Schriftrollen vom Toten Meer


Die Schriftrollen vom Toten Meer oder von Qumran (auch: Qumran-Rollen) umfassen etwa 800 Handschriften aus dem antiken Judentum, darunter etwa 200 mit Texten des späteren Tanach. Sie sind etwa zwischen 250 v. Chr. und 100 n. Chr. entstanden und gehören damit zu den ältesten bekannten Handschriften der Bibel und ihrer Auslegung. Sie wurden seit 1947 in elf Felshöhlen nahe der Ruinenstätte Khirbet Qumran im Westjordanland entdeckt.
Fundgeschichte und Sammlungen
Die Schriftrollen sind angeblich von einem Beduinenhirten gefunden worden, der eine entlaufene Ziege suchte. Als er sie mit Steinwürfen aus einer der Höhlen jagen wollte, hörte er es scheppern. So entdeckte er die Schriftrollen, die in Tonkrügen aufbewahrt wurden und offenbar unversehrt die Jahrhunderte überstanden hatten. Diese berühmte Geschichte ist wahrscheinlich unhistorisch, weist aber auf die Aktivitäten ortskundiger Beduinen parallel zu den wissenschaftlichen Bemühungen um die Qumranrollen hin.
Im Januar 1949 wurden vier Schriftrollen durch den Metropoliten Samuel in die USA gebracht und dadurch der Wissenschaft überhaupt bekannt. Der Metropolit hatte sie nach eigenem Bekunden den Beduinen abgekauft. Am 1. Juli 1954 kaufte Yigael Yadin (Archäologe und Dozent an der Hebräischen Universität, früherer Stabschef der israelischen Streitkräfte) die Rollen für 250.000 Dollar und brachte sie nach Israel. Der Kaufpreis wurde von einem reichen Geldgeber aufgebracht. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Echtheit und das Alter der Rollen kontrovers beurteilt, insofern stellte der Ankauf ein Risiko dar. Mit drei zuvor von seinem Vater Eliezer Sukenik gekauften Rollen werden sie heute in einem dafür errichteten Gebäude (Schrein des Buches) des Israel Museum, Jerusalem, aufbewahrt.
Unterdessen begann in Qumran die Erforschung der antiken Ruinenstätte und der Höhlen durch das Team von Roland de Vaux. Durch diese Forschungen wurde auch im Archäologischen Museum (Rockefeller Museum) von Palästina in Jerusalem eine Sammlung von Qumranfunden aufgebaut. Qumran gehörte bis 1967 zu Jordanien. Das anfänglich von Rockefeller finanzierte Museum wurde 1966 von Jordanien verstaatlicht und fiel während des Sechs-Tage-Krieges 1967 an Israel. Einige der Rollen, zum Beispiel die „Kupferrolle“, befanden sich zu diesem Zeitpunkt für eine Ausstellung im Nationalmuseum in Amman, in dessen Besitz sie noch sind. Ebenfalls in Amman sind Tintenfässer der Qumrangrabung zu besichtigen, ein wichtiges Argument für die Befürworter einer Provenienz der Rollen aus einer Schreiberwerkstatt in Qumran.
Auch in anderen Orten am Toten Meer nahe Qumran wurden in antiker Zeit deponierte Schriften gefunden. Origenes schrieb im 3. Jahrhundert, es seien am Toten Meer Schriftrollen aufgetaucht. Auch im 8. Jahrhundert wurden dort beschriebene Pergamente entdeckt. Schließlich konnten von israelischen Archäologen im Wadi Murabbaat Schriftstücke und persönliche Habseligkeiten einer Personengruppe geborgen werden, die hier im Bar Kochba Krieg Zuflucht gesucht hatte. Das trockene Wüstenklima ist der Erhaltung organischer Materialien günstig.
Theorien zum Verhältnis von Schriftrollen und Siedlung

Roland de Vaux
Der antike Ruinenplatz Qumran war bereits vor der Auffindung der Schriftrollen bekannt und wurde seinerzeit z. B. als römischer Militärposten gedeutet.
Der Ausgräber, Roland de Vaux OP, brachte die Siedlung Qumran und die Höhlen als Fundorte der Schriften seit 1956 mit der jüdischen Gruppe der Essener in Verbindung. Er hielt die Siedlung Qumran für das Zentrum einer monastischen Gemeinschaft, die sich der Produktion von Schriftrollen gewidmet habe. Diese Annahme schien durch die Damaskusschrift (CD), die schon vorher essenischen Kreisen zugeordnet worden war, plausibel.
De Vaux erklärte den gesamten archäologischen Befund im Sinne dieser Theorie: Ein aufwendiges System von Wasserleitungen und Becken wurde als Beweis intensiver ritueller Waschungen und Tauchbäder gedeutet. Die ergrabenen Gebäude interpretierte er als Gemeinschaftsräume, denen er zum Teil Bezeichnungen aus der europäischen Klosterkultur (Skriptorium, Refektorium) beilegte. Die israelische Altertümerverwaltung machte sich sein Erklärungsmodell zu eigen, was sich auch in der touristischen Erschließung der Ausgrabungsstätte spiegelt.
de Vaux legte aber keine abschließende wissenschaftliche Dokumentation seiner Grabung vor und ordnete die Funde in seine Grabungstagebücher nicht genau ein. Die von ihm geborgenen Funde wurden zum Teil zerstreut oder gingen verloren. Dies betrifft vor allem Frauengräber oder Spuren eines gehobenen Lebensstandards.
Hirschfeld und Zangenberg
Nach Hirschfeld und Zangenberg gilt heute als sicher, dass die Landschaft in den Besiedlungsphasen von Qumran nicht so wüstenhaft-lebensfeindlich war wie heute. Es gab damals noch eine geschlossene Pflanzendecke, dementsprechend auch Landwirtschaft und menschliche Besiedlung in dieser Gegend. Qumran war in das antike Wegenetz eingebunden und kein Fluchtort, wo man sich dem Zugriff aus Jerusalem entziehen konnte. Auch die angenommene betont schlichte, „klösterliche“ Sachkultur von Qumran ließ sich durch Vergleichsfunde nicht erhärten. Der Anteil von Frauenskeletten auf dem Friedhof war zwar geringer als der von Männern, aber zu groß für eine zölibatäre Gemeinschaft; der Männerüberschuss ist auch durch landwirtschaftlich oder handwerklich ausgerichtete Tätigkeiten erklärbar.
Die Höhlen zeigen keine Spuren von Bewohnung. Da die Gebäudereste von de Vaux als Funktionsbauten der Gemeinschaft interpretiert wurden, bleibt nur, eine Zeltsiedlung anzunehmen. Wohnten die Qumranleute in den ergrabenen Gebäuden, reduziert sich die für Qumran anzunehmende Bewohnerzahl.
Experten gingen lange Zeit mehrheitlich davon aus, dass die Bewohner der Qumran-Siedlung den unter anderem aus den Schriften des Josephus bekannten Essenern zuzuordnen sind. Diese Annahme wird heute schon wegen der fehlenden direkten Belege dafür und der Vielfalt der behandelten Themen in den Schriftrollen in Frage gestellt. Welchen Platz die sich in den Schriftrollen darstellende „Sekte“ innerhalb des damaligen Judentums hatte, ist ebenso ungeklärt wie ihr Verhältnis zu der nahen Siedlung und deren Bewohnern.
Hartmut Stegemann
Hartmut Stegemann hält an der Herkunft der meisten Rollen aus Qumran fest u d nimmt einen umfangreichen Gerbereibetrieb vor Ort und eine gleichfalls hocheffektive Kopistenwerkstatt an, komplettiert möglicherweise mit einer Bibliothek, in der Musterexemplare für häufig angefragte Schriften aufbewahrt wurden (das würde dann die älteren Rollen im Fundgut erklären). Er beurteilt die Gesamtzahl von etwa 800 Rollen auch im Blick auf die verarbeiteten Tierhäute als enormen finanziellen Tauschwert. Rund 500 verschiedene Schreiber wurden bisher unterschieden – ein gleichfalls enormer Einsatz menschlicher Arbeitskraft.
Die Kunden für diese Literaturproduktion sucht er in Jerusalem; im Rahmen der Pilgerströme zu den jüdischen Hauptfesten sei dort auch ein Buchhandel für religiöses Schrifttum aller Art denkbar. Die in Bezug auf Jerusalem dezentrale Lage Qumrans möchte Stegemann mit der Ressource des Toten Meers erklären: Hier seien fürs Gerben ideale Bedingungen vorhanden gewesen.
Die Deponierung teurer Schriftrollen in Krügen und in Höhlen entspricht nicht dem Muster einer antiken Bibliothek, wohl aber dem anderer Deponierungen, etwa von Münzen, und weist auf ein Kriegsszenario hin: Im Vorfeld der Kampfhandlungen werden die Schätze in Sicherheit gebracht, und die Kampfhandlungen treffen das Gebiet so gravierend, dass die Eigentümer nicht überleben bzw. keine Möglichkeit mehr haben, ihre deponierten Schätze später wieder in Gebrauch zu nehmen. Dies ist im Fall der Schriftrollen von Qumran mit den Ereignissen des Jüdischen Krieges gegeben. Eine Deponierung der Rollen ist deshalb im Vorfeld der Belagerung Jerusalems durch römische Truppen anzunehmen. Bei diesem aufwendigen Unternehmen ist von der aktiven Mitwirkung der in der Nähe wohnenden jüdischen Bevölkerung, also auch der Qumranleute, auszugehen.
Offen bleibt die Frage des Ursprungs der Rollen. Wurde hier (unter anderem) die Tempelbibliothek ausgelagert? Gab es zu dieser Zeit in Jerusalem und/oder Jericho bereits Synagogengebäude, die einen Bestand an heiligen Schriften besaßen? Oder handelt es sich um Privatbibliotheken der lokalen Oberschicht?
Die Schriftrollen

Material und Zustand
Bei den Rollen handelt es sich in der Regel um Lederrollen aus Ziegen- oder Schafshaut; auch Papyrus kommt als Schreibmaterial vor (nicht aber Pergament). Eine Rolle ist aus Kupferblech.
Der Zustand der Rollen ist sehr unterschiedlich. Eine 7,3 m lange, nahezu unbeschädigte Rolle enthält das ganze Buch Jesaja. Die meisten übrigen Rollen sind stark zerstört und oft in zum Teil nur daumennagelgroßen Fragmenten erhalten.
Sprachen
Die meisten gefundenen Texte sind in Hebräisch verfasst, davon 12 im sogenannten Paläo-Hebräisch. Etwa 70 sind in Aramäisch, acht in Griechisch, einige weiter in Nabatäisch oder Latein verfasst.
Datierung
Ein Großteil der biblischen Handschriften sind zwischen 250 v. Chr. und 68 n. Chr. entstanden: dem Jahr, als die nach Jerusalem ziehende römische Legio X Fretensis Qumran zerstörte. Die Datierung erfolgte durch die C14-Methode und verwandte Verfahren und die Methoden der Paläographie: Anhand bestimmter Schriftstile, verwendeter Abkürzungen, Verwandtschaft mit anderen Handschriften und historischer Bezüge in den Texten selbst ließen sie sich zeitlich relativ sicher und genau einordnen.
Textgattungen
Über ein Viertel der Rollen oder Fragmente sind Handschriften biblischer Bücher. Sie enthalten alle Bücher des späteren Tanach außer dem Buch Ester und dem Buch Nehemia. Ein Teil davon steht sprachlich dem Masoretischen Text, ein anderer dem Samaritanischen Pentateuch, ein dritter der Septuaginta oder der Peschitta, ein vierter allen zugleich nahe. Alle griechischen Fragmente befassen sich mit dem Pentateuch und bieten mehrere Fassungen derselben Texte nebeneinander.
Man sieht darin ein Stadium, als viele Bücher der Bibel noch nicht endgültig abgeschlossen waren und noch überarbeitet, nicht bloß kommentiert und tradiert wurden. Andererseits wurden Schriften gefunden, deren Text dem des 1000 Jahre jüngeren Masoretischen Text sehr ähneln. Dies gilt als Zeichen großer Texttreue, die man dann auch für die in Qumran gefundenen Abschriften älterer biblischer Schriften annimmt.
Etwa 30 Schriften sind Pescharim, die biblische Schriften - meist Propheten und Psalmen - zitieren, mit Zitaten aus anderen biblischen Schriften ergänzen und kommentieren. Sie enthalten sowohl Nacherzählungen (Paraphrasen) als auch Erweiterungen biblischer Erzählstoffe, die diese auf die eigene Gegenwart bezogen. Hinzu kommen einige Midraschim, die alle verfügbaren Bibeltexte zu einem bestimmten Thema zusammenstellten.
Weitere, meist Aramäisch abgefasste Schriften wurden später als sogenannte Apokryphen aus dem jüdischen Bibelkanon ausgegrenzt: darunter ein Genesis-Apokryphon, Legenden zu Noach, zu einigen Priestern (Amram, Qahat, Levi), zu Henoch und ein sonst unbekanntes Buch der Giganten. Unter den aramäischen Schriften sind ferner drei Targumim (aramäische Bibelübersetzungen).
Viele Texte sind nicht direkt kultisch oder biblisch, sondern thematisieren Regeln des religiösen oder alltäglichen Zusammenlebens einer jüdischen Gemeinschaft: darunter die sogenannte Gemeinderegel (1QS), Verträge oder Aufzeichnungen über Geschäfte. Nur ein geringer Teil dieser Texte hat Merkmale, die nur einer Gruppe des antiken palästinischen Judentums zugeschrieben werden können.
Nur wenige dieser Schriften sind auch aus späteren Bibelfassungen oder -Übersetzungen bekannt, die meisten sind eigenständig. Sie stammen alle aus dem Judentum, Bezüge zum Christentum wurden darunter nicht entdeckt.
Zitierweise
Die Qumranschriften werden nach dem Fundort (Nummer der Höhle 1-11), dem Buch (Abkürzungen biblischer und sonstiger Schriften) bzw. der Nummer des Fragments, der Textspalte und Zeilen zitiert.
Beispiel:
- 4Q123 45 VI 7–9 ist Text Nummer 123 aus Höhle vier, davon Fragment 45, Kolumne (Spalte) 6, die Zeilen 7–9.
- 1QS ist die sogenannte „Sektenregel“ aus Höhle eins.
Biblische Texte
Die in den Höhlen von Qumran gefundenen biblischen Schriften (z. B. die Jesajarollen oder der Habakukkommentar) geben neue Einblicke in die Geschichte der biblischen Textentwicklung, beispielsweise zur Beziehung zwischen Masoretischem Text und Septuaginta.
Die aus der Zeit um 200 v. Chr. stammende Jesajarolle ist weit über 1000 Jahre älter als alle bisher gefundenen hebräischen Bibelmanuskripte. Auf 7,34 Meter gibt sie nahezu lückenlos den Text des Propheten Jesaja wieder. Dieser deckt sich bis auf wenige unbedeutende Abweichungen mit der bis dato ältesten vollständigen Bibelhandschrift, dem Codex Leningradensis (masoretischer Texttypus).
Anders ist die Situation für die Samuelbücher, die in zahlreichen Fragmenten aus Höhle 4 überliefert sind (4QSama-c). Bei diesen Funden stimmt der Text in zahlreichen Fällen mit der Septuaginta gegen den Masoretischen Text überein. Die Samuel-Funde sind bedeutsam für die textkritische und kompositionsgeschichtliche Arbeit an den Samuelbüchern; eine befriedigende Theorie der Textentwicklung steht noch aus.
Neben den biblischen Texten gibt es noch diverses Material zu bereits bekannten oder bis dato unbekannten apokryphen Büchern der Bibel, die hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden.
siehe auch: Tanakh in Qumran
Sektenschriften
Die sogenannten Sektenschriften sind Texte, die möglicherweise Aufschluss über Lehre und Leben der Qumrangemeinschaft geben. Es ist zwar heute strittig, ob es sich wirklich um Essener handelt, noch ist bewiesen, dass diese Menschen wirklich in Qumran lebten oder es sich überhaupt um eine einheitliche Gemeinschaft handelt. Aber mangels anderer Zuordnungsmöglichkeiten hat sich diese Ansicht weitgehend durchgesetzt. Dass sich auch Widersprüche zu dem von Josephus über Essener Gesagten finden, kann z. B. auch dadurch erklärt werden, dass es eine besondere Gruppe der Essener war, oder Josephus diese Gruppierung sehr vereinfachend für seine römischen Leser dargestellt hat. Es ist aber auch denkbar, dass es sich hier um eine oder mehrere Sekten anderen Ortes handelte, die nicht oder nicht nur in Qumran ansässig waren.
Wenn von „Sekte“ die Rede ist, dann ist dies auch nur deshalb der Fall, weil sich diese Bezeichnung bereits eingebürgert hat, natürlich ist sie an sich anachronistisch, weil die Existenz einer Sekte das Vorhandensein einer „Kirche“ voraussetzt, das ist in der Zeit vor Christi Geburt sicher nicht der Fall. Aber die vehemente, ja streckenweise militante Ablehnung des „offiziellen“ Kultes und der gängigen theologischen Vorstellung am Jerusalemer Tempel, verbunden mit einem exklusiven Erwählungsglauben und apokalyptischen Weltuntergangsphantasien lässt diese Bezeichnung nicht ganz unpassend erscheinen.
- CD – Die Damaskusschrift ist ein Brief, der schon vor den Rollenfunden bekannt war, weil eine Abschrift in der Geniza einer Kairoer Synagoge gefunden wurde. Er trägt deshalb den Titel CD (Cairo Damascus Document) und nicht die Bezeichnung 4QD – welches die Nummer des Qumranexemplares dieses Textes ist. Der Inhalt spricht von Israel als dem Volk, das in die Irre geht, aber von einem Neuanfang, den Gott mit seinem auserwählten Rest beginnt. Die Regeln für den Rest werden durch eine Verschärfung der Gebotsauslegung geprägt. Sie sieht die neue Gemeinschaft durch Priester und Leviten geleitet und fest strukturiert.
- 1QS – Die Gemeinderegel (früher „Sektenregel“). Sie wird als Grunddokument der Qumran-Gemeinschaft betrachtet. In ihr findet sich ein starker Dualismus zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis. Beide Seiten werden repräsentiert durch Gott und Belial, und jeweils deren geistlicher Anhängerschaft (Engel und Dämonen) wie deren menschliche „Kinder“. Als Mensch kann man nur Kind des Lichts oder der Finsternis sein. Hierin haben verschiedene Autoren einen Persischen Einfluss gesehen. Ähnlich wie in CD sind strenge Regeln für die Gemeinschaft niedergelegt. Diese Lebensregeln sind zum Teil rituell, was den Tages- und Jahresablauf angeht, sehr wichtig ist aber auch die Moral, die die Anhänger auszeichnen muss. Wer den Idealen nicht genügt, wird ausgeschlossen. Auch hier taucht wieder das hierokratische Element auf, die Leitung durch Priester und Leviten.
- 1QH – Die Hymnenrolle Eine Sammlung von Gebeten und Liedern ähnlich den Psalmen. In diesen Texten geht es um Schmerz und Trauer sowie um Sieg und Freude. Es gibt noch diverse Stücke und Fragmente aus Höhle 4, die den Liederschatz erweitern. Eine Sammlung in Deutscher Übersetzung ist als Buch erschienen. (Lit.: Klaus Berger, 1997).
- 1QM – Die Kriegsrolle Sie handelt – neben weiteren Schriften, auch aus Höhle 4 – vom Krieg zwischen den Kindern des Lichts und der Finsternis in der Endzeit. Schlachtordnungen werden aufgestellt, Feldzeichen aufgerichtet und dergleichen. In dieses Szenario werden massiv theologische Perspektiven eingebaut: Priester und Leviten als Anführer der einzelnen Abteilungen, ein Messias als oberster Feldherr, symbolische Zahlen und rituelle oder an die Bibel erinnernde Vorgehensweisen.
Entgegen verbreiteter Ansicht wird Jesus, oder überhaupt christliche Ideen, in den Rollen von Qumran nicht erwähnt, sehr wohl aber Gedankengut und Formulierungen, die das Neue Testament aufnimmt. Zwar wurde das Papyrusfragment 7Q5 von manchen als Ausschnitt aus dem Markus-Evangelium gedeutet, diese These ist jedoch wissenschaftlich nicht anerkannt, und das Papyrus enthält lediglich 15 Buchstaben aus 5 verschiedenen Zeilen.
Einordnung, Bedeutung und Forschungsgeschichte
Die Bedeutung der Schriftfunde für die Geschichte des antiken Judentums, aber auch für die Geschichte der Bibel für das Christentum, ist enorm.
Die Erforschung stand zunächst unter christlichen Vorzeichen. Die neu entdeckten Schriften gestatteten es, die religiöse Umwelt der Jesusbewegung, also die jüdische Kultur vor Zerstörung des Zweiten Tempels, aus den Quellen kennenzulernen. Bis dahin war diese Umwelt weitgehend durch Rückschlüsse aus späterem, nämlich rabbinischem Material, rekonstruiert worden. Die indirekte Konsequenz daraus war ein positiveres Pharisäerbild in der christlichen Öffentlichkeit. Lernte man doch im Qumranschrifttum eine Gruppe kennen, die offenbar weit strenger lebte als die Pharisäer! Des Weiteren bereicherte die Qumranforschung die Kenntnis des Phänomens Apokalyptik, z. B. die literarischen Techniken, mit denen apokalyptische Texte produziert werden.
Durch Qumran wurden hebräische Texte bekannt, die vor den Normierungsprozessen entstanden waren, die im rabbinischen Judentum bei der Tradierung der biblischen Schriften entwickelt wurden. Die Qumrantexte zeigen deshalb z. B. eine abweichende Rechtschreibung, etwa den häufigeren Gebrauch von matres lectionis. Glaubte man in einem frühen Rezeptionsstadium der Qumrantexte, dass es nun möglich sei, durch Kombination von Masoretischem Text, Qumran und Septuaginta auf einen dahinterliegenden Urtext zurückschließen zu können (eine Forschungsphase, in der z. B. die Einheitsübersetzung zu verorten ist), so zeigt sich inzwischen, dass in der Zeit des Zweiten Tempels die Tradierung heiliger Schriften noch viel stärker im Fluss war und mit einem Nebeneinander der verschiedenen Traditionsströme zu rechnen ist.
Noch längst nicht ausgeschöpft ist die Bedeutung der Qumranschriften für die Judaistik. Dies betrifft die Herausbildung der halachischen Traditionskomplexe. Sie stehen in jener frühen Phase selbstständig neben dem Text der schriftlichen Tora. Erst spätere „schriftgelehrte“ Forschung zeigte das Interesse, die gültige Halacha aus Toraversen herzuleiten. Ein Ertrag dieser Forschung für die christliche Exegese ist es, dass man hier danach fragt, welche Halachot die Evangelisten oder Paulus kennen oder auch selbst entwickeln – Fragestellungen, die sich nicht durch den Rekurs auf das Alte Testament beantworten lassen.
Dass ein Ausgräber seine Ergebnisse nicht angemessen wissenschaftlich publiziert, ist in der Archäologie biblischer Lande alles andere als ein singuläres Phänomen, wurde aber im Fall von Qumran erstmals von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Hier wären nun die einmaligen Schwierigkeiten der Kombination kleiner Textfragmente in Rechnung zu stellen – vor den Möglichkeiten einer digitalen Erfassung. Andererseits sind die Arbeitsweisen der Forscher auch in ihrem zeitgenössischen Umfeld recht befremdlich, z. B. die Fixierung antiker Textfragmente mittels Heftpflaster!
1990 war ein Großteil der Texte noch unpubliziert. Andererseits waren die „großen“ Texte zu diesem Zeitpunkt schon lange bekannt; im deutschsprachigen Bereich etwa durch die Übersetzungen von Johann Maier. Im amerikanischen Bereich wurde vor allem in der auflagenstarken Zeitschrift Biblical Archaeology Review (Hershel Shanks) massiv auf eine zügige Veröffentlichung der Qumrantexte hingewirkt. Als Hemmnis wirkte zu diesem Zeitpunkt die Tatsache, dass etliche Institutionen sich Qumranfragmente gesichert hatten und im Blick auf eine Veröffentlichung Rechteinhaber waren. Flankiert wurde diese Debatte von populärwissenschaftlichen Bestsellern, die mit Spekulationen bis hin zu Verschwörungstheorien und Polemiken gegen die Kirchen auf sich aufmerksam machten und ein großes Publikum ansprachen. Populär wurden diese Positionen nicht zuletzt durch das Buch Verschlusssache Jesus von Michael Baigent und Richard Leigh (englischer Originaltitel: The Dead Sea Scrolls Deception, 1991). Darin behaupteten die Autoren die Existenz einer vom Vatikan gelenkten Verschwörung zur Unterdrückung von angeblichen Erkenntnissen über die Schriftrollen von Qumran. Dies hatte nach dem Herausgeber der deutschen Übersetzung, Johann Maier, aber auch positive Effekte, „denn die Qumranforschung geriet neuerlich in den Brennpunkt des Interesses, und die Publikationsarbeit wurde unter dem Druck der öffentlichen Meinung neu und effektiver organisiert.“ (Lit.: J. Maier, Vorwort, Quellenausgabe Band I). Inzwischen liegt die knapp 40 Bände umfassende wissenschaftliche Edition der Texte komplett vor (Lit.: „Discoveries in the Judaean Desert“, Oxford University Press).
Zum Auffindungszeitpunkt hatten die Rollen auch eine politische Bedeutung als Symbol jüdischen Lebens im Lande Israel. Das zeigt sich besonders in dem Bauwerk, das der Ausstellung der Rollen in Jerusalem dient. Der Name „Shrine of the Book“ (Schrein des Buches) suggeriert, hier werde über die museale Darbietung hinaus ein heiliger Ort geschaffen. In diese Richtung geht auch die beziehungsreiche architektonische Gestaltung (sie soll dem Kampf der „Söhne des Lichts“ mit den „Söhnen der Finsternis“ versinnbildlichen). Neuerdings wurde die religiöse Symbolik etwas zurückgenommen, indem auch anderen antiken Schriftfunden im Ausstellungsparcours mehr Gewicht gegeben wurde.
Die „Israel Antiquities Authority“ beabsichtigt, die Qumran-Schriftrollen zu digitalisieren und im Internet komplett zu veröffentlichen. Die als Kulturgut geltenden Qumran-Schriftrollen sollen wissenschaftlich erforscht werden und die daraus hervorgegangenen Ergebnisse vor allem für das gegenseitige Verständnis und den Dialog zwischen den drei Abrahamitischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam genutzt werden.[1]
Publikationen
Die editio princeps der Schriftrollen vom Toten Meer ist die Reihe Discoveries in the Judaean Desert. Die Veröffentlichung begann sehr schleppend, was Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre zu einer regelrechten Kampagne seitens Hershel Shanks gegen das Herausgebergremium führte. Die Situation begünstigte das Aufkommen zahlloser Verschwörungstheorien und das Erscheinen von Pirateditionen. Erst mit der Öffnung des Herausgeberkreises für israelische Wissenschaftler bzw. unter der Herausgeberschaft von Emanuel Tov konnte die Publikationstätigkeit beschleunigt werden. Seit 2009 ist die Reihe abgeschlossen, Revisionen der älteren Bände sind in Vorbereitung.
Der besonderen Erforschung der Schriftrollen sind die Zeitschriften Revue de Qumran, Dead Sea Discoveries und Meghillot (in hebräischer Sprache) gewidmet, sowie die Monographienreihe Studies on the Texts of the Desert of Judah.
Literatur
Bibliographien
- William Sanford LaSor: Bibliography of the Dead Sea Scrolls 1948–1957. Pasadena 1958.
- Bastiaan Jongeling: A Classified Bibliography of the Finds in the Desert of Judah: 1958–1969 (Studies on the texts of the desert of Judah 7). Leiden: Brill 1971.
- Florentino García Martínez; Donald W. Parry (Hg.): A bibliography of the finds in the desert of Judah, 1970–95 (STDJ 19). Leiden u. a.: Brill 1996. ISBN 90-04-10588-3
- Avital Pinnick: The Orion Center Bibliography of the Dead Sea Scrolls (1995–2000) (STDJ 41). Leiden 2001. ISBN 90-04-12366-0
- Ruth Clements; Nadav Sharon (Hg.): The Orion Center Bibliography of the Dead Sea Scrolls and Associated Literature (2001–2006) (STDJ 71). Leiden 2007. ISBN 978-90-04-16437-6
Editionen und Übersetzungen
- Discoveries in the Judaean Desert. 40 Bd. Oxford University Press, New York 1955–2009. ISBN 0-19-924955-5
- Johann Maier: Die Qumran-Essener – Die Texte vom Toten Meer. UTB, 3 Bd. Reinhardt, München 1995 (dt.).
- Band I: Die Texte der Höhlen 1–3 und 5–11. ISBN 3-8252-1862-7
- Band II: Die Texte der Höhle 4. ISBN 3-8252-1863-5
- Band III: Einführung, Zeitrechnung, Register und Bibliographie. ISBN 3-8252-1916-X
- Die Texte aus Qumran. Hebräisch/Aramäisch und deutsch. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2 Bd. 1986/2001
- Band I: Die Schriften aus Höhle 1 und 4. Hrsg. und übersetzt von Eduard Lohse, 4. Auflage 1986.
- Band II: Die Tempelrolle und andere Schriften. Hrsg und übersetzt von Annette Steudel u. a., 2001.
- Klaus Berger: Psalmen aus Qumran. Frankfurt 1997. ISBN 3-458-33597-8
- Geza Vermes: The Complete Dead Sea Scrolls in English, Penguin 1997 ISBN 978-0-14-044952-5 (2004 ed.)
- Michael O. Wise; Martin Abegg; Edward Cook: Die Schriftrollen von Qumran. Übersetzung und Kommentar. Mit bisher unveröffentlichten Texten herausgegeben von Alfred Läpple. Augsburg: Pattloch 1997. ISBN 3-629-00817-8
Wissenschaftliche Literatur
- Hartmut Stegemann: Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Ein Sachbuch. Freiburg, Herder 1993, 1994² (beste Einführung – These der Ledergerberei, Schriftrollenmanufaktur in Qumran ist umstritten). ISBN 3-451-04128-6
- James C. VanderKam: Einführung in die Qumranforschung. Geschichte und Bedeutung der Schriften vom Toten Meer. UTB. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. ISBN 3-8252-1998-4
- Philip R. Davies, George J. Brooke, Phillip R. Callaway: Qumran. Die Schriftrollen vom Toten Meer. Stuttgart, Theiss 2002. ISBN 3-8062-1713-0
- Ferdinand Rohrhirsch: Wissenschaftstheorie und Qumran. Vandenhoeck & Ruprecht, Stuttgart 1998 (untersucht alle gängigen Theorien über Qumran und zeigt auf, dass Qumran als Sitz einer religiösen Gemeinschaft gewertet werden muss). ISBN 3-5255-3934-7
- Jodi Magness: The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls. Wm. B. Eerdmans, Grand Rapids MI 2003 (jüdische Archäologin). ISBN 0-8028-2687-3
- Alexander Schick: Faszination Qumran – Wissenschaftskrimi, Forscherstreit und wahre Bedeutung der Schriftrollen vom Toten Meer. Einführungstext von Otto Betz. Berneck 1998 (2. Aufl.). ISBN 3-89397-382-6
- Otto Betz: Offenbarung und Schriftforschung in der Qumransekte (WUNT 6), Tübingen 1960
- Pinchas Lapide: Paulus und Qumran. in: Paulus zwischen Damaskus und Qumran. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1993, 42001, S. 104ff. ISBN 3-579-01425-0 (geht auf Wurzeln späteren christlichen Heilsvokabulars in Qumran ein, sieht die Gleichung Essener-Qumran-„Damaskus in der Wüste“, geht aufgrund inhaltlicher Parallelen zu den Sektenschriften von einer 250-jährigen Geschichte einer Sektengemeinschaft von Essenern, „aufmüpfigen Priestersöhnen“ und geflohenen Zeloten aus, die in Opposition zum offiziellen Kult des Jerusalemer Tempel stand, geht davon aus, dass Jesus von Nazareth und auch Paulus in Qumran waren und Anregungen von dort bezogen)
- Yizhar Hirschfeld: Qumran – die ganze Wahrheit. Die Funde der Archäologie neu bewertet. [englischer Originaltitel: Qumran in context.] Gütersloh 2006. ISBN 978-3-579-05225-0 (abgesehen vom reißerischen dt. Titel eine lesenwerte und methodisch präzise Darstellung aus v. a. archäologischer Perspektive)
- Karlheinz Müller, Anmerkungen zum Verhältnis von Tora und Halacha im Frühjudentum, in: Erich Zenger Hg., Die Tora als Kanon für Juden und Christen, Freiburg 1996
Einzelnachweise
Weblinks
- Homepage des Orion Center for the Study of the Dead Sea Scrolls and Associated Literature
- Qumran-Literatur
- Qumranseiten der Universität Eichstätt Prof. Ferdinand Rohrhirsch
- Andere Ansichten: Aufgrund archäologischer Daten war Qumran ein Wirtschaftszentrum
- Qumran Hymnen-Rolle 1QH 3
- Eine virtuelle Tour durch Qumran