Georges I. Gurdjieff
Georg Iwanowitsch Gurdjieff (ursprünglich russisch Георгий Иванович Гюрджиев bzw. Georgi Iwanowitsch Gjurdschijew (* vermutlich 1873 in Alexandropol; † 29. Oktober 1949 in Paris) war Autor, Philosoph, Choreograph, Komponist, Lehrer des sogenannten Vierten Weges und Begründer einer weltweiten und verzweigten Anhängerschaft.
Seine Bedeutung ist umstritten, seine Lehre heutzutage oft entstellt oder gar missbraucht; dennoch ist sein Einfluss auch bis in moderne psychotherapeutische Verfahren hinein erkennbar (vgl. Enneagramm).
Leben
Geboren im griechischen Viertel der Stadt Alexandropol in Armenien (damals unter russischer Herrschaft), verbrachte Gurdjieff angeblich Jahre in Zentralasien, Nordafrika und anderen „Orten verborgener esoterischer Traditionen“. Deren Spuren will er bereits seit seiner frühen Jugend begegnet sein, wie er im (1979 von Peter Brook verfilmten) autobiographischen Werk Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen schreibt.
Gurdjieff erschien erstmals 1915 in Russland in der Öffentlichkeit. Er begann Studien-Gruppen zu leiten, deren Teilnehmer sein komplexes esoterisches Wissen in täglichen Übungen anwenden sollten, um so auf unmittelbare Weise die eigene Persönlichkeit und den innersten Wesenskern zu erkennen. Während dieser St. Petersburger Zeit ( bis 1917) stiess sein wichtigster Schüler Pyotr D. Ouspensky zu ihm, der bald darauf als Erster über Gurdjieffs System zu publizieren begann.
Die russischen Revolutionswirren zwangen Gurdjieff mit seinen Studenten zu einer langen Odyssee über den Kaukasus nach Tiflis und schliesslich bis Konstantinopel.
Nach einer weiteren kurzen Station in Deutschland eröffnete er 1922 das Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen in der Prieuré in Fontainebleau bei Paris, wo er schnell eine weitere, illustre Schülerschaft internationaler Künstler und Intellektueller (darunter John Bennnett, Katherine Mansfield, und A. R. Orage) anzog und, unter anderem, seine ‚Heiligen Tänze‘ oder ‚Movements‘ lehrte. Zu gewissen Anlässen in der Prieuré und bei späteren Reisen nach Amerika liess er diese auch öffentlich aufführen.
Während dem Zweiten Weltkrieg setzte er die Arbeit mit seinen Schülern in Paris fort. Er starb am 29. Oktober 1949 im amerikanischen Krankenhaus von Neuilly und wurde auf dem Friedhof von Fontainebleau beigesetzt.
Werk
Gurdjieff präsentierte ein System für die menschliche Entwicklung, das er selbst einmal „esoterisches Christentum“ nannte. Ihm zufolge kann der Mensch sich der göttlichen Wahrheit bzw. deren Bewusstsein nur nähern, wenn alle Teile oder "Zentren", die den Menschen ausmachen, harmonisch entwickelt werden: das Denken, das Fühlen und die Bewegungen des Körpers.
Ein grundlegendes Symbol zu dieser „Arbeit an sich selbst“ wird von ihm im Enneagramm dargestellt.
Er spricht auch von einem Vierten Weg als Alternative zu den drei traditionellen Wegen des Mönchs, des Yogis und des Fakirs. Seine Lehre ähnelt so konzeptionell am ehesten den Traditionen der Sufi- bzw. Derwischorden des vorderen Orients und Nordafrikas.
Neben vielen unbekannten Quellen enthält Gurdjieffs System also Elemente des Sufismus, gewisser buddhistischer und hinduistischer Traditionen sowie essenisch-urchristlicher Mystik. Zu seinen wichtigsten Schülern zählen neben Pyotr D. Ouspensky noch Jeanne de Salzmann und John G. Bennett.
Als Opus Magnum gilt die dreibändige Schrift Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel - Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens des Menschen: in einer Art esoterisch-kosmologischer Science-Fiction erzählt darin Beelzebub, als Bewohner einer weit entfernten und harmonischen Welt, seinem Enkel Hassin die lange und lehrreiche Geschichte seiner Abenteuer, Erfahrungen und Begegnungen, die er im Verlauf mehrerer Aufenthalte auf der Erde erlebte.
Heute haben sich weltweit zahlreiche sogenannte "Schulen" und Gruppierungen etabliert, die sich auf Gurdjieff oder einen seiner Schüler (oder wiederum dessen Schüler usw.) berufen. In Nordamerika schätzt man insgesamt etwa 5000 Anhänger; andere Zahlen sind nicht bekannt. Es gibt keine einheitliche Organisation dieser Anhänger.
Kritik
Gurdjieffs Bedeutung ist sicherlich umstritten. Entweder wird er als charismatischer Meister, der fundamental neues Wissen in den Westlichen Kulturraum brachte, oder schlicht als wirrer Scharlatan mit ausschweifendem Ego qualifiziert. Seine Biografie und sein Werk bieten je nach Perspektive genug Stoff für beide Titel. Tatsache allerdings ist, daß Gurdjieff ein Gedankengut in den Westen brachte, das (wie etwa das Enneagramm) bis dato gänzlich unbekannt war.
Eine berechtigte Fragestellung richtet sich grundsätzlich auf die mangelnde Kontinuität in der Lehre und Nachfolge Gurdjieffs bzw. auf die verschiedenen Brüche und Verzweigungen innerhalb seiner Anhängerschaft, die bereits schon vor seinem Tod und der endgültigen Zerstreuung seiner Schüler einsetzten. (vgl. Ouspensky / Bennett / de Salzmann / Critique of Gurdjieff's authority to transmit Sufi teachings)
Gurdjieffs Lehre wird heutzutage gerade durch solche Gruppierungen nachhaltig diskreditiert, die zwar den Anspruch auf seine Nachkommenschaft erheben, in Wirklichkeit aber nichts weiter als einen Personenkult um den jeweiligen selbsternannten und oft erkennbar am persönlichen Profit orientierten "Lehrer" und dessen fragwürdigen manipulativen Methoden darstellen.
Allerdings ist wohl z.B. das Gurdjieff'sche Postulat, dass "die Arbeit" nur fruchtbar sein könne, wenn sie gemeinsam mit Gleichgesinnten und unter direkter Anleitung und Führung eines Lehrers geschehe, auch eine Grundlage für diesen Missbrauch. So besitzt das System Gurdjieffs insgesamt ein sehr gefährliches Potenzial, wenn es in die falschen Hände gerät. Gurdjieff selbst betonte dies übrigens wieder und wieder.
Einige dieser "Schulen" zeigen also tatsächlich die typischen Merkmale einer profanen Sekte: sie entwickeln ihre eigene, einzig an den Zielen des "Lehrers" ausgerichtete Ethik, verwenden eine hermetische Sprache, verbieten Kontakte nach "außen" und bauen sich auf streng-hierarchischen Ordnungsstrukturen im Inneren. Hinzu kommt eine rigide Methodenpraxis in (für die Schüler) meist spartanischen Rahmenbedingungen, die unter dem dringenden Verdacht der systematischen Gehirnwäsche steht und zu einer psychodirektiven oder hypnotischen Versklavung sowie zu ökonomischer, nicht selten gar sexueller Ausbeutung führt.
Literatur
Werke von Gurdjieff
- Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel (1950)
- Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen (1963)
- Aus der wirklichen Welt (Views from the Real World, 1973)
- Das Leben ist nur wirklich, wenn „ich bin“ (1974)
- The Herald of Coming Good (1988)
Literatur über Gurdjieff und sein Lehre
- P. D. Ouspensky: In Search of the Miraculous. (1949)
- P. D. Ouspensky: The Psychology of Man's Possible Evolution. (1978)
- J.G. Bennett: Gurdjieff, Making a New World
- J.G. Bennett: Masters of Wisdom
- J.G. Bennett: Transformation
- J.G. Bennett: Deeper Man
- J.G. Bennett: Witness
- Jean Vaysse: Toward Awakening. (1980)
- René Daumal: Mount Analogue. (1974)
- Maurice Nicoll: Psychological Commentaries on the Teachings of Gurdjieff and Ouspensky. (1980, 6 Bände)
Weblinks
- International Gurdjieff Review
- Chronology of Gurdjieff's Life
- G. I. Gurdjieff and His School by Jacob Needleman, Professor of Philosophy San Francisco State University
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Gurdjieff, Georg Iwanowitsch |
| ALTERNATIVNAMEN | Георгий Иванович Гюрджиев (russisch); Georgi Iwanowitsch Gjurdschijew |
| KURZBESCHREIBUNG | Autor, Philosoph, Choreograph, Komponist, Lehrer und Begründer einer weltweiten und verzweigten Anhängerschaft. |
| GEBURTSDATUM | 1873 |
| GEBURTSORT | Alexandropol |
| STERBEDATUM | 29. Oktober 1949 |
| STERBEORT | Paris |