Zum Inhalt springen

Codex Sinaiticus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 5. Juli 2009 um 22:26 Uhr durch Chris@home (Diskussion | Beiträge) (Weblinks). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Manuskripte des Neuen Testaments
PapyriUnzialeMinuskelnLektionare
Unzial 01
Book of Esther
Name Sinaiticus
Zeichen א
Text Altes und Neues Testament
Sprache griechisch
Datum c. 330-360
Gefunden Sinai 1844
Lagerort Brit. Libr., Universität Leipzig, Katharinenkloster, Russ. Nat. Bibl.
Quelle Lake, K. (1911).Codex Sinaiticus Petropolitanus, Oxford.
Größe 38 x 34 cm
Typ Alexandrinischer Texttyp
Kategorie I
Notiz sehr nahe an Papyrus 66

Der Codex Sinaiticus ist ein Bibel-Manuskript aus dem 4. Jahrhundert. Der Kodex enthält große Teile des Alten und ein vollständiges Neues Testament. Er gehört im Wesentlichen zum Alexandrinischen Texttyp.[1]


1844 wurde der Codex von Konstantin von Tischendorf im Katharinenkloster am Berg Sinai (Ägypten) entdeckt, als er im Auftrag des russischen Zaren Alexander II. nach alten Handschriften suchte. Über die Art und Weise, wie Tischendorf in den Besitz der Schriften kam, gibt es unterschiedliche Aussagen.

Der Codex

Format

Der Codex Sinaiticus ist eine besonders großformatige Bibelausgabe. Für die Pergamentherstellung waren die Häute von 700 Ziegen nötig, was schon in der damaligen Zeit ein Vermögen bedeutete. Einige Forscher halten sie für eines der fünfzig Exemplare, die Kaiser Konstantin I. als Förderer der christlichen Kirche grob um 320 in Auftrag gab.

Der Codex besteht aus 346½ folia, 199 des Alten und 147½ des Neuen Testaments. Er ist die einzige vollständige Handschrift des Neuen Testamentes in Unzial-Schrift.[1]

Inhaltlich umfasst der Codex Sinaiticus einen Großteil des Alten Testaments, das gesamte Neue Testament von Matthäus bis zur Offenbarung sowie zwei apokryphe Schriften, den Hirten des Hermas und den Brief des Barnabas.

Die Reihenfolge der neutestamentlichen Bücher ist: die vier Evangelien, die Briefe des Paulus, die Apostelgeschichte, die restlichen Briefe und die Offenbarung des Johannes.

Text

Ausschnitt aus dem Codex Sinaiticus (Est 2,3–8 EU)

Der Text des Codex Sinaiticus wird von Bruce Metzger im Wesentlichen zum alexandrinischen Texttyp gezählt, mit einem deutlichen Einschlag des westlichen Texttyps, so zu Beginn des Johannesevangeliums (Joh 1,1 bis 8,38). Der Codex Sinaiticus enthält zahlreiche Singulärlesarten und Flüchtigkeiten. Der Codex lässt ebenso wie der Vaticanus die Doxologie nach dem Vaterunser in Mt 6,13 EU aus, in beiden fehlt Mt 16,2–3 ELB; 17,21 EU; Mk 9,44–46 ELB; 16,8–20 EU; Lk 22,43–44 EU; Joh 5,3–4 EU; 7,53 EU bis 8,11 EU.

Erstmals veröffentlicht wurde der Text des Codex Sinaiticus im Jahr 1862, und zwar von Tischendorf zum 1000. Jubiläum der russischen Monarchie in einer vom Zar Alexander II. finanzierten prachtvollen vierbändigen Faksimileausgabe.

Die definitive Publikation des Codex erfolgte durch Professor Kirsopp Lake 1911 und 1922 bei Oxford University Press aufgrund von Fotos als Faksimile.

Nachdem der Codex 1933 nach England ins Britische Museum gekommen war, wurde er von dortigen Paläologen gründlichst untersucht, unter anderem mit Ultraviolett-Lampen. H. J. M. Milne und Th. Skeat gaben mit Scribes and Correctors of Codex Sinaiticus die Ergebnisse 1938 heraus, die zusätzliche Informationen über den Kodex bekanntgaben.

Im Textapparat wird der Codex Sinaiticus gewöhnlich mit einem א (Aleph) bezeichnet. Neben dem eigentlichen Text enthält der Codex Sinaiticus noch mehrere Ebenen von Korrekturen: Der ursprüngliche Text wurde noch im Skriptorium von Korrektoren korrigiert. Diese Textvarianten werden mit א a bezeichnet. Später, wahrscheinlich im 6. oder 7. Jahrhundert, brachte eine Gruppe von Korrektoren in Caesarea zahlreiche Änderungen im Text des Alten und des Neuen Testaments ein. Diese Änderungen werden als א ca und א cb bezeichnet. Gemäß einem Kolophon am Ende der Bücher Esra und Esther war ihre Basis „ein sehr altes Manuskript, das durch die Hand des heiligen Märtyrers Pamphilus († 309) korrigiert worden war“. Laut seinem Schüler Eusebius von Caesarea hatte Pamphilus eine besonders reichhaltige Bibliothek von biblischen Kodizes.

Die Lesarten des Neuen Testamentes

Unter Lesart versteht man ein Wort oder eine Wortgruppe des griechischen Textes des NT, wie es in einer Handschrift bezeugt ist. Es gibt zur Zeit etwa 5000 Handschriften des NT und 200.000 verschiedene Lesarten. Benutzt man aber nur die älteren (bzw. jüngeren) Texte bis zum 5. Jahrhundert, und da nur die, die über 50 % biblischen Text enthalten, dann ist dieses Wirrwarr schnell gelichtet.

Hierzu gehören die Codices Sinaiticus (S), Alexandrinus (A), Vaticanus (B), Ephraemi (C). Der „S“ ist der einzig vollständige Text und es ergeben sich gegenüber A und B noch keine 3000 Abweichungen. Von diesen sind weniger als 300 von Bedeutung, da es sich bei den anderen um Wortverstellungen, unterschiedliche Namensschreibung und unbedeutende Weglassungen oder Hinzufügungen handelt. Für die 8000 Verse des NT ergeben sich also ca. 300 Lesarten von mehr oder geringerer Bedeutung. Gemessen an der Versanzahl sind das 4 % und somit entsteht ein großer Sicherheitsgrad.

Beispiele:

  • Joh 1,4 EU: A, B, C und andere schreiben: „in ihm war Leben“. S und ein anderer Codex schreiben: „in ihm ist Leben“.
  • Joh 1,18 EU: A und R (=Rezeptus, ein Mix aus einigen wenigen Handschriften, der unsere Übersetzungen von 1600 bis 1900 beeinflusst hat) schreiben: „der alleingewordene Sohn“; S, B, C schreiben: „der alleiniggewordene Gott“.

Auch die Tatsache, dass der Sinaiticus den ganzen Text des Neuen Testaments enthält, macht ihn zu einem der wichtigsten Textzeugen.

  • Bei A fehlt: Matthäus 1,1–25,6; Johannes 6,50–8,52; 2. Korinther 4,13–12,6.
  • Bei B fehlt: Hebräer 9,14–13,35; 1. und 2. Timotheus; Titus, Philemon; Offenbarung.
  • Bei C fehlt: 2. Thessalonicher und 2. Johannes und Teile aus allen Büchern des NT.

Bedeutung

Diese Bibelhandschrift aus der Mitte des 4. Jahrhunderts nach Christus gilt heute als eine der wichtigsten Textzeugen für das Neue Testament. Es ist zugleich die älteste Handschrift der Welt, die das Neue Testament vollständig enthält.

Aus textkritischer Sicht ist dieser Codex von enormer Bedeutung; er gehört zusammen mit dem Codex Vaticanus, von dem er sich nur unwesentlich unterscheidet, zu den bedeutendsten erhaltenen Bibelmanuskripten überhaupt.

In den letzten Jahrzehnten hat vor allem der Wüstensand Ägyptens noch viele weitere Bibelhandschriften hervorgebracht, wie die Bodmer- und Chester Beatty Papyri, aber nie mehr ein ganzes vollständiges Neues Testament. Durch diese Funde kann der Bibeltext für das Neue Testament von Textforschern bis zu Beginn des 2. Jahrhunderts zurückverfolgt werden.

Geschichte des Manuskripts

Entdeckung

Tischendorf 1870

Der deutsche Theologe Tischendorf machte sich im Mai 1844 zu einem der ältesten noch erhaltenen Klöster der Welt auf, zum Kloster St. Katharinen auf der Sinai-Halbinsel, um dort nach alten Handschriften zu suchen. Die Mönche waren gastfreundlich, doch über die Bestände in der Bibliothek konnte keiner der Brüder genaue Auskunft geben. So machte sich Tischendorf selbst an die Arbeit und untersuchte die Bestände der Bibliothek, wo er 129 großformatige Pergamentblätter entdeckte. Der griechische Text stammte aus dem Alten Testament und die Buchstabenform ließ eine Datierung auf die Mitte des 4. Jahrhunderts zu. 43 Blätter dieser Handschrift durfte der deutsche Gelehrte nach Leipzig mitnehmen, wo er diese 1846 veröffentlichte. Sie werden bis heute in der dortigen Universitätsbibliothek aufbewahrt.

Katharinenkloster

Den Fundort dieser alten Handschrift gab Tischendorf aber nicht preis, da er hoffte, die restlichen 86 Blätter noch erwerben zu können. Bei einem Besuch im Katharinenkloster 1853 waren die Blätter unauffindbar, auch bei einem weiteren Besuch 1859 wusste keiner der Mönche etwas vom Verbleib der uralten Bibelhandschrift. Nach Tischendorfs Bericht wurde er am Vorabend seiner Abreise vom Verwalter des Klosters in seine Zelle eingeladen, da dieser dem Forscher eine griechische Bibel zeigen wollte. Als Tischendorf die in ein rotes Tuch eingepackte Bibel öffnete, sah er vor sich nicht nur die vermissten 86 Pergamentblätter liegen, sondern noch viele weitere.

British Library

Weitere Geschichte der Manuskripte

Die Handschrift wurde bis 1933 in Sankt Petersburg (Leningrad) aufbewahrt, dann verkaufte die sowjetische Regierung den größten Teil an das British Museum in London; 100.000 £ hatten die britische Regierung und private Institutionen für die spektakuläre Transaktion aufgebracht.

Die Bibelhandschrift befindet sich noch heute in der British Library (Add. Ms. 43 725) und ist dort ausgestellt. Andere Teile liegen in der Nationalbibliothek Sankt Petersburg, der Universitätsbibliothek Leipzig und der Bibliothek des Katharinenklosters auf dem Sinai.

Inzwischen sind weitere Seiten dieser Handschrift aufgetaucht: 1975 wurde im Katharinenkloster nach einem Brand eine bisher vergessene Kammer entdeckt. Ihr Inhalt: 47 Kisten voller Fragmente, darunter 15 Blätter aus dem Codex Sinaiticus, die aber noch nicht veröffentlicht sind.

Im Dezember 2006 wurde ein Gemeinschaftsprojekt der British Library, der Universitätsbibliothek Leipzig, der Russischen Nationalbibliothek und des Katharinenklosters vorgestellt, den gesamten Codex zu digitalisieren, im Internet zur Verfügung zu stellen und als Faksimile zu publizieren. Im Mai 2008 wurden 43 digitalisierte Seiten veröffentlicht, seit Ende Juli 2008 ist der erste Teil des Codex unter der Adresse www.codex-sinaiticus.net online zugänglich. Bis zum Sommer 2009 soll der gesamte Codex virtuell vereint sein.

Kontroversen

Wer heute das Katharinenkloster besucht, bekommt zu hören, dass Tischendorf die Bibelhandschrift den Mönchen abspenstig gemacht habe, zumindest aber zurückgeben wollte, weshalb sogar hier und da von Diebstahl die Rede gewesen ist. Inzwischen konnte der Streit um den Erwerb der Handschrift geklärt werden. Für die erste umfassende Tischendorf-Bibliographie, die 1999 zum 125. Todestag erschien, bearbeitete der Greifswalder Neutestamentler Prof. Christfried Böttrich auch bisher unveröffentlichte Briefe Tischendorfs, darunter solche, die Tischendorf aus dem Kloster an seine Frau geschrieben hat. Nach Sichtung des gesamten Materials kommt Böttrich – genau wie Kurt Aland – zu dem wohlwollenden Urteil, der Erwerb der Sinai-Handschrift sei rechtmäßig erfolgt. 2007 wurden im alten Zarenarchiv in Moskau die Schenkungsurkunde der Sinaitien an den russischen Zaren aufgefunden. Bisher gibt es darüber nur eine russische Fachveröffentlichung.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b Kurt und Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1981, SS. 117-118. ISBN 3-438-06011-6.

Literatur

  • F. H. Baader und H. J. Grieser: Codex Sinaiticus als Grundtextausgabe der Geschriebenen des Neuen Bundes. Hans Jürgen Grieser, Schömberg 1993, ISBN 3-933455-01-4
  • Konstantin von Tischendorf: Bibliorum codex Sinaiticus Petropolitanus. Giesecke & Devrient, Leipzig 1862. (Ms. in der British Library)
  • Konstantin von Tischendorf, G. Olms (Hrsg.): Bibliorum codex Sinaiticus Petropolitanus. 1. Prolegomena. G. Olms, Hildesheim 1969 (Repr.).
  • Konstantin von Tischendorf, G. Olms (Hrsg.): Bibliorum codex Sinaiticus Petropolitanus. 2. Veteris Testamenti pars prior. G. Olms, Hildesheim 1969 (Repr.).
  • Konstantin von Tischendorf, G. Olms (Hrsg.): Bibliorum codex Sinaiticus Petropolitanus. 3. Veteris Testamenti pars posterior. G. Olms, Hildesheim 1969 (Repr.).
  • Konstantin von Tischendorf, G. Olms (Hrsg.): Bibliorum codex Sinaiticus Petropolitanus. 4. Novum Testamentum cum Barnaba et Pastore. G. Olms, Hildesheim 1969 (Repr.).
  • Constantin Tischendorf: Greek New Testament. Critical 8th Edition. G. Olms, Hildesheim 2001, ISBN 0-9677565-8-8
  • Matthew Black, Robert Davidson: Constantin von Tischendorf and the Greek New Testament. Univ. of Glasgow Pr., Glasgow 1981, ISBN 0-85261-164-1
  • Ludwig Schneller: Tischendorf-Erinnerungen. Merkwürdige Geschichte einer verlorenen Handschrift. Erinnerungen seines Schwiegersohnes. Leipzig 1927, 1929; Schweikardt-St. Johannis, Lahr-Dinglingen 1954, 1983, 1991, ISBN 3-501-00100-2
  • Bruce Metzger: The Text of the New Testament. Its Transmission, Corruption, and Restoration. Oxford University Press, Oxford 1992, ISBN 0-19-507297-9
  • Kurt und Barbara Aland: Der Text des Neuen Testaments. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1991, ISBN 3-438-06011-6
  • Das Erbe des Jesus-Spions. In: Der Spiegel 2007,17, S. 154–156. ISSN 0038-7452


Commons: Category:Codex Sinaiticus – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien