Mietskaserne
Als Mietskaserne (in Österreich Zinskaserne) bezeichnet man eine mehrgeschossige innerstädtische Wohnanlage mit einem oder mehreren Innenhöfen aus der Zeit der Industrialisierung/Gründerzeit für die breite Bevölkerungsschicht der kleinen Arbeiter und Angestellten. Mietskasernen wurden in der Regel von Großgrundbesitzern oder sog. Terraingesellschaften, den Vorläufern heutiger Wohnungsbaugesellschaften in spekulativer Absicht in geschlossener Bauweise errichtet. Beim Bau einer Mietskaserne wurde die Grundstücksfläche im Sinne der Gewinnoptimierung im Rahmen der Bauvorschriften bestmöglich ausgenutzt.
Nachdem viele Mietskasernen ihre Schrecken durch die Sanierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte verloren haben, spricht man heute eher von Altbaugebieten oder Altbauquartieren oder zeitbezogen von Gründerzeitquartieren.
Bauliche Gliederung

Die Mietskaserne gliedert sich in mehrere Gebäudeteile:
- Vorderhaus - straßenseitige Blockrandbebauung
- Seitenflügel - L-förmige Erweiterung des Vorderhauses an einer oder beiden seitlichen Grundstücksgrenzen
- Quergebäude/Querflügel oder Hinterhaus - rückseitige Hofbebauung, meist im Anschluss an die Seitenflügel, bei mehreren Höfen gibt es dementsprechend mehrere Quergebäude.
- Remise - meist ein- oder zweigeschossiges Gebäude im letzten Hof entweder als Stallgebäude (für Pferde oder Kühe) oder für einen Gewerbebetrieb.
Baunorm und Bauform

Grundlage der Bauvorschriften bildete der in Berlin von James Hobrecht erstellte erste Bebauungsplan mit 14 Abteilungen von 1862. Der Innenhof eines Miethauses musste nach Polizeivorschrift mindestens so groß geplant werden, dass eine pferdegezogene Feuerwehrspritze darin wenden konnte. Laut Baupolizeiordnung waren das genau 5,34 × 5,34 Meter. Eine Abfolge von drei oder vier Höfen war keine Seltenheit. Die Höfe waren meist über Durchfahrten von der Straße aus erreichbar. Mehrere Mietskasernen bildeten einen Baublock. Die unglaublich enge Bauweise dieser Wohnblöcke kam einer Kasernierung der Bewohner gleich, was den Namen begründet hat.
Das Vorderhaus war mit seiner aufwändigeren Gestaltung an das Bürgerhaus angelehnt. Die Straßenfassaden waren oftmals mit Stuckaturen ornamentiert und reichhaltig durch Gesimse gegliedert. Die Geschosse des Vorderhauses waren meist höher als in Seitenflügel und Hinterhaus, sodass die Wohnverhältnisse auch aufgrund besserer Besonnung gut waren, und diese von sozial höheren Schichten bewohnt wurden. Zum Vorderhaus gehörte meistens noch das in der Ecke des Seitenflügels befindliche Berliner Zimmer als Durchgangszimmer zu den Stuben des Seitenflügels. In den Hinterhäusern bestanden die Wohnungen aus einer Küche, einem Schlafzimmer und manchmal noch einer Kammer. Beheizbar war nur die Wohnküche, wo sich auch das Familienleben abspielte. Im Erdgeschoss und im Souterrain siedelten sich meistens Gewerbebetriebe an.
Nur ein geringer Teil der Wohnungen war an das sanitäre System angeschlossen. Die meisten Gründerzeitbauten wurden erst in den zwanziger Jahren mit Sanitäreinrichtungen nachgerüstet. Meist teilten sich mehrere Mietparteien eine Toilette auf dem Gang oder im Treppenhaus.
Die ersten Mieter zogen ein, als die Bauleute auf den Gerüsten noch die Fassaden putzten. Man sprach daher vom Trockenwohnen der Wohnungen. Die katastrophalen hygienischen Zustände, Kälte, Feuchtigkeit und Dunkelheit verursachten ein besonders gesundheitsschädliches Wohnklima, das sich in den Wohnungen im Tiefparterre und Dachgeschoss noch verschärfte. Dennoch mussten die Bewohner 25 bis 30 Prozent ihres Einkommens für die Zwei- bis Drei-Zimmerwohnungen ausgeben.
Um die Mieten finanzieren zu können, wurden die zusätzlichen Räume der beengten Wohnungen meistens wieder untervermietet oder Betten an Schlafgänger vermietet. Einen Schlafplatz teilten sich mehrere Personen „im Schichtbetrieb“. Bis zu 30 Personen lebten zusammen in einer Wohnung. Sogar auf dem Flur hausten Menschen notdürftig auf einer Matratze.
Zur Müllhalde verkommen verbreiteten die Lichtschächte einen erbärmlichen Gestank.
Typische Mietskasernen

Mietskasernen existierten in Deutschland vor allem in Berlin und Hamburg, wo die großen Grundstücke großflächig überbaut wurden. Ansonsten wurde dieser Gebäudetyp im damaligen Deutschland im Westen seltener als im Osten errichtet. In Österreich wurde er in Wien ab 1880 vor allem im 10,14,15,16 und dem 17. Bezirk unter der Bezeichnung Zinshaus gebaut.
Als besonders extremes Beispiel galt Meyers Hof in der Berliner Ackerstraße, der sechs Hinterhöfe umfasste und etwa 2000 Menschen in 300 Wohnungen beherbergte. Die Wohnanlage Meyers Hof wurde im Zuge der Sanierungsmaßnahmen im Sanierungsgebiet Brunnenstraße abgerissen.
Einer der größten geschlossenen Häuserblocks befindet sich in Berlin am Prenzlauer Berg. Er hat über 30 Hinterhöfe verschiedener Größe und liegt zwischen den Straßen Prenzlauer Allee, Marienburger Straße, Winsstraße und Immanuelkirchstraße.
Entstehungsbedingungen
Gründe für das Entstehen der Mietskasernen waren die durch starken Zuzug in der Industrialisierungszeit verursachte Wohnungsnot, die Ausweisung großer Baugrundstücke und eine Bauordnung, die den Bauherren die genaue Ausgestaltung der Bebauung weitgehend freiließ. Da die Wohnungsspekulanten nur geringe Mieten von den Arbeitern verlangen konnten, versuchten sie die Rendite durch enge Bebauung und auf Kosten der Qualität zu erzielen.
Reaktion auf das Wohnungselend

Die städtische Verwaltung reagierte auf das entstandene Wohnungselend nur zögerlich, weil die Arbeiterschaft in den städtischen Gremien kaum vertreten war. Weil das Bürgertum aber einen mit der Überbelegung einhergehenden Sittenverfall befürchtete, begann man sich ab den 1890er Jahren Gedanken zur Lösung des Problems zu machen. Kommunaler Wohnungsbau wurde als Eingriff in die Marktwirtschaft zunächst abgelehnt. Einigen konnte man sich höchstens auf eine verbilligte Abgabe von Bauland, Minderung von Straßenerschließungskosten, Erleichterungen im Kreditwesen und auf eine strengere Aufsicht durch die Behörden. Um die Untervermietung einzudämmen, wurden bei späteren Bauten für die Arbeiter die Küchen bewusst klein gehalten, damit die Familie auch die übrigen Räume der Wohnung benutzen musste, z.B. so ausgeführt beim sozialen Wohnungsbau in Stuttgart bei den Siedlungen Ostheim und Südheim (allerdings sind dies keine Mietskasernen).
Als programmatische Gegenentwürfe zum Wohnungselend der Mietskasernen entstanden zum Beispiel das sozialistische Einküchenhaus, die Gartenstadtbewegung und ab den 1920er Jahren ein genossenschaftlicher Wohnungsbau, in Wien die Gemeindebauten.
Siehe auch
Literatur
- Adolf Damaschke: Die Bodenreform. Grundsätzliches und Geschichtliches. Berlin, 1902
- Johann Friedrich Geist, Klaus Kürvers: Das Berliner Mietshaus. (Drei Bände, in denen auf über 1.500 Seiten die Entwicklung Berlins in den vergangenen 300 Jahren nachgezeichnet wird. Eine Pflichtlektüre, wenn man zur Berliner Historie arbeitet.)
- Adelheid von Saldern: Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute. Bonn, 1995