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Hans Filbinger

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Hans Filbinger (links) zusammen mit Werner Dollinger auf einem CDU-Parteitag im Oktober 1978

Hans Karl Filbinger (* 15. September 1913 in Mannheim; † 1. April 2007 in Freiburg-Günterstal) war ein deutscher CDU-Politiker. Von 1966 bis 1978 war er Ministerpräsident Baden-Württembergs, von 1971 bis 1979 zudem Landesvorsitzender, von 1973 bis 1979 auch ein stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei.

Sein Bild ist bis heute durch die Filbinger-Affäre bestimmt: Im Zweiten Weltkrieg hatte er, damals NSDAP-Mitglied, als Ankläger und Richter bei der deutschen Kriegsmarine mindestens zwei Todesurteile beantragt und zwei gefällt, von denen eins vollstreckt wurde. Diese wurden ab Februar 1978 in der Öffentlichkeit bekannt, von ihm aber zuvor jeweils geleugnet. Dadurch verlor er zunehmend öffentlichen und innerparteilichen Rückhalt, so dass er im August 1978 als Ministerpräsident zurücktreten musste und später auch seine Parteiämter abgab.

Elternhaus und Jugend

Sein Vater Johannes Filbinger, ein Bankangestellter,[1] stammte aus dem oberpfälzischen Kemnath. Seine Mutter Luise Filbinger, geborene Schnurr, die bereits 1918 verstarb, kam aus dem badischen Sasbach. Auf dem großelterlichen Hof dort verlebte Hans Filbinger die Zeit des Ersten Weltkriegs und später viele Ferienzeiten. Die Gemeinde Sasbach, die Filbinger als seine eigentliche Heimat ansah, ernannte ihn 1968 zum Ehrenbürger.

Ab 1924 besuchte Filbinger das Badische Realgymnasium I in Mannheim. Durch das Elternhaus stark katholisch geprägt, trat er 1928 als Schüler dem Bund Neudeutschland (ND) bei, der der katholischen Zentrumspartei nahestand. Dort stieg er bis zum Leiter des Mannheimer Gaus „Langemarck“ im Bezirk Nordbaden des ND auf. 1933 machte er in Mannheim sein Abitur.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten forderte Filbinger in einem „Gaubrief“ im April 1933 seine Bundesbrüder auf, bisherige Ziele weiterzuverfolgen. Eine Gesinnungsänderung sei nicht notwendig, da der Bund ohnehin als „echte Nachfolger Christi“ immer „vaterländisch“ gewesen sei. Zugleich warnte er vor Kritik am Regime.[2]

Ausbildung in der NS-Zeit

Im Sommersemester 1933 begann Filbinger Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg zu studieren, unterbrochen 1934/35 von zwei Semestern an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Studienstiftung des Deutschen Volkes wählte Filbinger nach seinen eigenen Angaben nicht als Stipendiaten aus, weil er „einen ausgesprochen religiösen und konfessionellen Weltanschauungshorizont“ gehabt habe.[3]

Filbinger war von 1933 bis 1936 Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) und des Wehrsportverbands der Freiburger Universität, der 1934 in die SA überführt wurde. Mit dem Auslaufen der vierjährigen Aufnahmesperre für Neumitglieder wurde er im Mai 1937 in die NSDAP aufgenommen, der er bis 1945 angehörte. 1937 legte er die erste juristische Staatsprüfung am Oberlandesgericht Karlsruhe ab und begann sein Referendariat. 1939 promovierte er bei Hans Großmann-Doerth in Freiburg über das Thema Die Schranken der Mehrheitsherrschaft im Aktien- und Konzernrecht. Danach wurde er zuerst Assistent, dann Lehrbeauftragter der Juristischen Fakultät der Universität Freiburg. 1940 legte er die zweite juristische Staatsprüfung ab.[4]

Militärzeit 1940–1946

1940 meldete Filbinger sich freiwillig zur Kriegsmarine und war vom 30. August 1940 an Soldat. 1943 wurde er Oberfähnrich zur See. Am 21. März 1943 wurde er zum Marinerichter berufen. Ab April 1943 war er „Marinehilfskriegsgerichtsrat“, zunächst am Gericht des Befehlshabers der Sicherung Nordsee, Zweigstelle Cuxhaven. Von Mai bis August 1943 diente er am Gericht des Küstenbefehlshabers Deutsche Bucht und des 2. Admirals der Ostseestation, Zweigstelle Westerland. Von August 1943 bis November 1944 diente er beim Gericht des Admirals der norwegischen Polarküste, Zweigstelle Kirkenes; in den davon erhaltenen Gerichtsakten fehlt sein Name. Nach eigener Angabe verließ er dieses Gericht am 25. Oktober 1944, da die deutsche Front nach der Räumung Finnlands zurückverlegt worden sei. Im November und Dezember 1944 war er in Tromsø am Gericht des Admirals der norwegischen Polarküste, ab Januar 1945 bis Kriegsende beim Gericht des Kommandanten der Seeverteidigung Oslofjord in Oslo tätig.[5] Dort geriet er bei Kriegsende in britische Kriegsgefangenschaft. Die Briten setzten ihn bis Februar 1946 an seinem bisherigen Gericht weiter ein, da sie die deutsche Militärgerichtsbarkeit für die deutschen Kriegsgefangenen weitgehend bestehen ließen.

Filbinger war nach den erhaltenen Strafverfahrenslisten an mindestens 234 Marinestrafverfahren beteiligt. In 169 Fällen war er Vorsitzender Richter oder Untersuchungsführer und damit für das Urteil bzw. die Strafverfügung direkt verantwortlich. In 63 Fällen trat er als Ankläger auf. In sechs Fällen drohte den Angeklagten die Todesstrafe; in zwei davon beantragte Filbinger als Ankläger Todesurteile, in zwei weiteren fällte er sie als Vorsitzender Richter. Auf einen Fall nahm der eigentlich Unbeteiligte von außen Einfluss.[6]

Diese Fälle wurden erst 1978 aufgedeckt. Dabei konnten nur bis dahin veröffentlichte, vielfach unvollständige Gerichtsakten berücksichtigt werden. Die Akten von mindestens 41 weiteren Verfahren, an denen Filbinger beteiligt war, wurden bis zum 13. Juni 1978 aufgefunden, aber von Filbinger nicht freigegeben.[7]

Aufstieg in der Landes-CDU

Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war Filbinger zunächst als Rechtsanwalt in Freiburg tätig. 1950 heiratete er Ingeborg Breuer (1921–2008).[8] Aus dieser Ehe gingen vier Töchter und ein Sohn hervor.

1951 trat Filbinger in die CDU ein. 1953 wurde er Stadtrat in Freiburg. 1958 berief ihn Ministerpräsident Gebhard Müller erstmals zum Mitglied der Landesregierung. Als Staatsrat sollte er vor allem die Interessen Südbadens innerhalb des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg wahrnehmen. 1960 wurde er für den Wahlkreis Freiburg-Stadt in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt und Innenminister seines Bundeslandes. Er gehörte dem Landtag bis 1980 an, ab 1976 für den Wahlkreis Freiburg I. 1966 wurde Filbinger Vorsitzender des CDU-Landesverbands Südbaden (Badische Christlich-Soziale Volkspartei).

Ministerpräsident

Am 1. Dezember 1966 wurde Filbinger Ministerpräsident Baden-Württembergs. Er folgte damit Kurt Georg Kiesinger, der Bundeskanzler geworden war. Die Landes-FDP strebte damals eine sozialliberale Koalition an. 1967 kam Filbinger ihr zuvor und bildete eine Große Koalition mit der SPD nach Bonner Muster (Kabinett Filbinger I). Bedingung der SPD dafür war die Abschaffung der im Regierungsbezirk Tübingen in Südwürttemberg-Hohenzollern noch bestehenden, in der Landesverfassung seit dem Reichskonkordat 1933 garantierten Konfessionsschulen und konfessionellen Lehrerbildung an Pädagogischen Hochschulen. Diese Schritte sollten auch eine Bildungsreform erleichtern. Filbinger setzte sie nach jahrelangen Konflikten mit Bistümern und Elternvertretern seines Landes durch, indem er die Gründung privater christlicher Gemeinschaftsschulen erleichterte und deren großzügige Förderung zusagte.[9]

Nach der Landtagswahl von 1968 führte er die Koalition mit der SPD weiter (Kabinett Filbinger II). Sie erreichte unter Innenminister Walter Krause 1971 bis 1975 eine Verwaltungsreform, bei der die Zahl der selbständigen Gemeinden um ein Drittel auf 3400, der Landkreise auf 35, der Stadtkreise auf neun reduziert wurde. Dabei übersprangen die neuen Kreise und Regierungsbezirke die historischen Grenzen der früheren Länder Baden und Württemberg.[10]

In der Landespolitik trat Filbinger für die vollendete Integration von Baden in das Bundesland ein. Diese bestätigte 1970 eine vom Bundesverfassungsgericht angeordnete Volksabstimmung. 1971 vereinte Filbinger vier bis dahin selbständige Landesverbände der CDU zum Landesverband Baden-Württemberg. Danach wählte die Landes-CDU ihn auf dem ersten Landesparteitag am 15. und 16. Januar 1971 zu ihrem Vorsitzenden. Sie war mit damals 45.000 Mitgliedern der drittstärkste CDU-Landesverband.

In der Bildungspolitik war Filbinger entschiedener Gegner der Gesamtschule und förderte stattdessen den Ausbau herkömmlicher Haupt- und Realschulen und Gymnasien. Er ließ auch christliche Gemeinschaftsschulen, selbstständige Pädagogische Hochschulen, Berufsakademien und Fachhochschulen zu, strich andererseits aber Gelder für Hochschulprojekte wie die Ulmer Hochschule für Gestaltung.

Hans Filbinger (links) 1973 mit Gerhard Stoltenberg, Kurt Georg Kiesinger und Ludwig Erhard in Hamburg auf dem CDU-Bundesparteitag

In der Bundes-CDU vertrat Filbinger als einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden mit Alfred Dregger den rechten Parteiflügel. Er ließ in Baden-Württemberg eine verschärfte Variante des 1972 bundesweit eingeführten Radikalenerlasses anwenden: Dort wurden alle Bewerber für den Öffentlichen Dienst - jährlich etwa 10000 - überprüft und alle Angehörigen als linksextrem eingestufter Parteien und Gruppen vom Beamtendienst ausgeschlossen. Dies versuchte er über den Bundesrat als Bundesgesetz durchzusetzen. Als einer der schärfsten Gegner der Entspannungs- und Aussöhnungspolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt lehnte er den Grundlagenvertrag mit der DDR und die Abkommen zur Anerkennung der Oder-Neiße-Linie mit Polen ab.[11]

Bei der Landtagswahl am 23. April 1972 führte Filbingers CDU einen Wahlkampf gegen die Ostverträge der SPD-geführten Bundesregierung[12], die er als „riskante Verzichtspolitik gegenüber Moskau“ ablehnte.[13] Die CDU errang mit 52,9 Prozent der Wählerstimmen erstmals eine absolute Mehrheit (Kabinett Filbinger III). Dies wird mit auf die sozialliberale Koalition in Bonn zurückgeführt: Diese bewirkte Verluste der Landes-FDP an die Landes-CDU. Auch die NPD, die 1968 noch mit 9,8 Prozent der Wählerstimmen vom Protest gegen die Große Koalition profitiert hatte, verlor an die CDU, zumal sie diesmal keine eigenen Kandidaten aufgestellt hatte.[14]

Vom 1. November 1973 bis zum 31. Oktober 1974 war Filbinger Bundesratspräsident. In diesem Amt bekämpfte er die Reform des § 218 und verhinderte mit der Mehrheit der CDU-CSU-geführten Länder die Fristenlösung. Später, im Juni 1975, kündigte er einen Gesetzesentwurf seiner Landesregierung zum §218 an, der eine Notlagenindikation des Arztes anerkannte, um von Schwangeren eine absehbare unzumutbare Belastung abzuwenden. Diesen Entwurf wollte er über den Bundesrat in den Bundestag einbringen, falls die CDU-Fraktion sich nicht auf einen ähnlichen Entwurf einigen konnte. Nach Kritik aus der eigenen Partei und den Kirchen zog er das Vorhaben im August 1976 vor den damals anstehenden Landtagswahlen zurück.[15] Auch die Reform des Mietrechts, der Städtebauförderung und das Betriebsverfassungsgesetz bekämpfte Filbinger im Bundesrat, so dass entsprechende Gesetzesvorlagen neu verhandelt werden mussten.[16] 1973 nach dem Sturz Salvador Allendes verweigerte seine Landesregierung Flüchtlingen aus Chile, darunter sechs ehemaligen Regierungsmitgliedern, politisches Asyl.[17]

Ab 1975 versuchte Filbinger erfolglos, den Bau des Kernkraftwerks Wyhl durchzusetzen, dessen Planung er seit 1967 mit vorangetrieben hatte. Filbinger war Aufsichtsratsvorsitzender des Badenwerks, sein Wirtschaftsminister stellvertretender Vorsitzender. Bekannt wurde seine Aussage: Wenn Wyhl nicht gebaut werde, gingen in Baden-Württemberg „die Lichter aus“. Massive Polizeieinsätze gegen Anti-AKW-Demonstranten führten dazu, dass sich viele Bauern und ehemalige CDU-Wähler der Region dem Protest anschlossen.[18]

Bei der Landtagswahl von 1976 errang er mit der Wahlkampfparole „Freiheit statt Sozialismus“ mit 56,7 Prozent den bislang größten CDU-Wahlerfolg in der Bundesrepublik (Kabinett Filbinger IV). Danach wurde Filbinger mit 91,5 Prozent zum Landesvorsitzenden wiedergewählt.[19]

1977 beschloss der Landtag von Baden-Württemberg ein von Filbingers Landesregierung vorgelegtes neues Universitätsgesetz, das unter anderem die Verfasste Studierendenschaft abschaffte. Filbinger gehörte nach der Schleyer-Entführung zum Großen Krisenstab der Bundesregierung. Später wurde bekannt, dass man in der RAF kurze Zeit erwogen hatte, ihn statt Hanns Martin Schleyer zu entführen.[20]

Im Anschluss an Günter Rohrmoser machte Filbinger im „Deutschen Herbst“ die Kritische Theorie als geistige Wegbereitung für den RAF-Terror verantwortlich.[21] 1998 bekräftigte er, die Vertreter der Frankfurter Schule seien die „maßgebliche Antriebskraft“ der „Exzesse“ an bundesdeutschen Hochschulen gewesen, die ihrerseits eine „Sympathisantenszene“ für den RAF-Terror gebildet habe: Damit einher ging jene „Befreiung zur Sexualität“, deren Auswirkungen wir heute in der Lawine von Pornographie und Perversion erleben müssen.[22]

Im Frühjahr 1978 beauftragte Filbinger den Sänger Heino, das Deutschlandlied für Schüler aufzunehmen, und wollte dessen Schallplatte an Schulen des Landes verteilen lassen. Dieses Vorhaben stieß auf viel Kritik, nachdem sich herausstellte, dass Heino auch die umstrittene erste Strophe gesungen hatte.[23]

Filbinger war in Baden-Württemberg über Regional- und Parteigrenzen hinweg sehr populär. Er verkörperte für viele als erster Ministerpräsident seines Landes den „Typ des Regierungschefs, der Schwaben und Badener gleichermaßen befriedigt: den Landesvater.“[24] Das Bundesland galt in seiner Ära als Vorbild politischer und wirtschaftlicher Stabilität und „Musterländle“ der CDU.

Die Filbinger-Affäre

Hauptartikel: Filbinger-Affäre

Im Februar 1978 warf Rolf Hochhuth Filbinger in der „Zeit“ vor, er habe als „Hitlers Marinerichter“ noch nach Kriegsende „einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt“. Dabei folgte er einem Bericht des Spiegel vom April 1972 über ein Urteil Filbingers als Marinerichter im britischen Kriegsgefangenenlager 1945, gegen dessen Kommentierung Filbinger damals erfolgreich auf Unterlassung geklagt hatte. Auch Filbingers erneute Unterlassungsklage gegen Hochhuth war zum Teil erfolgreich, doch durfte dieser ihn als „furchtbaren Juristen“ bezeichnen.

Der Prozess führte zur Entdeckung von vier Todesurteilen in Gerichtsakten der NS-Zeit, an denen Filbinger beteiligt gewesen war. In zwei Fällen hatte er als Ankläger eine Hinrichtung beantragt, im Falle des Matrosen Walter Gröger hatte er diese vorangetrieben und vollstrecken lassen. In zwei Fällen hatte er als Richter geflohene Deserteure in Abwesenheit verurteilt. In zwei weiteren Fällen, zu denen keine Akten gefunden wurden, soll er nach Angaben der Betroffenen ihr Verfahren verzögert und die Hinrichtung so verhindert haben.

Filbinger bestritt seine Mitwirkung an Todesurteilen zunächst vehement und gab dann jeweils an, die entdeckten Fälle vergessen zu haben. Er entschuldigte sich nicht bei den Angehörigen Grögers, sondern verteidigte seine Urteile als formal rechtmäßig und weisungsgebunden. Sein mündlich bezeugter Interviewsatz

„Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein“

wurde zum Ausdruck eines fehlenden Unrechtsbewusstseins und eines Rechtspositivismus, der Justizmorde der NS-Zeit auch nach über 30 Jahren rechtfertigte.[25]

So verlor Filbinger im Laufe des Juli 1978 den Rückhalt seiner Partei und der Öffentlichkeit. Daraufhin trat er am 7. August 1978 als Ministerpräsident zurück, sprach aber in der Erklärung dazu von einer „Rufmordkampagne“. Sein Rücktritt führte zu Diskussionen in der Bundes-CDU über den richtigen Oppositionskurs und in ein Zustimmungstief. Zu seinem Nachfolger wurde am 30. August 1978 Lothar Späth gewählt, der die folgenden Landtagswahlen gewann.

In den Folgejahren bis zu seinem Tod versuchte Filbinger, seine öffentliche Rehabilitation zu erreichen. Mit seiner 1987 veröffentlichten Autobiografie beschrieb er sich als Vertreter einer Generation, die in der NS-Zeit inneren Widerstand geleistet und nichts falsch gemacht habe. Den Satz „Was damals rechtens war...“ versuchte er umzudeuten, indem er „damals“ auf das Militärstrafrecht der Kaiserzeit bezog, das Grundlage des NS-Militärstrafrechts gewesen sei und für Desertion die Todesstrafe verlangt habe. Zudem versuchte er im Vorwort zur dritten Auflage (Oktober 1993), die bekanntgewordenen Akten zu seinen Prozessen auf Aktenfälschungen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit zurückzuführen.[26] Infolge dieser Bemühungen blieben seine Todesurteile als Marinerichter in der historischen Debatte. Die Affäre beschleunigte die historische Aufarbeitung der NS-Unrechtsjustiz und die gesetzliche Rehabilitation ihrer Opfer.

Spätzeit

Hans Filbinger, Dezember 2006

1979 wurde auf Filbingers Initiative das Studienzentrum Weikersheim gegründet,[27] das er bis 1997 leitete und dessen Ehrenpräsident er bis zu seinem Tod blieb. Er engagierte sich dort für eine „geistig-moralische Wende“, die Helmut Kohl als Bundeskanzler 1983 angekündigt, aber aus Sicht des rechten CDU-Flügels nicht verwirklicht hatte. Dies richtete sich gegen die von der Studentenbewegung der 1960er Jahre eingeleitete gesellschaftliche Demokratisierung und kulturelle Liberalisierung und sollte den Nationalkonservatismus in der CDU stärken.

1989 erklärte Filbinger in den Weikersheimer Blättern, die Haltung der CDU in deutschlandpolitischen Fragen stoße viele ihrer Wähler ab und habe jenen Raum gegeben,[28]

„… die u.a. die Verfälschung der deutschen Geschichte, die Diffamierung des deutschen Soldaten und die Glorifizierung des Deserteurs zum Mittel der Politik machen wollen…“

Zu seinem 80. Geburtstag am 15. September 1993 gründeten etwa 100 Mitglieder des Studienzentrum Weikersheim, darunter Gerhard Mayer-Vorfelder, Gerhard Löwenthal und Paul Schmidt-Carell, die „Hans Filbinger-Stiftung zur Förderung christlichen, vaterländischen und humanistischen Gedankengutes in Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Politik“. Sie soll in allen Gesellschaftsbereichen Deutschlands christliche und patriotische Positionen fördern und dazu Geldmittel bereitstellen. Aus diesen werden u.a. Weikersheimer Vorträge, Tagungen und Schulungswochen finanziert.[29]

Am 15. September 2003, seinem 90. Geburtstag, sagte Filbinger einen Empfang in Freiburg, seinem langjährigen Wohnsitz, ab, nachdem dessen Oberbürgermeister Dieter Salomon seine Teilnahme zurückgezogen hatte. Am Folgetag empfing er im Residenzschloss Ludwigsburg etwa 130 geladene Gäste, darunter fast das ganze CDU/FDP-Kabinett und die ihm nachfolgenden baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Die SPD- und Grünen-Vertreter blieben aus Protest fern. Die Schwestern von Walter Gröger protestierten gegen die Ehrung des „Mörders unseres Bruders“.[30] Bei einer Prostestdemonstration vor dem Schloss erklärte Wolfram Wette, Filbinger sei seit Mitte der 1970er Jahre zur „Reizfigur“ seiner politischen Gegner geworden, die in ihm eine Verkörperung des „autoritären Charakters“ und der dazugehörigen „Law-and-Order-Politik“ gesehen hätten. Er habe seit 1978 bewusst die Rolle des Fürsprechers und Wortführers der Kriegsbeteiligten übernommen, die an ihrem Verhalten in der NS-Zeit nichts auszusetzen fanden.[31]

Am 11. Oktober 2003 hielt Filbinger in Karlsruhe eine Rede vor dem Bund der Vertriebenen zum Thema „Mit Menschenrechten Europa vollenden“. Alle Oppositionsparteien im badenwürttembergischen Landtag, DGB, Jugendverbände und Universitätsgruppen riefen zu einer Gegendemonstration auf.[32] Am 31. März 2004 wählten alle Landtagsfraktionen Filbinger einstimmig zum Wahlmann für die Bundesversammlung zur Bundespräsidentenwahl 2004. Er war damit zum siebten Mal (nach 1959, 1969, 1974, 1979, 1994, 1999) Wahlmann. Die Bundes-SPD, Bundestagsabgeordnete der Grünen und der PDS distanzierten sich von diesem Stimmverhalten und erinnerten an Filbingers umstrittene Vergangenheit. Auch der Schriftstellervereinigung P.E.N. Deutschland und der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierten Filbingers Wahl. Das Forum Justizgeschichte wies darauf hin, dass diese dem 89-jährigen Hans Lauter, der 1936 vom Volksgerichtshof wegen Widerstands gegen das NS-Regime zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, den Platz des Ältesten wegnahm.[33]

Filbinger war Mitglied in der Paneuropa-Union, im „Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem[34] und im Brüsewitz-Zentrum.[35] Er erhielt zwei Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland sowie ähnliche Orden Frankreichs, Italiens, Spaniens, und weiterer Staaten.[36] Hinzu kamen einige Ehrendoktor-Titel.[37]

Tod und Würdigung

Filbinger starb am 1. April 2007 im Alter von 93 Jahren. Er wurde auf dem Friedhof in Freiburg-Günterstal bestattet. Am 11. April 2007 fand im Freiburger Münster ein Requiem mit anschließendem Staatsakt statt. Dabei hielt der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, eine von dem Redenschreiber Michael Grimminger entworfene Trauerrede, in der er Filbingers Lebenswerk und sein Verhalten im Nationalsozialismus positiv würdigte:[38]

„Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes. Allerdings konnte er sich den Zwängen des Regimes ebenso wenig entziehen wie Millionen Andere.“

Diese und andere Aussagen der Rede stießen auf heftige öffentliche Kritik. Dabei wurde Filbingers Rolle in der NS-Zeit nochmals beleuchtet. Fachhistoriker bekräftigten, dass er die NS-Justiz mitgetragen und mindestens eine vermeidbare Hinrichtung zu verantworten gehabt hatte.[39] Einige warfen Oettinger Geschichtsfälschung vor.[40]

Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel am 13. April öffentlich Oettingers Eingehen auf „die kritischen Fragen“ an Filbingers Verhalten in der NS-Zeit und „eine Differenzierung im Hinblick auf die Gefühle der Opfer“ vermisst hatte,[41] entschuldigte sich Oettinger am 15. April bei den Opfern der NS-Justiz[42] und nahm den Satz von der „Gegnerschaft“ Filbingers am 16. April zurück.[43]

Der emeritierte Berliner Domkapitular Wolfgang Knauft wollte am 17. April 2007 auf eigene Initiative in der Abendmesse der Sankt-Hedwigs-Kathedrale an Filbingers Rolle im Fall Möbius erinnern.[44] Georg Kardinal Sterzinsky untersagte dies am Vortag nach vielen Protesten auch von Katholiken. Diese erinnerten an Filbingers mangelndes Schuldbewusstsein und den 1943 von Nationalsozialisten ermordeten seliggesprochenen Dompropst Bernhard Lichtenberg, der in der Hedwigskathedrale bestattet ist.[45]

Schriften

  • Entscheidung zur Freiheit. Busse-Seewald, 1982, ISBN 3-512-00213-7
  • mit Eugen Biser und Lothar Bossle: Die Medien – das letzte Tabu der offenen Gesellschaft. Die Wirkung der Medien auf Politik und Kultur. v. Hase & Koehler, Mainz 1986, ISBN 3-7758-1135-4
  • Die geschmähte Generation. Politische Erinnerungen. Die Wahrheit aus den Stasi-Akten. 3. Auflage, Bechtle, Esslingen u. a. 1994, ISBN 3-7628-0523-7 (Autobiografie)

Literatur

  • Lothar Bossle (Hrsg.): Hans Filbinger. Ein Mann in unserer Zeit. Universitas, München 1983, ISBN 3-8004-1052-4 (Festschrift zum 70. Geburtstag)
  • Wolfram Wette (Hrsg.): Filbinger, eine deutsche Karriere. Klampen, Springe 2006, ISBN 3-934920-74-8
  • Fred Ludwig Sepaintner (Hrsg.): Hans Filbinger – aus neun Jahrzehnten. DRW/Braun, Leinfelden-Echterdingen/Karlsruhe 2003, ISBN 3-87181-536-5 (Festschrift zum 90. Geburtstag)
  • Staatsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.): Filbinger Karikaturen. Den Landesvater mit spitzer Feder aufgespießt. Karlsruhe Malsch & Vogel, 1973

(Literatur zur Filbinger-Affäre siehe dort)

Commons: Hans Filbinger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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Rückblicke und Nachrufe

Einzelbelege

  1. Eintrag Filbinger, Internationales Biographisches Archiv 47/2008 vom 18. November 2008, letzter Zugriff: 28. August 2009.
  2. Homepage Hans Filbinger: 10. Gaubrief
  3. Hugo Ott in: Heinz Hürten, Wolfgang Jäger, Hugo Ott: Hans Filbinger – Der Fall und die Fakten, 1980, S. 15f. Die Akte Filbingers bei der Studienstiftung ist nicht vorhanden, siehe: Rolf-Ulrich Kunze, Manfred Heinemann (2001): Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925: zur Geschichte der Hochbegabtenförderung in Deutschland, S. 318 (Buchauszug online)
  4. Eintrag Filbinger im Munzinger Archiv.
  5. Ricarda Berthold: Filbingers Tätigkeit als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg, in: Wolfram Wette (Hrsg.): Filbinger – eine deutsche Karriere, 2006, S. 43
  6. Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der 'Vergangenheitsbewältigung' in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Transcript, 2. Auflage 2009, ISBN 3-89942-773-4, S. 203; Christian Semler (taz, 14. April 2007): Der Nazi-Richter urteilte bis zum Schluss
  7. Heinrich Senfft: Richter und andere Bürger. 150 Jahre politische Justiz und neudeutsche Herrschaftspolitik. Greno, Nördlingen 1988, ISBN 3-89190-957-8, S. 23
  8. Stuttgarter Nachrichten, 19. Mai 2008: Filbinger-Witwe 86-jährig gestorben
  9. Hans-Georg Wehling, Reinhold Weber: Geschichte Baden-Württembergs. Beck Verlag, 1. Auflage 2007, ISBN 3406558747, S. 117 (Buchauszug online)
  10. Marlis Prinzing: Landesväter im Abseits der Geschichte? Die Vergangenheitsvergessenheit baden-württembergischer Ministerpräsidenten aus Medienperspektive
  11. Wolfram Wette (Freiburg im Breisgau, 14. September 2003): Der Fall Filbinger (PDF, S. 9)
  12. Uwe Jun, Melanie Haas, Oskar Niedermayer (Hrsg.): Parteien und Parteiensysteme in den deutschen Ländern, Vs Verlag, 1. Auflage 2007, ISBN 3531154397, S. 113
  13. Rolf Zundel (Die Zeit 48/26. November 1971): Der Landesvater und die Ostpolitik
  14. Uwe Jun, Melanie Haas, Oskar Niedermayer (Hrsg.): Parteien und Parteiensysteme in den deutschen Ländern, Vs Verlag, 1. Auflage 2007, S. 111
  15. Simone Mantei: Nein und Ja zur Abtreibung. Vandenhoeck & Ruprecht, 1. Auflage 2004, ISBN 3525557388, S. 486-489
  16. Bernt Engelmann: Hakenkreuz-Wendedich Filbinger
  17. John Goetz, C. Baumann (taz-Magazin, 12. September 1998, S. 5): Keine Warnung an Allende
  18. Horst Johannes Tümmers: Der Rhein: Ein europäischer Fluß und seine Geschichte, C.H.Beck, 2. Auflage 1999, ISBN 3406448232, S. 179
  19. Reinhard Mohr (Der Spiegel, 2. April 2007): Nachruf: Ministerpräsident, Marinerichter, Mitläufer
  20. Stefan Wisniewski: Wir waren so unheimlich konsequent… Ein Gespräch zur Geschichte der RAF. ID, Berlin 1997, ISBN 3-89408-074-4, S. 29 (Online-Auszug)
  21. Martin Lüdke (Die Zeit 1986): Die Eule der Minerva. Max Horkheimers „Gesammelte Schriften“
  22. Hans Filbinger: Festvortrag auf der 7. Weikersheimer Hochschulwoche 1998
  23. Michael Jeismann: Die Nationalhymne, in: Etienne Francois, Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte Band III, C.H.Beck, 1. Auflage 2001, ISBN 3406472249, S. 663
  24. Rolf Zundel (Die Zeit 48/26. November 1971): Der Landesvater und die Ostpolitik
  25. Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der 'Vergangenheitsbewältigung' in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Transcript, 2. Auflage 2009, ISBN 3899427734, S. 204
  26. Hans Filbinger: Die geschmähte Generation. Politische Erinnerungen. Die Wahrheit aus den Stasi-Akten. 3. Auflage, Bechtle, Esslingen u. a. 1994, ISBN 3-7628-0523-7
  27. Der Spiegel 30/24. Juli 1989, S. 67f.: Vielfältige Bettszenen
  28. Weikersheimer Blätter 7/1989, S. 67, zitiert nach Lupe e.V.: Organisationsprofil Studienzentrum Weikersheim, Berlin 1994, S. 16
  29. BNR, September 1996: Studienzentrum schult den akademischen Nachwuchs
  30. Stern (12. September 2003): Der „furchtbare Jurist“; Marcus Stölb (Der Spiegel, 5. August 2003: Sreit um Filbinger-Geburtstag: Und mir feiere doch!
  31. Wolfram Wette: Der Fall Filbinger (Vortrag in Freiburg im Breisgau, 14. September 2003) (PDF, S. 9)
  32. Dokumentation über den Protest gegen den Filbinger-Auftritt am 11. Oktober 2003 in Karlsruhe (pdf)
  33. Forum Justizgeschichte: Presseerklärung Ausgerechnet Hans Filbinger Ältester der Bundesversammlung
  34. Jens Mecklenburg (Hrsg.): Handbuch Rechtsextremismus, Berlin 1996, S. 458
  35. Lupe e.V.: Organisationsprofil Studienzentrum Weikersheim. Berlin 1994
  36. Bruno Jahn (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschen Politik. Biographical Dictionary of German Politics, Saur, 2004, ISBN 3598115792, S. 177; Hans-Filbinger.de: Auszeichnungen
  37. Hans-Filbinger.de: Akademische Ehrungen
  38. Süddeutsche Zeitung, 12. April 2007: Oettingers Rede beim Staatsakt am 11. April 2007
  39. Manfred Messerschmidt (n-tv-Interview, 13. April 2007): Filbinger war ein Mitmarschierer
  40. Deutschlandfunk, 14. April 2007: Historiker wirft Oettinger Geschichtsfälschung vor
  41. Der Tagesspiegel, 13. April 2007: Filbinger-Trauerrede: Merkel distanziert sich von Oettinger
  42. Der Tagesspiegel, 15. April 2007: Oettinger entschuldigt sich bei NS-Opfern
  43. WDR Nachrichten, 16. April 2007, 17:51 Uhr: Oettinger nimmt Aussagen über Filbinger zurück
  44. Der Tagesspiegel, 15. April 2007: Katholiken ehren Filbinger mit Gedenkgottesdienst
  45. Der Tagesspiegel, 17. April 2007: Erzbistum sagt Gottesdienst für Filbinger ab