten (14.-18. Juni) und kehrten um. Am 13. Juni rückten Boxer-Einheiten in Peking ein. Die Boxer folterten, töteten und brandschatzten (13. Juni, im Westteil der Stadt). Die rund 473 Ausländer, 451 Soldaten und über 3000 Chinesenchristen wurden mit dem Tode bedroht und zogen sich in das Gesandtschaftsviertel zurück.

Angesichts dieser Situation stellten die alliierten Truppen ein Ultimatum zur Übergabe der stark befestigten chinesischen Taku-Forts am Peiho-Fluss. Am 17. Juni, 75 Minuten vor Ablauf des Ultimatums eröffneten die Chinesen das Feuer. Die Explosion eines Pulvermagazins führte zur Eroberung des Forts.

Auf eine gefälschte Depesche hin (die allerdings dem Text einer britischen Zeitung ähnelte und die Forderung nach ihrer Abdankung und der Wiedereinsetzung Guang Xus enthielt, 19. Juni) erklärte Cixi am 20. Juni den Krieg und setzte einen Kopfpreis auf jeden getöteten Fremden aus, gleichgültig ob Mann, Frau oder Kind. Am 20. Juni wurde auch der Gesandte der deutschen Reichsregierung, Baron Klemens von Ketteler, in Peking auf offener Straße von einem Fanatiker ermordet.

Zwar lehnten mehrere hochrangige Chinesen (Vizekönige und Gouverneure, allen voran Jung Lu) das Verhalten der Kaiserinwitwe ab, doch der Aufstand ging weiter. Vorwiegend Botschaftsangehörige und chinesische Christen verschanzten sich im Diplomatenviertel, die britische Botschaft wurde zur Kommandozentrale der rund 500 Bewaffneten, denen rund 20.000 Chinesen gegenüberstanden.

Ausländische Truppen in der Verbotenen Stadt in Peking

Reguläre Truppen beteiligten sich auch an der Belagerung des Gesandtschaftsviertels durch die Boxer. Allerdings weigerte sich Jung Lu, der Oberbefehlshaber der Beiyang-Armeen, die (Krupp)-Artillerie herauszugeben, was den Eingeschlossenen fraglos das Leben rettete. Am 27. Juli entsandte auch Deutschland gemeinsam mit anderen Staaten ein schlagkräftiges Expeditionskorps nach China. Am 4. August marschierte dann die ca 20.000 Mann starke alliierte Truppe von Tientsin aus auf Peking: Deutsche, Engländer, Franzosen, Russen, Amerikaner, Japaner, Österreicher und Italiener.

Das Expeditionskorps erreichte am 13. August 1900 Peking, an dem Tag, als die Boxer das Diplomatenviertel stürmen wollten. Peking fiel bereits am folgenden Tag. Am 15. August flohen die Kaiserinwitwe und ihr Rat aus Peking nach Sian/Shaanxi, begaben sich auf „Inspektionsreise“. Peking wurde von den Alliierten drei Tage lang geplündert, wozu sich auch hochrangige Europäer nicht zu schade waren. Dabei zerschlugen z.B. die Russen alle Buddhafiguren, da sie laut Legende je ein Goldstück enthalten sollten.

Insgesamt fielen 231 Ausländer und viele tausend christianisierte Chinesen den Boxern zum Opfer.

Nach dem Aufstand - Das Boxerprotokoll

Am 27. September 1900 erhielt der Befehlshaber des deutschen Expeditionskorps, Feldmarschall Alfred Graf von Waldersee, den Oberbefehl über die alliierten Streitkräfte und unternahm kleinere Aktionen gegen flüchtige Aufständische und versprengte Boxer-Einheiten.

Die Unterschriften des Protokolls vom 7. September 1901

Hunderte Aufständische wurden von den Alliierten als auch von den Chinesen hingerichtet. Der amerikanische Kommandant vermerkte zudem: "Man kann mit Sicherheit sagen, dass auf einen wirklichen Boxer, der getötet wurde, fünfzig harmlose Kulis und Landarbeiter, unter ihnen nicht wenige Frauen und Kinder, kamen, die erschlagen wurden."

Analog dazu hat Russland 200.000 Soldaten in die Mandschurei einrücken lassen, angeblich um die Boxer zu bekämpfen. Sie waren am 23. Juli in Aigun und am 1. Oktober in Mukden. Am 16. Februar 1901 wurde diesbezüglich ein Vertrag geschlossen, in dem Sinne, daß China die Mandschurei behielt, die russischen Truppen aber zum Schutz der Eisenbahn ("railway guards") im Land blieben.

Mit Jung Lu, dem Oberbefehlshaber der Beiyang-Armeen, übernahm am 11. November ein gemäßigter Politiker den Vorsitz im Großen Rat der Kaiserinwitwe und kam den Alliierten entgegen. Am 10. Januar 1901 akzepierte China das von den Siegermächten diktierte Friedensabkommen, das beinhaltete, dass

  • Aufständische zu bestrafen seien (viele Todesurteile wurden verhängt),
  • China Reparationen in Höhe von 1,4 Milliarden Goldmark bis 1940 (70 Millionen Pfund Sterling) und
  • Entschädigungen an betroffene Ausländer zu zahlen hatte,
  • keine Waffen gekauft und eingeführt werden durften,
  • ausländische Militärstützpunkte zugelassen werden mussten,
  • die Aufwertung der Gesandtschaft akzeptiert werden musste,
  • kein Chinese Mitglied einer ausländerfeindlichen Organisation sein durfte (unter Androhung der Todesstrafe),
  • Russland das Protektorat über die Mandschurei erhielt.
  • der Kotau (tiefe Verbeugung, Ehrenbezeigung) für ausländische Diplomaten abgeschafft wurde (tiefe Demütigung, zusammen mit einer Militärparade in der verbotenen Stadt, die nur für chinesische Beamte geöffnet war)
Prinz Chun bei seinem Besuch in Berlin

Ein weiterer als Demütigung empfundener Punkt war, dass Prinz Chun von der Kaiserfamilie sich persönlich in Berlin für den Gesandtenmord an Ketteler entschuldigen musste. (Übrigens wurde auch der Kanzler der japanischen Gesandtschaft ermordet, von Cixis Gardisten aus Kansu.)

Literatur

  • Peter Fleming: Die Belagerung zu Peking. Zur Geschichte des Boxer-Aufstandes. Eichborn, Frankfurt 1997 ISBN 3-8218-4155-9
  • Egbert Kieser: Als China erwachte. Der Boxeraufstand. Bechtle, Esslingen 1984 ISBN 3-7628-0435-4
  • Diana Preston: Rebellion in Peking. Die Geschichte des Boxeraufstands. DVA, Stuttgart 2001 ISBN 3-421-05407-X


Siehe auch: Liste von Kriegen, Liste von Schlachten