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Martin Flinker

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Martin Edward Flinker (* 18. Juli 1895 in Czernowitz; † 21. Juni 1986 in Paris) war ein österreichischer Buchhändler, Verleger, Schriftsteller und Literaturkritiker jüdischer Abstammung, der in Wien und Paris berühmte Buchhandlungen betrieb und diese zu germanophilen Mikrokosmen machte.

Leben

Martin Flinker wurde 1895 als Sohn eines jüdischen Arztes und einer zum Protestantismus konvertierten Jüdin geboren. Seine Eltern gehörten zum assimilierten deutsch-österreichischen Judentum. Auf den Wunsch seines Vaters hin studierte er Rechtswissenschaften und promovierte in Wien. Seine Leidenschaft galt jedoch der Literatur, weshalb er sich nach dem Studium in der berühmten Buchhandlung Hugo Heller am Wiener Bauernmarkt zum Buchhändler ausbilden ließ. Nach dessen Tod im Jahr 1929 machte sich Flinker selbstständig und gründete die Sortimentsbuchhandlung „Am Kärntnertor“ in der Wiedner Hauptstraße 2 in Wien. Nach 1933 veröffentlicht er jährlich seine später berühmten Almanache, Bücherkataloge, denen Essays und kürzere Artikel zeitgenössischer Schriftsteller wie Robert Musil und Hermann Broch vorangestellt waren. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 war er gezwungen, seine Buchhandlung zu verkaufen. Auf dem Umweg über die Schweiz, in der die Aussicht auf ein Visum gering war, floh er zusammen mit seinem 14 Jahre alten Sohn Karl nach Paris, während seine Frau bei ihrer Familie in der Tschechoslowakei Zuflucht suchte. Vorübergehend in Caen wohnend, hielt er sich und seinen Sohn mit Gelegenheitsarbeit über Wasser. Zu Kriegsbeginn im September 1939 wurde er, wie jeder Ausländer im wehrfähigen Alter, der sich zu dieser Zeit in Frankreich aufhielt, interniert. Nach dem Überfall Frankreichs durch die Wehrmacht flohen er abermals mit seinem Sohn. Nach Zwischenstationen in Bordeaux, Bayonne, Madrid und Algeciras – im Gegensatz zu anderen Exilanten wie Walter Benjamin und Carl Einstein gelang ihnen die Flucht über die spanische Grenze, was sie der Hilfe des Erzbischof von Luxemburg verdankten – erreichten sie die Internationale Zone von Tanger, wo sie bis zum Ende des Krieges blieben. Im Jahr 1943 erreichte Flinker hier die Nachricht vom Tod seiner Familienangehörigen. Seine Eltern, seine Geschwister und seine Frau, die nicht mit ihm emigriert waren, hatten ihr Leben in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz gelassen.

Nach dem Krieg zog Flinker mit seinem Sohn nach Paris und gründete dort im Jahr 1947 eine Buchhandlung am Quai des Orfèvres. Der Buchladen wurde bald zur wichtigsten Anlaufstelle für französische Schriftsteller und Wissenschaftler, die sich mit deutscher Literatur versorgen wollten. Neben seiner Buchhändlertätigkeit betätigte sich Flinker auch hier als Verleger. Ab dem Jahr 1954 widmete sich Flinker wieder der Publikation seiner Almanache, die von nun an zweisprachig erschienen. Er selbst verfasste literaturkritische Aufsätze zu Robert Musil, Rudolf Kassner und Joseph Roth.

Martin Flinker starb am 21. Juni 1986, im Alter von fast 91 Jahren, in Paris. Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel an die literarische Vergangenheit der Hausnummer 86 am Quai des Orfèvres. Flinkers Privatbibliothek, die einige bibliophile Kostbarkeiten enthält, befindet sich heute im Besitz des Musée d'art et d'histoire du Judaïsme in Paris.

Sein Sohn Karl (1923-1991) wurde einer der bedeutendsten Galeristen in Paris.

Bedeutung

Martin Flinker zählte in seiner Funktion als Buchhändler und Verleger eine Vielzahl zeitgenössischer Schriftsteller zu seinen Kunden, darunter Hermann Hesse, Erich von Kahler, Carl Zuckmayer, Stefan Zweig, Elias Canetti, Arthur Schnitzler, Alma Mahler, Oskar Kokoschka, Franz Werfel – letzterer widmete ihm sein gesamtes Werk – sowie in Frankreich Henri Michaux, Michel Tournier, Paul Eluard, Gabriel Marcel, Paul Celan und Jacques Lacan. Ein freundschaftliches Verhältnis pflegte er unter anderem zu Robert Musil, Hermann Broch, Rudolf Kassner, Annette Kolb und insbesondere Thomas Mann.

Flinker und Mann, die sich zum ersten Mal in Hugo Hellers Buchhandlung begegnet waren, verband seit den Tagen der Emigration in der Schweiz eine innige Brieffreundschaft, die bis zum Tode Manns im Jahre 1955 Bestand hatte. Seinen letzten Besuch am Krankenbett Manns, nur einen Tag vor dessen Tod, verarbeitete Flinker in dem Aufsatz La dernière visite. Im gleichen Jahr hatte er die Festschrift L'Hommage de la France à Thomas Mann aus Anlass des 80. Geburtstags des Schriftstellers herausgegeben. 1959 veröffentlichte er Thomas Mann’s Politische Betrachtungen im Lichte der heutigen Zeit.

Flinker wurde 1973 zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt. 1977 wurde ihm die Ehrenmedaille des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zuerkannt. In der Dankesrede, die er anlässlich der Verleihung dieses Preises hielt, formulierte er sein Credo als Buchhändler:

Der Buchhandel ist kein Beruf wie irgendein anderer, der Buchhandel kann nicht nur erlernt werden, man muss zum Buchhändler geboren sein, wie man zum Künstler geboren sein muss, zum Musiker oder Maler.[1]

Im Jahr 1979 erhielt er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Literatur

Werke (Auswahl)

  • Der Gott-Sucher, Amsterdam 1949.
  • Der Tod des Vergil. Skizze einer Einführung in das Werk von Hermann Broch, in: Almanach 1954, Paris 1954.
  • Hommage de la France à Thomas Mann à l'occasion de son quatre-vingtième anniversaire, Paris 1955.
  • Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften. Eine Einführung, in: Almanach 1958, Paris 1958.
  • Thomas Mann's Politische Betrachtungen im Lichte der heutigen Zeit, La Haye 1959.
  • Ma dernière visite chez Thomas Mann, Paris 1973.

Sekundärliteratur

  • Hans Scherer: Martin Flinker, der Buchhändler. Ein Emigrantenleben, Frankfurt am Main 1988.
  • Martin et Karl Flinker. De Vienne à Paris. Textes réunis de Isabelle Pleskoff, Paris 2001.
  • Martin & Karl Flinker, libraires et éditeurs viennois à Paris, in: Documents (Revue des Questions Allemandes), 2001/2, S. 108-109.
  • Murray G. Hall: Pariser Ausstellung zu Ehren Martin Flinkers. Ein Vorbericht, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich. 2001/1, S. 25-28.

Einzelnachweise

  1. http://www.murrayhall.com/index.php?/content/flinker.php.