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Ernst Polak

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Ernst Polak (bis 1938: Pollak;[1] * 4. August 1886 in Jitschin; † 21. September[2] 1947 in London) war ein österreichischer Literaturkritiker und Literaturagent.

Leben

Ernst Polak, jüdischer Abstammung und Sohn eines Kaufmanns, legte die Reifeprüfung an der deutschen Handelsschule in Prag ab, war danach in einer Glasfabrik beschäftigt und arbeitete seit 1906 als Fremdsprachenkorrespondent für die Prager Filiale der Österreichischen Länderbank. Stammgast war er im Literatencafé „Arco“ in der Prager Neustadt, wo er mit Autoren über deren entstehenden Werke diskutierte: Um den Kritiker Willy Haas hatte sich ein literarischer Kreis gebildet, dem auch Paul Kornfeld, Max Brod, Franz Werfel und die Brüder Franz und Hans Janowitz angehörten.[3] Seit 1908 besuchte Franz Kafka das Café „Arco“, wenngleich nicht regelmäßig. Auch der damals schon bekannte Paul Claudel zählte zu den Gästen des Cafés, wogegen Franz Polak auf den noch unbekannten André Gide und dessen Nouvelle Revue Française setzte.[4]

Im Café „Arco“ lernten Franz Polak und Milena Jesenská einander 1913 kennen. Im März 1918 heirateten Polak und die noch minderjährige Jesenská. Das Ehepaar musste nach Wien ziehen, um eine Bedingung des Vaters der Braut zu erfüllen. Hier wohnten sie in der Lerchenfelderstraße 113 im Wiener Gemeindebezirk Neubau.[5] Polak arbeitete als Devisenhändler bei der Länderbank und verkehrte im Wiener Café Herrenhof, seine Frau war als Übersetzerin tätig. Milena Jesenská-Polak – wie sie sich nach ihrer Heirat nannte – übersetzte für Franz Kafka einige Texte aus dem Deutschen ins Tschechische.[6] Die Ehe, die sich zu der Zeit schon in einer Krise befand, wurde 1924 geschieden.[7]

1925 ließ Ernst Polak sich als Prokurist der Länderbank pensionieren, holte 1928 in Mödling seine Matura nach und studierte bis 1932 die Fachgebiete Germanistik und Philosophie an der Universität Wien. 1932 wurde Polak bei Moritz Schlick mit der Dissertation Kritik der Phänomenologie durch die Logik zum Dr. phil. promoviert. Ernst Polak gehörte Schlicks philosophischem Seminar an, wodurch er Kontakt zum Wiener Kreis hatte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs musste er 1938 über die Tschechoslowakei nach England emigrieren und übernahm hier Tätigkeiten als Lektor und Literaturagent.

Polak veröffentlichte von 1927 bis 1931 unter dem Pseudonym Schwenk, dem Namen seiner Mutter, eine Reihe von Rezensionen in Der Literarischen Welt. Diese Wochenzeitung hatten Willy Haas und Ernst Rowohlt 1925 in Berlin gegründet. 1930 half Polak dem Schriftsteller Hermann Broch als Berater sowie bei der Suche nach einem Verlag für dessen Romantriologie Die Schlafwandler, so auch beim Rhein-Verlag des Verlegers Daniel Brody.[8] Beratend, zum Teil lektorierend, war er ebenfalls tätig für Werfels Höret die Stimme und Der veruntreute Himmel sowie beim Erinnerungsbuch an Gustav Mahler, das Alma Mahler-Werfel verfasste.

Ernst Polak erkannte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die jeweilige literarische Bedeutung der Autoren Franz Kafka, Italo Svevo und Ivan Cankar.

Sein Nachlass befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach.

Rezeption

Franz Werfel

Ernst Polak und Franz Werfel waren seit Prag miteinander befreundet. Alma Mahler-Werfel schreibt in ihrer Biografie über die lebenslange Freundschaft:

„Franz Werfel brachte einige Freunde aus der Schulzeit mit ins Leben. Zu seinen engsten Freunden und Beratern zählte Ernst Polak, ein sehr feiner und ein feinsinniger Literat, mit dem er stundenlang diskutierte und seine Werke durchsprach.“ [9]

Franz Werfel behandelt in seinem Werk den Generationenkonflikt als sein zentrales Thema – so auch in der Novelle Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920). Werfel hat den Konflikt immer wieder vor dem Hintergrund der griechischen Mythologie gesehen, den Konflikt zwischen Laios (Vater) und Ödipus (Sohn). Norbert Abels kommt zu der Aussage:

„Werfels Freund Ernst Polak hat in diesem Sinn das Auftauchen des Ödipuskomplexes und der Vaterimago am Ende des 19. Jahrhunderts als Verfallsphänomen der patriarchalen Hierarchie der Herrschenden gedeutet. Im Vater-Sohn-Konflikt hat Freud bereits in der Traumdeutung von 1900 einen literarischen Topos von unwiderstehlicher Anziehungskraft gesehen. Immer wieder tritt der Vater auf als Träger einer mysteriösen, unüberwindlichen Autorität.“ [10]
Franz Kafka

Klaus Wagenbach hat bereits 1964, dem Jahr der Erstausgabe seiner Darstellung von Franz Kafka, in einer Analyse der Entstehungsbedingungen des Romans Das Schloss sogenannte Realitätspartikel aufgezeigt, die auf Milena Jesenská und Franz Polak hinweisen. Neben Kafkas eigener Paria-Situation und seiner Liebe zu Milena war es Polaks intensive, auch außergewöhnliche Lebensweise, die im Protagonisten Klamm literarisch verarbeitet wurden. Wagenbach schreibt:

„Manche Züge des Mannes, Ernst Polak [...], sind in die Figur des Klamm (ein Name, den Kafka offenbar aus einem Wortspiel mit dem Vornamen Ernst, das er schon den Briefen verwandte, ableitete) eingegangen, auch die Konstellation der Liebe: durch Frieda, die sich niemals ganz von Klamm lösen kann, versucht der Landvermesser seßhaft zu werden. Und schließlich, sehr deutlich, der ‚Herrenhof’, gleichzeitig ein Café in Wien (von den Literaten auch ‚Hurenhof’ genannt), in dem sich Ernst Polak mit Franz Werfel, Otto Pick, Egon Erwin Kisch und Otto Groß [sic!] zu treffen pflegte.“ [11]

Zitat

Friedrich Torberg berichtete über Ernst Polak, der damals für den Humanitas-Verlag Zürich tätig gewesen war und Torbergs Roman Abschied – erschienen 1937 – an den Verlag vermittelte, wie folgt:

„An einem der folgenden Nachmittage erwartete mich Ernst Polak, den ‚Abschied‘ vor sich auf dem Tisch, im Café Herrenhof. In banger Erwartung setzte ich mich ihm gegenüber, sah ihn das Monokel einklemmen und das Buch aufschlagen, welches vollständig ‚Abschied, Roman einer ersten Liebe‘ hieß, als Motto ein Zitat aus einem Gedicht von Hölderlin trug und meinem väterlichen Freund Max Brod gewidmet war. ‚Der Titel‘, hob Ernst Polak an, ‚ist nicht schlecht.‘ Er blätterte weiter und deutete auf das Hölderlin-Zitat. ‚Das hier ist sogar hervorragend. Hier‘ – er war bei der Widmung an Max Brod angelangt – ‚wird's schon etwas schwächer. Und der Rest taugt überhaupt nichts.‘ Damit klappte er das Buch wieder zu.“[12]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Jürgen Born, Michael Müller (Hrsg.): Franz Kafka. Briefe an Milena. Fischer, Frankfurt am Main 1983, S. 325. (Polak ist die tschechische Schreibweise.)
  2. Im Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert wird als Sterbetag der 20. September angegeben.
  3. Jürgen Born, Michael Müller (Hrsg.): Franz Kafka. Briefe an Milena. Fischer, Frankfurt am Main 1983, S. 331.
  4. Norbert Abels: Franz Werfel. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002 (1990), S. 23f.
  5. Jürgen Born, Michael Müller (Hrsg.): Franz Kafka. Briefe an Milena. Fischer, Frankfurt am Main 1983, S. 332. (Hier ist die Adresse offensichtlich irrtümlich dem angrenzenden Bezirk Josefstadt zugeordnet.)
  6. Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 123.
  7. Radio Praha: Milena Jesenska. (englisch)
  8. Paul Michael Lützeler (Hrsg.): Freundschaft im Exil: Thomas Mann und Hermann Broch. Klostermann, Frankfurt am Main 2004, S. 99.
  9. Alma Mahler-Werfel: Mein Leben. Biographie. Fischer, Frankfurt am Main 2002 (EA 1963), S. 120.
  10. Norbert Abels: Franz Werfel. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002 (EA 1990), S. 54–56.
  11. Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978 (Erstausgabe 1964), S. 131.
  12. Friedrich Torberg: Die Erben der Tante Jolesch. DTV, München 1981, S. 63.
Normdaten: LCCN: n79022889