Diktatur des Proletariats
Die Diktatur des Proletariats war ursprünglich ein Begriff der französischen Sozialisten um Auguste Blanqui: "Frankreich voller bewaffneter Arbeiter, das ist der Sozialismus." 1852 verwandte ihn Karl Marx in einem Brief, um die nicht mehr traditionell staatliche Herrschaft der Arbeiterklasse zu bezeichnen, mit der der Übergang von einer bürgerlichen Gesellschaft zu einer staats- und klassenlosen Gesellschaft vollzogen wird.
Er beinhaltete zunächst keine besonderen Vorstellungen von Organisation und Machtausübung, sondern bezog sich auf die politische Herrschaft der Arbeiterklasse, die bislang nicht im Staat repräsentiert waren. Marx und Engels bezeichneten im Nachhinein die "Pariser Kommune" von 1871, die aus einer Wahl hervorgegangene und basisdemokratisch agierende Stadtverwaltung, als realisierte Diktatur des Proletariats.
Besonders im Programm der Kommunistischen Partei Russlands spielte dieser Begriff nach den Aprilthesen eine herausragende Rolle, im Zeitraum zwischen der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg in der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik wurde die theoretische Vorstellung der Diktatur prinzipiell zu verwirklichen versucht. Nach 1925 in seiner Bedeutung immer mehr uminterpretiert, wurde er in den stalinistisch geprägten Ostblockstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg neben der wohl ansprechenderen Bezeichnung sozialistische Demokratie verwendet.
Bedeutung im Marxismus
In der marxistischen Wissenschaft gelten alle bisherigen Gesellschaftsformen seit der Auflösung der urkommunistischen Gemeinwesen als Diktaturen einer wohlhabenden Minderheit über eine unterdrückte Mehrheit. Der Staat mit seinem bürokratischen Apparat wird hierbei als Machtinstrument der wirtschaftlich herrschenden Klasse angesehen, der die niederen Klassenschichten durch seine Armee und Justiz unterdrückt und so die Ausbeutungweise der Lohnarbeit zu erhalten versucht. Die bürgerliche Gesellschaft wird somit als Diktatur der Bourgeoisie mit abhängig von ihren Organisationsformen variierenden Proportionen der politischen und ökonomischen Repression charakterisiert.
Dem stellte namentlich Lenin die Diktatur des Proletariats gegenüber, durch die direkte Machtausübung der Massen "millionenfach demokratischer als die demokratischste bürgerliche Demokratie". Sie würde in einer proletarischen Revolution errungen werden und als Stützpfeiler für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft dienen.
Noch unmittelbar vor der Revolution von 1917 definierte Lenin in "Staat und Revolution" die Diktatur des Proletariats als eine kurze Übergangsphase bis zum "Absterben des Staates". In der russischen Revolution waren die Räte (Sowjets) der Arbeiter, Bauern und Soldaten auch für kurze Zeit in einer solchen Situation. Allerdings bedeutete die durch den Bürgerkrieg determinierte, sich durch die Missernten noch verschlimmernde Krisensitutation die Notwendigkeit einer zunehmenden Zentralisierung, welche schließlich ab 1923 als Sprungbrett für die erstarkende bürokratische Kaste unter Josef Stalin diente.
Gegenüber des Marxschen Postulats der Arbeiterdiktatur zur Verteidigung der Revolution vor ihren Feinden wurde der Begriff der Diktatur in der thermidorianischen, mit totalitärer Bürokratenfaust zurechtgeschlagenen Sowjetunion mehr und mehr idealisiert; die aus marxistischer Sicht völlig alberne Propaganda des Kremls überschlug sich darin, die zwei komplett unterschiedlichen (und in letzter Instanz entgegengesetzten) Tendenzen der Festigung der Repression und Fortführung des Roten Terrors mit dem Fortschritt im Aufbau des Sozialismus gleichzusetzen. Dies sollte nicht weiter verwundern, sah doch die Bürokratie, welche durch ihre bloße Existenz dem ganzen Sozialismus die Zunge herausstreckte, in der Unterdrückung der Arbeiter ihre Überlebenschance, wie in der theoretischen Verewigung des Staates ihre Existenzberechtigung.
Zitate zu diesem Thema
Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats. (Karl Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei in der Kritik des Gothaer Programms)
Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats. (Friedrich Engels, Einleitung zu Der Bürgerkrieg in Frankreich von Karl Marx , 18. März 1891)
Die Diktatur des Proletariats aber, d.h. die Organisierung der Avantgarde der Unterdrückten zur herrschenden Klasse, um die Unterdrücker niederzuhalten, kann nicht einfach nur eine Erweiterung der Demokratie ergeben. Zugleich mit der gewaltigen Erweiterung des Demokratismus, der zum erstenmal ein Demokratismus für die Armen, für das Volk wird und nicht ein Demokratismus für die Reichen, bringt die Diktatur des Proletariats eine Reihe von Freiheitsbeschränkungen für die Unterdrücker, die Ausbeuter, die Kapitalisten. Diese müssen wir niederhalten, um die Menscheit von der Lohnsklaverei zu befreien, ihr Widerstand muß mit Gewalt gebrochen werden, und es ist klar, daß es dort, wo es Unterdrückung, wo es Gewalt gibt, keine Freiheit, keine Demokratie gibt. (Lenin, Staat und Revolution, 5. Kapitel, 2. Abschnitt "Der Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus")