Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung
Erik H. Erikson sieht die persönliche Entwicklung als einen lebenslangen Prozess. Dieser Prozess ist auch ein sozialer Prozess. Nach Erikson gibt es acht Stufen der Entwicklung. Jede Stufe stellt einen Konflikt dar, mit dem das Individuum sich aktiv auseinandersetzt. (Die Altersangaben sind Richtwerte und nicht absolut zu sehen.)
1. Urvertrauen vs. Misstrauen 0 bis 1 Jahre
Das Kind kommt auf die Welt. Ist abhängig von seiner Mutter und lernt, dass die Mutter da ist. Wichtige Faktoren dieser Stufe sind das Geben und Bekommen. Das Kind lernt Vertrauen zu haben in seine (Um)Welt, auch wenn die Mutter aus seinem Blickfeld verschwindet. Urvertrauen resultiert in Hoffnung, Misstrauen in Rückzug.
2. Autonomie vs. Scham und Zweifel
2 bis 3 Jahre
Die wichtigsten psychosozialen Faktoren dieser Phase sind das Festhalten und Loslassen. In den pychosexuellen Phasen Freuds entspricht diese Zeit der analen Phase. Der Schließmuskel des Kindes ist ausgebildet und kann vom Kind kontrolliert werden. Es erfährt Lust durch Anspannung und Entspannung. Erikson sieht hier den Willen des Kindes selbst zu entscheiden ob es loslässt oder festhält (Wunsch nach Selbständigkeit) gegenüber dem Willen der Eltern (z.B. Reinlichkeitserziehung). Wird diese Phase für das Kind positiv gemeistert mündet das in Stolz und Autonomie und einem festen Willen. Wird der Wunsch nach Selbstständigkeit von den Eltern unterdrückt so kann das zu Scham und Zweifel führen oder gar zum pathologischen Zwang.
3. Initiative vs. Schuldgefühl
4 bis 5 Jahre
Nachdem das Kind in der 2. Phase herausgefunden hat, dass es ein ICH ist, muss es nun herausfinden, was für ein Ich es werden will. Das tut es beim Spielen. Wichtigste Faktoren sind hier das tun und das tun-als-ob. Eltern können hier Initiative fördern indem sie ihre Kinder ermutigen, eigene Ideen auszuprobieren. Die Kinder haben jetzt aber auch schon eine Vorstellung was passieren wird, wenn sie etwas tun. Sie sind für ihr Handeln verantwortlich. Und manches Handeln führt zu Schuldgefühlen. Zu viel Initiative und zu wenig Schuldgefühl mündet nach Erikson in Rücksichtlosigekeit. Eine gute Balance in Zielstrebigkeit. Zuviele Schuldgefühle hemmen die Initiative und Handlungsbereitschaft.
4. Kompetenz vs. Minderwertigkeit
6 Jahre bis Pubertät
Die Lebenswelt der Kinder vergrößert sich. Es geht nun in die Schule und sieht sich mit Aufgaben konfrontiert, die an es gestellt werden. Das Kind lernt Erfolg zu haben und Misserfolg. Wird dem Kind die Chance Erfolg zu haben genommen (z.B. durch Diskreminierung oder unsensible Lehrer) so wird es denken, es sei inkompetent und minderwertig. Es wird sich nicht weiter anstrengen, weil es ja sowieso nichts bringt und sich in seine Trägheit ergeben. Ist diese Phase gut gemeistert worden, entwickelt das Kind ein Gefühl von Kompetenz.
5. Identität vs. Identitätsdiffusion
Pubertät bis 18 Jahre
Identität meint, dass man weiß, wer man ist und wie man in diese Gesellschaft passt. Aufgabe des Jugendlichen ist es all sein Wissen über sich und die Welt zusammenzufügen und ein Selbstbild zu formen das für ihn und die Gemeinschaft gut ist. Seine soziale Rolle gilt es zu finden. Ist eine Rolle zu strikt, die Identität damit zu stark, kann das zu Intoleranz führen. Schafft der Jugendliche es nicht seine Rolle in der Gesellschaft und seine Identiät zu finden, führt das nach Erikson zu Zurückweisung. Menschen mit dieser Neigung ziehen sich von der Gesellschaft zurück und schließen sich u.U. Gruppen an, die ihnen eine gemeinsame Identität anbieten. Wird dieser Konflikt erfolgreich ausbalanciert, so mündet das in die Fähigkeit der Treue. Obwohl die Gesellschaften nicht perfekt ist, kann man in ihr leben und seinen Beitrag leisten, sie zu verbessern. (Das gleiche gilt für zwischenmenschliche Beziehungen.)
6. Intimität vs. Isolierung
frühes Erwachsenenalter
Aufgabe dieser Entwicklungsstufe ist es, ein gewisses Maß an Intimität zu erreichen, anstatt isoliert zu bleiben. Die Identitäten sind gefestigt und es stehen sich zwei unabhängige Egos gegenüber. Es gibt viele Dinge im modernen Leben, die dem Aufbau von Intimität entgegen stehen (z.B. Betonung der Karierre, großstädtisches Leben, die zunehmende Mobiltät). Wird zuwenig Wert auf den Aufbau intimer Beziehungen (was auch Freunde etc. mit einbezieht) gelegt, kann das nach Erikson zur Exklusivität führen, was heißt sich von Freundschaften, Liebe und Gemeinschaften zu isolieren. Wird diese Stufe erfolgreich gemeistert, ist der junge Erwachsene fähig zur Liebe. Damit meint Erikson, die Fähigkeit, Unterschiede und Widerspüche, in den Hintergrund treten zu lassen.
7. Generativität vs. Stagnation
mittleres Erwachsenenalter
Generativität meint die Liebe in die Zukunft zu tragen, sich um zukünftige Generationen kümmern, eigene Kinder großziehen. Erikson zählt dazu nicht nur eigene Kinder zeugen und für sie zu sorgen, er zählt dazu auch Unterrichten, die Künste und Wissenschaften und soziales Engagement. Also alles was für zukünftige Generationen "brauchbar" sein könnte. Stagnation heißt das Gegenteil von Generativität: sich um sich selbst kümmern und um niemanden sonst. Zuviel Generativität heißt, dass man sich selbst vernachlässigt zum Wohle anderer. Stagnation führt dazu, dass andere uns ablehen und wir andere. Niemand ist so wichtig wie wir selbst. Wird die Phase erfolgreich abgeschlossen, gewinnt man die Fähigkeit zur Fürsorge erlangt, ohne sich selbst dabei aus den Augen zu verlieren.
8. Integrität vs. Verzweiflung
hohes Erwachsenenalter
Der letzte Lebensabschnitt stellt den Menschen vor die Aufgabe, auf sein Leben zurückzublicken. Anzunehmen, was er getan hat und geworden ist und den Tod als sein Ende und das Ende von Freunden etc. nicht zu fürchten. Das Gefühl noch einmal leben zu müssen, vielleicht um es dann besser zu machen, Angst vor dem Tod, führt zu Verzweiflung. Setzt sich der Mensch in dieser Phase nicht mit Alter und Tod auseinander (und spürt nicht die Verzweiflung dabei), kann das zur Anmaßung und Verachtung dem Leben (dem eigenen und dem aller) führen. Wird diese Phase jedoch erfolgreich gemeistert, erlangt der Mensch das, was Erikson Weisheit nennt - dem Tod ohne Furcht entgegensehen, sein Leben annehmen und trotzdem die Fehler und das Glück darin sehen können.