Rudolf Heß
Rudolf Heß [26. April 1894 in Alexandria, Ägypten; † 17. August 1987 in Berlin) war ein nationalsozialistischer Ideologe und Politiker.
] (*Biografie
Kindheit und Jugend
Rudolf Walter Richard Heß wurde am 26. April 1894 in Ägypten geboren. Sein Vater war der aus Wunsiedel stammende deutsche Großkaufmann Fritz Heß. Rudolf Heß wuchs in Alexandria, wo er die deutsche Schule besuchte, und in Reicholdsgrün (heute zu Kirchenlamitz Landkreis Wunsiedel) auf. 1908 wurde er zu seiner Gymnasialausbildung in ein evangelisches Internat in Bad Godesberg bei Bonn geschickt, das er mit dem Abitur beendet. Nach dem Abitur beginnt er eine kaufmännische Ausbildung in Hamburg, diese bricht er aber 1914 ab und meldet sich freiwillig zum Kriegsdienst. Heß kämpft im 1. Weltkrieg zuerst in der Infanterie, später - bis Kriegsende - dient er in der Luftwaffe als Jagdflieger.
Heß und der Nationalsozialismus
Die frühen Jahre (1920-33)
Während seines Studiums der Volkswirtschaft, Geschichte und Geopolitik (letzteres bei Karl Haushofer, dem er zeitlebens verbunden blieb,) in München fand Leutnant a. D. Heß Kontakt zu nationalsozialistischen Kreisen, als er zur Organisation "Eiserne Faust" stieß. Er wurde Mitglied der Thule-Gesellschaft. Um sich an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik zu beteiligen, schloss er sich dem Freikorps von Franz Ritter von Epp an. Hier traf er unter anderem auch auf den ehemaligen Hauptmann Röhm und trat in der Folgezeit auch den "Artemanen" bei. So wurde Heß auch mit Heinrich Himmler bekannt.
Rudolf Heß trat bereits Anfang 1920 der NSDAP (Mitgliedsnummer: 16) bei. In München gründete er im Herbst 1920 den Nationalsozialistischen Studentenbund und war einer der 1.500 Putschisten des 9. November 1923, als er mit Röhm und Hitler in vorderster Reihe in München mitmarschierte. Nach dem missglückten "Sturm auf die Feldherrenhalle" wurde er mit Adolf Hitler zu gemeinsamer Festungshaft in Landsberg am Lech verurteilt und schrieb dort Hitlers "Mein Kampf" nieder, den dieser ihm diktierte.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Heß 1933 Reichsminister ohne Geschäftsbereich und war mit Verfügung des Führers zum Tragen des Dienstanzuges eines SS-Obergruppenführers berechtigt.
Am 21. April 1933 ernannte Adolf Hitler ihn zu seinem Stellvertreter. Er war damit allerdings nicht "zweiter Mann" im NS-Staat, sondern lediglich Vertreter Adolf Hitlers als Parteivorsitzender der NSDAP. Heß wurde nun persönlich für die Sicherheit des "Braunen Hauses" in München verantwortlich.
Die späten Jahre (1939-45)
In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland war Heß aktiv organisatorisch an der Judenverfolgung beteiligt. Er sorgte im besetzten Polen für eine größtmögliche Trennung von Deutschen und Polen und setzte ein rassistisches Sonderrecht durch.
Im Gegensatz zum Reichskanzler Hitler war Heß im Ausland ein gerngesehener Gast, da er sich inzwischen den Ruf eines "gemäßigten unter den Nationalsozialisten" zugelegt hatte. Hitler schickte ihn deshalb gern inoffiziell zu Verhandlungen.
Am 10. Mai 1941 flog Heß mit einer Messerschmitt Bf 110 nach Schottland, um mit dem Anführer – so glaubte er jedenfalls – der englischen Friedensbewegung, dem Herzog von Hamilton, über Frieden zu verhandeln. Dabei geriet Heß in britische Kriegsgefangenschaft. Der Flug wurde vom Nazi-Regime in der Öffentlichkeit als Verrat gewertet und Heß für verrückt erklärt. Eigentliches Ziel von Heß war es wohl, einen Zweifrontenkrieg mit Großbritannien zu verhindern, den er als „selbstmörderisch für die weiße Rasse“ bezeichnete, deren Herrschaft er erhalten wollte.
Umstritten ist bis heute, ob Heß auf eigene Faust, mit Wissen oder sogar auf Befehl Hitlers nach England flog. Der britische Historiker Martin Allen vertritt die Meinung, dass Hitler zumindest von dem Vorhaben gewusst haben muss, da sich beide noch kurz zuvor getroffen hatten.
Weil aber Heß Walter Schellenbergs unbestätigten Berichten zufolge ein stiller Förderer und Anhänger der Anthroposophie Rudolf Steiners sowie diverser Astrologen und Hellseher gewesen sein soll, wurden nach dem Flug Kollektivverhaftungen auf diese Gruppen ausgedehnt. Der Adjutant von Heß ist als Zielscheibe der Wut Hitlers auf Veranlassung Bormanns bis Kriegsende in einem Konzentrationslager inhaftiert gewesen.

Heß und die Nachkriegszeit
In den Nürnberger Prozessen wurde Heß wegen Planung eines Angriffskrieges und Verschwörung gegen den Weltfrieden zu lebenslanger Haft verurteilt und in das alliierte Militärgefängnis Berlin-Spandau überführt. Konfrontiert mit den KZ-Grausamkeiten zeigte er sich keineswegs erschüttert. In seinem Schlusswort im Nürnberger Prozess sagte er: „Ich verteidige mich nicht gegen Ankläger, denen ich das Recht abspreche, gegen mich und meine Volksgenossen Anklage zu erheben. Ich setze mich nicht mit Vorwürfen auseinander, die sich mit Dingen befassen, die innerdeutsche Angelegenheiten sind und daher Ausländer nichts angehen. Ich erhebe keinen Einspruch gegen Äußerungen, die darauf abzielen, mich oder das ganze deutsche Volk in der Ehre zu treffen. Ich betrachte solche Anwürfe von Gegnern als Ehrenerweisung. Es war mir vergönnt, viele Jahre meines Lebens unter dem größten Sohne zu wirken, den mein Volk in seiner tausendjährigen Geschichte hervorgebracht hat. Selbst wenn ich es könnte, wollte ich diese Zeit nicht auslöschen aus meinem Dasein. Ich bin glücklich, zu wissen, daß ich meine Pflicht getan habe meinem Volke gegenüber, meine Pflicht als Deutscher, als Nationalsozialist, als treuer Gefolgsmann meines Führers. Ich bereue nichts. Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln wie ich handelte, auch wenn ich wüßte, daß am Ende ein Scheiterhaufen für meinen Flammentod brennt. Gleichgültig was Menschen tun, dereinst stehe ich vor dem Richterstuhl des Ewigen. Ihm werde ich mich verantworten, und ich weiß, er spricht mich frei.“. Diese Aussage wurde von ihm nie widerrufen.
Nach der Freilassung Baldur von Schirachs und Albert Speers war er in Berlin-Spandau von 1966 bis zu seinem Tod 1987 der einzige Insasse des Militärgefängnisses.
Am 17. August 1987 beging Heß nach Darstellung der Gefängnisleitung (aufgrund der Rotation dieses Amts: der britischen Besatzungsmacht) mit einem Verlängerungskabel, das er an einem Fenstergriff befestigt hatte, Suizid. Der Leichnam wurde am gleichen Tag vom britischen Gerichtsmediziner James Cameron obduziert.
Eine auf Wunsch der Familie Heß vom deutschen Gerichtsmediziner Wolfgang Spann zwei Tage später vorgenommene Untersuchung des Leichnams ergab Widersprüche in Details der Beurteilung gegenüber Camerons erstem Obduktionsbericht. Insbesondere die atypische Strangulationsmalausrichtung am Hals war und bleibt für Mitglieder der Familie Heß sowie für die deutsche und europäische Neonazi-Szene ein Grund, von einem Mord an Heß durch den englischen Geheimdienst Secret Intelligence Service überzeugt zu sein: Großbritannien habe den Suizid lediglich vorgetäuscht, um Heß so zu beseitigen.
In den 1980er Jahren setzten sich einige Politiker und Kirchenvertreter für eine Freilassung aus humanitären Gründen ein, auch um eine Verklärung als Märtyrer zu verhindern. Vor allem sein Sohn Wolf Rüdiger Heß versuchte zeitlebens, die Freilassungs seines Vaters bzw. bessere Haftbedingungen zu erwirken. Er gründete dazu 1967 die Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Heß. Aus ihr ging 1989 die Rudolf-Heß-Gesellschaft hervor, deren Ziel es ist, die geschichtliche Darstellung Heß’ zu revidieren und angeblich vertuschte Umstände seiner Gefangenschaft und seines Todes aufzuklären. Bis zu seinem Tod am 24. Oktober 2001 war Wolf Rüdiger Heß Vorsitzender der Gesellschaft. Seitdem verwaltet seine Witwe die Position kommissarisch. Die Gesellschaft nimmt keine Mitglieder mehr auf.
Heß gilt in der Neonazi-Szene aufgrund seines ungebrochenen Bekenntnisses zum Nationalsozialismus, seiner langen Haftzeit und seiner vermeintlichen Ermordung durch den britischen Geheimdienst als Märtyrer. Sein Todestag wurde seit 1987 alljährlich zum Anlass für neonazistische Aufmärsche in der oberfränkischen Stadt Wunsiedel, in der Rudolf Heß begraben liegt. Von 1991 bis 2000 waren die Demonstrationen verboten und wurden trotz der Verbote in anderen Städten und auch in anderen Ländern (etwa in den Niederlanden und Dänemark) durchgeführt. 2001 wurden die Demonstrationen in Wunsiedel erstmals erlaubt und zählen seitdem mit ca. 2.500 Teilnehmern zu den größten Neonazidemonstrationen in Deutschland.
Literatur
Biographisches/Allgemeines
- Wolf Rüdiger Heß: Rudolf Heß: "Ich bereue nichts", Graz 1998.
- Kurt Pätzold, Manfred Weißbecker: Rudolf Heß - Der Mann an Hitlers Seite, Leipzig 1999.
- Peter Longerich: Hitlers Stellvertreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die Partei-Kanzlei Bormann, München 1992.
"Englandflug"
- Rainer F. Schmidt, Rudolf Heß - »Botengang eines Toren«? Der Flug von Rudolf Heß nach Großbritannien vom 10. Mai 1941, Düsseldorf 1997.
- Armin Nolzen: Der Heß-Flug vom 10. Mai 1941 und die öffentliche Meinung im NS-Staat, in: Martin Sabrow (Hg.): Skandal und Diktatur. Öffentliche Empörung im NS-Staat und in der DDR, Göttingen: Wallstein Verlag 2004
Bedeutung von Heß in der Neonazi-Szene
- Thomas Dörfler, Andreas Klärner: Der "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" in Wunsiedel. Rekonstruktion eines nationalistischen Phantasmas, in: Mittelweg 36, Heft 4/2004, S. 74-91
- Michael Kohlstruck: Fundamentaloppositionelle Geschichtspolitik. Die Mythologisierung von Rudolf Heß im deutschen Rechtsextremismus, in: Fröhlich, Claudia, Heinrich, Horst-Alfred (Hrsg.): Geschichtspolitik. Wer sind ihre Akteure, wer ihre Rezipienten? Stuttgart, Franz Steiner 2004
Weblinks
- http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/HessRudolf/ ist die Seite des Deutschen Historischen Museums.
- http://www.shoa.de/content/view/97/92/ beleuchtet Hess von der Seite der Opfer des NS-Regimes her.
- http://www.idgr.de/texte/rechtsextremismus/fallstudien/hess-legenden.php Albrecht Kolthoff: "Braunes Merchandising" - Anmerkungen zu einer TV-Dokumentation über Heß
Archivalien
Die Sperrfrist der britischen Akten über Hess erlischt 2017, 30 Jahre nach seinem Tod. Solche Sperrfristen entsprechen dem üblichen Vorgehen in Archiven.
Personendaten | |
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NAME | Heß, Rudolf |
KURZBESCHREIBUNG | nationalsozialistischer Politiker |
GEBURTSDATUM | 26. April 1894 |
GEBURTSORT | Alexandria, Ägypten |
STERBEDATUM | 17. August 1987 |
STERBEORT | Berlin |