Studentenlied
Studentenlieder sind Lieder, die von Studenten bei studentischen Freizeitveranstaltungen – manchmal mit Musikbegleitung – gemeinschaftlich gesungen wurden und werden.

Geschichte
Wahrscheinlich gibt es in Europa Studentenlieder, seit sich im Mittelalter eine Studentenschaft als in sich geschlossene soziale Gruppe bildete. Eigentliche Studentenlieder sind aus dem Mittelalter aber nicht überliefert. Es gibt eine gewisse Zahl von lateinischen Gedichten und Liedern, die wohl von akademisch gebildeten Menschen in Klöstern oder an Bischofshöfen verfasst wurden und die durch die in ihnen zum Ausdruck gebrachte Lebensfreude thematisch den Studentenliedern nahe stehen.
Im 18. Jahrhundert werden in Deutschland "Studentenlieder" als solche greifbar und erscheinen im Druck. Dabei werden auch alte lateinische Textspuren aus dem Mittelalter wieder sichtbar. Die Autoren der damaligen Zeit sammeln und überarbeiten hauptsächlich. Diese frühen, meist mündlich überlieferten und oft improvisierten Lieder haben einfache Texte und eingängige Melodien.
Im 19. Jahrhundert setzt eine neue Phase ein. Anerkannte, aber auch weitgehend unbekannte Autoren verfassen Lieder zu studentischen Themen, allerdings meist im höheren Alter in einer Art Rückblick auf ihre Jugendzeit. Texte und Melodien werden kunstvoller, aber auch künstlicher. Der Trend geht dahin, das Studentenleben in den Liedertexten zu romantisieren, ja teilweise zu verkitschen. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickeln sich auch Lieder mit politischem Inhalt. Das offene Bekenntnis zu studentischen Sitten und Gebräuchen, die damals noch als jugendliche Unsitten betrachtet wurden, galt jedoch als unschicklich und wenig karrierefördernd, so dass anonyme Veröffentlichungen die Regel waren.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wird die Pflege der traditionellen studentischen Kultur zunehmend von den Studentenverbindungen übernommen, zu deren Erkennungszeichen das Studentenlied wird. Nach Aufhebung der Karlsbader Beschlüsse 1848 etablieren sich die Studentenverbindungen als gesellschaftlich anerkannte außerfachliche Erziehungseinrichtungen an den Universitäten. Anerkannte Dichter und Komponisten können sich jetzt mit dem Thema beschäftigen und sich durch die Schaffung von studentischem Liedgut profilieren, was auch geschieht.
Eine ganze Industrie für studentische und akademische Memorabilia entsteht. Grafiken, Kunstpostkarten und Romane beschäftigen sich mit der (verbindungs)studentischen Kultur, wobei nicht selten auf das Studentenlied als Stichwortgeber zurückgegriffen wird. Studentenlieder liefern sehr häufig die Titel von Bildern und Büchern, ab den 1920er bis in die 1950er Jahre sogar von Kinofilmen.
Heute wird das traditionelle studentische Liedgut in Deutschland fast nur noch in Studentenverbindungen gepflegt und gesungen. Außerhalb der traditionsorientierten Studentenverbindungen werden die althergebrachten Texte und Melodien jedoch als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Dies entspricht dem gebrochenen Verhältnis das viele Menschen am Beginn des 21. Jahrhunderts auch zu den traditionellen deutschen Volksliedern haben.
Themen
Die Lieder behandeln in ihren Texten traditionell Themen, die junge Männer bewegen, die ihrem Elternhaus zumindest für eine gewisse Zeit entkommen konnten. Typisch für diese soziale Gruppe sind die in früheren Jahrhunderten unübliche individuelle Freiheit und Ungebundenheit sowie eine besonders ausgeprägte Lebenslust. Das spiegelt sich wider in den Themen: Feiern (Essen, Trinken, Rauchen), Liebe/Sexualität sowie Freude an der Natur und ihren Jahreszeiten.
Bei gewissen Themen bestand ein fließender Übergang zwischen Studenten- und Volkslied. Auch Soldatenlieder hatten – aufgrund der Biographien vieler Studenten – Einfluss auf das Studentenlied. Die später entstandenen und im studentischen Gebrauch verwendeten Landsknechtslieder sind jedoch eher historisierenden Ursprungs und hiervon abzugrenzen.
Auch trugen fachspezifische Ausbildungsstätten wie Forst- und Bergakademien entsprechendes traditionelles Liedgut bei, so dass bis heute Bergmanns- und Jägerlieder zum Repertoire der Kommersbücher gehören.
An Technischen Universitäten hat sich bis heute eine gewisse Nähe zu den Liedern der Handwerksgesellen gehalten. Während das Verhältnis von Studenten und Handwerksburschen an den wissenschaftlichen Hochschulen sehr feindselig war, standen die Studenten an den neuen polytechnischen Hochschulen des 19. Jahrhunderts dieser Kultur näher, was auch zu einem Austausch von Liedgut führte.
Ab etwa 1800 wurden die studentischen Traditionen an deutschen Hochschulen zunehmend von den Studentenverbindungen im heutigen Sinne gepflegt und weiterentwickelt. Das führte dazu, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der allgemeinstudentischen Kultur die Kultur der Studentenverbindungen wurde. Diese Verbindungen verloren ab etwa 1848 den Nimbus der verbotenen Zusammenschlüsse von ungehorsamen Jugendlichen und wurden zu etablierten Institutionen der außerwissenschaftlichen Erziehung der Studenten. Durch die Bildung von Altherrenschaften, also den Organisationen der nicht mehr studierenden Mitglieder, entstand eine neue Art von Studentenlied, die mehr aus dem Alter auf die „schöne Jugendzeit“ zurückblickte (O alte Burschenherrlichkeit).
Durch diese zunehmenden Kontakte zum Bildungsbürgertum entwickelten sich auch neue Themen im Studentenlied. Besonders typisch ist dabei eine Liedform, die sich in scherzhafter Form mit historischen Themen auseinander setzte. Berühmtester Dichter dieser Liedgattung war Joseph Victor von Scheffel.
Seit den Befreiungskriegen und besonders nach der Reichsgründung 1871 wurden „vaterländische“ Lieder, also Lieder über die deutsche Nation und ihre Wehrhaftigkeit zu beliebten Liedern deutscher Studenten. Sie wurden zum festen Programmpunkt feierlicher studentischer Veranstaltungen.
Überlieferung

Die ältesten Lieder sind mit Sicherheit oft improvisiert und mündlich überliefert worden. Im Druck (Kommersbuch) erschienen Studentenlieder zum ersten Mal im Jahre 1781. In diesem Jahr gab Christian Wilhelm Kindleben sein Buch "Studentenlieder - Aus den hinterlassenen Papieren eines unglücklichen Philosophen Florido genannt, gesammlet und verbessert von C.W.K." heraus. Es enthält 64 Lieder, von denen die meisten heute vergessen sind. Kindleben hatte diese Lieder gesammelt, bearbeitet und kommentiert. In diesem Buch veröffentlichte Kindleben auch die heute gebräuchliche Fassung von Gaudeamus igitur.
Das Allgemeine Deutsche Kommersbuch wurde 1858 zum ersten Mal herausgegeben und erlebte im Januar 2004 die 162. Auflage. Mit diesem Buch wurde eine verbindliche und standardisierte Sammlung von Studentenliedern geschaffen, deren Definition von "Studentenlied" bis heute Gültigkeit hat. Heute sind Kommersbücher von den Kneipen der Studentenverbindungen nicht mehr wegzudenken.
Die heute von Studentenverbindungen verwendeten Kommersbücher beinhalten hauptsächlich Lieder, die im 19. Jahrhundert oder dem ausgehenden Kaiserreich entstanden sind, einige wenige stammen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Lieder aus den späteren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts haben bisher keine Aufnahme in den traditionellen Kanon der Kommersbücher gefunden.
Die FDJ, die Jugendorganisation der DDR, versuchte 1987 aus Anlass des 170. Jubiläums des Wartburgfestes, an die Tradition des Studentenliedes anzuknüpfen, und gab aus diesem Anlass ein Liederbuch heraus, das traditionelle Studentenlieder und Lieder der FDJ verband.
Studentische Liedgattungen
Vagantenlieder des Mittelalters
Vagantendichtung bezeichnet die mittelalterliche weltliche Lyrik, die oft (aber nicht ausschließlich) von reisenden Klerikern und Scholaren stammt. Allgemein bekannt sind noch die Lieder des "Codex Buranus", die so genannten Carmina Burana, die durch Carl Orffs Vertonungen von 1937 populär wurden.
So stammen aus frühen mittelalterlichen Quellen Bestandteile des Liedes Gaudeamus igitur. International verbreitet ist die Fassung, die von Christian Wilhelm Kindleben im Jahre 1781 schriftlich festgehalten wurde.
- Gaudeamus igitur
- |:Gaudeamus igitur, iuvenes dum sumus:|
- Post iucundam iuventutem, post molestam senectutem
- |:Nos habebit humus:|.
- Deutsch:
- Lasset uns fröhlich sein, solange wir noch jung sind.
- Nach der angenehmen Jugendzeit und nach dem beschwerlichen Alter
- Wird uns die Erde zu sich nehmen.
Weniger bekannt, aber noch in jedem heutigen Kommersbuch verzeichnet, ist das Lied "Meum est propositum", das in den Carmina Burana aufgeführt ist und auf einen Textbestandteil der "Vagantenbeichte" ("Aestuans intrinsecus ira vehementi") zurückgeht, die von dem mittelalterlichen Dichter Archipoeta vermutlich um 1163 in Pavia als Beichte über sein verlottertes Leben verfasst worden ist. Der Verfasser, vermutlich ein ehemaliger Medizinstudent, arbeitete als Auftragsdichter für den Kölner Erzbischof Rainald von Dassel.
- Meum est propositum
- Meum est propositum in taberna mori
- Ubi vina proxima morientis ori.
- Tunc cantabunt laetius angelorum chori:
- Deus sit propitius isti potatori, isti potatori.
- Deutsch:
- Mein Vorsatz ist es, in der Schenke zu sterben,
- Wo der Wein dem Munde des Sterbenden nahe ist;
- Freudiger werden dann die Chöre der Engel singen:
- "Gott sei diesem Trinker, diesem Trinker gnädig."
- (Archipoeta, um 1163)
Im 19. Jahrhundert entstandene studentische Wanderlieder nehmen oft historisierend auf die mittelalterlichen "fahrenden Schüler" Bezug.
Rundgesänge
In historischen Quellen sind für das 18. Jahrhundert sogenannte Rundgesänge überliefert, bei denen reihum jeder Teilnehmer eines studentischen Gelages (heute: Kneipe) eine Strophe improvisieren musste. Der Refrain wurde dann von der gesamten Gesellschaft gemeinsam gesungen.
Im Laufe der Zeit wurden dann wohl die beliebtesten Strophen weiter überliefert und die Versionen zunehmend standardisiert. Einige dieser Lieder fanden Aufnahme in die Kommersbücher. Sie sind daran zu erkennen, dass sie meist auf das 18. Jahrhundert datiert sind, viele, aber kurze (meist zweizeilige) Strophen haben und einen langen, oft mehrfach wiederholten Refrain, der Zeit zum Nachdenken für das Erfinden der nächsten Strophe ließ. Das literarische Niveau ist dabei meist niedrig, die Sprache stammt aus der jugendlichen Alltagssprache des 18. Jahrhunderts.
Beispiele (nur ausgewählte Strophen):
- Ça, ça geschmauset
- Ça, ça geschmauset, lasst uns nicht rappelköpfisch sein!
- Wer nicht mithauset, der bleibt daheim.
- Refrain: Edite, bibite collegiales, post multa saecula pocula nulla.
- (frei übersetzt: "Esst und trinkt, Kommilitonen, in ferner Zukunft wird es keine Gelage mehr geben!")
- Der Herr Professor liest heute kein Kollegium,
- Drum ist es besser, man trinkt eins rum.
- Refrain
- Trinkt nach Gefallen, bis ihr die Finger danach leckt.
- Dann hat´s uns allen recht wohl geschmeckt.
- Refrain
- Auf, auf ihr Brüder! Erhebt den Bacchus auf den Thron
- Und setzt euch nieder, wir trinken schon.
- Refrain
- (Text und Melodie unbekannter Herkunft)
- Es leben die Studenten
- Es leben die Studenten stets in den Tag hinein,
- Wär'n wir der Welt Regenten, sollt immer Festtag sein.
- Refrain: Fürwahr, fürwahr, das ist doch sonderbar.
- Wir jubeln, singen, trinken wohl durch die ganze Nacht,
- Solang die Sternlein blinken, wird an kein´ Rast gedacht.
- Refrain
- Doch sind geleert die Taschen, dann ziehen wir nach Haus.
- Man lebt bei leeren Flaschen nicht gut in Saus und Braus.
- Refrain
- (Melodie übernommen vom französischen Studentenlied "Mon père est à Paris", Text aufgezeichnet von Christian Dehn, 1807 bis 1852, Corps Vandalia Rostock)
Trinklieder
Hauptsächlich im 19. Jahrhundert entstanden studentische Trinklieder, die mit einem gewissen literarischen Anspruch aus den improvisierten Kneipgesängen des 18. Jahrhunderts herausragten, in die Kommersbücher aufgenommen wurden und bis heute gern und oft gesungen werden. Der prominenteste Autor eines dieser Lieder ist mit Sicherheit Johann Wolfgang von Goethe, der 1810 das Lied "Ergo bibamus" (deutsch: "Also lasst uns trinken") schrieb. Dieses Lied wurde von Max Eberwein 1813 vertont.
- Ergo bibamus
- Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun,
- Drum Brüderchen, ergo bibamus!
- Die Gläser, sie klingen, Gespräche, sie ruhn;
- Beherziget: ergo bibamus!
- Das heißt noch ein altes, ein tüchtiges Wort
- Und passet zum ersten und passet so fort
- Und schallet ein Echo, vom festlichen Ort,
- |: Ein herrliches: ergo bibamus! :|
- (Text: Johann Wolfgang von Goethe 1810, Melodie: Max Eberwein 1813)
Ein weiteres Beispiel vom Ende des 19. Jahrhunderts, mit literarischer, romantisierender Sprache und komplexer Melodie in der Strophe und eingängigem Refrain, das heute noch populär ist und viel gesungen wird:
- Beim Rosenwirt am Grabentor
- Beim Rosenwirt am Grabentor
- Des Abends um halb sechs
- Den Hammer schwingt der Wirt empor
- Und schlägt den Zapfen ex!
- Das schlurrt und glurrt aus feuchter Nacht
- Vom Spundloch in die Kann',
- Ei seht, wie's Antlitz jedem lacht,
- Jedwedem Zechersmann:
- Refrain: |: Bierlein, rinn! Bierlein, rinn!
- Was nutzen mir die Kreuzerlein,
- Wenn ich gestorben bin! :|
- (Text: Julius Rudolf Gspandl 1896, Melodie: Otto Lob 1896)
Manche Trinklieder behandeln thematisch nicht nur das Trinken und das fröhliche Beisammensein, sondern manchmal auch den Rausch nach dem Trinken. Dieses Thema verschließt sich normalerweise der dichterischen Behandlung. Aber es gibt auch literarisch interessante Lösungen, wie das folgende Beispiel zeigt:
- Fahrender Schüler
- Der Sang ist verschollen,
- Der Wein ist verraucht,
- Stumm irr' ich und träumend umher.
- |: Es taumeln die Häuser, vom Sturme umhaucht,
- Es taumeln die Wellen ins Meer. :|
- Die Wolken sie tanzen,
- Manch Sternlein fällt,
- Hat tief in den Wolken gezecht;
- |: Ich steh' wie ein Fels, wie die Angel der Welt,
- Wie ein Kaiser in Freiheit und Recht. :|
- ...
- (entstanden vor 1855)
Liebeslieder
Seit dem Mittelalter war die gesellschaftliche Situation an den Hochschulorten dadurch geprägt, dass junge Männer aus meist reichem Elternhause in einer provinziellen Kleinstadt (in Residenzstädten wurden selten Universitäten gegründet) darauf angewiesen waren, von der meist ärmlichen Bevölkerung Beherbergungs- und Bewirtungsdienstleistungen einzukaufen. So bildete sich an diesen Orten schnell eine Infrastruktur, die ideal auf die Bedürfnisse (und Laster) der jungen Leute ausgerichtet war. Das Wohlstandsgefälle sorgte dabei für so manche Fehlentwicklung, denn die Dienstleistungen der örtlichen Bevölkerung beschränkten sich nicht auf Kost und Logis, sondern richteten sich ziemlich schnell auch auf die sexuellen Bedürfnisse der Studenten aus. Oft waren es die jungen Töchter der Wirtsleute oder anderer unterprivilegierter Familien, die für die Prostitution herhalten mussten.
Die im 19. Jahrhundert entstandenen Studentenlieder romantisieren diese Situation, indem sie die Begegnung zwischen dem jungen Studenten und dem Wirtstöchterlein oft als erste unschuldige junge Liebe darstellen. Besonders markant wurde der Begriff der filia hospitalis, also der Wirtstochter, in dem bekannten Lied "O wonnevolle Jugendzeit".
- O wonnevolle Jugendzeit
- O wonnevolle Jugendzeit mit Freuden ohne Ende,
- Mit Minnefahrten weit und breit, wo sich die Schönste fände.
- Ich grüße dich, du junges Blut, bin jedem hübschen Weibe gut,
- Und doch ist nichts aequalis der filia hospitalis.
- Ich kam als krasser Fuchs hierher und spähte in den Gassen,
- Wo mir ein Bett und Zimmer wär´, den langen Leib zu fassen.
- Fand Sofa nicht, noch Stiefelknecht, und doch war mir die Bude recht,
- Denn keine ist aequalis der filia hospitalis.
- Sie ist ein gar zu herzig Kind mit ihren blonden Zöpfen,
- Die Füßchen laufen wie der Wind im Schuh mit Quast und Knöpfen;
- Die Schürze bauscht sich auf der Brust, allwo ich schau´ ist eitel Lust,
- Und keine ist aequalis der filia hospitalis.
- ...
- (Text: Otto Kamp (1850-1922), Melodie Otto Lob (1837-1908))
Scherzhaft-historische Lieder
Die Gattung der scherzhaft-historischen Lieder ist mit dem Namen des Dichters Joseph Victor von Scheffel verbunden, der das Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts mit seinen Werken erfreute. Die Zielgruppe war eigentlich nicht nur die Studentenschaft, aber im Kreise der sangesfreudigen Studenten fanden sie schnell viele Freunde und wurden auch in Kommersbüchern verbreitet. Kennzeichnend für den Inhalt der Texte war der Umstand, dass eine historisch bekannte Figur oder eine Figur aus einem historisch bekannten Umfeld mit alltäglichen, manchmal allzu menschlichen Problemen oder eigenen Lastern konfrontiert wurde und daran scheiterte.
Eines der bekanntesten Lieder, das gleichzeitig noch den nationalen Geist der Epoche widerspiegelt, ist
- Als die Römer frech geworden
- Als die Römer frech geworden,
- Sim serim sim sim sim sim,
- Zogen sie nach Deutschlands Norden,
- Sim serim sim sim sim sim,
- Vorne mit Trompetenschall,
- Tä terä tä tä tä,
- Ritt der Generalfeldmarschall,
- Herr Quintilius Varus,
- Refrain:
- Wau, wau, wau, wau, wau,
- Herr Quinctilius Varus,
- |: Schnäde räng täng :|
- Schnäde räng täng, de räng täng täng
- ...
- O Quinctili, armer Feldherr,
- Dachtest du, daß so die Welt wär'?
- Er geriet in einen Sumpf,
- Verlor zwei Stiefel und einen Strumpf
- Und blieb elend stecken.
- Refrain
Heute noch oft und gern gesungen ist auch das Lied von Scheffel
- Altassyrisch
- Im schwarzen Walfisch zu Askalon,
- Da trank ein Mann drei Tag',
- |: Bis dass er steif wie ein Besenstiel
- Am Marmortische lag. :|
- Im schwarzen Walfisch zu Askalon,
- Da sprach der Wirt: "Halt an!
- |: Der trinkt von meinem Dattelsaft
- Mehr als er zahlen kann." :|
- Im schwarzen Walfisch zu Askalon,
- Da bracht' der Kellner Schar
- |: In Keilschrift auf sechs Ziegelstein'
- Dem Gast die Rechnung dar. :|
- ...
- (Text Joseph Victor von Scheffel 1854, Melodie: "Es war einmal ein Zimmergesell'")
Aber auch andere Autoren schrieben Lieder in diesem Metier, so auch das besonders im inoffiziellen Teilen einer studentischen Kneipe eifrig gesungene
- Wütend wälzt sich einst im Bette
- Wütend wälzt sich einst im Bette
- Kurfürst Friedrich von der Pfalz;
- gegen alle Etikette
- brüllte er aus vollem Hals:
- |: Wie kam gestern ich ins Nest?
- Bin scheint's wieder voll gewest! :|
- Na, ein wenig schief geladen,
- grinste drauf der Kammermohr,
- selbst von Mainz des Bischofs Gnaden
- kamen mir benebelt vor,
- |: war halt doch ein schönes Fest:
- Alles wieder voll gewest! :|
- ...
- (Text: August Schuster 1887, Melodie: Karl Hering 1887)
“Altherren“-Lieder
Als nach 1848 mit der Aufhebung der Karlsbader Beschlüsse die Studentenverbindungen und überhaupt die ganze traditionelle studentische Kultur nicht mehr Ausdruck jugendlichen Ungehorsams und Übermuts waren, sondern sich zu einer etablierten Einrichtung der außerfachlichen Erziehung junger Akademiker entwickelte, konnten sich auch ehemalige Studenten zu dieser Kultur und zu ihrer Vergangenheit als "alte Burschen" bekennen. Diese Erinnerungen - verdichtet auch in Studentenliedern übermittelt - waren in der Regel wehmütig, weil die "goldene Jugendzeit" so schnell verflogen war und das "ledern Philisterium" sich gar zu öde darstellt. Teilweise blitzt aber auch ein Funken Optimismus aus den Texten, denn die "alten Burschen" leben noch, zumindest im Geiste, wo "der rechte Sinn stets walten" wird.
Der erste überlieferte Text dieser Art ist das berühmte "Rückblicke eines alten Burschen", erstmals veröffentlicht im Jahre 1825, zu dieser Zeit aber wohlweislich noch anonym. Das Lied ist besser bekannt unter dem heutigen Titel "O alte Burschenherrlichkeit" (siehe dort).
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tauchen mehrere Lieder zu diesem Thema in den Kommersbüchern auf, wobei auch alte oder ganz alte Lieder in die Neudichtung einbezogen werden. So gibt es auch einige ergänzende Dichtungen vor allem zum Lied Gaudeamus igitur.
- Als ich schlummernd lag heut´ Nacht
- Als ich schlummernd lag heut´ Nacht,
- lockten süße Träume,
- schimmernd in der Jugendpracht,
- mich in ferne Räume.
- Krasses Füchselein saß ich schlank
- in der Kneipe wieder
- und in vollem Chore klang
- laut das Lied der Lieder:
- |: Gaudeamus igitur,
- juvenes dum sumus; :|
- post jucundam juventutem,
- post molestam senectutem
- |: nos habebit humus! :|
- ...
- (Text: Adolf Katsch 1883, Melodie: Adolf Schlieben 1885)
Wanderlieder
Der im Zuge der Romantik entstehende Wandertourismus wurde durch eine neue Begeisterung für die Schönheiten der Natur und den Charme alter, geheimnisumwitterter, vorzugsweise mittelalterlicher Baudenkmäler entfacht. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden Studentenlieder, die dieses Thema behandelten, teilweise wurden aber auch thematisch passende Volkslieder in die studentischen Liedersammlungen aufgenommen. Besonders im Zentrum des Interesses standen dabei die Weinanbaugebiete an den großen deutschen Flusstälern wie die an Rhein, Main, Neckar und Saale. Berühmtes Beispiel:

- Dort Saaleck, hier die Rudelsburg
- Dort Saaleck, hier die Rudelsburg,
- Und unten tief im Tale
- Da rauschet zwischen Felsen durch
- Die alte liebe Saale;
- Und Berge hier und Berge dort
- Zur Rechten und zur Linken -
- |: Die Rudelsburg, das ist ein Ort
- Zum Schwärmen und zum Trinken. :|
- Das wissen die Studenten auch
- In Jena und in Halle
- Und trinken dort nach altem Brauch
- Im Hof und auf dem Walle.
- Umringt von moosigem Gestein,
- Wie klingen da die Lieder!
- |: Die Saale rauscht so freudig drein,
- Die Berge hallen wider. :|
- ...
- (Text und Melodie: Hermann Allmers 1863)
Vaterlandslieder
Studentenlied heute
Studentenlieder entstanden in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts nur noch in einem begrenzten Rahmen, manchmal wurden bekannte Volks- oder Protestlieder für eine Demonstration mit einem aktuellen Text unterlegt, manchmal entstanden neue Lieder in einem studentisches Kabarett. Diese Lieder verschwanden aber immer mit ihrem jeweiligen Anlass.
Ansonsten besteht das Repertoire heutiger singender Studenten (sofern sie nicht in Verbindungen singen) vorwiegend aus deutschen und internationalen Folk- und Pop-Songs, wie sie auch bei der nicht-akademischen Jugend heute üblich sind.
Weblinks
Literatur
Theoretisches zum Studentenlied
- Theodor Hölcke: Vom deutschen Studentenlied, in: Historia Academica. Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des Coburger Convents. Heft 29/30, 1990/91
- Raimund Lang: Intonas I. Von studentischen Texten und Weisen. Verlag des Österreichischen Vereins für Studentengeschichte, Wien 1992
- Raimund Lang: Intonas II. Von studentischen Texten und Weisen. Verlag des Österreichischen Vereins für Studentengeschichte, Wien 1998
- Raimund Lang: Die Frau im Studentenlied, in: Documenta et Commentarii. Schriftenreihe der Schweizerischen Vereinigung für Studentengeschichte. Nr. 20, 1998
- Raimund Lang: Ergo cantemus. Texte und Materialien zum Studentenlied. GDS-Archiv für Hochschulgeschichte und Studentengeschichte, Beiheft 13 SH-Verlag, Köln 2001 ISBN 3894981121
- Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hg.) "Wir hatten gebauet ein stattliches Haus..." Beiträge zur Geschichte der Deutschen Burschenschaft 1815-1848/49, Jena 1989 (Anhang)
Frühe oder bedeutende Liedersammlungen
- Christian Wilhelm Kindleben, Studentenlieder. Aus den hinterlassenen Papieren eines unglücklichen Philosophen, Florido genannt, gesammelt und verbessert von C.W.K. , Halle an der Saale 1781 (Sammlung von 64 Liedern)
- Georg Scherer (Hrsg.), Studentenlieder, Leipzig ca. 1853 (mit Illustrationen zu allen 129 Liedern und des Titelblattes von Ludwig Richter und Franz Pocci)
- Hermann Schauenburg, Moritz Schauenburg (Hrsg.), Allgemeines Deutsches Kommersbuch, Ausgabe D., Morstadt Druck + Verlag, 162. Auflage, Januar 2004 (Erstausgabe 1858), ISBN 3-88571-249-0
Siehe auch:
Liste verbindungsstudentischer Begriffe, Allgemeines Deutsches Kommersbuch