Lehrstück (Theater)
Als Lehrstück werden im engeren Sinne Dramen von Bertolt Brecht bezeichnet, die eher der Schulung der Spieler als der Belehrung eines Publikums dienen. Der Übergang von einem Lehrstück im engeren Sinn zu einem auch das Publikum belehrenden Stück ist dabei fließend.
Konzeption
Das Lehrstück ist ein Versuch innerhalb des epischen Theaters nach Bertolt Brecht, eine pädagogische Dramatik zu entwickeln. Dabei folgt Brecht dem Grundsatz: „Zwischen der wahren Philosophie und der wahren Politik ist kein Unterschied. Auf diese Erkenntnis folgt der Vorschlag des Denkenden, die jungen Leute durch Theaterspielen zu erziehen.“[1] Brecht geht also als Kommunist davon aus, dass es eine „objektiv richtige“ Sicht der gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus gebe, die durch „Erziehung“ zu vermitteln sei.
Der Begriff „Lehrstück“ impliziert Brecht zufolge die Frage: Was soll gelehrt bzw. gelernt werden und von wem soll gelernt werden? „Das Lehrstück lehrt dadurch, daß es gespielt, nicht dadurch, daß es gesehen wird.“, ein Publikum könne jedoch auch „verwertet werden“, schreibt Brecht[2]. Die Spielenden, nicht die Zuschauer, müssten „durch die Durchführung bestimmter Handlungsweisen, Einnahme bestimmter Haltungen, Wiedergabe bestimmter Reden“ eine gesellschaftskritische Reflexion erlernen. Im Übrigen gelte es, die starre Trennung zwischen Spielenden und Zuschauenden aufzubrechen.
1956 untersagte Brecht die Aufführung seines Lehrstücks Die Maßnahme vor dem Publikum der Kammerspiele in Uppsala mit der folgenden Begründung: „Aufführungen vor Publikum rufen erfahrungsgemäß nichts als moralische Affekte für gewöhnlich minderer Art beim Publikum hervor. Ich gebe daher das Stück seit langem nicht für Aufführungen frei.“[3]
Lehrtheater ist für Brecht lustvolles, fröhliches und kämpferisches Lernen, denn „Theater bleibt Theater, auch wenn es Lehrtheater ist, und soweit es gutes Theater ist, ist es amüsant.“
Lehrstücke Brechts
Die folgenden fünf Stücke hat Bertolt Brecht selbst als Lehrstücke im engeren Wortsinn bezeichnet:[4]
- Das Badener Lehrstück vom Einverständnis
- Der Jasager/Der Neinsager
- Die Maßnahme
- Die Ausnahme und die Regel
- Die Horatier und die Kuriatier
Daneben wandte er gelegentlich die Gattungsbezeichnung Lehrstück auch auf Dramen wie Die Mutter an, in die Elemente des Lehrstücks im engeren Sinn eingeflossen sind.
Kritik an Brecht
Brecht beschreibt die Situation in seinem Lehrstück Die Maßnahme mit den folgenden Worten: „Um nun dem Gericht die Notwendigkeit dieser Maßnahme der Erschießung eines Genossen zu beweisen, zeigen sie [vier kommunistische Agitatoren], wie sich der junge Genosse in den verschiedenen politischen Situationen verhalten hat.“[5]
Durch diese Formulierung zeigt Brecht, dass er bereit war, sein episches Theater in den Dienst des stalinistischen Terrors zu stellen, der die „Liquidierung von Schädlingen“ als „notwendig“ rechtfertigte.
Literatur
- Werner Hecht (Hrsg.): Bertolt Brecht: Schriften Über Theater. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1977.
- Werner Mittenzwei: Die Spur der Brechtschen Lehrstück-Theorie. In: Werner Hecht: Brechts Theorie des Theaters. suhrkamp taschenbuch, Frankfurt/Main 1986, S. 183-213
Einzelnachweise
- ↑ Bertolt Brecht: Theorie der Pädagogien. In: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Band 17: Schriften zum Theater 3. Suhrkamp. 1967. S.1022
- ↑ Bertolt Brecht: Zur Theorie des Lehrstücks. In: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Band 17: Schriften zum Theater 3. Suhrkamp. 1967. S.1024
- ↑ zitiert nach Benedikt Descourvières: Erkennen - Urteilen - Handeln. Anfänge der Theaterpädagogik in Bertolt Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“
- ↑ Bertolt Brecht: Anmerkung zu den Lehrstücken. In: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Band 17: Schriften zum Theater 3. Suhrkamp. 1967. S.1034f.
- ↑ Bertolt Brecht: Das Lehrstück „Die Maßnahme“. In: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Band 17: Schriften zum Theater 3. Suhrkamp. 1967. S.1034