Nabucco-Pipeline

Das Nabucco-Pipeline-Projekt sieht den Bau einer Erdgas-Pipeline vor, beginnend in der Türkei bis in das österreichische Baumgarten an der March nahe der slowakischen Grenze, wo das zentrale Verteilerzentrum der OMV für Erdgas liegt. Am 13. Juli 2009 wurde das Abkommen zum Bau der Pipeline von den fünf beteiligten Transitstaaten (Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich) unterzeichnet. Die Pipeline soll ca. 7,9 Milliarden Euro kosten, die durch ein Bankenkonsortium aufgebracht werden. Sie ist in einer Länge von ca. 3300 km und einem Durchmesser von ca. 1,42 m geplant.[1] Der Baubeginn wurde schon mehrfach verschoben und ist derzeit für 2011 vorgesehen. Die erste Ausbaustufe soll bis 2014 fertiggestellt sein. Die Pipeline selbst soll die EU mit den kaspischen Erdgasvorkommen verbinden (möglicherweise auch mit iranischen, ägyptischen und irakischen) und so neue Gasquellen für Europa erschließen. Im EU-Programm Transeuropäische Netze gilt die Pipeline als eines der vier wichtigsten Vorhaben beim Ausbau des europäischen Energieleitungsnetzes.
Hintergrund
Hintergrund des Projekts ist der politische Wunsch der EU nach einer Diversifizierung der Erdgasquellen, vor allem, um die relative Abhängigkeit vom Hauptlieferanten Gazprom zu verringern. Die EU verbrauchte 2006 rund 485 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission könnte der Bedarf im ungünstigsten Fall bis 2030 auf ca. 575 Milliarden Kubikmeter steigen. Dem gegenüber steht eine sinkende Eigenproduktion in Europa selbst. Der Importbedarf der EU wird deshalb im gleichen Zeitraum voraussichtlich stark anwachsen, nach derzeitigen Schätzungen von 295 auf 480 Milliarden Kubikmeter. Dadurch ist die Erschließung neuer Erdgasquellen ein wichtiger Beitrag zur Energieversorgungssicherheit Europas.
Beteiligte
Initiator des Projektes ist die österreichische OMV AG. Eigentümer sind neben der OMV Gas International GmbH die MOL aus Ungarn, S.N.T.G.N. Transgaz S.A. aus Rumänien, Bulgargaz-Holding EAD aus Bulgarien und BOTAŞ Petroleum Pipeline Corporation aus der Türkei. Die Entscheidung für einen weiteren sechsten Partner ist im Februar 2008 auf RWE aus Deutschland gefallen. Der entsprechende Vertrag wurde am 5. Februar 2008 in Wien unterzeichnet. Bis dahin hielt jeder der Beteiligten einen Anteil von 20 % an der Nabucco Gas Pipeline International GmbH.
An den Kosten beteiligen wird sich auch die Europäische Investitionsbank (EIB). Zur Absicherung der Finanzierung des Projektes streben die beteiligten Unternehmen ein Regierungsabkommen zwischen den betroffenen fünf Staaten an. Die endgültige Bauentscheidung fiel im Juli 2009.
Ein weiteres Pipelineprojekt zur Versorgung Europas mit Erdgas wird voraussichtlich die South Stream Gaspipeline. Sie soll von Russland durch das Schwarze Meer zunächst nach Bulgarien führen. Der südliche Strang wird über Griechenland nach Italien geführt, der mit Nabucco direkt konkurrierende nördliche über Serbien nach Ungarn.[2]
Projektierung
Die Durchführung des Projektes soll über nationale Gesellschaften erfolgen, die als Tochtergesellschaften der Nabucco Gas Pipeline International GmbH derzeit in Gründung begriffen sind (Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien schon gegründet; Türkei noch in Gründung). Mit der Bestellung der britischen Firma Penspen als Generalingenieur Anfang Januar 2008 geht das Projekt nunmehr in die technische Detailplanung. Diese soll zum Jahresende abgeschlossen werden. Nach Beendigung der ersten Bauphase 2013 wird nach den Plänen der Nabucco Gas Pipeline International GmbH mit einer Anfangslieferkapazität von jährlich acht bis zehn Milliarden Kubikmeter begonnen werden. Der Markt soll in weiterer Folge die Ausbaugeschwindigkeit auf die maximale technische Kapazität von rund 31 Milliarden Kubikmeter pro Jahr mitentscheiden. Die ersten Lieferungen könnten aus Aserbaidschan kommen, darüber hinaus bestehen derzeit keinerlei Lieferzusagen. In der Diskussion ist die Einspeisung von turkmenischem, irakischem und vor allem iranischem Gas, dessen baldige Verfügbarkeit jedoch fraglich ist.[3]
Nach dem russisch-ukrainischen Gasstreit plant die Europäische Union, den Bau der Nabucco-Pipeline zügig voranzutreiben. Bei einer internationalen Konferenz zum Pipeline-Projekt am 27. Januar 2009 in Budapest sprach sich auch der tschechische Regierungschef und EU-Ratspräsident, Mirek Topolanek, für eine zügige Vereinbarung der Regierungen der beteiligten Staaten aus. Der Präsident der Europäischen Investitionsbank Philippe Maystadt erklärte, sein Institut könne etwa 25 Prozent der benötigten 7,9 Milliarden Euro für das Projekt garantieren. Der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung würde eine Beteiligung ebenfalls prüfen.[4]
Am 13. Juli 2009 unterzeichneten Regierungsvertreter der 5 beteiligten Staaten in der türkischen Hauptstadt Ankara das Abkommen über den Bau der Pipeline. Die Beteiligten verpflichten sich u.a die Durchleitung von Erdgas nicht zu behindern. Unterbrechung der Lieferungen wie im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine sollen damit verhindert werden. [5]
Wirtschaftskonzept
Als Logistikprojekt bietet die Nabucco-Pipeline die technische und logistische Infrastruktur für Gastransporteure („shippers“), kauft aber selber kein Gas. Potentielle Gastransporteure müssen daher selbst entscheiden, woher sie das Gas beziehen wollen und daher auch Lieferverträge abschließen. Die Nabucco-Gesellschaft schließt ihrerseits daher Transportverträge mit den entsprechenden Transportkunden ab. Hier besteht inzwischen großes Interesse am Markt, das sich in einer Reihe von unterfertigten Absichtserklärungen ausdrückt.
Schwachstellen
Kapazitätsauslastung und Rentabilität
Die große Schwachstelle der Nabucco-Pipeline, die Investoren verunsichert, ist die fehlende Garantie der Kapazitätsauslastung und somit der Rentabilität. Staaten, die für die nötigen Gasmengen sorgen könnten, sind Aserbaidschan, Turkmenistan oder der Iran, überwiegend politisch instabile Regime, bzw. mit denen, wie im Falle des Irans, eine Kooperation zur Zeit aus politischen Gründen kaum möglich erscheint. Hinzu kommt, dass Turkmenistan bereits große Mengen seiner künftigen Förderung Russland und China[6] vertraglich zugesichert hat. Obwohl Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdymuhammedow die Reserven seines Landes als groß genug für alle Abnehmer bezeichnet, gilt dies unter Experten als nicht sicher. Auch dürfte die benötigte transkaspische unterseeische Pipeline nach Aserbaidschan wegen des ungünstigen Meeresprofils extrem hohe Investitionen erfordern. Erschwert wird ein solches Projekt auch durch den immer noch nicht geklärten rechtlichen Status des Kaspischen Meeres und seiner Aufteilung. Unter den Anrainern, die am langjährigen Verhandlungsprozess teilnehmen, befinden sich auch Russland und der Iran.
Nachdem auch Aserbaidschan Ende Juni 2009 einen Teil seiner Gasreserven (speziell aus dem größten Schah-Deniz-Gasfeld) an Russland verkauft hat sind die Chancen der Realisierung Nabuccos noch weiter gesunken.[7] Nach Meinung der Experten kann Aserbaidschan nur noch 4 Milliarden der ca. 30 Milliarden Kubikmeter beisteuern, die benötigt werden.[8]
Position der Türkei
Die Türkei sieht in Nabucco ein willkommenes Instrument, um ihre EU-Mitgliedschaft zu forcieren. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan forderte im Januar 2009 die Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen und brachte diese erstmals direkt mit Nabucco in Verbindung. Im Falle des Scheiterns der Verhandlungen betrachte die Türkei das Projekt Nabucco als „gefährdet“.[9]
Ferner besteht unter den „Nabucco”-Partnern Uneinigkeit über die Verteilung des Gases. Die rohstoffarme Türkei fordert 15 Prozent des „Nabucco”-Gases zum Eigenverbrauch oder Weiterverkauf auf dem Weltmarkt, was die Europäer ablehnen.[10]
Herkunft des Projektnamens
Nach dem ersten Treffen des Konsortiums gingen die Teilnehmer in die Wiener Staatsoper, um sich Giuseppe Verdis Oper „Nabucco” anzusehen. Beim anschließenden Abendessen stimmten bei der Suche nach einem Projektnamen die Anwesenden für den Namen Nabucco.[11]
Siehe auch
- South Stream
- Südkaukasus-Pipeline
- Erdölgewinnung am Kaspischen Meer
- Nordeuropäische Gasleitung (Ostsee-Pipeline)
- Russisch-ukrainischer Gasstreit
- Energiewirtschaft Russlands
- Österreichische Energiewirtschaft
- Energiepolitik der Europäischen Union
Einzelnachweise
- ↑ Europa-Information 2006
- ↑ Gas: Russland bringt Nabucco in Bedrängnis auf ORF
- ↑ Oliver Geden, Andreas Goldthau: Phantomdebatte um Nabucco-Pipeline. Financial Times Deutschland, 30. November 2008, abgerufen am 1. März 2009.
- ↑ http://www.netzeitung.de/wirtschaft/wirtschaftspolitik/1261397.html
- ↑ http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,635771,00.html
- ↑ RIA Novosti: Turkmenistan wird 1,2 Billionen cbm Gas im Laufe von 30 Jahren nach China pumpen, 24. Juni 2009
- ↑ Die Presse: Nabucco hat schlechte Karten im Gaspoker, 10. Juni 2009
- ↑ Der Tagesspiegel Gaslieferant verzweifelt gesucht, 10. Juli 2009
- ↑ Der Standard: Erdogan will schnelleren Beitrittsprozess - sonst sei Nabucco-Pipeline gefährdet
- ↑ Der Tagesspiegel Gaslieferant verzweifelt gesucht, 10. Juli 2009
- ↑ Projekt-Website: FAQ, Pkt. 15
Weblinks
- Homepage des Nabucco-Pipeline-Projektes
- Interview mit dem Geschäftsführer von OMV Gas, Deutsche Welle, 10. Januar 2006
- „Europa sucht nach Alternativen zu russischem Gas“, Deutsche Welle, 9. Januar 2006
- „Die „Nabucco”-Gaspipeline als Teil der EU-Energieaußenpolitik“ – Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags (PDF-Datei; 138 kB)
- „Europas lange Leitung“, Die Zeit, 3. Januar 2008, Nr. 2
- „Hitzige Schlacht in Bezug auf südeuropäische Gaspipelines“, F. William Engdahl, 4. März 2008
- „Phantomdebatte um Nabucco-Pipeline”, Financial Times Deutschland, 28. November 2008