Gender-Mainstreaming
Gender Mainstreaming wird von der Europäischen Union als "Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft" definiert. "Hierbei geht es darum, die Bemühungen um das Vorantreiben der Chancengleichheit nicht auf die Durchführung von Sondermaßnahmen für Frauen zu beschränken, sondern zur Verwirklichung der Gleichberechtigung ausdrücklich sämtliche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen zu nutzen, indem nämlich die etwaigen Auswirkungen auf die Situation von Frauen bzw. von Männern bereits in der Planungsphase aktiv und erkennbar integriert werden ('gender perspective'). Dies setzt voraus, dass politische Konzepte und Maßnahmen systematisch hinterfragt und die etwaigen Auswirkungen bei der Festlegung und Umsetzung berücksichtigt werden." (Quelle: [1])
Dieser Definition ordnen sich alle Europäischen Staaten und auch in Deutschland das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004) unter.
Laut BMFSFJ bedeutet Gender Mainstreaming bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt." "Quelle:[2]
Versuche einer Übersetzung
gender (engl.): Der englische Begriff besitzt im Deutschen kein einfaches Äquivalent und bezeichnet nach einer Definition des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechtsrollen von Frauen und Männern. Angesprochen ist also das sozial konstruierte und nicht das biologische Geschlecht (siehe gender).
mainstreaming (engl. für "zum Hauptstrom machen", bzw. mainstream = Hauptströmung) bedeutet, dass eine bestimmte inhaltliche Vorgabe, die bisher nicht das Handeln bestimmt hat, nun zum zentralen Bestandteil bei allen Entscheidungen und Prozessen gemacht wird. (Definition Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen & Jugend, 2004)
Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming
Die konsequente Umsetzung des Gender Mainstreaming-Gedankens wird in Europa noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen, da die bisherige Praxis von partiell wirksamen Maßnahmen der Frauenförderung geprägt war, die an kritischen Stellen zur Benachteiligung von Männern führte, eine Gleichstellung von Frauen aber gerade in Kernbereichen von Beruf, Wissenschaft und Öffentlichkeit bisher nicht zufriedenstellend bewirken konnte. Der Blick auf die Berücksichtigung beider Geschlechter bei allen Maßnahmen und Programmen muss sich zunächst einüben und im konkreten Fall die real vorgefundenen Gegebenheiten und keine ideologische Kampfparole zum Ausgangspunkt der Entscheidungen machen.
Aufgabe des Gender Mainstreaming
Gender Mainstreaming ist laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004) ein Auftrag
- an die Spitze einer Verwaltung, einer Organisation, eines Unternehmens und
- an alle Beschäftigten,
die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern
- in der Struktur
- in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen
- in den Ergebnissen und Produkten
- in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
- in der Steuerung (Controlling)
von vornherein zu berücksichtigen, um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern effektiv verwirklichen zu können.
Rechtliche Grundlage des Gender Mainstreaming
Sowohl im internationalen Recht als auch im nationalen Verfassungsrecht und in Bundesgesetzen ist aktive Gleichstellungspolitik verankert, die im Sinne des Gender Mainstreaming interpretiert wird.
Verpflichtungen zur Umsetzung einer aktiven, effektiven Gleichstellungspolitik im Sinne des Gender Mainstreaming ergeben sich sowohl aus internationalem Recht als auch aus unserem nationalen Verfassungsrecht.
"Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft (...) die Gleichstellung von Männern und Frauen (...) zu fördern." (Artikel 2 des Amsterdamer Vertrags, in Kraft getreten am 1.Mai 1999)
"Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG, Grundgesetz (Verfassung) der Bundesrepublik Deutschland), der Staat wird nun ausdrücklich in die Pflicht genommen, "die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern" zu fördern und "auf die Beseitigung bestehender Nachteile" hinzuwirken (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, Änderung von 1994).
"Hierbei geht es darum, die Bemühungen um das Vorantreiben der Chancengleichheit nicht auf die Durchführung von Sondermaßnahmen für Frauen zu beschränken, sondern zur Verwirklichung der Gleichberechtigung ausdrücklich sämtliche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen einzuspannen, indem nämlich die etwaigen Auswirkungen auf die Situation der Frauen bzw. der Männer bereits in der Konzeptionsphase aktiv und erkennbar integriert werden ("gender perspective"). Dies setzt voraus, daß diese politischen Konzepte und Maßnahmen systematisch hinterfragt und die etwaigen Auswirkungen bei der Festlegung und Umsetzung berücksichtigt werden." (Auszug aus der Kommissionsmitteilung zur "Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft" (COM(96)67 endg.))
Methoden des Gender Mainstreaming
In Stiegler (2000) werden einige Verfahren vorgestellt, wie Gender Mainstreaming realisiert werden kann.
- Aufstellung geschlechtsspezifischer Statistiken
- Kosten-Nutzen-Analysen nach Geschlecht und Geschlechterollen
- Erarbeitung von Gender-Analysen
- Checklisten
- Die 3-R-Methode Unter den drei Kategorien Repräsentation, Ressourcen und Realisierung wird jede politische Maßnahme geprüft.
Beispiele: Gesundheit, Mobilität, Berufswahl
An einigen Auszügen der Website des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004) wird illustriert, wie und wo Gender Mainstreaming in der Praxis zum Einsatz ansetzen könnte
Gesundheit
Frauen trinken und rauchen weniger, sind jedoch eher medikamentenabhängig und zeigen Essstörungen. Doch auch immer mehr junge Männer leiden darunter. Auf zehn oder zwölf magersüchtige Mädchen und Frauen kommt nach Schätzungen ein junger Mann. In den Fachkliniken verabschiedet man sich deshalb von dem Klischee, Magersucht sei eine "Mädchenkrankheit". Die Krankheitsverläufe sind oft schwerer, auch weil die Jungen später als Mädchen ärztliche Hilfe suchen. Familien, Lehrer und Lehrerinnen haben gerade erst ihren Blick für magersüchtige Mädchen geschärft und schieben Magerkeit bei Jungen eher auf das Wachstum. Gender Mainstreaming würde hier bedeuten, für Jungen eine eigene Strategie gegen Magersucht zu entwickeln. (BmFSFJ, Website Gender Mainstreaming 2004)
Es gibt Krankheiten, die eher als Männerkrankheiten wahrgenommen werden, z.B. der Herzinfarkt. Das hat zur Folge, dass sich Ursachenforschung und die Erprobung von Therapieformen mehr an Männern orientierten, während der spezifische Krankheitsverlauf bei Frauen mit seinen zum Teil andersartigen Symptomen lange Zeit unerkannt blieb und damit auch die entsprechenden Heilmethoden nicht entwickelt wurden. Bei Frauen wurden Herzinfarkte deshalb oft nicht rechtzeitig erkannt und behandelt mit der Folge, dass Frauen öfter an Herzinfarkten starben als Männer, obwohl diese öfter daran erkranken. (BmFSFJ, Website Gender Mainstreaming 2004)
Mobilität
Frauen verfügen für den alltäglichen Gebrauch wesentlich seltener über ein Auto als Männer. Gleichzeitig haben sie aufgrund der immer noch vorherrschenden geschlechtsspezifischen Rollenverteilung die Hauptverantwortung für die Koordinierung aller familiären Aktivitäten. Daraus ergeben sich geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen z.B. an das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs. (BmFSFJ, Website Gender Mainstreaming 2004)
Berufswahl und Folgen
Mädchen und Frauen begreifen ihre Berufstätigkeit oft als "Zuverdienst" und sind eher bereit, ihren Beruf zugunsten der Familienarbeit einzuschränken, zu unterbrechen oder sogar ganz aufzugeben - mit entsprechenden Folgen für ihre Altersversorgung bzw. ihre Einkommensmöglichkeiten, wenn die Partnerschaft scheitern sollte. Gleichzeitig erhalten sie hierdurch die "Alleinkompetenz" für Haushalt, Beziehungspflege und Kindererziehung, ohne dass dies aber ihr gesellschaftliches Ansehen steigern würde. (BmFSFJ, Website Gender Mainstreaming 2004)
Für junge Männer stellt sich dagegen oft erst gar nicht die Frage, ob sie ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familie einschränken, sie fühlen sich wie selbstverständlich für das Familieneinkommen zuständig. Ihr Bedürfnis nach gemeinsamer Zeit mit der Familie kommt fast zwangsläufig zu kurz, wenn sie ihr Leben überwiegend nach den beruflichen Anforderungen ausrichten. Teilzeitarbeit wird von der Gesellschaft eher Frauen zugeschrieben, für Männer wird sie weniger akzeptiert. All dies führt zu unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungswelten bei Männern und Frauen, die Auswirkungen auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche haben. (BmFSFJ, Website Gender Mainstreaming 2004)
Gender Mainstreaming und Frauenpolitik / Frauenförderung
Mit "Gender Mainstreaming" wird eine Strategie bezeichnet, um geschlechtsspezifische Ausgangspositionen und Folgen einer Maßnahme zu bestimmen. Werden bei diesem Vorgehen Benachteiligungen festgestellt, sind "Frauenpolitik" bzw. "Männerpolitik" die einzusetzenden Instrumente, um der jeweiligen Benachteiligung entgegenzuwirken" (siehe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen & Jugend, 2004)
Frauenpolitik (auch Männerpolitik) wird daher, so die Darstellung der Regierung, durch "Gender Mainstreaming" keineswegs überflüssig gemacht.
Kritik am Gender Mainstreaming
Gender Mainstreaming wird von verschiedenen Seiten kritisch betrachtet. Relativ viele FeministInnen sehen im Gender Mainstreaming eine Verwässerung erreichter Ziele. So spricht Stiegler (2000) von einem "Mißbrauch", wenn mit Verweis auf das Gender Mainstreaming Frauenbeauftragte abgeschafft oder Frauenfördermittel gekürzt werden. Auf der anderen Seite des Spektrums sehen VertreterInnen eines geschlechtspolitischen Backlash in Gender Mainstreaming "eine Art totalitärer Kommunismus in Sachen Sex und Geschlechterbeziehung", Frauenbevorzugung und Männerbenachteiligung (so z.B. Bettina Röhl oder Vertreter der sogenannten Väterbewegung). Auch der Mainzer Juraprofessor Michael Bock bezeichnet Gender Mainstreaming als ideologisch gut vorbereitete "totalitäre Steigerung von Frauenpolitik". Ein herausragendes Ergebnis der behördlichen Auseinandersetzung mit gender mainstream ist z.B. die Verwendung der Begrüßungsfloskel "Sehr geehrte Damen und Herren" in Briefen. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist auch der Städtebau, damit Städte endlich für Frauen und Männer, Jungen und Mädchen bewohnbar werden (und niemand weiss, wie in der Vergangenheit Städte gebaut und erweitert wurden). Die deutsche Bundesregierung erklärte 2005, dass die Kosten für Gender Mainstream leider nicht zu beziffern sind.
Literatur
- Barbara Stiegler: Wie Gender in den Mainstream kommt: Konzepte, Argumente und Praxisbeispiele zur EU-Strategie des Gender Mainstreaming. Bonn 2000, ISBN 3-86077-881-1 Electronic ed.: FES Library
- Peter Frankenfeld und Astrid Mechel: Gender Policies in European Regional Programmes. Metropolis Verlag 2004, ISBN 3-89518-480-2
- LIFE e.V./FrauenUmweltNetz: Gender Mainstreaming in Deutschland: Auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Umweltpolitik. download in deutsch als pdf-file: [3], in englisch auch als Druckversion zu bestellen (bei genanet, s. links).
Weblinks
- http://www.gender.hu-berlin.de Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin (deutschsprachig mit Linksammlung)
- http://europa.eu.int Website der EU zum Gender Mainstreaming (deutschsprachig)
- http://www.gender-mainstreaming.net Website des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen & Jugend zum Gender Mainstreaming
- http://wiki.pruefung.net Bibliographie mit Online-Literatur zu Gender Mainstreaming
- http://www.genanet.de Leitstelle Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit - Informationen zu Gender Mainstreaming im Bereich Umwelt und nachhaltige Entwicklung
- http://genderblog.de Weblog zu Feminismus, Geschlechterpolitik, Frauen- und Geschlechterforschung.
- http://www.vafk-schwaben.de/gm.html Väteraufbruch für Kinder: "Gender-Mainstreaming als totalitäre Steigerung von Frauenpolitik"
Siehe auch: BMFSFJ, Partnerschaft, Familienprojekt (Migration)