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Gotik

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Gotische Kathedrale: Der Kölner Dom

Die Gotik (v. ital. gotico fremdartig, barbarisch (ursprünglich ein Schimpfwort), abgeleitet von der Bezeichnung des Germanenstammes der Goten) beschreibt eine Stilepoche des Mittelalters. Sie entstand um 1140 in der Gegend von Paris und währte nördlich der Alpen bis etwa 1500. Der zuvor vorherrschende Bau- und Kunststil ist als Romanik, der nachfolgende als Renaissance bekannt.

Baukunst

Geschichte

Lichtdurchfluteter Raum: Chor des Prager Doms

Die Klosterkirche von Saint-Denis, die von Abt Suger entworfen wurde, gilt als erstes gotisches Bauwerk. Durch das Herausnehmen vieler Stützwände erhielt die Kirche nicht nur ein grazileres Aussehen als die romanischen "Gottesburgen", sie war auch viel lichtdurchfluteter. Dies wurde in der Folgezeit bei neuen Bauwerken immer weiter perfektioniert, spätere gotische Kathedralen sind als Lichtsymphonien konzipiert. Als Vorbild wurde meist die Sainte-Chapelle in Paris genommen.

Von der Ile-de-France breitete sich dieser Baustil auf große Teile West-, Mittel- und Südeuropas aus (Frankreich, Deutschland, England, usw.). In Italien war ihre Herrschaft nur kurz - dort wurde sie als "barbarischer Stil" verachtet und wird, ganz im Ursprungssinne der Bezeichnung des von einem Germanenstamm Kommenden, auch heute noch als "stile tedesco" - als deutscher Stil bezeichnet.

Als sich Anfang des 16. Jahrhunderts die Renaissance nördlich und westlich der Alpen ausbreitete, verlor der gotische Stil schnell an Einfluss.

Typisch für die gotische Baukunst sind Spitzbögen, schlanke strukturierte Säulen, aufgebrochene, hohe Wände mit großen Fenstern und die Betonung der Vertikalen.

Architektur

Teile des Kreuzrippengewölbes der Kathedrale von Tours, Eugène Viollet Le Duc, 1856

Die große Neuerung der Spitzbogentechnik bestand darin, dass bei einem gedachten Quadrat als Grundriss nicht 4 Rundbögen über die 4 Seiten des Quadrates gestellt wurden, sondern 2 Rundbögen mit gemeinsamem Mittelstein über die beiden Diagonalen. Dadurch war die Stabilität des Gewölbes gesichert, und die statisch nun weniger wichtigen Bögen über den 4 Seiten wurden spitz nach oben gebaut, um die gleiche Höhe wie die beiden längeren und höheren Rundbögen über den Diagonalen zu erhalten. Diese Gewölbetechnik nennt man Kreuzrippengewölbe, die es auch ermöglicht, ein Gewölbejoch über einen rechteckigen Grundriss zu erstellen. Damit wird die Gestaltung freier als in der Romanik. Eine weitere Neuerung war die Erfindung des selbständigen Tragwerks, das sich durch die Strebepfeiler zeigt. In der Romanik musste eine massive Wand die Lasten des Gebäudes tragen und hatte daher nur kleine Fenster. In der Gotik wurde die Wand von der tragenden Funktion befreit und konnte beliebig aufgelöst werden, was die riesigen Fenster ermöglichte, die fast die gesamte Wandfläche einnehmen.

In der Spätgotik schließlich werden Maßwerke in vielfältigen Fischblasen- und Flammenmustern (Flamboyant) ausgebildet.

Kirchenbau

Datei:Gewölbe marienkirche luebeck.jpg
Betonung der Vertikalen: Lübecker Marienkirche

Typisch für den Kirchenbau der Gotik ist die Betonung der Vertikale. Die Gewölbe erreichten Scheitelhöhen bis 48m (Beauvais eingestürzt und unvollendet geblieben, Chor im Kölner Dom 45m). Die häufigste Form des Grundrisses ist, wie schon in der Romanik, das lateinische Kreuz. Die Fenster sind meist sehr lang und schmal. Ihre Verzierung besteht oft aus Kreisen und Rundstäben. Unter den Fensterbogen findet man auch kleine, kleeblattförmige, eingesetzte Bogenspitzen. Auch Öffnungen in Fischblasenform sind sehr beliebt. Die Vorlagen zu diesen vielen gotischen Ornamenten nahm man aus der Pflanzenwelt. Aber auch Motive und Formen aus der Menschen- und Tierwelt waren beliebt. An den Spitzen von Giebeln und Türmen verwendete man oft eine Kreuzblume als Ornament (Verzierung) (vergleiche auch Wimperg).

Gotische Kathedralen im Ursprungsland Frankreich:

Die ersten rein gotischen Kirchenbauten in Deutschland waren die Liebfrauenkirche in Trier und die Elisabethkirche in Marburg. Das bedeutendste Bauwerk der Gotik in Deutschland ist der Kölner Dom, der trotz seiner langen Baugeschichte (Fertigstellung erst im 19. Jahrhundert) nach den Originalplänen vollendet wurde. Noch heute wird jeden Tag an ihm gebaut, da er immer wieder durch Bomber aus dem Krieg und durch die Alterung ausgebessert werden muss.

Meisterwerk der Hochgotik: Kathedrale von Burgos (Spanien, ab 1221) Gesamtansicht

Ein weiteres bedeutendes gotisches Bauwerk ist der Stephansdom in Wien. Gotische Kirchen in anderen Ländern Europas:

Eine besondere Form des gotischen Kirchenbaus stellen die Hallenkirchen dar: Ulmer Münster. Eindrucksvoll sind die Hallenumgangschöre von St. Sebald und St. Lorenz in Nürnberg.

In Deutschland kam es zu einer besonderen Ausprägung, der Reduktionsgotik oder Backsteingotik.

Profanbauten

Anders als in der Romanik gibt es aus der Gotik schon zahlreiche Profanbauten wie Rathäuser, Spitäler und Bürgerhäuser. Allerdings sind diese Bauwerke im Gegensatz zu den Kirchenbauten flächig gestaltet. Merkmale sind beispielsweise die Profilierung der Fenster und Türen, Treppengiebel, so genannte Katzentreppen und gegebenenfalls Gewölbetechnik.

Der Gürzenich in Köln (erbaut 1441-47, nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgebaut)

Baumeister

In der Gotik übernahmen erstmals weltliche Planer und Handwerker das Baugeschehen und wurden die Träger der neuen Kunst, während sie zu Zeiten der Romanik noch fest in der Hand der Klöster war, die ihre Baukunst anonym betrieben. Damit traten die Berufe der Baumeister, Bildhauer und des freien Steinmetzes auf. Beide bewegten sich frei zwischen den verschiedenen Bauhütten, also den Baubetrieben. Es bildeten sich regelrecht Baumeister-Familien heraus, wie beispielsweise die Parler, die unter anderem in Schwäbisch Gmünd, am Ulmer Münster und am Prager Veitsdom bauten. Steinmetze sind zwar namentlich nicht bekannt, aber ihre individuellen Steinmetz-Zeichen sind an verschiedenen Baustellen quer durch Mitteleuropa zu finden. Baumeister und Bildhauer verewigten sich häufig auch schon gerne in den Gesichtszügen von Figuren ihrer Werke, zum Beispiel bei Nebenfiguren in Szenen aus der Bibel.

Eine weitere bekannte Baumeisterfamilie aus dem süddeutschen Raum sind die Eselers: Nikolaus Eseler d. Ältere und Nikolaus Eseler d. Jüngere, die das spätgotische Münster St. Georg als Hallenkirche in Dinkelsbühl schufen.

Bedeutende gotische Bauwerke (Weblinks)

Neugotik

Gotische Bauwerke (insbesondere Kirchen) wurden um 1850 gerne nachgebaut. Später folgten viele aufwändig gestaltete Rathäuser im gotischen Stil, wobei diese wenige Vorbilder im Mittelalter hatten. Typische Vertreter dieser Rathäuser stehen in Wien und München. Deren Stilelemente stammen eher aus dem Kirchenbau als von mittelalterlichen Rathäusern. Diesen Baustil nennt man Neugotik oder Neogotik.

Bildende Kunst

Die Gotik breitete sich in der bildenden Kunst Anfang des 13. Jahrhunderts über Europa aus. Kennzeichnend für die Epoche sind die zum Teil übergroß und majestätisch dargestellten Figuren in wenig realistischen Umgebungen. Die Bilder haben meist wenig Tiefe, das heißt alle Elemente befinden sich auf der gleichen Ebene. Die Perspektive ist oft verzerrt und rückt die zentralen (meist biblischen Figuren) in den Mittelpunkt. Zunehmendes Interesse am Menschen hat eine realistischere Darstellungsweise zur Folge. Als wichtigster Vertreter dieses Naturalismus gilt Giotto di Bondone, der die Grundlage für die italienische Malerei der Neuzeit ist. Die meisten bildlichen Darstellungen der Gotik zeigen religiöse Motive. Darstellungen von Szenen aus der Bibel machen den Hauptteil der Gemälde und Altarflügeln aus. Kennzeichnend für gotische Kunst ist der sogenannte Weiche Stil. Madonnen erscheine puppenhaft und mütterlich. Vorherrschende Farben sind rot und gold, zumeist als Demonstration von besonderer Heiligkeit oder Wichtigkeit der gezeigten Personen.

Die Spätgotik mischt gotische Elemente mit jenen der italienischen Renaissance. Als Kennzeichen für die Spätgotik wird oft der Schwere Stil genannt. Dieser zeichnet sich durch Detailrealismus und Naturbeobachtung aus. Themen werden aufgrund der neuen Weltsicht immer häufiger Panorama- und Überblickslandschaften, die mit realer Darstellung und extremer Tiefe glänzen. Vorläufer für diese Malerei war Jan van Eyck, der die Renaissancemalerei einleitete. Niederländische Perspektive und italienische Topografie werden gemischt. Es entstehen eine neue überzeugende Bildbühne und Personenszenarien. Durch Perspektivenkonstruktion entsteht ein illusionskräftiger Raum.

Rüstungen

Seit dem 19. Jahrhundert wird für einen in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Süddeutschland aufgekommenen Rüstungstyp unter Bezug auf die Spätgotik die Bezeichnung gotischer Harnisch verwendet. Diese Plattenrüstungen waren aufgrund ihrer schlanken, aufstrebenden Formen und der Verwendung von gotischem Blattwerk äußerst charakteristisch für diese Kunstepoche. Im Gegensatz zum gotischen Baustil fanden derartige Rüstungen auch in Italien Verbreitung. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden die gotischen Harnische durch Rüstungen mit runderen, körperlicheren Formen verdrängt.

Siehe auch: Gothic, Rockmusik : Heute auch Bezeichnung eines Musikgenres

Literatur

  • Ulrich Coennen: Die spätgotischen Werkmeisterbücher in Deutschland als Beitrag zur mittelalterlichen Architekturtheorie - Untersuchung und Edition der Lehrschriften für Entwurf und Ausführung von Sakralbauten, Verlag Mainz, Aachen 1989.
  • Kurt Gerstenberg: Deutsche Sondergotik, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1969
  • Dieter Kimpel, Robert Suckale: Die gotische Architektur in Frankreich : 1130 - 1270, München 1985.
  • Sonja Ulrike Klug: Kathedrale des Kosmos. Die heilige Geometrie von Chartres. München, 2001. ISBN 3720521338
  • Werner Müller: Grundlagen gotischer Bautechnik, München 1990.
  • Norbert Nussbaum: Deutsche Kirchenbaukunst der Gotik, 2. Aufl., Darmstadt 1994.
  • Hans Sedlmayr: Die Entstehung der Kathedrale, Zürich 1950.
  • Otto von Simson: Die gotische Kathedrale, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1968
  • Uwe A. Oster: Die großen Kathedralen. Gotische Baukunst in Europa, Darmstadt 2003.