Wilhelm Tell
Wilhelm Tell ist der Nationalheld der Schweiz, der um 1300 gelebt haben soll.

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Entstehung einer Legende
Die Existenz Wilhelm Tells ist nicht erwiesen. Nach einer aktuellen Umfrage glauben jedoch 60% der Schweizer, dass Wilhelm Tell existiert hat.
Der Schütze Tell war im Mittelalter lebendig als Figur des Brauchtums, die in Theaterspielen und Kriegsriten auftrat. Es gab kultische Kriegerbünde, die als Tiere (zum Beispiel als Uri-Stier) maskiert auftraten und nachts ihre Feinde heimsuchten. Offenbar war der "Wilde Jäger" oder eben "Tell" der Anführer und Darsteller Wotans. Dieses wilde Treiben ist bei den Trychlern noch erhalten.
Aegidius Tschudi verdichtete um 1570 zwei Versionen der Tell-Überlieferung zu einer Story weitab vom Brauchtum, die dann - ab 1804 - vor allem durch Schillers Tell (s. u.) Gemeingut geworden ist - Tell als patriotisch verherrlichter Attentäter, auf dem geschichtlichen Hintergrund von Attentaten zu Schillers Zeit, die sich alle gegen Akteure der französischen Revolution gerichtet hatten: gegen Revolutionsführer Marat, General Kléber, Konsul Napoleon und Zar Paul I. In den von Frankreich besetzten deutschen Monarchien sah man in Gessler den Usurpator Napoleon.
Wer nicht an Tell glaubte, galt als Staatsfeind: In der Eidgenossenschaft gehörte diese Optik zum Widerstand der Konservativen gegen die liberale Staatsauffassung, welche ihre Ideen aus der Französischen Revolution von 1789 schöpfte. Als um 1830 der liberale Luzerner Historiker Kopp es wagte, die auf Schillers Tell basierenden patriotischen Deutungen in Zweifel zu ziehen, geschah auf dem Rütli ein weiteres "Attentat": eine Kopp darstellende Puppe wurde verbrannt.
Dass sich bei der Gestaltung des schweizerischen Bundesstaates von 1848 die liberalen Kräfte durchsetzten, bedeutete jedoch keineswegs das Ende des Tell-Kultes. 1848 wurde nämlich Tell - neben Helvetia - offiziell als nationales Freiheitssymbol der jungen Schweiz eingeführt. Und 1891, als die Feiern "600 Jahre Eidgenossenschaft" das mythische Denken der Schweizer stärkten, mutierte Tell endgültig vom Symbol zur nationalen Identifikationsfigur. So trug der von Schiller geschaffene Zentralschweizer Heldenmythos schließlich zur Versöhnung der Liberalen mit den Konservativen bei.

Inhalt der Legende von Tschudi: Als Wilhelm Tell am 18. November 1307 dem, vom Landvogt Gessler zu Altdorf als Zeichen der österreichischen Hoheit, aufgesteckten Hut die befohlene Reverenz nicht erwies, gebot ihm der Vogt, als berühmtem Armbrustschützen, einen Apfel von dem Kopf seines Sohnes zu schießen. Auf die Drohung, das Kind müsse sonst mit ihm sterben, tat Tell den Schuss und traf den Apfel. Als er aber auf die Frage nach dem Zweck des zweiten Pfeils, den er zu sich gesteckt hatte, antwortete, dass derselbe, wenn er sein Kind getroffen, für den Vogt bestimmt gewesen wäre, befahl dieser, ihn gefesselt auf seine Burg nach Küssnacht überzuführen. Auf dem Vierwaldstättersee aber brachte ein Sturm das Fahrzeug in Gefahr, und Tell ward seiner Fesseln entledigt, um dasselbe zu lenken. Geschickt wusste er das Schiff gegen das Ufer, wo der Axenberg sich erhebt, zu treiben, sprang dort vom Bord auf eine hervor ragende Felsplatte, welche noch jetzt die Tellsplatte heißt, eilte darauf über das Gebirge nach Küssnacht zu, erwartete den Vogt in einem Hohlweg, Hohle Gasse genannt, und erschoss ihn aus sicherm Versteck mit der Armbrust. Von Tells weiteren Lebensschicksalen wird nur noch berichtet, dass er 1315 in der Schlacht bei Morgarten mit gefochten und 1354 in dem Schächenbach beim Versuch der Rettung eines Kindes den Tod gefunden habe.
Nachdem schon der Freiburger Guillimann 1607, dann die Basler Christian und Isaak Iselin, der Berner Pfarrer Freudenberger 1752 sowie Voltaire ("Annales de l'Empire") die Geschichte Tells als Fabel bezeichnet hatten, wurde im 19. Jahrhundert durch die Forschungen Kopps u.a. in unzweifelhafter Weise aufgezeigt, dass dieselbe, wie überhaupt die gewöhnliche Tradition von der Befreiung der Waldstätte, einerseits im Widerspruch mit der urkundlich beglaubigten Geschichte steht, und dass sie anderseits in keinen zeitgenössischen oder der Zeit näher stehenden Quellen mit irgend einer Silbe erwähnt wird. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts taucht die Tellsage auf, und zwar in zwei Versionen.
Die eine, repräsentiert durch ein um 1470 entstandenes Volkslied, die 1482 bis 1488 geschriebene Chronik des Luzerners Melchior Russ, ein 1512 in Uri verfasstes Volksschauspiel u. a., erblickt in Tell den Haupturheber der Befreiung und Stifter des Bundes; die andere, die zuerst in dem um 1470 geschriebenen anonymen Weißen Buch von Sarnen, dann in der 1507 gedruckten Chronik des Luzerners Etterlin erscheint, gibt Tells Geschichte nur als zufällige Episode und schreibt die Verschwörung vornehmlich dem Stauffacher zu. Erst Tschudi hat die beiden Traditionen zu der stehend gewordenen Gesamtsage verknüpft, die dann im Lauf der Jahrhunderte noch mancherlei Zusätze bekam und durch J. v. Müller und Schiller Gemeingut geworden ist.

Die so genannten Tellskapellen auf der Tellsplatte, in Bürglen und in der Hohlen Gasse stammen sämtlich erst aus dem 16. Jahrhundert und sind zum Teil nachweislich zu Ehren von Kirchenheiligen gestiftet worden. In Uri ließ sich keine Familie Tell ermitteln; die Erkenntnisse der Urner Landsgemeinden von 1387 und 1388, welche Tells Existenz bezeugen sollten, sowie die den Namen "Tello" und "Täll" enthaltenden Totenregister und Jahrzeitbücher von Schaddorf und Attinghausen sind als Erdichtungen und Fälschungen nachgewiesen.
Apfelschuss-Sage
Die Sage vom Apfelschuss ist ein uralter indogermanischer Mythos, der in anderem Gewand auch in der persischen, dänischen, norwegischen und isländischen Heldensage vorkommt. In letzterer wird der Held Eigil genannt, von dessen Sohn, König Orentel, Tell vielleicht den Namen erhalten hat. In der Schweiz ist dieser Mythos von den Chronisten des 15. Jahrhunderts zur Ausschmückung der Befreiungssage verwendet worden .
Der Berner Pfarrherr Freudiger (1738 bis 1743 Prediger am Inselspital in Bern, Pfarrer von Frutigen und 1747 bis 1752 in Ligerz) gab sich historischen Studien hin und entlarvte den schweizerischen Wilhelm Tell als Nachdichtung einer Episode aus den Gesta Danorum des dänischen Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus (ca. 1140 bis 1220). 1760 beschrieb er - aus Angst vor den Auswirkungen - anonym die Herkunft des vermeintlichen schweizerischen Nationalhelden Wilhelm Tell als skandinavischen Saga-Import. Die Saga des Schützen Toko, im Dienste des dänischen Königs Harald Blauzahn (939-966), besagt, dass dieser prahlerische Schütze vom König gezwungen wurde, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen und Toko den König als Rache während eines Liebesabenteuers erschoss. Gottlieb Emanuel Haller gab eine französische Übersetzung in eigenem Namen heraus, weil dem Autor der Mut zur Veröffentlichung fehlte.
Schillers Tell
Das Schauspiel Wilhelm Tell wurde 1803-1804 von Friedrich Schiller geschrieben und am 17. März 1804 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt.
Schillers Freund Johann Wolfgang von Goethe hatte zwischen 1775 und 1795 mehrmals die Schweiz besucht und war von der Gegend um den Vierwaldstättersee und der Tellsage angetan. Goethe beschaffte sich auch Tschudis Schweizer Chronik und erwog, die Schweizer Befreiungssage dichterisch umzusetzen. Goethe erzählte Schiller die Sage und seine Eindrücke von der Gegend. Schiller, welcher niemals in der Schweiz weilte, aber als Historiker sich gut zu unterrichten wusste, schrieb daraus das Drama in fünf Aufzügen.
Schiller stellt in seiner Interpretation der Geschichte vor allem den Schritt Tells aus der Naivität heraus dar, in die er später, nach dem Tyrannenmord, nicht wieder zurückkehren kann.
Während Tell zu Anfang des Stückes spontan handelt und alles mit wortkargen Kurzstatements abzutun weiß, wird er, nachdem er gezwungen wurde, auf seinen eigenen Sohn zu schießen, zu einer Person, welche ihre Aktionen zu hinterfragen vermag.
Bemerkenswert ist der letzte Aufzug, der in Theatern häufig stark eingekürzt oder gar nicht gespielt wurde; sei es, weil sich hier eine sehr fragwürdige und kontroverse Moralvorstellung des Tell (so die seit Ludwig Börne herrschende Lesart) äußert, sei es, dass Tell auch zu seinen eigenen Schweizern exzentrisch steht, weil er ein Kind der Natur ist (vgl. schon das Auftaktlied Mit dem Pfeil dem Bogen ...) und Schillers Naturphilosophie uns heute fern gerückt ist.
In Nazideutschland wurde das Stück in den ersten Jahren als "Führerdrama" gepriesen und häufig aufgeführt. Die Hauptfiguren Tell und Werner Stauffacher wurden als ideale Führerpersönlichkeiten interpretiert, Tell-Zitate fanden sich in den meisten Lesebüchern. Schillers Motiv des gerechtfertigten Tyrannenmords scheint jedoch nach mehreren Attentaten auf Hitler (verübt u.a. von dem Schweizer Maurice Bavaud) zu einer völligen Abkehr der Nazis vom Tell geführt zu haben; die Änderung der Einstellung war so dramatisch, dass das Stück am 3. Juni 1941 auf Anweisung Hitlers verboten wurde.
1941 war auch das Jahr, in dem die Schweiz ihr 650jähriges Bestehen feierte. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten wurde oft Bezug auf Wilhelm Tell und insbesondere Schillers Stück genommen; so führte die Tellspiel-Gesellschaft von Altdorf am 1. August die "Rütlischwur"-Szene auf dem Rütli auf. Es ist möglich, dass diese intensive Bezugnahme auf Schillers Tell als Darstellung eines Schweizervolks, das seine Freiheit und Unabhängigkeit erkämpft, mit dazu beitrug, dass er in Deutschland so plötzlich unerwünscht war.
2004 wurde das Stück zu seinem 200-Jahr-Jubiläum erstmals auf dem Rütli aufgeführt (wenn man von der oben erwähnten Szene absieht), vom Deutschen Nationaltheater Weimar.
Der Originaltext ist frei verfügbar bei [DigBib.Org]. aaa
Rossinis Tell
1829 komponierte Gioacchino Rossini die Oper Guillaume Tell. Die Tell-Ouvertuere daraus wurde weltbekannt.
Hörprobe: Tell-Ouvertuere
Tell - Das Spiel
Etwa im Jahre 2006 soll ein Rollenspiel auf den Markt kommen, welches die Geschichte Tells in digitaler Form widerspiegelt. Die Idee kam von einer Gruppe schweizer Programmierer.
Siehe auch
Weblinks
- Wilhelm Tell
- Gutenberg-De-Projekt: Schauspiel Wilhelm Tell (Friedrich Schiller)
- Tellmuseum
- Zu Schillers "Natur"-Begriff [1]
Dieser Artikel basiert zum Teil auf dem Artikel Tell, Wilhelm aus Meyers Konversationslexikon von 1888.