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Ernst Polak

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Ernst Polak (bis 1938: Pollak;[1] * 4. August 1886 in Jitschin; † 21. September[2] 1947 in London) war ein österreichischer Literaturkritiker und Literaturagent.

Familie

Ernst Polak war der Sohn eines zweisprachigen jüdischen Kaufmanns für Edelsteine und dessen deutscher Ehefrau Regina Schwenk (1858–1943 KZ Theresienstadt).[3] Polak sprach mit seiner Mutter deutsch und mit seinem Vater tschechisch. Seine Eltern hatten des Weiteren drei Töchter, nämlich Elisa, Frederike und Grete. Der Großvater väterlicherseits arbeitete als Lehrer in Hermannstädel. 1897 übersiedelte die Familie aus politischen und wirtschaftlichen Gründen von Jitschin nach Prag.

Leben

Prag 1897–1918

In Jitschin hatte Ernst Polak vier Jahre lang die deutsche Volksschule sowie die erste Klasse des Gymnasiums besucht. In Prag wurde Polak ein Schüler des k.u.k Staats-Obergymnasiums in der Neustädter Stephansgasse. Im Anschluss an das Untergymnasium ging Polak bis zum Jahr 1903 zur deutschen Handelsschule, die er mit dem Abitur beendete. Danach arbeitete er in der Glasfabrik seines Onkels. Am 8. Januar 1906 trat Polak als Fremdsprachenkorrespondent für die Prager Filiale der Österreichischen Länderbank ein.

Stammgast war Ernst Polak im Café Arco in der Altstadt (Ecke Plaster-/Hybernergasse), wo er mit Autoren über deren entstehenden Werke diskutierte: Um den Kritiker Willy Haas hatte sich ein literarischer Kreis gebildet, dem auch Paul Kornfeld, Max Brod, Franz Werfel und die Brüder Franz und Hans Janowitz angehörten.[4] Seit 1908 besuchte Franz Kafka das Café Arco, wenngleich nicht regelmäßig. Auch der damals schon bekannte Paul Claudel zählte zu den Gästen des Cafés, wogegen Franz Polak auf den noch unbekannten André Gide und dessen Nouvelle Revue Française setzte.[5] In der Zeit von 1911 bis 1912 veröffentlichte Ernst Polak in den Herder-Blättern, die Willy Haas herausgab.[6] Über die Kontakte von Haas konnte Ernst Polak schon 1913 zu den Festspielen nach Hellerau reisen.

Das Kennenlernen von Ernst Polak und Milena Jesenská beschreibt Hartmut Binder: „Als Polak im Sommer 1916 Max Brod bei der Zusammenstellung einer tschechischen Gedichtauswahl behilflich war, die Franz Pfemfert für eine Publikation der Aktion in Auftrag gegeben hatte, gesellte sich Milena dazu, und es kam zu einer Liaison. Da Milena kein Deutsch konnte, sprach man tschechisch miteinander..." [7]

Zu dieser Zeit wohnte Ernst Polak in der Gottwaldstraße 2, also an der Rückseite des Nationaltheaters. In der Wohnung trafen sie sich, und im März 1918 heirateten Polak und die noch minderjährige Jesenská. Das Ehepaar musste nach Wien ziehen, um eine Bedingung des Vaters der Braut zu erfüllen.

Wien 1918–1938

Von März bis Mitte Mai 1918 wohnten Ernst Polak und Milena Jesenská-Polak – wie sie sich nach ihrer Heirat nannte – zunächst in einem möblierten Zimmer, Nußdorferstraße 14. Zum 16. Mai 1918 bezogen sie eine Wohnung in der Lerchenfelderstraße 113 im Wiener Gemeindebezirk Neubau.[8] Seit dem 21. März 1918 arbeitete Polak als Devisenhändler bei der Länderbank und verkehrte im Wiener Café Herrenhof, seine Frau war als Übersetzerin tätig und übersetzte für Franz Kafka einige Texte aus dem Deutschen ins Tschechische.[9] Die Ehe, die sich zu der Zeit schon in einer Krise befand, wurde 1924 geschieden.[10] Auch nach der Scheidung blieb Ernst Polak bis 1935 in der Wohnung in der Lerchenfeldstraße. In seinen letzten Wiener Jahren lebte er mit der ungarischen Klavierlehrerin Ilona Voorm zusammen. Sie hatte an Konservatorien in Warschau und Moskau studiert; nach ihrer Emigration in die USA war sie eine Kollegin des Komponisten Bela Bartok. [11]

1925 ließ Ernst Polak sich als Prokurist der Länderbank pensionieren, holte 1928 in Mödling seine Matura nach und studierte bis 1932 die Fachgebiete Germanistik und Philosophie an der Universität Wien. 1932 wurde Polak bei Moritz Schlick mit der Dissertation Kritik der Phänomenologie durch die Logik zum Dr. phil. promoviert, in der er Edmund Husserl „mit Hilfe der Logik am Zeug geflickt“ hat.[12] Ernst Polak gehörte Schlicks philosophischem Seminar an, wodurch er Kontakt zum Wiener Kreis hatte.

Nach 1933 war Polak Lektor für die Verlage Piper und Bermann-Fischer und beteiligte sich später am Aufbau des Humanitas-Verlags in Zürich.

London 1938–1947

Nach dem „Anschluss“ Österreichs musste Ernst Polak 1938 über die Tschechoslowakei nach England emigrieren, wo er in London Tätigkeiten als Lektor und Literaturagent übernahm. Hier traf er u.a. auch Hilde Spiel, die Polak bereits aus der Zeit im Café Herrenhof kannte, wo sie am Tisch „des so klugen wie witzigen Pragers [...] zugelassen“ war.[13] „In London war er ohne das Café Herrenhof verwaist“,[14] war aber „als einstiger Freund Kafkas [...] fast selbst eine Kultfigur.“ [15] In England heirateten Ernst Polak und Delphine Reynolds (wiederverheiratete Delphine Trinick). [16]

Literaturkritiker

Ernst Polak erkannte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die jeweilige literarische Bedeutung der Autoren Franz Kafka, Italo Svevo und Ivan Cankar.

Ernst Polak veröffentlichte von 1927 bis 1931 unter dem Pseudonym Schwenk, dem Namen seiner Mutter, eine Reihe von Rezensionen in Der Literarischen Welt. Diese Wochenzeitung hatten Willy Haas und Ernst Rowohlt 1925 in Berlin gegründet. 1930 half Polak dem Schriftsteller Hermann Broch als Berater sowie bei der Suche nach einem Verlag für dessen Romantriologie Die Schlafwandler, so auch beim Rhein-Verlag des Verlegers Daniel Brody.[17] Beratend, zum Teil lektorierend, war er ebenfalls tätig für Werfels Höret die Stimme und Der veruntreute Himmel sowie beim Erinnerungsbuch an Gustav Mahler, das Alma Mahler-Werfel verfasste. Daneben schrieb er auch noch für den Querschnitt und war Feuilletonkorrespondent der Hamburger Nachrichten.

Friedrich Torberg berichtete über Ernst Polak, der damals für den Humanitas-Verlag Zürich tätig gewesen war und Torbergs Roman Abschied – erschienen 1937 – an den Verlag vermittelte, wie folgt:

„An einem der folgenden Nachmittage erwartete mich Ernst Polak, den ‚Abschied‘ vor sich auf dem Tisch, im Café Herrenhof. In banger Erwartung setzte ich mich ihm gegenüber, sah ihn das Monokel einklemmen und das Buch aufschlagen, welches vollständig ‚Abschied, Roman einer ersten Liebe‘ hieß, als Motto ein Zitat aus einem Gedicht von Hölderlin trug und meinem väterlichen Freund Max Brod gewidmet war. ‚Der Titel‘, hob Ernst Polak an, ‚ist nicht schlecht.‘ Er blätterte weiter und deutete auf das Hölderlin-Zitat. ‚Das hier ist sogar hervorragend. Hier‘ – er war bei der Widmung an Max Brod angelangt – ‚wird's schon etwas schwächer. Und der Rest taugt überhaupt nichts.‘ Damit klappte er das Buch wieder zu.“ [18]

Hartmut Binder nennt Ernst Polak zwar einen Literaten ohne Werk, hebt aber dann hervor "...seine Rolle als Freund, Berater und literarischer Agent österreichischer Schriftsteller und belletristischer Verlage, seine Bedeutung als Integrationsfigur der wichtigsten Kaffeehauszirkel in Prag und Wien." [19]

Nachlass

Der Nachlass von Ernst Polak, den Hartmut Binder Anfang April 1977 bei der zweiten Ehefrau Delphin Trinick, verw. Polak, ausfindig gemacht hatte, befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach. [20]

Rezeption

Franz Werfel

Ernst Polak und Franz Werfel waren seit Prag miteinander befreundet. Alma Mahler-Werfel schreibt in ihrer Biografie über die lebenslange Freundschaft:

„Franz Werfel brachte einige Freunde aus der Schulzeit mit ins Leben. Zu seinen engsten Freunden und Beratern zählte Ernst Polak, ein sehr feiner und ein feinsinniger Literat, mit dem er stundenlang diskutierte und seine Werke durchsprach.“ [21]

Franz Werfel behandelt in seinem Werk den Generationenkonflikt als sein zentrales Thema – so auch in der Novelle Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920). Werfel hat den Konflikt immer wieder vor dem Hintergrund der griechischen Mythologie gesehen, den Konflikt zwischen Laios (Vater) und Ödipus (Sohn). Norbert Abels kommt zu der Aussage:

„Werfels Freund Ernst Polak hat in diesem Sinn das Auftauchen des Ödipuskomplexes und der Vaterimago am Ende des 19. Jahrhunderts als Verfallsphänomen der patriarchalen Hierarchie der Herrschenden gedeutet. Im Vater-Sohn-Konflikt hat Freud bereits in der Traumdeutung von 1900 einen literarischen Topos von unwiderstehlicher Anziehungskraft gesehen. Immer wieder tritt der Vater auf als Träger einer mysteriösen, unüberwindlichen Autorität.“ [22]
Franz Kafka

Klaus Wagenbach hat bereits 1964, dem Jahr der Erstausgabe seiner Darstellung von Franz Kafka, in einer Analyse der Entstehungsbedingungen des Romans Das Schloss sogenannte Realitätspartikel aufgezeigt, die auf Milena Jesenská und Franz Polak hinweisen. Neben Kafkas eigener Paria-Situation und seiner Liebe zu Milena war es Polaks intensive, auch außergewöhnliche Lebensweise, die im Protagonisten Klamm literarisch verarbeitet wurden. Wagenbach schreibt:

„Manche Züge des Mannes, Ernst Polak [...], sind in die Figur des Klamm (ein Name, den Kafka offenbar aus einem Wortspiel mit dem Vornamen Ernst, das er schon den Briefen verwandte, ableitete) eingegangen, auch die Konstellation der Liebe: durch Frieda, die sich niemals ganz von Klamm lösen kann, versucht der Landvermesser seßhaft zu werden. Und schließlich, sehr deutlich, der ‚Herrenhof’, gleichzeitig ein Café in Wien (von den Literaten auch ‚Hurenhof’ genannt), in dem sich Ernst Polak mit Franz Werfel, Otto Pick, Egon Erwin Kisch und Otto Groß [sic!] zu treffen pflegte.“ [23]

Literatur

  • Wilhelm Sternfeld, Eva Tiedemann: Deutsche Exil-Literatur 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie. Mit einem Vorwort von Hans W. Eppelsheimer. 2. Auflage. L. Schneider, Heidelberg 1970.
  • Elisabeth Lebensaft und Viktor Suchy. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 8, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1983, ISBN 3-7001-0187-2, S. 167.
  • Rudolf M. Wlaschek: Biographia Judaica Bohemia. Dortmund 1995, ISBN 3-923293-47-X (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund, hrsg. von Johannes Hoffmann, Reihe B, Band 52).
  • Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Hrsg.: Österreichische Nationalbibliothek, Wien. K. G. Saur, München 2002, ISBN 3-598-11545-8 (Band 2) S. 1049.
  • Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 366-415.
  • Dieter Sulzer: Der Nachlass von Ernst Polak im Deutschen Literaturarchiv. Bericht, Verzeichnis und Edition von Briefen Polaks, Werfel und Brochs. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 514-548.

Einzelnachweise

  1. Jürgen Born, Michael Müller (Hrsg.): Franz Kafka. Briefe an Milena. Fischer, Frankfurt am Main 1983, S. 325. (Polak ist die tschechische Schreibweise.)
  2. Im Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert und im Nachruf von W. Sternfeld im Aufbau (siehe Weblinks) wird als Sterbetag der 20. September angegeben.
  3. Regina Pollakova, geb. Schwenkova The Central Database of Shoah Victims' Names (hier mit Geburtsjahr 1855)
  4. Jürgen Born, Michael Müller (Hrsg.): Franz Kafka. Briefe an Milena. Fischer, Frankfurt am Main 1983, S. 331.
  5. Norbert Abels: Franz Werfel. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002 (1990), S. 23f.
  6. Richard Faber u. Barbara Naumann: Literatur der Grenze. Theorie der Grenze. Königshausen u. Neumann, Würzburg 1995, S. 77.
  7. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 382.
  8. Jürgen Born, Michael Müller (Hrsg.): Franz Kafka. Briefe an Milena. Fischer, Frankfurt am Main 1983, S. 332. (Hier ist die Adresse offensichtlich irrtümlich dem angrenzenden Bezirk Josefstadt zugeordnet.)
  9. Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 123.
  10. Radio Praha: Milena Jesenska. (englisch)
  11. George Butler
  12. Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. 3. Aufl. List, München 1989, ISBN 3-471-78632-5, S. 80.
  13. Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. 3. Aufl. List, München 1989, ISBN 3-471-78632-5, S. 67.
  14. Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. 3. Aufl. List, München 1989, ISBN 3-471-78632-5, S. 182.
  15. Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. 3. Aufl. List, München 1989, ISBN 3-471-78632-5, S. 198.
  16. Dieter Sulzer: Der Nachlass von Ernst Polak im Deutschen Literaturarchiv. Bericht, Verzeichnis und Edition von Briefen Polaks, Werfel und Brochs. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S.514.
  17. Paul Michael Lützeler (Hrsg.): Freundschaft im Exil: Thomas Mann und Hermann Broch. Klostermann, Frankfurt am Main 2004, S. 99.
  18. Friedrich Torberg: Die Erben der Tante Jolesch. DTV, München 1981, S. 63.
  19. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 366.
  20. Dieter Sulzer: Der Nachlass von Ernst Polak im Deutschen Literaturarchiv. Bericht, Verzeichnis und Edition von Briefen Polaks, Werfel und Brochs. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S.514.
  21. Alma Mahler-Werfel: Mein Leben. Biographie. Fischer, Frankfurt am Main 2002 (EA 1963), S. 120.
  22. Norbert Abels: Franz Werfel. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002 (EA 1990), S. 54–56.
  23. Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978 (Erstausgabe 1964), S. 131.
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