Geschichte der Europäischen Union

Die Geschichte der Europäischen Union ist bislang vor allem eine Geschichte der verschiedenen multilateralen Verträge. Aufbauend auf den Verträgen aus dem Bereich Wirtschaft und Verteidigung, die in den 50er Jahren geschlossen wurden, entwickelte und entwickelt sich heute noch die Europäische Union zu einer der wichtigsten politischen Institutionen des Kontinents.
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)
Am 18. April 1951 wurde in Paris von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden (genannt "die Sechs") die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion) gegründet. Der EGKS-Vertrag trat am 23. Juli 1952 in Kraft und lief - wie im Vertrag vorgesehen - nach 50 Jahren am 23. Juli 2002 aus. Der Initiator dieses Projektes war der französische Politiker Robert Schuman.
Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)
Am 27. Mai 1952 wurde in Paris der Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) unterzeichnet, in der die westeuropäischen Armeen aufgehen sollten. Die Gründung der EVG scheiterte jedoch an der französischen Nationalversammlung, welche die Ratifizierung des EVG-Vertrags am 30. August 1954 ablehnte. Mit den Pariser Verträgen (1954) erfolgte dann aber der Beitritt der BRD in die NATO (1955), was den Weg für die Gründung der Bundeswehr frei machte.
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG)
Am 25. März 1957 wurden in Rom (Römische Verträge) von den sechs Staaten der Montanunion die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom bzw. EAG) gegründet. Die Römischen Verträge traten zu Beginn des Jahres 1958 in Kraft.
Wichtigstes Ziel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war die Bildung einer Zollunion zwischen ihren Mitgliedern. Dieses Ziel wurde 1968 erreicht. Zweiter Schwerpunkt war die Gemeinsame Agrarpolitik, die in der Folgezeit die Gemeinschaft zu lähmen drohte. Zur Mitte der siebziger Jahre wendete die EWG fast 90% ihres Haushaltes für Subventionen an die Landwirtschaft auf. Der hohe Agraranteil war dadurch begründet, dass kein anderer Subventionsbereich auf die EWG-Ebene verlagert wurde. Bei anderen Vorhaben, z.B. der Herstellung eines Binnenmarktes, die in den Römischen Verträgen als Ziel der EWG formuliert worden waren, kam man ebenso wenig voran wie bei der Bildung einer Währungsunion, die 1970 erstmals ernsthaft diskutiert wurde (Werner-Plan). Lähmend wirkte auch der faktische Zwang zur Einstimmigkeit bei Entscheidungen im Ministerrat, der in den Verträgen nicht vorgesehen war, seit 1966 aber herrschte (sog. Luxemburger Kompromiss).
Norderweiterung
In einer ersten Erweiterungsrunde ("Norderweiterung") wurden 1973 das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark aufgenommen, allerdings nicht die außenpolitsch zu Dänemark gehörende Inselgruppe der Färöer, wo es ein eigenes Referendum gab. Auch Norwegens Bevölkerung entschied sich in einer Volksabstimmung gegen den Beitritt.
Süderweiterung
In der zweiten Erweiterungsrunde, die gelegentlich auch als "Süderweiterung" bezeichnet wird, traten Griechenland (1981) sowie Spanien und Portugal (1986) bei.
Einheitliche Europäische Akte
Diese Lähmung der EWG wurde durchbrochen durch die erste Reform des Vertragswerkes, die 1986 verabschiedete Einheitliche Europäische Akte. Mit ihr wurde einerseits die Vollendung eines Binnenmarktes bis zum 31. Dezember 1992 zum verbindlichen Ziel erklärt. Bis dahin sollten alle Hindernisse für den freien Waren- Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedern beseitigt werden (die sog. Vier Freiheiten). Andererseits wurden auch die Entscheidungsprozesse reformiert, so dass Beschlüsse leichter gefasst werden können; Insbesondere wurde in Binnenmarktfragen das Prinzip der Einstimmigkeit weitgehend abgeschafft und durch das der qualifizierten Mehrheit ersetzt. Um wirtschaftlich rückständigen Regionen den Binnenmarkt schmackhaft zu machen, wurde außerden eine EU-Regionalpolitik im Vertragswerk verankert, um bei der Schaffung des Binnenmarktes voran zu kommen. 1967 Zusammenschluss von EGKS, EWG und EurAtom zu Europäischen Gemeinschaft (EG)
Teilerweiterung
Mit der Vollendung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 wurde das Gebiet der ehemaligen DDR Teil der Gemeinschaft.
Vertrag von Maastricht
Der Vertrag von Maastricht wird auch kurz EU-Vertrag genannt und führt die Europäische Union auf Basis der drei Säulen der Europäischen Union,
- der Europäischen Gemeinschaften,
- der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), und
- der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ein.
Wichtigste Änderung des Vertragswerkes der Gemeinschaft durch den Vertrag von Maastricht (unterzeichnet am 7. Februar 1992) war die Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Um den Ländern mit Einkommensrückstand die Zustimmung zu erleichtern, wurde außerdem der Kohäsionsfonds etabliert, mit dem Infrastrukturprojekte in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland gefördert werden. Außerdem wurde der Vertrag um Vereinbarungen zur Sozialpolitik erweitert, die vom Vereinigten Königreich allerdings abgelehnt wurden, das einen Sonderstatus einnimmt.
Wichtigste innerinstitutionelle Änderung des Vertrags von Maastricht war die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens, das den Volksvertretern im Europäischen Parlament das Mitentscheidungsrecht in vielen Themen garantiert.
Dritte Erweiterung
Am 1. Januar 1995 wurden Finnland, Schweden und Österreich Mitglieder der Europäischen Union. Die Norweger hatten den ausgehandelten Beitritt in einer Volksabstimmung am 28. November 1994 erneut abgelehnt.
Vertrag von Amsterdam
Im Mittelpunkt der Regierungskonferenz von Amsterdam (1997) stand die Politische Union, insbesondere die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Außerdem vergrößerte der Vertrag von Amsterdam die Entscheidungsbefugnisse des Europäischen Parlaments weiter.
Vertrag von Nizza
Im Mittelpunkt der Konferenz von Nizza (2000) stand die Vorbereitung der Gemeinschaft auf die Osterweiterung. Sie endete mit einem Kompromiss über die Stimmengewichtung im Ministerrat, die Zahl der Kommissare und die Sitzverteilung im Europäischen Parlament, der Anlass zu späteren Kontroversen gab.
Europäischer Konvent und europäische Verfassung
Der Europäische Konvent hat am 20. Juni 2003 dem Europäischen Rat in Thessaloniki seinen Entwurf eines Verfassungsvertrages vorgelegt. Die am 4. Oktober 2003 unter italienischem Vorsitz begonnene und seit dem 1. Januar 2004 unter irischem Vorsitz weitergeführte Regierungskonferenz hat sich lange Zeit nicht auf einen umfassenden Kompromiss einigen können.
Im Vordergrund der Debatten steht die Definition der sogenannten "qualifizierten Mehrheit" bei Abstimmungen im Europäischen Rat und im Ministerrat. Deutschland und Frankreich befürworten die vom Konvent vorgeschlagene Formel (einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten (50 %), die Zugleich drei Fünftel (60 %) der Bevölkerung der Union repräsentieren, siehe Art. I-24 (1) des Verfassungsentwurfs), während vor allem Spanien und Polen an der Formel des Nizza-Vertrages (3-stufiges Verfahren) festhalten wollen, da insbesondere diese beiden Länder fürchten, durch die geänderte Stimmengewichtung an Einfluss zu verlieren. Dies war einer der Hauptdiskussionspunkte im Streit um die Verabschiedung der neuen Verfassung. Nach den Regierungswechseln in den beiden Mitgliedsstaaten, haben Polen und Spanien ihre politische Position geändert, da ihnen bei einer Fortführung dieser Haltung eine innergemeinschaftliche Isolation drohte.
Am 19. Juni 2004 einigte sich der Regierungsrat auf dem Gipfeltreffen in Brüssel auf einen Kompromiss für eine neue Europäische Verfassung. Kernpunkte der Einigung sind:
- Die Verfassung enthält eine Grundrechte-Charta. Anstelle eines eindeutigen Gottesbezugs, der von den Kirchen gefordert worden war, verweisen die Staatsoberhäupter der 25 Mitgliedstaaten in der Präambel auf die "Inspiration des kulturellen, religiösen und humanistischen Erbes Europas".
- Der Europäischen Rat bekommt einen Präsidenten. Er wird von den Staats- und Regierungschefs für die Dauer von zweieinhalb Jahren bestimmt.
- Die EU bekommt einen Außenminister. Er wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit, in Übereinstimmung mit dem Präsidenten der Kommission, ernannt.
- In die erste nach der Verfassung nominierte Kommission wird noch jeder Mitgliedstaat einen Kommissar entsenden. Nach Ablauf von deren Amtszeit in fünf Jahren werden nur noch zwei Drittel aller Mitgliedstaaten einen Kommissar stellen.
- Das Mittel der Mehrheitsentscheidung wird ausgeweitet und soll verhindern, dass in einer EU mit 25 und mehr Mitgliedstaaten einzelne Länder Beschlüsse blockieren. Ausnahmen von dieser Regel bilden die Justiz-, Innen-, Außen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Osterweiterung
Am 1. Mai 2004 wurden Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Zypern und Malta Mitglieder der Europäischen Union (sog. Osterweiterung).
Beitrittskandidaten
Mit dem Beschluss über die Osterweiterung wurde bekräftigt, dass für 2007 der Beitritt Rumäniens und Bulgariens angestrebt wird. Der Beitrittsvertrag wurde am 25. April 2005 unterzeichnet. Er enthält allerdings einige Klauseln, durch die der für den 1. Januar 2007 geplante Beitritt der beiden Länder um ein Jahr nach hinten verschoben werden kann, falls Defizite bei der Anpassung an EU-Recht festgestellt werden. Am 18. Juni 2004 haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union Kroatien den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten verliehen. Anfang 2005 sollten die Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden, was aber wegen Disputen über die mangelnde Kooperation der kroatischen Regierung mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Kroatien strebt den Beitritt für 2007 an, was jedoch von Experten stark angezweifelt wird, da um den Beitrittsvertrag 2007 in Kraft setzen zu können hierfür schon Ende 2005 die Verhandlungen abgeschlossen und der Beitrittsvertrag unterschrieben werden müsste. Die Republik Mazedonien hat am 22. März 2004 in Dublin seine Aufnahme offiziell beantragt, was durch den Tod des Präsidenten Trajkovski am 26. Februar 2004 vertagt worden war.
Im Oktober 2004 schlug die EU-Kommission vor, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, was am 17. Dezember bei einem EU-Gipfel von den Staats- und Regierungschefs bestätigt wurde. Der Beginn der Verhandlungen wurde auf den 3. Oktober 2005 festgesetzt.
Mit der Schweiz, seit dem Beitritt Österreichs 1995 eine Enklave im EU-Gebiet, wurden bilaterale Verträge abgeschlossen. Ein Beitritt der Schweiz zur EU wäre kurzfristig möglich, es wird jedoch nicht damit gerechnet, dass die Schweiz einen EU-Beitritt ernsthaft in Betracht zieht. Norwegen ist Teil des Europäischen Wirtschaftsraums, hat aber 1972 und 1994 den Beitritt zur EU in Volksabstimmungen abgelehnt. Mit Russland werden bisher keine Gespräche über den Beitritt zur EU geführt. Dies ist auch unwahrscheinlich, da sich ein Großteil des russischen Territoriums außerhalb Europas befindet und sich bis nach Ostasien erstreckt. Die Ukraine hat nach Worten des neuen Präsidenten Viktor Juschtschenko bekundet, eine baldige EU-Mitgliedschaft anzustreben, ebenso auch die Republik Montenegro, die nach der angestrebten Unabhängigkeit von Serbien einen schnellen EU-Beitritt will. Im April 2005 wurde erstmals auch Serbien ein möglicher EU-Beitritt in Aussicht gestellt, jedoch können erst Beitrittsgespräche aufgenommen werden, wenn die serbische Regierung uneingeschränkt mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal zusammenarbeitet. Interesse an einer EU-Mitgliedschaft hat auch die Republik Georgien bekundet, die jedoch geographisch vollkommen in Asien liegt. Kulturell sehen sich die Georgier aber eher als Europäer.
Mit den übrigen Ländern Europas Island, Moldawien, Weißrussland, Bosnien und Herzegowina, Albanien, Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino und Vatikanstadt gibt es bisher keine Gespräche über eine Aufnahme. Allerdings sind Monaco und San Marino bereits Teil des EU-Zollgebiets und haben wie auch Andorra und die Vatikanstadt den Euro als Währung übernommen.
Siehe auch: Kerneuropa, EU-Erweiterung, Drei plus Drei
Europäische Nachbarschaftspolitik
Am 12. Mai 2004 legte die EU-Kommission ein Strategiepapier für eine Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) vor. Es soll den Nachbarländer im östlichen Europa, im südlichen Kaukasus und der südlichen Mittelmeerregion wirtschaftliche Privilegien gewähren. Dafür soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit intensiviert werden. Dabei geht es auch um die Beilegung von regionalen Konflikten, illegale Migration aus Drittländern, Menschenhandel und Terrorismus. Am 14. Juni 2004 sind Georgien, Armenien und Aserbaidschan als erste Länder in das Programm aufgenommen worden.
Literatur
- Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels: Europa von A-Z. Taschenbuch der europäischen Integration, 8. Aufl., Bonn 2002 (auch bei der BPB erhältlich)