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Somaklonale Variation

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Unter Somaklonaler Variation (auch: Somaklonale Variabilität) versteht man primär jede auftretende Abweichung vom genetischen Ausgangszustand eines Individuums. In der in vitro-Kultur versteht man unter diesem Begriff die bei der Kultivierung von Pflanzenzellen beziehungsweise Pflanzengewebe auftretenden genotypischen und oft auch phänotypischen Veränderungen im Vergleich zur Ausgangspflanze. Diese treten beispielsweise häufig nach der Differenzierung von pflanzlichem Gewebe aus Kalluszellen auf. Wird im Rahmen der Erhaltungs- oder Massenvermehrungskultur bei der in vitro-Kultur eine identische Vermehrung der Pflanze, also eine Klonierung, gewünscht, sind somaklonale Varianten deshalb unerwünscht.

Erstmalige Untersuchung und Begriffsdefinition

Im Zuge der allgemeinen und verstärkt komerziellen Etablierung der in vitro-Kultur in den 1970er und 80er Jahren traten häufiger unerwünschte, scheinbar genetisch bedingte Veränderungen an Pflanzenmaterial auf. 1981 wurde erstmal vorgeschlagen, alle genetischen Veränderungen, die im Rahmen der in vitro-Kultivierung auftraten, als somaklonale Variation zu bezeichnen [1].

Mittlerweile findet sich in einschlägigen Fachlexika die Definition, dass es sich bei der Somaklonalen Variation um auftretende Variation von Eigenschaften bei in vitro-Kulturen von pflanzlichen Zellen, Kalli oder Organen handelt. Deren Ursachen sind oft unklar und teilweise auf genetischer oder epigenetischer Ebene anzusiedeln. Bekannte Ursachen für diesen Effekt sind beispielsweise Genverlust oder numerische Veränderungen des Karyotyps.[2] Auch die Veränderung von Merkmalen, an denen mehrere Gene beteiligt sind (Polygenie), ist möglich.

In vitro-Verfahren und Auftreten somaklonaler Variation bei Pflanzen

Pflanzen weisen oftmals bereits vor einer in vitro-Kultur bestehende genetische Verschiedenheiten auf. Entstehung und Ausprägung der genetischen Abweichung tritt jedoch seltener im Vorfeld der in vitro-Kultivierung auf, häufiger aber während der in vitro-Kulturverfahren (Kalluskultur). Durch einige in vitro-Kultivierungsmethoden und deren Rahmenbedingungen beziehungsweise äußeren Einflussfaktoren wie Phytohormone [3] können diese Unterschiede selektiert werden und später auch phänotypisch in Erscheinung treten. Auch erst während der in vitro-Kultivierung neu auftretende genetische Abweichungen sind möglich.

Vor allem durch die hohe Zellteilungsrate im tumorzellähnlichen pflanzlichen Kallusgewebe kommt es häufiger zu Fehler bei der Ablesung der genetischen Information. Diese führen zumeist zu Aneuploidie und Ploidiemutation. Werden später aus diesem Kallusgewebe über Organogenese pflanzliche Organe oder gesamte Pflanzen regeneriert, sind diese mittlerweile vielfach kopierten genetischen Fehlinformationen für das auftreten typischer Merkmale somaklonaler Variation verantwortlich.

Hinzu kommt der Zusammenhang zwischen genetischer Stabilität und dem Ausgangsgewebe der Regeneration während der in vitro-Kultur. So gilt eine direkte Regeneration aus bereits bestehendem Meristemgewebe als genetisch stabil . Kommt es zur Bildung sekundärer Meristemgewebe, treten bereits erste genetische Veränderungen auf. Art und Quantität dieser Veränderungen nehmen dabei umso mehr zu je mehr sich die Regeneration des Gewebes während der in vitro-Kultivierung von der Primärregeneratbildung hin zu sekundären Geweberegenerationsprozessen bewegt.

Bei Pflanzen erfolgt die klonale Vermehrung über in vitro-Kulturmethoden wie Sprossspitzen- beziehungsweise Meristemkultur oder die Kultivierung anderer geeigneter Explantatformen wie Blatt- oder Sprosssegmente. Ziel der klonalen Vermehrung ist die Erzeugung genetisch stabiler und identischer Nachkommen. Beabsichtigt ist in der Regel weniger eine quantitative Massenvermehrung der Klone sondern - im kommerziellen Gartenbau oder in der Landwirtschaft - die Pathogeneliminierung bei gleichzeitiger Erhaltung des arten- oder sortenspezifischen genetischen Ist-Zustandes. Die Erzeugung von so genanntem Elitematerial für weitere konventionelle Vermehrung (Stecklinge) steht vor allem im Gartenbau bei Kulturen wie Pelargonium, Neu-Guinea Impatiens oder Chrysanthemum im Vordergrund.

Bei Pflanzen ist die Gefährdung durch auftretende somaklonale Variation bei Kallus-, Suspensions, Einzelzell- und Protoplastenkultur hoch , ebenso bei der Bildung der indirekten Embryoidbildung im Rahmen der somatischen Embryogenese. Generell gilt die somaklonale Variation für die Erhaltungszüchtung und in vitro-Klonierung als unerwünscht da hier genetisch identische Individuen benötigt werden.

Weitere Möglichkeiten zur Entstehung somaklonaler Variation

Zusätzlich zu den genannten, direkt in Veränderungen des Genoms anzusiedelnden Ursachen, kommen auch weitere Ursachenkomplexe in Frage. So kann die somaklonalen Variation auch epigenetisch bedingt sein, das heißt, dass bei gleichbleibendem Genom trotzdem Variationen auftreten können, die andere Ursachen als genetische Veränderungen haben. Beispielhaft sind hier Veränderungen im Stoffwechselhaushalt zu nenne, vor allem im Bereich der Phytohormonqualität und -quantität. Bei ex vitro-Pflanzen besteht zusätzlich auch die Möglichkeit eines infektiösen Agens wie bei zwergwüchsigen Obstunterlagen oder stark verzweigten Poinsettien. Zusätzlich kommt es in Bezug auf unerwünschte Veränderungen auch zu besonderen, eher selteneren Ursachen wie beispielsweise die „Springende Gene“ (Transposon).

Somit stehen als Ursache für die Entstehung somaklonaler Varianten genetische und auch nichtgenetische Faktoren fest, ebenso wie eine Vielzahl fließender Übergänge zwischen diesen.

Somaklonale Variation bei Neuzüchtungen

In den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das Phänomen der somaklonalen Variation von pflanzlichen Zellen über in vitro-Kultur als interessante Möglichkeit zur Erlangung von neuen genetischen Typen (Neuzüchtungen) der Ausgangspflanzen gesehen. Man hoffte, gezielt und mit geringem Zeitaufwand interessante neue Genotypen kreieren zu können. Die Selektion dieser genetischen Varianten sollte dann zur direkten Isolation neuer Genotypen von Zellkulturen führen.[4]

Diese Hoffnung konnte aber aufgrund praktischer Erfahrungen nicht aufrechterhalten werden. Die Erzeugung interessanter Genotypen galt als zu sehr zufallsbedingt und schwer regelbar, ebenso traten unerwünschte Negativmutationen auf. Insbesondere auch im Zusammenhang mit transformierten Pflanzenzellen ist eine solche genetische Instabilität unerwünscht.[5] Aus somaklonalen Varianten hervorgegangene Sorten gibt es bei Tomaten, Kartoffeln oder Zuckerrohr.[6] Zur gezielten Mutagenese pflanzlicher Zellen werden heute primär Möglichkeiten wie Colchizinbehandlung oder Bestrahlung mit Röntgenstrahlen genutzt, die wesentlich effizienter sind. Gezielte Eingriffe in das Genom können auch mit Hilfe von Methoden der Grünen Biotechnologie vorgenommen werden, beispielsweise mit Hilfe des Gentransfers.

Quellen

  1. P.J. Larkin, W.R. Scowcroft: Somaclonal variation - a novel source of variability from cell cultures for plant improvement. Theoretical and Applied Genetics, Vol. 60 Nr. 4, S. 197-214. 1981
  2. nach Rudolf Schubert, Günther Wagner: Botanisches Wörterbuch. 11. Auflage, Eugen Ulmer Verlag Stuttgart 1993. ISBN 3-8252-1476-1
  3. Klaus Olbricht:Untersuchungen zur genetischen und histogenetischen Variabilität an transgenen Petunia hybrida Hort. (Vilm.). Dissertation an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität, Berlin 1998, S. 57)
  4. D.A. Evans: Somaclonal variation - genetic basis and breeding applications.
  5. Paul Präve, Uwe Faust, Paul Praeve, Wolfgang Sittig, D. A. Sukatsch (Hrsg.): Handbuch der Biotechnologie. S. 240
  6. biosicherheit.de - Lexikoneintrag Somaklonale Variation

Literatur

  • P.J. Larkin, W.R. Scowcroft: Somaclonal variation - a novel source of variability from cell cultures for plant improvement. Theoretical and Applied Genetics, Vol. 60 Nr. 4, S. 197-214. 1981
  • Dieter Heß: Biotechnologie der Pflanze. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 1992 ISBN 3-8252-8060-8
  • D.A. Evans: Somaclonal variation - genetic basis and breeding applications. Trends in Genetics, 5, 46, 1989
  • Paul Präve, Uwe Faust, Paul Praeve, Wolfgang Sittig, D. A. Sukatsch (Hrsg.): Handbuch der Biotechnologie. Oldenbourg Industrieverlag, Essen, 4. Auflage 1994 ISBN 3-83566-223-6
  • M.K. Razdan: Introduction to Plant Tissue Culture. Second Edition. Science Publishers Inc., Enfield (NH), 2003 ISBN 1-57808-237-4
  • P.C. Debergh, R.H. Zimmerman: Micropropagation – Technology and Application. Kluwer Academic Publishers, Dordrecht, 1991. ISBN 0-7923-0818-2