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Wilhelm Creizenach

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Wilhelm Michael Anton Creizenach (* 4. Juni 1851 in Frankfurt am Main; † 13. Mai 1919 Dresden) war ein deutscher Literaturwissenschaftler insbesondere auf dem Gebiet des deutschen und englischen Dramas, Professor in Krakau und Mitglied der Polnischen Akademie der Künste und Wissenschaften.

Leben und Wirken

Creizenach entstammte einer alten, in Frankfurt hoch angesehenen jüdischen Familie. Sein Großvater Michael Creizenach[1] war ein aufgeklärter Theologe in der Nachfolge Moses Mendelssohns und Reformpädagoge, sein Vater Theodor[2] ein Gymnasialprofessor[3] und Literaturhistoriker, dessen „Dichtungen“ und „Gedichte“ zwar im Judentum wurzelten, der aber „sein Volk durch die Freiheit heben und wahrhaft deutsch machen“ wollte[4] und 1854 zum Protestantismus übertrat. Über eine Taufe seiner Mutter, der Bankierstochter Louise Amalie geb. Flersheim (1824–1907), ist nichts bekannt.

Wilhelm Creizenach studierte Geschichte, Germanistik und Romanistik von 1870 bis 1874 in Göttingen und Leipzig sowie noch eine Jahr Sanskrit bei Berthold Delbrück in Jena. In Leipzig promovierte er 1875 bei Friedrich Zarncke mit einer Dissertation über Judas Ischariot in Legende und Sage des Mittelalters, die im selben Jahr auch im Druck erschien, und habilitierte sich dort auch 1879 auf Grund einer Arbeit Zur Entstehung des neueren deutschen Lustspiels. In den Jahren dazwischen forschte bzw. arbeitete er an den Universitätsbibliotheken von Jenaa[5] und Breslau, und während der Zeit als Privatdozent für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Leipzig konnte er 1882/83 auch die Bibliothèque nationale in Paris als Bibliotheksassistent nutzen[6]

1883 erhielt Creizenach einen Ruf als außerordentlicher Professor für Deutsche Sprache und Literatur an die berühmte Jagiellonen-Universität im damals österreichischen Krakau, wo 1850 die erste Lehrkanzel für Germanistik errichtet und mit Karl Weinhold besetzt worden war. Zwei Jahre später nach Creizenachs Berufung wurde die Lehrkanzel zu einem Seminar (d.i. Institut) für Germanistik, Anglistik und Skandinavistik erweitert[7] und Creizenach zu dessen erstem Direktor bestellt.[8] 1886 erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor, 1901/02 war er Dekan der philosophischen Fakultät, 1895 wurde er zum korrespondierenden und 1904 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Künste und Wissenschaften (Akademia Umiejętości) in Krakau gewählt. 1912/13 zog er sich vom Lehrbetrieb zurück und übersiedelte nach Dresden, um sich ganz der Fertigstellung seines Lebenswerkes, der fünfbändigen Geschichte des neueren Dramas zu widmen, die bis heute ein Referenzwerk geblieben ist.

Creizenach erforschte und lehrte schwerpunktmäßig die Geschichte der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Romantik, befasste sich dabei besonders mit dem Drama, mit Goethe, dessen Wilhem Meister er in Kürschners Deutscher Nationalliteratur edierte, mit der Faustgestalt, aber auch mit historischer Grammatik. Größte Anerkennung fand Creizenach im angelsächsischen Raum als Erforscher des englischen Dramas zur Zeit Shakespeares, wie die mehrfachen Neudrucke seiner diesbezüglichen Arbeiten bei britischen und amerikanischen Verlagen bis in die jüngste Zeit beweisen. Die internationale Anerkennung, die seine Forschungen fanden, zeigt sich auch durch seine ehrenvolle Wahl zum „auswärtigen Mitglied“ der Niederländischen Literaturgesellschaft in Lüttich und zum Ehrenmitglied der Shakespeare-Gesellschaft.[8] Er publizierte nicht nur auf Deutsch, sondern ebenso auf Englisch und ab 1883 auch auf Polnisch.

Creizenachs literarischer Nachlass befindet sich zum großen Teil im Archiv der Polnischen Akademie der Künste und Wissenschaften (PAU) in Krakau, seine Korrespondenz in der Biblioteka Jagiellońska der Krakuaer Universität, der er 1919 auch seine Sammlung von fast 3000 Bänden vorwiegend zur Geschichte des Dramas vermacht hatte.[9]

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Legenden und Sagen von Pilatus; in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 1 (1874), S. 89–107.
  • Judas Ischariot in Legende und Sage des Mittelalters; in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 2 (1876), S. 12–207
  • Versuch einer Geschichte des Volksschauspiels von Doctor Faust, Diss. Leipzig; Halle/Saale: Niemeyer, 1878
  • Zur Entstehungsgeschichte des neuen deutschen Lustspiels; Halle/Saale: Niemeyer, 1879
  • Die Bühnengeschichte des Goethe’schen „Faust“; Frankfurt/Main 1881
  • “Faust” w pomyśle Lessinga; 1883
  • Studien zur Geschichte der Dramatischen Poesie im siebzehnten Jahrhundert; 1886
  • Dramatischer Nachlass von J. M. R. Lenz. Zum 1. Male hrsg. v. Karl Weinhold; in: Literarisches Centralblatt für Deutschland Jg. 1884, Nr. 37, Leipzig 1884, Sp. 1290f.
  • O młodych latach Schillera; 1887
  • Zur Geschichte der Weihnachtsspiele und des Weihnachtsfestes; in: Beiträge zur Volkskunde. FS für Karl Weinhold zum 50jährigen Doktorjubiläum, dargebracht im Namen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde von Wilhelm Creizenach; Germanistische Abhandlungen; 12; Breslau: Koebner, 1896; Breslau: Marcus, 1896. Nachdruck: Hildesheim, New York: Olms, 1977; ISBN 3-487-06166-X
  • Die Schauspiele der englischen Komödianten; Kürschners Deutsche National-Literatur XXIII; Berlin, Stuttgart: Spemann, 1889. Reprint: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1967. Nachdruck: Tokyo: Sansyusya, 1974
  • Der bestrafte Brudermord; Berichte der philologisch-historischen Klasse der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1886; Dresden 1887; S. 1 ff.
  • Der „Bestrafte Brudermord“ and Its Relation to Shakespeare’s „Hamlet“; Modern Philology 10 (1904); Chicago: University of Chicago Press, 1904
  • Geschichte des neueren Dramas, 5 Bände; Halle/Saale: Niemeyer, 1893–1916
    1.Band: Mittelalter und Frührenaissance, 1893
    2.Band: Renaissance und Reformation 1.Teil, 1901
    3.Band: Renaissance und Reformation 2.Teil, 1903
    4.Band: Das englische Drama im Zeitalter Shakespeares Teil 1, 1909
    5.Band: Das englische Drama im Zeitalter Shakespeares Teil 2, 1916
  • The English Drama in the Age of Shakespeare; Philadelphia, London 1916. Neudrucke: New York: Russell & Russell, 1967; University Press of the Pacific, 2005; ISNB 978-1-4102-2240-33; Verlag Intl. Law & Taxation Publ., 2005; ISBN 1-4102-2403-1
  • O niemieckim opracowaniu “Hamleta” Szekspirowskiego z XVII wieku; 1904
  • Badania nad komedyą Szekspira “Poskromienie złośnicy”; 1909
  • The Early Religious Drama; in: Cambridge History of English Literature, Band 5,1; Cambridge: Cambridge Universitry Press, 1910
  • als Herausgeber: Johann Wolfgang Goethe:Wilhelm Meisters Wanderjahre mit Einleitung und Anmerkungen von Wilhelm Creizenach; Eduard von der Hellen (Hg.): Goethes sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe in 40 Bänden, Band 17/18; Stuttgart: Cotta, 1904
  • 17 Biographien in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB)

Literatur

  • Adam Kleczkowski: Wilhelm Creizenach; Krakau 1938
  • Biogramy uczonych polskich – Nauki społeczne, Band 1: A–J; Wrocław 1983 (polnisch)
  • Paul Arnsbog: Wilhelm Creizenach; in: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, Band 3; Biographisches Lexikon, Darmstadt 1983; S. 88–89
  • Christoph König u. a.: Internationales Germanistenlexikon 1800–1950; Berlin, New York: de Gruyter, 2003; ISBN 978-3-1101-5485-6

Einzelnachweise

  1. Adolf Brülls Biographie von W. Creizenachs Großvaters in ADB 1903, Bd. 47, S. 546 ff.
  2. siehe W. Creizenachs Biographie seines Vaters in ADB 1903, Bd. 47, S. 549 ff.
  3. Meyers Conversationslexikon 1888, S, 4.331 und Brockhaus’ Konversationslexikon, 14. Auflage; Leipzig, Berlin, Wien, 1894–1896; Band 4, S. 585
  4. Der Große Brockhaus, 20 Bände; Leipzig 1928–1935; Band 4 (1929), S. 273
  5. siehe Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek
  6. Christoph König: Internationales Germanistenlexikon 1800–1950; Berlin, New York: de Gruyter, 2003; S. 346
  7. Olga Dobijanska-Witeczakowa: Die Geschichte des Lehrstuhls für Germanistik, Anglistik und Skandinavistik in Polen, Westpfälzische Verlagsdruckerei, St. Ingbert 1995, S. 75–98
  8. a b IGL 1800–1950, S. 346
  9. Bernhard Fabian: Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa, Band 6: Eine Übersicht über Sammlungen in ausgewählten Bibliotheken; Hildesheim, New York: Olms, 1997; ISBN 9783487103594; S. 109