Zum Inhalt springen

Überwachen und Strafen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 16. April 2005 um 07:24 Uhr durch C.Löser (Diskussion | Beiträge) (Literatur). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses ist ein Buch des französischen Philosophen Michel Foucault. Das 1975 unter dem Titel Surveiller et punir veröffentlichte Werk wurde 1977 auf Deutsch publiziert. Es steht im engen Zusammenhang mit der Arbeit des Autors in der Groupe d´information sur les prisons, G.I.P. (Gruppe Gefängnisinformation), die sich ab 1971 dafür engagierte, den Gefangenen in den französischen Gefängnissen die Möglichkeit zu geben, ihre Situation in der Öffentlichkeit darzustellen.

Thema

Das Buch selber beschäftigt sich vorgeblich mit der Entwicklung der modernen Strafsysteme im Europa des frühen 17. Jahrhunderts, vornehmlich in Frankreich und Großbritannien. Letztlich geht es, dank Foucaults subjektkritischer Perspektive, um die Konstituierung des Subjekts Gefangener mittels Macht- und Wahrheitsregimen.

Wichtig wurde in der laufenden Rezeption die Feststellung, dass es sich bei den Überwachungspraktiken nicht um aus der Gesellschaft ausgelagerte Prozesse handelt, sondern sie sich auch in den neu entstehenden Fabriken, Schulen und anderen Institutionen nachweisen lassen. Letztlich sind die konstituierten Subjekte gerade für die sich neu formierende Gesellschaft geeignet.

Repressionsthese

In Überwachen und Strafen stellt Foucault eine Repressionshypothese auf, die sich als eine der Grundannahmen der postmodernen Philosophie herausstellen sollte.

Laut Foucault kann Repression und Überwachung nicht einfach als einseitiges Verhältnis einer Einwirkung auf einen zuvor "ganzen Körper" oder "ganzen Geist" verstanden werden. Macht, und mit ihr auch Repression, seien so nicht nur unterdrückend, sondern auch produktiv. Das heißt, dass erst die Machtstrukturen überhaupt die Subjekte konstituieren, die dann eine Gesellschaft bilden.

Panoptikum

Das Panoptikum des englischen Philosophen Jeremy Bentham deutete Foucault als eine Architektur, mit der sich die Grundlagen der aktuellen Gesellschaftsformation beschreiben lassen. Es handelt sich dabei um den nie umgesetzten Vorschlag eines perfekten Gefängnisses: In dessen Mitte steht ein Turm, aus dem heraus Wächter die rundherum angeordneten, offene Gefängniszellen einsehen können. Damit werden die Gefangenen unter die permanente potentielle Kontrolle eines allumfassenden Blickes gestellt. Jederzeit könnten sie beobachtet und für falsche Handlungen bestraft werden. Das führt bei ihnen zu einer neuen Konzeption von Verhalten, die gerade diesen potentiellen Blick der Überwacher einbezieht.

Perfider wird dieser Vorschlag, wenn er – wie Bentham vorschlägt – auch in Schulen und Kasernen angewandt und vergrößert wird. Dann könnten mehrere Ringe von im Kreis angeordneten Zellen bewirken, dass Wärter wieder von Wärtern, die über ihnen stehen, kontrolliert werden. Das kann potentiell einige Ebenen weitergetrieben werden.

In diesem Plan sieht Foucault die bestmögliche Beschreibung der modernen Kontrollgesellschaft, und durch ihn ist dieser Vorschlag auch zu spätem Bekanntheitsgrad gelangt.

Wirkung

Foucaults Thesen haben weit über die Geschichte der Gefängnisse hinaus Wirkung gezeigt. Zum einen wurden seine Auffassung von Macht und Subjekt begrüßt. Der aktuelle Feminismus, die Gender Studies, die Postcolonial Studies und weitere Denkrichtungen schließen an Foucault und vor allem an die in Überwachen und Strafen präsentierten Thesen an. Ebenso greifen Teile des politischen Feminismus auf ihn zurück.

Zum anderen gab es herbe Kritik aus marxistischer Richtung: Foucault begreife Macht als ein vorgesellschaftliches und nicht unbedingt an die Ökonomie gebundenes Verhältnis. Macht werde bei ihm zu einer ahistorischen Konstante, die jede Veränderung dieser ausschließe.

Literatur

  • Surveiller et punir - la naissance de la prison, Paris 1975
  • Überwachen und Strafen, Frankfurt am Main 1977
  • Petra Neuenhaus, Max Weber und Michel Foucault. Über Macht und Herrschaft in der Moderne (1993). ISBN 3890858201