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Carltheo Zeitschel

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Carltheo Zeitschel (* 13. März 1893 in Augsburg; † 1945 (in Berlin verschollen) ) war ein Arzt, Nationalsozialist und Diplomat, der in der deutschen Botschaft in Frankreich die Deportation der Juden organisierte

Leben

Als Sohn des Apothekenbesitzers Franz Zeitschel und der Ella van Hees studierte er ab 1911 Medizin an der Universität Freiburg im Breisgau und war während des Ersten Weltkriegss von 1914-1917 als Hilfsarzt im Reservelazarett Freiburg tätig. Nach dem Staatsexamen 1918 und seiner Entlassung aus dem Heeresdienst war er 1919-1920 Mitglied im Freikorps Reinhard[1] Berlin, gleichzeitig Assistenzarzt im Klinikum im Friedrichshain und später Arzt in Sanatorien im Schwarzwald. Seit dem 6. August 1923 war er Mitglied der NSDAP.

Zwischen 1925-1935 war er als Schiffsarzt tätig und zwischenzeitlich 1930-1931 als Leibarzt Wilhelm II. in Doorn. 1933 wurde er Mitglied der Reichsschrifttumskammer

1935-1937 war er Referatsleiter für Kolonialfragen und für den Fernen Osten im Reichspropagandaministerium, seit 1936 Stellenleiter im Kolonialpolitischen Amt der NSDAP.

Im November 1937 kam er, noch vor Hitlers Revirement der Reichsregierung, der Wehrmachtsführung und der Ernennung von Joachim von Ribbentrop zum Reichsaussenminister am 4. Februar 1938, in das Auswärtige Amt, wurde zum Legationsrat ernannt und war Sachbearbeiter in der Kolonialabteilung. Im Juni 1939 war er kurzzeitig deutscher Konsul in Lagos in der britischen Kolonie Nigeria (Federation of Nigeria).

Am 20. April 1939 erfolgte sein Eintritt in die SS als SS-Hauptsturmführer unter gleichzeitiger Ernennung zum SS-Führer beim Stab des SS-Hauptamtes.

Anfang November 1939 war Zeitschel Beauftragter des Auswärtigen Amts beim Gouverneur in Warschau und Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amts zur Evakuierung des Warschauer Diplomatischen Korps. Danach folgte er 1940 als Angehöriger des Sonderkommandos Eberhard von Künsberg den deutschen Truppen nach Brüssel.

Judenreferent in Paris

Seit Juni 1940 war Zeitschel in Paris tätig, zunächst in der Dienststelle des Bevollmächtigten des AA beim Militärbefehlshaber in Frankreich[2] (zusammen mit Rudolf Rahn, der dort seinen Pariser Einsatz als Leiter der Propaganda-, Presse- und Rundfunkarbeit begann). Dann wurde er von Botschafter Otto Abetz in die Deutsche Botschaft geholt, wieder wie in Warschau zur Abwicklung der ausländischen Missionen, und war neben anderen organisatorischen Aufgaben auch weiterhin in den Raub jüdischen Kunstbesitzes eingebunden, der „in den Gewahrsam der deutschen Botschaft“[3] gebracht wurde. Anfang 1941 wurde er als Beauftragter für Judenfragen und Freimaurerangelegenheiten Verbindungsmann zum Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD („BdS“) und wurde parallel zu seiner Karriere im Diplomatischen Dienst zum SS-Sturmbannführer befördert. Als „Judenreferent“ war er einer der Motoren der „Endlösung in Frankreich“, also des Abtransports und der Ermordung der Juden.[4]. Die Mitwirkung des deutschen Botschafters bei den Judenmaßnahmen war sowohl im unbesetzten Frankreich der Vichy-Regierung als auch im besetzten Frankreichs erforderlich. In einem im Eichmann-Prozess vorgelegten Dokument kommt die enge Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Sicherheitsdienst (SD) in Frankreich mit dem BdS Helmut Knochen an der Spitze und Theodor Dannecker als seinem Vertreter in Paris einerseits und der deutschen Botschaft andererseits zum Ausdruck (auch Ernst Achenbach, späterer FDP-Außenpolitiker und fast Deutscher-EWG-Kommissar, nimmt hier teil):

State Attorney Bach: The next document is our No. 442, the description of a meeting in Paris with the participation of Ambassador Abetz, Obersturmfuehrer Dannecker, and Counsellors Achenbach and Zeitschel. The subjects of the discussion were mainly an expose by Herr Dannecker on what had so far been done about the Jewish Question in France, and proposals by the Ambassador concerning important French personalities who might be considered for setting up "the Jewish Office" in France. On that occasion it transpired that an exemplary card index of all the Jews of Paris, in four types of listing, was almost completed, thanks to the preparatory work of the SD headed by Herr Dannecker, who had years of experience in Jewish affairs, starting back in Austria and Czechoslovakia.
Dannecker now quotes statistical figures for the Jews in Paris and France. And it says further: "Herr Dannecker made the most interesting disclosure that, on the basis of the Jewish laws of 4 October in the unoccupied sector, over 40,000 Jews are already in concentration camps and further arrests are taking place all the time."[5]

Im Oktober 1941 macht Zeitschel Druck auf Abetz, so daß dieser sich von Himmler „persönlich“ die Zusage einholt, „daß die im KZ befindlichen Juden nach dem Osten abgeschoben werden können, sobald dies die Transportmittel zulassen“[6], und gibt nun den Druck an Dannecker weiter.

Zeitschel war genug in streng geheime Prozesse eingeweiht und wußte daher auch, daß am 20. Januar 1942 die Wannseekonferenz stattgefunden hatte. Er versuchte nun das Protokoll über deren „Verlauf“ von Unterstaatssekretär Woermann zu erlangen, um dies bei der Deportation der französischen Juden anzuwenden[7].

In den Nürnberger Prozessen wird am 5. Februar 1946 ein Schreiben Zeitschels verlesen:

„Ich unterbreite nun Dokument RF-1220. Es ist ein Brief der Deutschen Botschaft in Paris von Dr. Zeitschel, datiert vom 27. Juni 1942. Ich möchte diesen Brief verlesen; er lautet wie folgt: "Auf Grund der Besprechung mit Hauptsturmführer Dannecker vom 27. 6.1942, in der mir derselbe erklärte, daß er möglichst bald 50000 Juden aus dem unbesetzten Gebiet zwecks Abtransports nach dem Osten brauche, und außerdem erklärte, daß auf Grund der Aufzeichnung des Generalkommissars für die Judenfrage, Darquier de Pellepoix, unbedingt für diesen etwas getan werden müsse, habe ich die Angelegenheit unmittelbar nach der Besprechung Botschafter Abetz und Gesandten Rahn vorgetragen. Herr Gesandter Rahn trifft heute noch im Laufe des Nachmittags mit Präsident Laval zusammen und hat mir zugesagt, daß er mit demselben sofort die Angelegenheit der Überstellung von 50000 Juden besprechen wird und außerdem darauf dringen werde, daß Darquier de Pellepoix im Rahmen der bereits erlassenen Gesetze vollkommene Handlungsfreiheit erhält und die ihm zugesagten Kredite auch sofort ausgehändigt bekommt. Da ich leider 8 Tage von Paris abwesend bin, bitte ich wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit, daß sich Hauptsturmführer Dannecker mit Herrn Gesandten Rahn am Montag, den 29. oder Dienstag, den 30. 6. unmittelbar in Verbindung setzt, um von diesem zu erfahren, wie die Antwort von Laval gelautet hat."“[8]

Judenreferent in Tunis

Fast gleichzeitig trifft Zeitschel mit Rudolf Rahn, der vom 15. November 1942 bis 10. Mai 1943 Vertreter des Auswärtigen Amts beim Deutschen Afrika-Korps war, am 13. November 1942 im Brückenkopf Tunis ein, das er nach der Niederlage Erwin Rommels und der Kapitulation der italienischen und deutschen Divisionen im Mai 1943 wieder verließ. In Tunesien kam das Einsatzkommando des Walter Rauff ab dem 24. November 1942 zum Einsatz. Am 6. Dezember einigte sich Rauff in einer Besprechung mit dem General Walther Nehring und Rahn auf den Einsatz von jüdischen Zwangsarbeitern und errichtete ein System von Arbeitslagern, die von Theo Saevecke organisiert wurden. Zu Massenmorden kam es allerdings wegen der verschiedenen Interessenlagen[9] Vichy-Frankreichs, Italiens und der Führung des Afrika-Korps nicht, zwischen denen der „zbV-Gesandte“[10] Rahn vermitteln mußte,der nach eigener Aussage die Forderungen der SS-Leute zurückwies, weil sonst auch italienische Juden in Tunesien betroffen gewesen wären. [11]. Das war zu diesem Zeitpunkt noch nicht opportun.

Bis Juli 1944 war Zeitschel wieder an der deutschen Botschaft in Paris. Zwischen 1942 und 1944 wurden aus Frankreich 70.000 französische Juden und 130.000 europäische Juden (zum Beispiel die Violinistin Alma Rosé )deportiert. Nach Auflösung der Botschaft in Paris wurde er am 1. August 1944 Führer beim Stab des SS-Oberabschnitts Spree, dessen Leiter war SS-Obergruppenführer August Heißmeyer.

Das weitere Schicksal ist ungeklärt. Ernst Klee schreibt im "Personenlexikon zum Dritten Reich": ...Zeitschel soll 1945 bei einem Bombenangriff in Berlin ums Leben gekommen sein".[12]

In den sehr viel später einsetzenden gerichtlichen Verfolgung der Judendeportationen aus Frankreich wird der Name Zeitschel von den Beschuldigten und deren Entlastungszeugen genannt, um einen Haupttäter verantwortlich zu machen[13].


Vorlage:PND

Quellen

Einzelnachweise

  1. siehe dazu auch Freikorps#Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg (1918–1923). Der Name war auch: Brigade Reinhard. Die Brigade Reinhard hatte 400 Offiziere und 9 200 Soldaten und wurde im Juni 1919 als Reichswehr Brigade 15 in Berlin gebildet. Mitglieder darunter waren u.a. : Wolfgang Zarnack, Wolfram von Hanstein, Ernst Moes, Walter Wenck, Otto Marloh, Konrad Pohle, Hans Lengrießer. Die Auseinandersetzungen mit der Reichsregierung und dem Reichswehrminister Gustav Noske sind noch darzustellen
  2. siehe Schreiben Abetz an den Militärbefehlshaber Paris, bei : Poliakov, S.118
  3. Poliakov, S.123, Ray S. 371
  4. Bernhard Brunner, Der Frankreichkomplex: Die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 2008, S. 42 f.
  5. [1] Eichmann-Prozess bei www.nizkor.org
  6. Poliakov, S.120
  7. Poliakov, S.121 (nach 1945 haben seine Vorsetzten Ribbentrop, Weizsäcker, Woermann und Abetz (Ray, S. 372) die Kenntnis davon abgestritten)
  8. Nürnberger Prozess 5. Februar 1946 bei www.zeno.org. Das Dokument ist auch bei Poliakov, S.122
  9. Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-534-19729-3
  10. Paul Seabury, Die Wilhelmstrasse. Die Geschichte der deutschen Diplomatie 1930–1945, Nest, Frankfurt 1956 (engl.1954), S.247 dnb
  11. Rudolf Rahn, Ruheloses Leben: Aufzeichnungen und Erinnerungen. Diederichs Verlag Düsseldorf, 1949, S. 301. Bemerkenswert für sein Erinnerungsbuch ist, daß Rahn recht sparsam bei der Nennung von Namen ist und so nicht nur die Namen der SS-Leute nicht nennt, sondern auch den Namen Zeitschel nicht erwähnt, der mit ihm in Berlin, Brüssel, Paris und Tunis zusammengearbeitet hat.
  12. Bernhard Brunner, S. 43
  13. Bernhard Brunner, S. 43; Ray, S. 373

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|NAME=Carltheo Zeitschel |ALTERNATIVNAMEN=Carl-Theodor Zeitschel |KURZBESCHREIBUNG=Diplomat und SS-Mann |GEBURTSDATUM=1893 |GEBURTSORT=Augsburg |STERBEDATUM=1945 |STERBEORT=Berlin }}