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Armut

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Armut bezeichnet den Mangel an Chancen, ein Leben zu führen, das gewissen Minimalstandards entspricht. Die Maßstäbe für diese Standards und die Vorstellungen über die Ursachen von Armut sind örtlich und zeitlich sehr verschieden.

Definitionen

Armut

»Der Begriff Armut entzieht sich wegen seiner Vielschichtigkeit einer allgemeingültigen Definition.« (aus: Lebenslagen in Deutschland. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin 2001).

Im theoretischen Grundverständnis unterscheiden sich ökonomische Konzepte, die Armut als Mangelversorgung mit materiellen Gütern und Dienstleistungen verstehen, von soziokulturellen Konzepten, die auch nichtmaterielle Bedürfnisse thematisieren (z. B. das Fehlen ausreichender Bildungsmöglichkeiten) – siehe insbesondere hier Knappheit.

Für die Beschreibung der Ungleichheit wird in den Sozialwissenschaften oft der Gini-Koeffizient oder das Atkinson-Maß als Indikator verwendet.

Das Gegenteil von Armut ist Reichtum.

Absolute Armut

Als grober Indikator für die absolute Armut wurde von der Weltbank die Verfügbarkeit von 1 US-Dollar in lokaler Kaufkraft pro Tag (internationaler Dollar) für die Befriedigung der Lebensbedürfnisse angesehen. In weiteren Schritten wurden nationale bzw. regionale Schwellenwerte festgelegt, die zwischen 2 Dollar für Lateinamerika und die Karibik über 4 Dollar für Länder in Osteuropa und der GUS bis zu 14,40 Dollar für die Industrieländer schwanken (UNDP 1997).

Relative Armut

In Wohlstandsgesellschaften wird Armut häufig auf andere Weise definiert. Es wird dann nicht mehr auf die absolute Armut (die eher einem veterinärmedizinischen Ansatz folgt) sondern auf eine Armut in Bezug auf die Gesellschaft, in der jemand lebt, abgestellt. Wegen dieser Umfeldabhängigkeit wird von "relativer Armut" gesprochen.

Die relative Armut kann objektiver Natur sein, also unabhängig davon, ob sie vom Betroffenen als solche empfunden wird. Von subjektiver relativer Armut spricht man, wenn der Betroffene sich arm fühlt, unabhängig von der objektiven Feststellung. Neben der (relativen) materiellen Unterversorung gewinnt der Mangel an immateriellen Ressourcen eine zunehmende Bedeutung. Die sozio-kulturelle Verarmung wird von Soziologen teilweise als noch gravierendere gesellschaftliche Herausforderung gesehen (s.u. Lebenslagenansatz).

Armutsgrenzen

Von relativer und absoluter Armut sind relative und absolute Armutsgrenzen zu unterscheiden.

Relative Armutsgrenzen beziehen sich auf verschiedene statistische Maßzahlen für eine Gesellschaft (z.B. Durchschnitt oder Median des Einkommens).

Eine in Politik und Öffentlichkeit bnutzte Angabe der relativen Armutsgrenze ist dabei 50 % oder 60 % vom Durchschnittseinkommen. So wird seit 2001 in den Mitgliedsländern der EU derjenige als arm bezeichnet, der weniger als 60 % des Medians bzw. arithmethischen Mittels des Nettoäquivalenzeinkommens nach der neuen OECD-Skala hat. Diese Definition von Armut ist allerdings ausgesprochen umstritten, nicht nur, weil sie wenig über den tatsächlichen Lebensstandard der Menschen aussagt. Vielmehr ergeben sich einige kuriose Effekte bei Anwendung dieser Maßzahl. Wer jetzt weniger als 50 % vom Durchschnittseinkommen zu Verfügung hat, wird auch dann, wenn sich alle Einkommen verzehnfachen, weniger als 50 % vom Durchschnitt haben. Er bliebe also weiterhin arm. Auch würde der Wegzug oder Vermögensverlust eines Reichen den Durchschnitt senken und daher die Armut in einem Land verringern. Umgekehrt kommt es zu einer Erhöhung der Armut, wenn ein Nicht-Armer sein Einkommen steigern kann. Relative Armutsgrenzen vermischen daher die Armutsproblematik mit der Verteilungsproblematik. Sie sind wegen ihrer einfachen Anwendbarkeit wie auch (böse Vermutung, Einzelmeinung) wegen der i.A. größeren Armut, die sie ausweisen, beliebt.

Im Gegensatz zu relativen Armutsgrenzen stehen Konzepte absoluter Armutsgrenzen. Absolute Armutsgrenzen werden aufwändig ermittelt, indem Warenkörbe festgestellt werden, die verfügbar sein müssen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können (zu notwendigen Kompetenzen zur Teilnahem s.u. Lebenslagenansatz, Kompetenzarmut). Die deutsche Sozialhilfe orientiert sich am Konzept der relativen Armut ("... soll Teilnahme ermöglichen.") und ermittelt dazu eine absolute Armutsgrenze mittels eines Warenkorbes.

Sowohl absolute wie auch relative Armutsgrenzen sind nicht ohne normative Vorgaben umzusetzen. Weder die Wahl eines Prozentsatzes bei relativer Armut ("Wieso nicht 54,321 Prozent ?") wie auch die Bestimmung eines Warenkorbes ("Ohne Internet ist man kein Mensch!") ist wertfrei begründbar. Das aber bedeutet, dass es auch wissenschaftlich keine objektiven Bestimmungsgründe für den Begriff Armut gibt.

Lebenslageansatz

Der so genannte Lebenslageansatz berücksichtigt bei der Definition von "menschlicher Armut" neben dem Einkommen auch andere Aspekte, zum Beispiel Bildungschancen, Lebensstandard, Selbstbestimmung, Rechtssicherheit, Einfluss auf politische Entscheidungen und vieles mehr. Dazu hat das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) den Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI) errechnet. Indikatoren für den HDI sind unter anderem die Lebenserwartung bei der Geburt, die Alphabetisierungsrate, das Bildungsniveau und die reale Kaufkraft pro Kopf. Die Weltbank nennt in ihrem "Weltentwicklungsbericht 2000" neben objektiven Bestimmungsfaktoren für Armut auch subjektive wie z.B. das Fehlen von Würde und Selbstachtung.

Transitorische Armut

Armut kann temporär, aber auch permant sein. Transitorische Armut gleicht sich für den Betroffenen im Verlauf der Zeit wieder aus. Dies ist der Fall, wenn eine gewisse Zeit die Grundbedürfnisse befriedigt werden können, aber zu bestimmten Zeiten nicht. Dies kann durch zyklische Schwankungen, wie Zeiten kurz vor der Ernte, oder auch azyklisch, z. B. durch Katastrophen, auftreten.

Ursachen

Als Hauptursachen von Armut werden genannt: Kriege und Bürgerkriege, politische Strukturen (z.B. Diktatur, ungerechte internationale Handelsregeln), ökonomische Strukturen (ungleiche Einkommensverteilung, Korruption, Überschuldung, Ineffizienz, Mangel an bezahlbarer Energie), Staatsversagen, technologische Rückständigkeit, Bildungsrückstand, Naturkatastrophen, Epidemien, zu starkes Bevölkerungswachstum sowie fehlende Gleichberechtigung von Frauen und Männern.

Hauptrisikofaktoren von relativer Armut sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, stark ungleiche Einkommensverteilung, Bildungsmangel. Bis ins 19. Jahrhundert hinein (in den USA auch heute noch) wurde bzw. wird Armut überwiegend nicht als gesellschaftlich verursacht, sondern als individuell verschuldet oder »gottgewollt« betrachtet.

In Europa setzte sich im Zuge der Industrialisierung und der Auseinandersetzung um die Soziale Frage die Auffassung durch, dass Armut als Massenphänomen ein Ergebnis von Marktversagen ist und durch staatliche Maßnahmen verringert werden kann. Armutsbekämpfung stand etwa in England am Ausgangspunkt der modernen Sozialpolitik. Inzwischen wird die Wirksamkeit sozialpolitischer Armutsbekämpfung aber in vielen Industrieländern durch neue Erscheinungsformen von Armut in Frage gestellt. Insbesondere hat sich gezeigt, dass auch eine zu hohe Staatsquote (i. w. S.) zu hoher Arbeitslosigkeit geführt hat (insbesondere in Westeuropa).

Ausmaß

Armut weltweit

Slum in Jakarta

Nach Angaben der Weltbank hatten im Jahr 2001 weltweit ca. 1,1 Mrd. Menschen (entspricht 21% der Weltbevölkerung) weniger als 1 US-Dollar in lokaler Kaufkraft pro Tag zur Verfügung und galten damit als extrem arm. (Zum Vergleich: 1981 waren es noch 1,5 Mrd. Menschen, damals 40% der Weltbevölkerung; 1987 1,227 Mrd. Menschen entsprechend 30%; 1993 1,314 Mrd. Menschen entsprechend 29%).

Die größte Zahl dieser Menschen lebt in Asien; in Afrika ist allerdings der Anteil der Armen an der Bevölkerung noch höher. Die Mitglieder der UN haben sich beim Milleniumsgipfel im Jahr 2000 auf das Ziel geeinigt, bis zum Jahr 2015 die Zahl derer, die weniger als 1 US-Dollar am Tag haben, zu halbieren (Punkt 1 der Millenniums-Entwicklungsziele). Nach Angaben der Weltbank vom April 2004 kann dies gelingen, allerdings nicht in allen Ländern. Während durch einen wirtschaftlichen Aufschwung in Teilen Asiens der Anteil der Armen deutlich zurück ging (in Ostasien von 58 auf 16 Prozent), hat sich in Afrika die Zahl der Ärmsten erhöht (in Afrika südlich der Sahara von 1981 bis 2001 fast verdoppelt). In Osteuropa und Zentralasien wurde eine Zunahme der extremen Armut auf 6 Prozent der Bevölkerung errechnet. Zieht man die Armutsgrenze bei zwei US-Dollar pro Tag, gelten insgesamt 2,7 Milliarden Menschen und damit fast die Hälfte der Weltbevölkerung als arm.

Armut in Österreich

Nach Angaben des Sozialministeriums ("Bericht über die soziale Lage 2003-2004") waren 2003 in Österreich über eine Million Menschen (13,2 Prozent der Bevölkerung) armutsgefährdet, das heißt, von Einkommensarmut betroffen. Im Jahr 2002 waren es noch 900.000 oder 12 Prozent, 1999 11 Prozent. Als Armutsgefährdungsschwelle gelten 60 Prozent des mittleren Einkommens (Medianeinkommen). Etwa jede/r Achte muss demnach mit weniger als 785 Euro monatlich auskommen.

Frauen sind (mit 14 Prozent) überproportional armutsgefährdet. 418.000 armutsgefährdete Personen leben in Haushalten mit einer Frau als Hauptverdienerin. 28 Prozent der Alleinerzieherinnen sind trotz Erwerbstätigkeit armutsgefährdet

Neben der Einkommensarmut als Indikator für die finanzielle Situation eines Haushalts wird in Österreich von "akuter Armut" gesprochen, wenn zusätzlich zur finanziellen Benachteiligung gewisse Mängel oder Einschränkungen in grundlegenden Lebensbereichen auftreten (z.B. Zahlungsrückstände bei Miete, oder wenn Heizung, Urlaub, neue Kleider, Essen, unerwartete Ausgaben nicht leistbar sind). Von akuter Armut waren 2003 467.000 Menschen (5,9 Prozent der Bevölkerung) betroffen. Im Jahr davor waren es noch 300.000 Menschen oder 4 Prozent. Nach einem Bericht der Armutskonferenz sind erstmals Daten über so genannte Working Poor verfügbar: in Österreich seien 57.000 Menschen (2003) von Armut trotz Arbeit betroffen. Des weiteren hängt der Grad der Armutsgefährdung von der Art des Beschäftigungsverhältnisses ab:

Teilzeitbeschäftigte mit bis zu 20 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit haben ein dreifaches, bei 21 bis 30 Stunden ein doppelt so hohes Risiko armutsgefährdet zu sein, als Personen, die zwischen 31 und 40 Stunden beschäftigt sind.

Weiters kritisiert der Schattenbericht der Armutskonferenz zum 2. Nationalen Aktionsplan für soziale Eingliederung 2003–2005 der österreichischen Bundesregierung, dass Langzeitarbeitslose und Migranten und Migrantinnen in diesem Plan vollkommen fehlen.

Armut in Deutschland

Das vom Statistischen Bundesamt errechnete monatliche Nettoäquivalenzeinkommen betrug 2002 in den alten Bundesländern 1217 Euro, in den neuen Bundesländern 1008 Euro. Nach den EU-Kriterien für die Armutsgrenze (60 %) liegen die Armutsgrenzen demnach bei 730,20 Euro für den Westen und 604,80 Euro für den Osten. In der Regel liegt das sozio-kulturelle Existenzminimum, das durch die Sozialhilfe definiert wird, noch unter dieser Grenze.

Nach Zahlen aus dem »Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht«, den die Bundesregierung im März 2005 vorgelegt hat, galten im Jahr 2003 13,5 Prozent der Bevölkerung als arm. 2002 waren es nach diesen Angaben noch 12,7 Prozent, 1998 12,1 Prozent. Mehr als ein Drittel der Armen sind allein Erziehende und ihre Kinder. 19 Prozent sind Paare mit mehr als drei Kindern.

Kinder und Jugendliche haben in Deutschland ein hohes Armutsrisiko. 15 Prozent der Kinder unter 15 Jahren und 19,1 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren sind betroffen. Die Zahl der Kinder in Deutschland, die von Sozialhilfe leben, stieg 2003 um 64.000 auf 1,08 Millionen und hat 2004/2005 1,45 Millionen erreicht. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef wächst die Armut von Kindern in Deutschland stärker als in den meisten anderen Industrieländern.

Dem gegenüber ist die Altersarmut in Deutschland rückläufig: von 13,3 Prozent 1998 auf 11,4 Prozent im Jahr 2003. Längerfristig wird hier ein Wiederanstieg erwartet, weil die derzeit vielen Arbeitslosen, Teilzeitbeschäftigten, Minijobber und Geringverdienenden geringere Renten bekommen werden und allgemein das Rentenniveau aller zukünftigen Rentner (und aller heutigen Arbeitnehmer) im Zuge der Reformen gesenkt wurde.

Armut und Umwelt

Armut ist in vielen Teilen der Welt auch eine der wichtigsten Ursachen für Gefährdung und Zerstörung der Umwelt. Die in der Armut begründeten schwerwiegenden Nöte und Probleme lassen den Umweltschutz in den Hintergrund treten. Die für den Schutz mitunter notwendigen finanziellen Mittel können in Regionen mit großer Armut nicht aufgebracht werden. Klaus Töpfer, der Leiter der UNO-Umweltbehörde UNEP, bezeichnetete Armut „[als] das größte Gift für die Umwelt“. Erfolge im Umweltschutz setzten eine Bekämpfung der Armut voraus.

Siehe auch

Armutsgrenze, Existenzminimum, Soziale Gerechtigkeit, Soziale Sicherheit, Soziale Ungleichheit, Sozialrecht, Hunger

Literatur

  • Werner Rügemer: Arm und reich. 2. Auflage, Transcript Verlag, Bielefeld 2003, ISBN 3-933127-92-0.
  • Eike Roth: Globale Umweltprobleme - Ursachen und Lösungsansätze. Friedmann Verlag, München 2004, ISBN 3-933431-31-X.

Armut weltweit

Deutschland

Schweiz

Österreich

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