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Neurofibromatose Typ 1

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Die Neurofibromatose Typ I ist eine seltene, autosomal dominant vererbte Erkrankung von Haut, Nervensystem, Augen, Knochen und anderen Organen, die mit fortschreitendem Alter der Patienten mit vielfältigen Veränderungen, Tumoren und Harmatomen einhergeht. In diesem Übersichtsartikel wird nach der klassifikatorische Einteilung der Erkrankung und nach kurzen Bemerkungen zur Geschichte und Epidemiologie vor allem auf die molekularen Grundlagen der Erkrankung und ihre klinischen Symptome hingewiesen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind nach wie vor sehr begrenzt.
Wenn es um Informationen für Betroffene geht, sei hier in erster Linie auf den Weblink am Ende des Artikels hingewiesen.

Klassifikation

Die Neurofibromatose Typ I ist eine neurokutane Erkrankung. Diese Gruppe von Krankheiten ist charakterisiert durch Manifestationen an den beiden Organen Haut und Nervensystem. Neurokutane Erkrankungen werden in vier Gruppen unterteilt:

  • 1. Kongenitale Erkrankungen und Entwicklungsstörungen
  • 2. Krankheiten, die auf Haut und Nervensystem wirken (Phenylketonurie)
  • 3. Nervenkrankheiten mit Hauterscheinungen (Herpes Zoster)
  • 4. Hautkrankheiten mit neurologischen Symptomen (Melanom)

Die erste Untergruppe ist die größte und wird wieder mehrfach untergliedert. Zu den kongenitalen, gutartigen Tumoren und Gefäßveränderungen bei neurokutanen Erkrankungen zählen neben der Neurofibromatose Recklinghausen noch:

Zur Frage der Abgrenzung der Erkrankung gegenüber anderen Erkrankungen müssen zwei weitere Krankheiten erwähnt werden. Die Neurofibromatose Typ II ist eine eigenständige Erkrankung und charakterisiert durch ein bilaterales Akustikus-Neurinom. Der Neurofibromatose Typ-II Lokus befindet sich auf dem Chromosom 22. Das Watson-Syndrom, charakterisiert durch Hyperpigmentierung, Pulmonalisstenose und geistige Retardierung, ist möglicherweise an die selben Marker gekoppelt wie dei Neurofibromatose Typ I.

Geschichte

Eine eher anekdotische Erstbeschreibung findet sich bei R.W. Smith 1849. Von Recklinghausen legte 1882 die erste präzise klinische und pathologische Charakterisierung vor. Alex Thomsen gab um 1900 die ersten statistischen Daten und eine ausführliche Bibliographie. Die Geschichte von Joseph Merrick, dem “Elephantenmenschen” prägte lange Zeit das weitverbreitete Vorurteil von der Monstrosität der Patienten mit einer Neurofibromatose Typ I.

Inzidenz, Erbgang und Epidemiologie

Man schätzt die Erkrankungshäufigkeit auf 30-40 pro 100.000, das entspricht einer Erwartung von 1 zu 2500-3300 Geburten. In 50% der Erkrankungen geht man von einer Neumutation aus. Alle bisherigen Beobachtungen bestätigen den autosomal dominanten Erbgang. Mit autosomal-dominant ist gemeint, das das Gen für die Erkrankung auf einem autosomen Chromosom im Gegensatz zu den Geschlechts-Chromosomen sitzt, und die Krankheit auch auftritt, wenn nur ein erkranktes Allel vorliegt. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit für ein Kind eines betroffenen Elternteils beträgt also statistisch gesehen 50%. Es gibt keine geographischen oder ethnischen Unterschiede. Männer erkranken etwas häufiger als Frauen.

Pathogenese und Molekularbiologie

Der Neurofibromatose Typ-I-Lokus liegt auf dem Chromosom 17q11.2. Er ist komplex und kodiert möglicherweise für ein den intrazellulären Signalpfad modulierendes Protein. Das Neurofibromatose Typ I-Gen liegt auf dem langen Arm von Chromosom 17 Band 11.2 und umspannt ca 400.000 Basenpaare. In einem mehr als 40.000 Basenpaare großen Intron des Neurofibromatose Typ-I Gens finden sich drei Gene in entgegengesetzter Leserichtung: OMPG codiert für ein membrangebundenes Glycoprotein des Oligodentrozyten-Myelins, EVI2A und EVI2B codieren für virale Insertionssequenzen. Am Neurofibromatose Typ-I Lokus sind Translokationen (1,17) und 17,22), Deletionen, Insertionen und Punktmutationen beschrieben. Die mehr als zahlreichen Exons des Gens codieren für ein ca 11kb großes Transcript. Ein ca. 7800 bp umfassender open reading frame des genomischen Lokus erlaubt die Ableitung eines Peptids mit ca. 2500 Aminosäuren.

Das Neurofibromatose Typ-I Peptid zeigt Sequenz-Homologien mit dem von Säugetieren bekannten GAP (GTPase aktivierendes Protein) und den IRA1 und IRA2 Genen der Hefe. Die GAP-verwandte Domäne des NF-I Peptids bindet in vitro an das ras p21-Protein. Die katalytische Domäne von NF-I stimuliert die GTPase-Aktivität von ras p21. Wenn GTPasen durch ihr (individuelles) GAP aktiviert werden, dann hydrolysieren sie das gebundene GTP zu GDP und sind als solche nicht mehr in der Lage ihren Effektor zu stimulieren. Dieser Effektor ist im Falle von ras p21 ein über den Phosphatidylinositol-Pfad vermitteltes mitogenes Signal. Kurz gesagt: Defekte GAPs können ein mitogenes Signal nicht mehr abschalten, die Zellen proliferieren unkontrolliert.

Klinische Manifestationen

Cafe-au-Lait-Flecken und Axilla-Pigementierungen sind auffällige Hauterscheinungen der NF-I. Cafe-au-Lait-Flecken kommen bei ca 10% der nicht betroffenen Normalpopulation vor. NF-Patienten haben in mehr als 95% der Fälle des 223 Patienten großen Kollektivs von Neel at-al. Cafe-au-Lait-Flecken. Ca. 80% der Patienten hatten mehr als sechs große Hyperpigmentierungen. Axilla-Pigmentierungen gelten als nahezu pathognomonisch.

Die Lisch-Knötchen der Augen sind in einer großen Studie von Lubs 1991 als ein sehr hilfreiches diagnostisches Kriterium gefunden worden. Obwohl Lisch bereits 1937 melanozytische Harmatome der Iris beschrieben hat, gerieten diese Augenveränderungen für über 40 Jahre in Vergessenheit. Lewis und Riccardi habe sie 1981 neu entdeckt. Lisch-Noduli finden sich bei 100% aller NF-I Patienten, die älter als 20 Jahre sind. Sie können daher als Ausschlußkriterium für die Krankheit bei Erwachsenen gelten. Da sie in der kindlichen Entwicklung der Krankheit üblicherweise vor allen anderen Symptomen auftreten ist die augenärztliche Untersuchung NF-I verdächtiger Kinder ein wichtiges Screeningverfahren. Auch bei ganz kleinen Kinder ist dabei eine Narkose meist nicht notwendig, da ja nicht der Augenhintergrund wie beim Retinoblastom gespiegelt werden muß.

Multiple kutane und subkutane Hauttumoren gelten als weitere wichtige Symptome der NF-I. Sie entwickeln sich in der späten Kindheit und frühen Adoleszenz. Die kutanen Hauttumore entwickeln sich in der Dermis, haben eine Größe von ca einigen Millimetern bis mehrere Zentimeter. Ihre Fabre ist manchmal violett, die Konsistenz weich. Sie zeigen bei Druck eine zentrale Invagination (“Knopfloch-Phänomen”), was als gutes Differenzierungsmerkmal gegenüber Lipomen gilt. Die Haut der Patienten kann mit bis zu 10.000 größern und kleiner Tumoren bedeckt sein. Die subkutanen Tumoren existieren in zwei verschiedenen Varianten. Sie können als fest, an Nerven fixierte Noduli (häufig am Unterarm) vorkommen, und sind dann von den Tumoren der spinalen- und Hirnnerven zu untersdcheiden. Sie verursachen häufig Schmerzen und senosrische Veränderungen. Die plexiformen, subkutanen Tumore sind nicht selten im Gesicht, Nacken, Hüfte und Unterschenkel lokalisiert. Sie erreichen enorme Größe und zeigen den ungewöhnlichen Tastbefund multipler strangförmiger Gewächse (“Sack voll Würmer”).

Mitunter werden weitere Hautveränderungen beschrieben, wie etwa die cutis laxa (extrem dehnbare Haut), die auch bei anderen seltenen und schlecht charakterisierten Krankheiten vorkommt (Ehlers-Danlos-Syndrom). Man vermutet hier einen Zusammenhang mit den Kollagendefekten.

ZNS-Tumore und neurologische Symptome treten bei der NF-I als ernstzunehmende Probleme auf. Vor allem Tumoren der Hirnnerven können chirurgische Interventionen notwendig machen. Akustikus- und Trigeminus-Neurome verursachen Schmerzen. Ein Foramen-Jugulare-Syndrom und Hypoglossus-Tumoren machen entsprechende Symptome, ein Optikus-Gliom kann eine einseitige Blindheit und Tumoren der Spinalwurzeln können Lähmungen verursachen. Darüberhinaus werden verschiedene neurologische Symptome beschrieben: Schulschwierigkeiten, eher selten eine Epilepsie und bei Hypothalamus-Harmatomen eine Pubertas Präcox. Manchmal verursachen Gliawucherungen einen obstruktiven Hydrozephalus.

Skelettveränderungen treten bei einem Drittel der Patienten auf und bringen die NF-I-Patienten zum Orthopäden. Extrem ausgeprägte Kyphoskoliosen aufgrund von Dysgenesien der Wirbelkörper können vorkommen. Knochenzysten, Hypertrophien, pathologische Frakturen und habituelle Luxationen machen chirurgische Eingriffe notwendig. Defekte der Orbitahinterwand machen manchmal einen pulsierenden Exophthamus und täuschen so einen Orbitatumor vor.

Pathologie

Bei den kutanen Hauttumoren dominieren bindegewebige Veränderungen, die einen Ersatz von Kollagen durch ein violettes gelatinöses Bindegewebe zeigen. Ihre endoneuralen Fibroblasten unterscheiden sich pathologisch vom Fibroblastom durch Palisadenbildung. Die Melanosomen der Basalzellen in hyperpigmentierten Feldern können extreme Größe erreichen. Sie scheinen charakteristisch zu sein für die NF-I und treten beim Albright-Syndrom nicht auf.

Die plexiformen Nerventumoren aus Schwannzellen und endoneuralen Fibroblasten bei der NF-I unterscheiden sich sehr charakteristisch von der Zellzusammensetzung der unilateralen Optikusgliome, die aus Astrozyten und Fibroblasten bestehen. Die Schwannome der NF-I unterscheiden sich durch Palisadenbildung, Wirbelkörperchen und vakuolisierte Zellen von Fibroblastomen. Geclusterte abnorme Gliazellen scheinen in ähnlicher Form auch bei der Tuberösen Sklerose vorzukommen.

Bei Patienten mit einer Neurofibromatose Typ I können auch bösartige Tumoren auftreten. Periphere Fibrosarkome und Schwannome können sich ebenso entwickeln, wie zentrale Astrozytome, Glioblastome und Meningeome.

Behandlung

Die Intervention bei Tumoren des ZNS kann notwendig sein, ebenso wie orthopädische Operationen. Im allgemeinen gilt, das Operationen oder Bestrahlungen eine Proliferation der Tumoren induzieren können.

Prognose

Die Symptome der Erkrankung entwickeln sich erst im Laufe der Zeit. Die Sterblichkeit der Patienten ist im Allgemeinen erhöht. Wegen des autosomal dominanten Erbganges wird eine kritische Überprüfung des Kinderwunsches angeraten. Es scheinen Fertilitätsstörungen vorzukommen.

Quellen

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  • Gangfeng Xu et. al.: The Catalytic Domain of the Neurofibromatosis Type 1 Gene Product Stimulates ras GTPase and Complements ira Mutants of S. cerevisiae. Cell Vol 63, 835-841, 1990.

http://www.neurofibromatose.de