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Aristide Cavaillé-Coll

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Aristide Cavaillé-Coll

Aristide Cavaillé-Coll (* 4. Februar 1811 in Montpellier; † 13. Oktober 1899 in Paris) war ein französischer Orgelbauer. Er gilt als der bedeutendste französische Orgelbauer der Romantik und gehört zu den bedeutendsten Orgelbauern aller Zeiten.[1][2]

Leben

1811 bis 1834: Herkunft und Jugend

Cavaillé-Colls älteste Vorfahren waren Stoffhersteller in Gaillac. Doch übte bereits der Bruder seines Urgroßvaters, der Dominikaner Joseph Cavaillé (ca. 1700–1767), erlernte bei Jean Esprit Isnard das Orgelbauhandwerk. Isnard erbaute gemeinsam mit Cavaillé in Toulouse die Orgel der Kirche Saint-Pierre des Cuisines. Aristide Cavaillé-Colls Großvater Jean-Pierre Cavaillé (* 1743; † 1809) verwaiste früh, erlernte bei seinem Onkel Joseph das Orgelbauhandwerk und machte sich 1765 in Spanien selbständig. 1767 heiratete er in Barcelona Françoise Coll.[3]

Am 16. April 1771 wurde ihnen der Sohn Dominique-Hyacinthe geboren, der nach spanischem Brauch den Doppelnamen Cavaillé-Coll trug. Auch Dominique erlernte den Beruf des Orgelbauers, verließ aber 1788 wegen Unstimmigkeiten mit seiner Stiefmutter seine Familie und ging nach Spanien, wo er einige unterbrochene Arbeiten seines Vaters fortführte. Er blieb bis zu Beginn der französischen Revolution in Spanien. 1791 begann er eine Offizierskarriere beim französischen Militär, die 1789 einer Verwundung wegen aufgab und nach Spanien zurückkehrte. Bis zu seiner Rückkehr nach Frankreich 1805 erbaute er dort einige Orgeln.[3]

Aristide Cavaillé-Coll wurde am 4. Februar 1811 in Montpellier als zweiter Sohn Dominique Cavaillé-Colls und dessen Frau Jeanne Autard geboren; er hatte einen älteren Bruder Vincent (* 9. Oktober 1808; † 1886), der ebenfalls Orgelbauer wurde. Die Unruhen in Südfrankreich aufgrund Bourbonen-Restauration durch Ludwigs XVIII. 1814 brachten seinen Vater Dominique dazu, seine Familie nach Lérida in Spanien zu verbringen. Der erst fünfjährige Aristide erhielt dort eine nur unzureichende Schulbildung und hatte sein Leben lang Rechtschreibprobleme. Die Furcht vor der 1822 auftretenden Pest begründete die Rückkehr nach Frankreich, ab 1824 in Gaillac ab 1827 in Toulouse. Aristide zeigte schon früh großes handwerkliches Geschick (er arbeitete bereits mit elf Jahren an einer für seine Größe hergestellten Werkbank) und mathematisches Talent. Als 1829 eine große Zahl von Aufträgen aus Spanien an Dominique erging, schickte dieser den erst 18jährigen Aristide nach Lérida, um dort bei der Flucht unvollendet gelassene Instrument fertigzustellen. Dabei erdachte er zahlreiche Neuerungen: Ein (unabhängig von der ähnlichen, jedoch früher erfundenen Konstruktion James Watts) Gestänge, um das Verkanten der Parallelbälge zu vermeiden, die Koppel durch Fußhebel (statt Schiebekoppeln), die Bedienung des Schwellwerkes durch Fußhebel (statt wie bisher über Seilzüge oder Handhebel).[3]

Nach der Rückkehr nach Toulouser entwickelte er gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder das Poïkilorgue, eine harmoniumartiges Instrument für den kammermusikalischen Gebrauch, das 1832 in Toulouse die Aufmerksamkeit von Gioacchino Rossini auf sich zog. Dieser ermutigte ihn nach Paris zu gehen. 1833 erfand er auch die Kreissäge, für die er am 19. März 1834 mit der Bronzemedaille der Société d'Encouragement ausgezeichnet wurde.[3]

1834 bis 1843: Bau der Orgel von St-Denis (Paris) und Durchbruch in Frankreich

Schnitt durch einen Barkerhebel

Angeregt durch Rossini nahm der junge Cavaillé-Coll am 21. September 1833 eine Gelegenheit wahr, nach Paris zu ziehen – ausgestattet mit zahlreichen Empfehlungsschreiben. Angekommen in Paris wurde er mit Henri Montan Berton bekannt gemacht, einem Mitglied der Orgelbaukommission der Basilika Saint-Denis. Für den Orgelneubau hatten sich bereits Pierre Érard (1796–1855), John Abbey (1785–1859), Louis Callinet (1786–1846) und Louis-Paul Dallery (1797–1875) beworben, die bedeutendsten Orgelbauer Frankreichs der Zeit. Auf Vorschlag Berton begab sich Cavaillé-Coll unverzüglich in die Basilika, um den Raum zu untersuchen und anschließend innerhalb kürzester Zeit in seinem Hotelzimmer einen Entwurf für eine neue Orgel skizzierte. Zur Überraschung aller, erhielt der junge unbekannte Cavaillé-Coll am 2. Oktober 1834 den Zuschlag. Sein Vater zog bald nach der Nachricht ebenfalls nach Paris, wo sie eine Werkstatt in der Rue Neuve-Saint-Georges N° 14, nah der Kirche Notre-Dame-de-Lorette eröffneten. Schon bald danach erhielt er für diese Kirche ebenfalls den Auftrag zum Orgelbau.[4]

Ein Schlüsselereignis für den Bau der Orgeln in St-Denis und für Cavaillé-Colls gesamtes Werk war die Begegnung mit Charles Spackman Barker (1804–1879) im Jahre 1837. Der Bau der Orgel in St-Denis brachte unvorhergesehen Schwierigkeiten mit sich. Die Orgel aufgrund hoher Winddrück und der komplizierten Mechanik würde bei Benutzung der herkömmlichen Mechanik nur mit großer Kraftanstrengung spielbar sein. Barker hatte kurz zuvor eine pneumatische Maschine erfunden, mit deren Hilfe sich die Spielbarkeit wesentlich erleichtern ließe. In England hatte Barker keine Interessenten gefunden und bemühte sich nun seine Erfindung in Frankreich bekannt zu machen. Cavaillé-Coll erkannte sofort das Potential der Erfindung und entwickelte sie gemeinsam mit Barker weiter. die Orgel von Saint-Denis erhielt im ersten Manual eine solche Barkermaschine und ermöglichte, diese mit enormen 32 Registern zu disponieren und problemlos andere Manuale daran zu koppeln. Die Orgel wurde am 21. September 1841 eingeweiht und hatte durchschlagenden Erfolg. Cavaillé-Coll galt von nun an als modernster und führender Orgelbauer Frankreichs.[4]

1844 bis 1855: Studienreise durch Europa und Hochzeit

Beflügelt vom Erfolg der Orgel in Saint-Denis erhielt Cavaillé-Coll bald viele Aufträge, etwa die Revision der Clicquot-Orgel der Pfarrkirche Saint-Roch 1842. 1844 reiste Cavaillé-Coll durch Europa, um aktuelle Entwicklungen des Orgelbaus zu studieren. Er besichtigte die Orgel von 1834 der Kathedrale von Fribourg erbaut von Aloys Mooser (IV/P/68), deren klangliche Schwäche er krisierte. In Deutschland machte er Bekanntschaft mit Eberhard Friedrich Walcker, dem er seitdem in persönlicher Freundschaft verbunden war. Er besichtigte dessen Orgel von 1833 in der Paulskirche Frankfurt (III/PP/74), die für die Entwicklung der romantischen Orgel in Deutschland ähnliche Impulswirkung entfaltete wie Saint-Denis in Frankreich. Auch hier kritisierte er die mangelnde Durchschlagskraft der Zungen und Solostimmen, lobte indessen den majestätischen Grundcharakter. Weiter reiste er über Köln in die Niederlande nach Rotterdam, Utrecht, Haarlem (Besichtigung der Orgeln Christian Müllers). Dort knüpfte er Kontakt mit Johann Bätz. Die Reise fand ihren Abschluss mit kurzen Besuchen in London und Birmingham.[4]

1846 markierte der Bau der Orgel von La Madeleine mit Verzicht auf Aliquotregister und Mixturen eine weitere Wende in Cavaillé-Colls Schaffen. 1854 folgte der Umzug aus der zu eng gewordenen Werkstatt in der Rue Notre-Dame-de-Lorette (die Rue Neuve-Saint-Georges wurde umbenannt) in die Rue Vaugirard N° 94–96. Ein neuer großer Saal mit hohem Gewölbe machte es möglich, auch große Instrumente zusammenzuhaben und vorzuführen. 1854 heiratete er auch am 3. Februar 1854 Adèle Blanc, mit der er sechs Kinder haben würde (Cécile, Emmanuel, Joseph, Gabriel, Pierre und Isabelle). Pierre und Isabelle verstarben früh, Emmanuel wurde Dekorationsmaler, Joseph fiel als Marinesoldat mit 22 Jahren, Gabriel wurde ebenfalls Orgelbauer.

1856 bis 1880: Bau der Orgeln von Saint-Sulpice und Notre-Dame-de-Paris

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Signatur am Spieltisch (1850–1899)

Nach dem Tod seines Vaters gründete er 1856 die Kommanditgesellschaft auf Aktien A. Cavaillé-Coll Fils & Cie. In der nun beginnenden Hochzeit des Unternehmens verließen im Schnitt etwa 20 Instrumente Cavaillé-Colls Werkstatt. Entscheidend für den Erfolg der Werkstatt dürfte auch deren Anziehungskraft talentierte Mitarbeiter gewesen sein. Ganze Generationen arbeiteten unter Cavaillé-Coll und verehrten in als Patriarch der Werkstatt. Besonders hervorzuheben sind die Brüder Gabriel und Félix Reinburg, die erstklassige Intonateure waren. Die Struktur innerhalb der Werkstat war durch Spezialisierung auf einzelne Teilbereiche geprägt; überwacht wurde alles von Cavaillé-Coll, der den Arbeitsfortgang von seinem Bureau aus und durch regelmäßige Rundgänge überwachte.[5]

In seinem Bureau war Cavaillé-Coll von verschiedenen Instrumenten, Maschinen und Modellen umgeben; er verfügte über eine große Fachbibliothek. Zur Ausstattung gehörte auch ein Gerät, mit dem sich mit 32 Orgelpfeifen die ersten 32 harmonischen Teiltöne in beliebiger Abfolge und Kombination widergeben ließen. Ihrer enormen Lautstärke wegen wurde sie auch machine infernale genannt. Cavaillé-Coll verfügte über großes Geschick die durch diese Apparaturen gewonnen Erkenntniss in mathematischen Formeln auszudrücken; er kann zu Begründern der modernen akustischen Forschung gezählt werden. Zu seinen Bekannten zählte die Physiker Félix Savart, Jules Antoine Lissajous, Léon Foucault; Louis Pasteur war für eine Zeit sein Nachbar.[5] Unter den Orgelbauern zählte er Eberhard Friedrich Walcker, Friedrich Ladegast und Wilhelm Sauer (Orgelbauer) zu seinen Freunden, ferner die Klavierbauerfamilie Érard und der Uhrenmacher Jean André Lepaute.[5]

Auch mit den musikalischen Größen des Pariser Musiklebens stand Cavaillé-Coll in regem Austausch und er nahm regelmäßig an privaten Musikabenden beispielsweise mit den Komponisten Camille Saint-Saëns, Gioachino Rossini und der Sängerin Pauline Viardot teil. Zu seinem weiteren Freundeskreis zählten auch Giacomo Meyerbeer, Louis Niedermeyer, François Benoist, Ambroise Thomas, Charles Valentin Alkan, Gabriel Fauré, Charles Gounod, Jules Massenet, Léo Delibes, François-Joseph Fétis, Héctor Berlioz und Franz Liszt.[5] Über den einflussreichen Ritter Sigismund Neukomm gelangte er an den Titel „Königlicher Orgelbauer“. Cavaillé-Coll hatte daneben auch erheblichen Einfluss auf eine ganze Komponistengeneration, die später als französische Orgelschule zu großer Bekanntheit gelangte: Aus früher Zeit war er mit Jacques-Nicolas Lemmens bekannt, zu dem er Aléxandre Guilmant und später Charles-Marie Widor schickte, um sie mit dem Orgelwerk Bachs bekannt zu machen. Widor folgte später Louis Lefébure-Wely als Organist in Saint-Sulpice nach. Lefébure-Wely selbst weihte zahlreiche Orgeln Cavaillé-Colls ein. Gegen Ende seines Lebens lernte er noch den jungen Louis Vierne sowie den achtjährigen Marcel Dupré kennen, der ihm bei einem Spaziergang am Seine-Ufer zahlreiche Fragen zu den Orgeln in Notre-Dame und Saint-Sulpice stellte.[5]

In der Anfangszeit des Unternehmens war Cavaillé-Coll seinen französischen Konkurrenten um ein Vielfaches überlegen. Erst ab Mitte der 1850er Jahre erwuchs ihm in Joseph Merklin ein in technischer Hinsicht ernsthafter Konkurrent, zumindest in der province; klanglich begnügte dieser sich jedoch eher damit Cavaillé-Coll zu kopieren. Innerhalb von Paris war seine Vorrangstellung unbestritten.[5] Die internationale Konkurrenz Cavaillé-Colls baute inzwischen immer größere Orgeln: In Liverpool hatte Henry Willis 1855 eine viermanualige Orgel mit 100 Registern, in Ulm Walcker 1857 ein Instrument gleicher Größe mit Doppelpedal errichtet. Ab 1857 plante Cavaillé-Coll der ausländischen Konkurrenz ein ebenbürtiges Orgelwerk entgegenzusetzen: Der Umbau der Orgel von Saint-Sulpice. Die Orgel war 1781 von François-Henri Clicquot errichtet worden und sollte nun erneuert und erweitert werden. Der 1862 vollendete Ausbau auf fünf Manuale mit 100 Registern brach mit allem bisher gekannten und überwältigte das in- und ausländische Publikum. Cavaillé-Coll hatte es zu Weltruhm gebracht.[6]

1863 bis 1868 baute Cavaillé-Coll die Orgel der Kathedrale Notre-Dame de Paris und konnte den Erfolg von Saint-Sulpice nochmals wiederholen. Wirtschaftlich waren beide Projekte weniger erfolgreich und permanente finanzielle Probleme zwangen ihn, zwei stille Teilhaber in die Firma aufzunehmen. Nicht vergönnt war ihm der Bau der Orgel des Petersdomes. Sein Entwurf von 1875 mit 124 Registern auf fünf Manualen brachte es nicht über ein Modell im Maßstab 1:10 hinaus. Der berufliche Erfolg wurde jedoch von privater Trauer überschattet: 1859 starben zwei seiner Kinder, 1862 seine Mutter, 1868 seine Frau bei der Geburt ihres letzten Kindes.[6]

1866 zog die Werkstatt erneut der Stadtplanung Baron Haussmanns wegen umziehen und war von nun an in der Avenue du Maine nahe des Bahnhofs Montparnasse zu finden. Nur wenige Instrumente verließen jedoch in dieser Zeit, kurz vor dem Deutsch-Französischen Krieg, die Werkstatt. Cavaillé-Coll wich nach England aus, wo die Orgel der Town Hall (Sheffield) (IV/P/64) von 1873 ein weiterer Meilenstein seines Schaffens wurde.[6]

1880 bis 1899: Spätwerk in Saint-Ouen und Saint-Sernin

Grab der Familie Cavaillé-Coll auf dem Cimetière Montparnasse

Zwei letzte Umbauten bilden das reife Spätwerk Cavaillé-Colls: Die Orgel der Abteikirche Saint-Ouen in Rouen und die Orgel der Basilika Saint-Sernin in Toulouse. Angesichts der riesigen Kathedralräume, für die sie gebaut wurden, eher klein disponiert, zeichnen sich diese Umbauten von Vorgängerorgeln durch große Klangschönheit aus und stehen den Orgeln von Notre-Dame und Saint-Sulpice mit ihrer enormen Durchschlagskraft in nichts nach.[2]

Wirtschaftlich stand die Werkstatt in den letzten fast ständig vor dem Konkurs. Sein Sohn Gabriel hatte zwar das Orgelbauhandwerk erlernt, Cavaillé-Coll sah ihn aber nicht als seinen Nachfolger an. Jener eröffnete eine eigene Orgelbauwerkstatt, scheiterte jedoch bald und floh mit der Kasse des Unternehmens nach Spanien, wo er 1916 starb. Cavaillé-Coll selbst litt unter Einbußen seines Seh- und Hörvermögens. Er war nicht bereit den hohen, aber teuren, mechanischen und künstlerischen Standard seiner Orgeln aufzugeben; Neuerungen im Orgelbau wie Elektrik und Pneumatik lehnte er ab: Er baute weiterhin mit mechanischen Schleifladen. Seine letzten große Orgeln baute er 1898 für den Baron de L'Espée in Biarritz mit 70 Registern auf vier Manualen (sie steht heute in der Kirche Basilique du Sacré-Cœur) und 1899 für den Tschaikowski-Saal des Moskauer Konservatoriums.[2] Nicht ohne Einfluss auf die Auftragslage war ebenfalls, dass sich ehemalige gut ausgebildete Mitarbeiter Cavaillé-Colls in der Provinz selbständig machten: Zu nennen sind vor allem Louis Debierre in Nantes und Charles Mutin in Caen.[5]

Bis zum 15. März 1898 stand seine Werkstatt unter seiner Leitung. Um den wirtschaftlichen Untergang zu vermeiden, übergab er nun das Unternehmen an Charles Mutin (1861–1931), den er selbst ausgebildet hatte. Unter dessen Leitung erwirtschaftete das Unternehmen bald wieder Gewinne, ohne dass die Orgeln qualitativ denen Cavaillé-Colls selbst nachstanden. Mit der Trennung von Kirche und Staat in Frankreich 1905 wurde es immer schwieriger große Orgeln zu finanzieren und die Qualität der Orgeln lies auch durch den wirtschaftlichen Ehrgeiz Mutins nach. 1924 gab Mutin die Werkstatt ab. Die Firma bestand noch bis kurz nach dem zweiten Weltkrieg.[2]

Nach der Übergabe des Unternehmens zog Cavaillé-Coll mit seiner Tochter Cécile in die Rue du Vieux-Colombier N° 21, in die Nähe von Saint-Sulpice. Hochbetagt starb Aristide Cavaillé-Coll am 13. Oktober 1899 im Alter von 88 Jahren. Seine Totenmesse fand in Saint-Sulpice mit Widor als Organisten statt. Er wurde am 16. Oktober auf dem Friedhof Montparnasse in Paris begraben.[2] Der Asteroid 5184 Cavaillé-Coll ist nach ihm benannt.

Werk

Cavaillé-Coll überführte die klassische französische Orgel, deren Grundprinzipien er bewahrte, in einen expressiven Instrumententyp, dem die orchestral-symphonische Orgelmusik in Frankreich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entspricht. Die typisierte Disposition der Cavaillé-Coll-Orgel beeinflusst den internationalen Orgelbau, insbesondere bei großen Konzertinstrumenten, bis heute. Zu den Erfindungen oder Weiterentwicklungen Cavaillé-Colls zählen unterschiedliche Winddrücke innerhalb eines Registers, die überblasende Flöte (flûte harmonique, flûte octaviante) und der Einführungstritt (appel).

Im Ausland baute Cavaillé-Coll Orgeln u. a. in Spanien, den Niederlanden, England, Russland und Brasilien; hinzu kommen in Argentinien eine Original-Orgel von Aristide C.-C. sowie mehrere Orgeln der Werkstatt Mutin-Cavaillé-Coll. In Deutschland gibt es nur nachträglich angekaufte Cavaillé-Coll-Orgeln: die bislang einzige von Cavaillé-Coll selbst gebaute befindet sich in Sankt Bernhard, Mainz (2 Manuale, 15 Register, erbaut 1876/77, angekauft 1999). Aus der Nachfolgewerkstatt Mutin-Cavaillé-Coll stammende Orgeln stehen im Osnabrücker Dom (Chororgel; 2 Manuale, 15 Register, angekauft 1999), Musikhochschule Köln (2 Manuale, 13 Register, angekauft 2002), in der Kieler St. Nikolaikirche (2 Manuale, 18 Register, angekauft 2003, alternativ über Midi anspielbar) und in der Seminarkirche des Internationalen Priesterseminars im bayrischen Zaitzkofen (2 Manuale, 11 Register, erworben 1980).

Werkliste (Auswahl)

Jahr Opus Huy-
bens[7]
Ort Kirche Bild Manuale Register Bemerkungen
1841 10 481 Paris Basilika Saint-Denis IV/P 70 Orgel der Basilika Saint-Denis
1846 26 3 Paris Pfarrkirche La Madeleine IV/P 48 Orgeln von La Madeleine (Paris). Orgel an der Alexandre-Charles Fessy, Louis Lefébure-Wély, Camille Saint-Saëns, Théodore Dubois, Gabriel Fauré, Henri Dallier, Édouard Mignan, Jeanne Demessieux, Odile Pierre und François-Henri Houbart wirkten.
1852 52 78 Paris Pfarrkirche Saint-Vincent-de-Paul III/P 47
1852 56 491 Saint-Germain-en-Laye Pfarrkirche Saint-Germain de Saint-Germain-en-Laye III/P 40
1853 59 23 Paris Abtei Sainte-Geneviève II/P 22 Abteikirche wurde 1885 zum Panthéon (Paris). Orgel wurde 1891 durch Merklin in die Kirche des Militärkrankenhauses Val-de-Grâce überführt; 1993 von François Delangue and Bernard Hurvy restauriert.
1855 66/1 501 Saint-Omer Kathedrale Notre-Dame de Saint-Omer III/P 50
1854–1857 112/5 430 Perpignan Kathedrale Saint-Jean-Baptiste IV/P 58
1857 127 353 Luçon Kathedrale Notre-Dame-de-l’Assomption III/P 41
1846–1858 14 64 Paris Pfarrkirche Saint-Roch IV/P 49 Orgel der Pfarrkirche Saint-Roch
1859 88/22 30 Paris Basilika Sainte-Clotilde (Paris) III/P 46 Orgel der Basilika Sainte-Clotilde (Paris). Orgel an der César Franck, Gabriel Pierné, Charles Tournemire, Joseph-Ermend Bonnal, Jean Langlais, Pierre Cogen und Jacques Taddei wirkten.
1860 153/112 402 Mühlhausen Pfarrkirche Saint-Etienne II/P 28
1861 Nancy Kathedrale von Nancy IV/P 61
1862 118/63 72 Paris Pfarrkirche Saint-Sulpice V/P 100 Orgel von Saint-Sulpice (Paris). Umbau einer Orgel François-Henri Clicquot von 1781
1863–1868 230/204 11 Paris Kathedrale Notre-Dame de Paris V/P 86 Orgeln der Kathedrale Notre-Dame de Paris
1868 311/298 377 Marseille Pfarrkirche Saint-Joseph (Marseille) III/P 43
1868 271/254 8 Paris Pfarrkirche La Trinité III/P 46 Orgeln von La Trinité (Paris). Orgel an der Charles-Alexis Chauvet, Alexandre Guilmant, Charles Quef, Olivier Messiaen, Naji Hakim wirkten.
1869 327/314 297 Epernay Pfarrkirche Notre-Dame (Epernay) III/P 34
1873 374/363 587 Sheffield Albert Hall (Sheffield) IV/P 64
1875 330/317 580 Ketton-Hall Bracewel, Mr. Hopwood III/P 45 Private Konzertorgel
1875 428/425 579 Blackburn Kirche III/P 32
1877 467 585 Manchester Town Hall (Manchester) III/P 32
1878 481 121 Paris Trocadéro-Saal IV/P 66 Orgel des Trocadéro-Saales
1880 522 592 Brüssel Conservatoire de Musique (Brüssel) III/P 44
1885 569 225 Caen Kloster Saint-Étienne III/P 50 Generalüberholung von Huybens-Nr. 224
1889 245/222 526 Toulouse Basilika Saint-Sernin III/P 54 Orgel der Basilika Saint-Sernin
1890 630 467 Rouen Abteikirche Saint-Ouen IV/P 64 Orgel der Abteikirche Saint-Ouen (Rouen)
1897 688 299 Epernay Saint-Pierre-Saint-Paul III/P 38
1898 642 186 Armentières Pfarrkirche Saint-Vaast III/P 50
1898 681 633 Azcoitia Kirche III/P 40
1898 678 211 Biarritz-Bidart Schloss Ilbarritz IV/P 70 Orgel der Basilique du Sacré-Cœur. Heute in Paris, Basilika Sacré-Cœur

Orgeln gebaut unter Cavaillé-Colls Nachfolger Mutin:

Jahr Opus Ort Kirche Bild Manuale Register Bemerkungen
1914 Paris Basilika Sacré-Cœur II/P 20 Orgel der Basilique du Sacré-Cœur
1923 Paris Basilika Saint-Denis III/P 36 Orgel von Sainte-Marie des Batignolles

Literatur

Werke

  • Maison Aristide Cavaillé-Coll: Orgue de tous modèles. In: Alfred Reichling (Hrsg.): Documenta Organologica. Vol. II. Merseburger, Berlin 1977, ISBN 3-87537-145-3 (55. Veröffentlichungen der Gesellschaft der Orgelfreunde. Faksimile der Erstausgabe Paris 1899. Textteil und Nachwort in deutscher Übersetzung.).
  • Maison Aristide Cavaillé-Coll: Orgue de tous modèles – Facsimile des Verkaufsprospektes anläßlich der Weltausstellung 1889 in Paris. Hrsg.: Peter Ewers und Mirjam Krapoth. 3. Auflage. Peter Ewers Verlag, Paderborn 2003, ISBN 978-3-928243-09-4 (Mit einem Vorwort von Peter Ewers).
  • Aristide Cavaillé-Coll: Complete theoretical works (Bibliotheca organologica). Hrsg.: Gilbert Huybens. 2. Auflage. Frits Knuf, Buren 1981, ISBN 978-90-6027-192-6 (Faksimile).
  • Aristide Cavaillé-Coll: Sämtliche theoretische Arbeiten. Hrsg.: Christoph Glatter-Götz. Glatter-Götz, Schwarzach 1982.

Sekundärliteratur

  • James H. Cook: Cavaillé-Coll, Aristide (1811–1899). In: Douglas E. Bush und Richard Kassel (Hrsg.): The organ: An encyclopedia. Routledge, Taylor & Francis Group, New York/London 2006, ISBN 978-0-415-94174-7, S. 97–100.
  • Cécile Cavaillé-Coll und Emmanuel Cavaillé-Coll: Aristide Cavaille-Coll : Ses origines, sa vie, ses oeuvres. Fischbacher, Paris 1929/2000, ISBN 978-2-7179-0000-2 (Eine Biographie geschrieben von Cavaillé-Colls Tochter Cécile).
  • Cécile Cavaillé-Coll und Emmanuel Cavaillé-Coll: Aristide Cavaillé-Coll: Seine Herkunft, sein Leben, sein Werk. Hrsg.: Christoph Glatter-Götz. Glatter-Götz, Schwarzach 1982 (Übersetzung der Biographie von Cécile Cavaillé-Colls).
  • Fenner Douglass: Cavaille-Coll and the French Romantic Tradition. Yale University Press, 1999, ISBN 978-0-300-07114-6.
  • Jesse Eschbach: Aristide Cavaille-Coll Vol. I – Kompendium der verfügbaren Dispositionen. Hrsg.: Peter Ewers. Peter Ewers Verlag, Paderborn 2004, ISBN 978-3-928243-05-6 (Mit einem Essay von Agnes Armstrong).
  • Peter Ewers (Hrsg.): Aristide Cavaille-Coll Vol. II – Facsimiles, Photographien. Peter Ewers Verlag, Paderborn.
  • Peter Ewers (Hrsg.): Aristide Cavaille-Coll Vol. III – Intonation, Mensuration, Konstruktion. Peter Ewers Verlag, Paderborn.
  • Roland Galtier: Orgues de Cavaillé-Coll. Liste chronologique des travaux 1824–1898. Fischbacher, Paris 1984, ISBN 978-2-7179-0006-4.
  • Michael Howard: Tribute to Aristide Cavaillé-Coll. St Michael's Abbey Press, Farnborough 1986, ISBN 978-0-907077-33-6.
  • Gilbert Huybens: Cavaillé-Coll : Liste des travaux exécutés/Werkverzeichnis. Orgelbau-Fachverlag Rensch, Lauffen/Neckar 1985, ISBN 3-921848-12-1 (Vollständiges Werkverzeichnis herausgegeben von der International Society of Organbuilders (ISO). Text französsich, englisch und deutsch.).
  • Gregor Klein: Aristide Cavaillé-Coll. In: Beiheft zu L’Orgue Cavaillé-Coll, CD 10761. Motette-Ursina, 2002, S. 16–19.
  • Loïc Métrope: La Manufacture d'Orgues, avenue du Maine. Aux Amateurs de livres/Klincksieck, Paris 1988.
  • Claude Noisette de Crauzat: Cavaillé-Coll. Edition Flûte de Pan, Paris 1984.
  • Claude Noisette de Crauzat: Aristide Cavaillé-Coll (1811–1899). In: Acta Organologica. Band 10, 1976, S. 177–212.
  • Henri de Rohan-Csermak: Aristide Cavaillé-Coll. In: L'esprit Curieux. numéro 11. Le Peregrinateur, 1999, ISBN 2-910352-22-6.
  • Carolyn Shuster-Fournier: Les orgues de salons d'Aristide Cavaillé-Coll. Zurfluh, Bourg-la-Reine 1997.
  • Frank N. Speller: Aristide Cavaillé-Coll, Organ Builder. 1968 (D.M.A. dissertation, University of Colorado, 1968).

Tonträger

  • Kurt Lueders, Naji Hakim, Daniel Roth u.a.: L’orgue Cavaillé-Coll – Jubiläumsausgabe. Motette-Ursina Verlag 1987/1. Juli 2002. 6 CD, DDD. Motette 10761. ASIN B00006LIAT. (Klangdokumentationen von 34 Instrumenten).
Commons: Aristide Cavaillé-Coll – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. James H. Cook: Cavaillé-Coll, Aristide (1811–1899). In: Douglas E. Bush und Richard Kassel (Hrsg.): The organ: An encyclopedia. Routledge, Taylor & Francis Group, New York/London 2006, ISBN 978-0-415-94174-7, S. 97.
  2. a b c d e Gregor Klein: Aristide Cavaillé-Coll. In: Beiheft zu L’Orgue Cavaillé-Coll, CD 10761. Motette-Ursina, 2002, S. 25–26.
  3. a b c d Gregor Klein: Aristide Cavaillé-Coll. In: Beiheft zu L’Orgue Cavaillé-Coll, CD 10761. Motette-Ursina, 2002, S. 16–19.
  4. a b c Gregor Klein: Aristide Cavaillé-Coll. In: Beiheft zu L’Orgue Cavaillé-Coll, CD 10761. Motette-Ursina, 2002, S. 19–23.
  5. a b c d e f g Gregor Klein: Aristide Cavaillé-Coll. In: Beiheft zu L’Orgue Cavaillé-Coll, CD 10761. Motette-Ursina, 2002, S. 27–33.
  6. a b c Gregor Klein: Aristide Cavaillé-Coll. In: Beiheft zu L’Orgue Cavaillé-Coll, CD 10761. Motette-Ursina, 2002, S. 23–24.
  7. Vgl. Gilbert Huybens: Cavaillé-Coll : Liste des travaux exécutés/Werkverzeichnis. Orgelbau-Fachverlag Rensch, Lauffen/Neckar 1985, ISBN 3-921848-12-1.