Karl-Heinz Kurras
Karl-Heinz Kurras (* 1. Dezember 1927 in Barten, Ostpreußen) ist ein ehemaliger deutscher Polizeibeamter. Der Kriminalobermeister erschoss am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration in West-Berlin unter ungeklärten Umständen den Studenten Benno Ohnesorg. Dies führte zu einer Ausbreitung und Radikalisierung der damaligen westdeutschen Studentenbewegung.
Leben
Karl-Heinz Kurras wurde als Sohn eines Polizeibeamten in Ostpreußen geboren. Im Alter von fünf Jahren wurde er eingeschult und besuchte später die Oberschule. Als er sich 1944 als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldete, erhielt er ein Notabitur. Nach Kriegsende kam er nach Berlin. 1946 wurde er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach dreijähriger Haft in Sachsenhausen wurde er 1949 begnadigt und daraufhin in den Dienst der Westberliner Polizei gestellt.[1] Im März 1950 war er als Polizeimeister in Berlin-Charlottenburg tätig, bevor er 1955 versuchte, für die Deutsche Volkspolizei der DDR tätig zu werden. Nach intensiven Gesprächen wurde Kurras durch Behörden der DDR zum Verbleib bei der West-Berliner Polizei überzeugt, wo er fortan als Inoffizieller Mitarbeiter tätig war. 1960 wechselte Kurras zur Kriminalpolizei. Seit Januar 1965 gehörte Kurras eine Sonderermittlungsgruppe an, die sich mit der „Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen“ befasste.[2] Ebenso wurde Kurras zu einem Mitglied der Abteilung I für Staatsschutz in West-Berlin. Er galt als guter Schütze seiner Einheit und als „Waffennarr“.[3] Kurras lebt heute in Berlin-Spandau.
Erschießung von Ohnesorg
Im Rahmen eines Vorstellungsbesuchs des am 2. Juni 1967 auf Staatsvisite in West-Berlin weilenden persischen Schahs Pahlavi in der Berliner Oper – auf dem Programm stand Die Zauberflöte – wurde Kurras zur Objektsicherung und als ziviler Greifer eingesetzt. Kurz nach 20 Uhr begann die Aktion Füchse jagen, bei der Polizeitrupps in Uniform und Zivil auf flüchtende Demonstranten einprügelten, die gegen den Schahbesuch protestierten. Im Hof des Hauses Krumme Straße 66/67 kam es zu einem Handgemenge mit dem Studenten Benno Ohnesorg und zwei Polizisten. Kurras gab einen tödlichen Schuss auf Ohnesorg ab, über den Tathergang existieren einander widersprechende Zeugenaussagen.
Für die Verteidigung von Kurras spendete die Gewerkschaft der Polizei eine Summe von 60.000 DM.[4] Er wurde am 21. November 1967 von der 14. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin von der Anklage der fahrlässigen Tötung aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Schon das Gericht zeigte sich mit dem Urteil unzufrieden. Es wurde vermutet, dass Kurras „mehr weiß als er sagt“.[5] Ein Jahr später wurde eine Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof gegen Kurras auf Betreiben von Rechtsanwalt Otto Schily angesetzt.[6] Da sich jedoch der Anwalt der Nebenklägerin, Horst Mahler, weigerte, vor dem Gericht in seiner Robe zu erscheinen, wurde die Verhandlung abgebrochen.[7] Die dritte Verhandlung fand 1971 statt und führte erneut zu einem Freispruch von Kurras. In der Zwischenzeit war Kurras vom Polizeidienst suspendiert worden und arbeitete als Wachmann und Kaufhausdetektiv. Kurras wurde nach dem Freispruch wieder in den Polizeidienst (Innendienst) übernommen und arbeitete bis zu seiner Pensionierung in der Funkleitzentrale. Er wurde zum Kriminaloberkommissar befördert und ging 1987 in Pension.[8]
Zu seiner Tat befragt, äußerte er sich im November 2007: „Fehler? Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So is das zu sehen.“[4] [7]
Auf diese Tat berief sich unter anderem die Bewegung 2. Juni. Literarisch verarbeitet wurde die Tat von Uwe Timm in seiner Erzählung Der Freund und der Fremde.[9]
Hinweis zur SED-Mitgliedschaft und IM-Tätigkeit
Die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Historikerin Cornelia Jabs und Diplompolitologe Helmut Müller-Enbergs publizierten im Mai 2009 in der Zeitschrift Deutschland Archiv das Ergebnis ihrer Untersuchung. Nach der Aktenlage der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen war Kurras ab 1955 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (IM „Otto Bohl“) und ab 1964 Mitglied der SED. Er nahm als IM Aufträge für die Weitergabe von Interna aus der Westberliner Polizei an, unter anderem Recherchen in der Kfz-Kartei und im Fahndungsbuch, und bekam dafür Geld. Es gibt keinen Hinweis in der Akte, dass es einen Mordauftrag gegeben hat. Nach dem tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg wurde die Verbindung vorerst abgebrochen und Kurras aufgefordert seine Beweismaterialien zu vernichten. 1976 hatte Kurras sich noch mit einem Staatssicherheitsoffizier getroffen, über seine Tätigkeit nach 1967 liegt jedoch nur ein ausgedünnter Aktenbestand vor.[10] [11] Kurras bestreitet, für die Stasi gearbeitet zu haben.[12]
Literatur
- Uwe Soukup: Wie starb Benno Ohnesorg? Der 2. Juni 1967. Verlag 1900, Berlin 2007, ISBN 978-3-930278-67-1
- Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs: Der 2. Juni 1967 und die Staatssicherheit, in: Deutschland Archiv. Zeitschrift für das wiedervereinigte Deutschland, 2009, 3, (42)
Weblinks
- Video: Ohnesorg-Schütze war Stasi-Spion, Spiegel TV, 22. Mai 2009, 3:41 min.
- Verpflichtungserklärung zur Arbeit für das MfS von Karl-Heinz Kurras – ZDF
- Reportage von Uwe Soukup, Die Zeit, 22. Mai 2009
- „Der dümmste Polizeieinsatz, den man sich vorstellen kann“, Deutschlandradio Kultur, 29. Mai 2007, Interview mit Matthias Hanselmann
Einzelnachweise
- ↑ Ein deutsches Doppelleben, die tageszeitung, 22. Mai 2009
- ↑ Benno Ohnesorgs Todesschütze war IM, Die Zeit, 22. Mai 2009
- ↑ Ost-Berlins kühles Kalkül mit der Wut der Studenten Hannoversche Allgemeine, 22. Mai 2009
- ↑ a b stern.de: Kurras wird 80: Der Mann, der Benno Ohnesorg erschoss, 1. Dezember 2007
- ↑ Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. dtv, München 2008, ISBN 978-3-423-24653-8, S. 126
- ↑ Frankfurter Allgemeine Zeitung: Der Fall Ohnesorg: Wendepunkt für Otto Schily, 2. Juni 2007
- ↑ a b die tageszeitung: Der Mann, der Benno Ohnesorg erschoss, 20. November 2007
- ↑ Der Spiegel: Mord ohne Mörder, Nr. 23, 2. Juni 1997
- ↑ die tageszeitung: Der Freund und der Fremde, 20. August 2005 (Auszug)
- ↑ heute: Benno Ohnesorg von Stasi-Spion erschossen, 21. Mai 2009
- ↑ Frankfurter Allgemeine Zeitung: Stasi-Mitarbeiter erschoss Benno Ohnesorg. 21. Mai 2009
- ↑ Uwe Soukup: „Zu Besuch bei Ohnesorgs Todesschützen“, Die Zeit, 22. Mai 2009
Personendaten | |
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NAME | Kurras, Karl-Heinz |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Polizist |
GEBURTSDATUM | 1. Dezember 1927 |
GEBURTSORT | Barten, Ostpreußen |