Geschichte Kretas
Die Geschichte Kretas lässt sich in die vorgeschichtliche und die historische Zeit unterteilen. Die Minoische Kultur (ca. 3000 v. Chr.–ca. 1050 v. Chr.) wird teilweise zur vorgeschichtlichen, teils zur historischen Epoche gerechnet, wobei sich mittlerweile auch in Deutschland immer mehr klassische Archäologen der Minoischen Kultur annehmen, die vorher hauptsächlich von Prähistorikern erforscht wurde. Auch einige Althistoriker befassen sich mit den Minoern, doch da die minoische Schrift (Linear A) noch nicht entziffert ist und zugleich die literarische Überlieferung im Zentrum althistorischen Arbeitens steht, handelt es sich hier um eine eher kleine Gruppe: Die Althistoriker sind gewissermaßen erst ab der mykenischen Zeit auch für Kreta „zuständig“.
Vorgeschichte
Der genaue Zeitpunkt der ersten Besiedlung Kretas ist nicht bekannt. Angebliche paläolithische Funde sind nicht sehr überzeugend, die angeblich mesolithischen Funde aus der Samaria-Schlucht entstanden wohl hauptsächlich durch Begehung. Zu der endemischen Fauna Kretas gehörten Zwergflusspferde, Zwergelefanten, Zwerghirsche (Praemegaceros cretensis), außerdem sehr große Nagetiere und Insektenfresser wie Dachse, Marder und eine landlebende Otterart. Große Fleischfresser fehlten völlig. In neolithischen Siedlungen wurden bisher keine Knochen dieser endemischen Inselfauna gefunden, sie starb vermutlich vor der Ankunft der ersten Siedler aufgrund der postglazialen Klimaveränderung aus, wie dies auch von anderen Mittelmeerinseln (Zypern, Sardinien, Mallorca) bekannt ist. Erste eindeutige archäologische Zeugnisse stammen aus dem frühen Neolithikum (Jungsteinzeit) und werden auf ca. 6000 v. Chr. datiert. Hier sind besonders die akeramischen Schichten von Knossos bedeutsam. In dieser Periode betrieb man Ackerbau. Erst seit ca. 5500 v. Chr. wurde auch Keramik hergestellt.
Minoische Zeit

Die Minoische Zeit beginnt etwa 3000 v. Chr. und steht einerseits in der Tradition der einheimischen neolithischen Vorgängerkultur, wurde andererseits aber auch durch starke Einflüsse und eventuelle friedliche Einwanderungen aus Kleinasien befruchtet. Auch die Metallverarbeitung wurde sehr wahrscheinlich aus Kleinasien übernommen. Diese Einflüsse bewirkten einen kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung, der sich im Entstehen der „Minoischen“ Kultur niederschlug. Die Minoische Kultur endete im 11. Jahrhundert v. Chr., als sich auf Kreta die Mykenische Kultur vom griechischen Festland durchsetzte.
Siehe auch: Minoische Kultur
Griechische und römische Zeit

Nach dem Untergang der minoischen Kultur wurde Kreta von den Achäern beherrscht, ihnen folgten seit dem 11. Jahrhundert v. Chr. weitere Eroberer vom griechischen Festland. Auf der Insel bildeten sich eine Anzahl selbstständiger Poleis heraus. Auf die Geschehnisse des griechischen Festlands nahmen diese keinen Einfluss und umgekehrt versuchten die Hauptmächte des antiken Griechenlands – allen voran Sparta und Athen – niemals, Kreta zu erobern. Gering war das Interesse der griechischen Historiker an den Geschehnissen auf der Insel und es gibt daher eher wenige schriftliche Zeugnisse über die Geschichte Kretas. Über das archaische Zeitalter lässt sich aber mit Sicherheit aussagen: In der Zeit vom 6. bis zum 4. Jahrhundert währte auf der Insel Kreta eine relative Friedensperiode, durch umfassende herrschaftspolitische Maßnahmen (u. a. Gesetze, vgl. das Stadtrecht von Gortys) war oberflächlich ein Ausgleich zwischen den dominierenden aristokratischen Kräften ersichtlich. Erst in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts ging die alte aristokratische Ordnung, die stark an den Machterhalt einiger weniger Familien orientiert war, durch Machtkämpfe zwischen diesen zu Grunde. Die Gesellschaft des archaischen Kretas kann man als recht eigentümlich auffassen. Durch Knabenliebe und Mahlgemeinschaften mit anderer Ausprägung als z. B. in Sparta betrieb der Adel Herrschaftspolitik. Bürger konnte man nur sein, sofern man an den gemeinsamen Mählern, die überwiegend von den wohlhabenden Kretern finanziert wurden, teilnahm. „Regiert“ wurde Kreta durch Kosmen, deren Anzahl pro Stadt differierte. Jenes Amt wurde nach dem Rotationsprinzip an die einflussreichsten Familien vergeben – freilich um Machtkämpfe zu vermeiden. Wohl einen großen Stellenwert im archaischen Kreta hatte die Familie – ihr Schutz und Erhalt wurde von vielerlei Gesetzen (vgl. das Erbschafts-, Schuld- und Familienrecht der "Großen Inschrift" von Gortys) gewährleistet. Das wirtschaftliche Potential der Insel wurde durch fortwährende Kriege zwischen den verschiedenen Poleis geschwächt. Zwischen 267 und 261 v. Chr. intervenierten die ägyptischen Ptolemäer auf Kreta, aber sie konnten die Insel nicht befrieden. 220 folgte eine Intervention Philipps V. von Makedonien, der mit der kretischen Stadt Gortyna verbündet war. Er konnte die Verhältnisse auf Kreta stabilisieren, zog aber die Kreter in seinen Konflikt mit der römischen Republik hinein. In den Makedonischen Kriegen zwischen 214 und 196 war Kreta mit Philipp verbündet, ohne dass sich die Niederlagen des Königs auf die Insel auswirkten. Der römische Sieg führte nur zur erneuten Unabhängigkeit der kretischen Städte und die alten Rivalitäten zwischen Knossos, Cydonia und Gortyna flammten unverzüglich wieder auf. Der römische Senat schickte mehrfach (184, 180 und 174 v. Chr.) Gesandte als Vermittler, ohne dass diese etwas bewirkten. Die Instabilität Kretas bot den besten Nährboden für Piraten, die auf der Insel leicht Unterschlupf fanden und mit dieser oder jener Stadt paktierten. Die Rhodier, als wichtigste griechische Handelsmacht jener Zeit, versuchten die Situation zu ordnen und unternahmen 154 v. Chr. einen Kriegszug nach Kreta. Sie wurden jedoch vernichtend geschlagen. Nur eine römische Intervention verhinderte die totale Niederlage.
Im ersten Jahrhundert v. Chr. begannen die Römer ernsthafter gegen die Piraten in der Ägäis vorzugehen. 74 v. Chr. ordnete der Senat deshalb die Eroberung Kretas an. Der erste Versuch unter dem Befehl des Marcus Antonius war schlecht vorbereitet und es standen zu wenig Schiffe und Truppen zur Verfügung. Antonius erlitt eine herbe Niederlage und viele Römer gerieten in Gefangenschaft. Unterdessen verhinderte der Krieg gegen Mithridates von Pontus und der Aufstand des Spartacus für einige Jahre einen neuen römischen Eroberungsversuch.
69 v. Chr. wurde der Konsul Quintus Caecilius Metellus vom Senat mit der Eroberung Kretas beauftragt. Mit Erfolg nahm er eine kretische Stadt nach der anderen ein, während Pompeius die Piraten zur See bekämpfte. Die geschlagenen Kreter wollten sich nur Pompeius unterwerfen und dieser nahm diese Unterwerfung an, obwohl Quintus Caecilius Metellus der eigentliche Eroberer war. Nicht nur dieser selbst sondern die ganze gens der Meteller haben das Pompeius sehr verübelt. 63 v. Chr. kehrte Metellus jedoch nach Kreta zurück und machte die Insel endgültig zur römischen Provinz. In Rom feierte er einen Triumph und nahm das Cognomen Creticus an.
Einmal befriedet fanden sich die Kreter ohne Widerstand mit der römischen Herrschaft ab. Die Insel war eine der ruhigsten Provinzen des ganzen Imperiums. Unter Kaiser Augustus wurde sie mit Gebieten in Libyen zur Provinz Creta et Cyrenaica vereinigt. Kaiser Diocletian trennte beide Gebiete 298 n. Chr. und bildete eine eigene Provinz Kreta. Im 3. und 4. Jahrhundert verbreitete sich das Christentum auf der Insel. In den Zeiten der Völkerwanderung blieb Kreta von Eroberungsversuchen germanischer und slawischer Völkerschaften verschont.
Mittelalter und Neuzeit
Siehe: Venezianische Kolonien#Candia (Kreta)

(Chronik des Johannes Skylitzes)
Sarazenen aus Spanien eroberten Kreta ab 826, verloren die Insel 961 aber wieder an das Byzantinische Reich, dessen Feldherr und späterer Kaiser Nikephoros Phokas die Insel zurückeroberte. Nach dem Vierten Kreuzzug erwarb die Republik Venedig 1204 Kreta für den günstigen Preis von 10.000 Silbermark. Die Insel wurde zur wichtigsten venezianischen Kolonie. In sechs Provinzen, deren Namen den Stadtsechsteln der Mutterstadt entsprachen, siedelten rund 4000 Venezianer auf die Insel über und nahmen Feudalgüter in Besitz. Doch die Kreter wehrten sich in etwa zehn Aufständen, die das ganze 13. Jahrhundert durchzogen – letztlich ohne Erfolg. Zugleich unternahmen Genua und Byzanz (bzw. Nikaia) mehrere Versuche, die Insel zurückzuerobern. Die Einwohnerzahl wuchs von rund 50.000 auf 200.000 an. Die Hauptstadt Candia wurde zu einem der wichtigsten Handelsrelais im östlichen Mittelmeer. 1363–1366 rebellierten die venezianischen Siedler selbst gegen die harte Handelspolitik der Mutterstadt – ebenso erfolglos wie zuvor ihre griechischen Mitbürger.
Nach dem Fall Konstantinopels im Jahr 1453 flohen viele Festlandsgriechen nach Kreta, die Insel war jetzt das größte griechische Siedlungsgebiet außerhalb des Osmanischen Reiches. Die kulturelle Tradition von Byzanz wurde gespeist von italienischen Einflüssen noch 200 Jahre bruchlos fortgeführt. Man spricht von der Byzantinischen Renaissance. Eine der bekanntesten Persönlichkeiten dieser Periode war der Maler Domínikos Theotokópoulos, der in Spanien als El Greco (der Grieche) berühmt wurde, jedoch auf Kreta als Ikonenmaler begonnen hatte.
Von 1645 bis 1669 eroberte das Osmanische Reich im 6. Venezianischen Türkenkrieg als eine der letzten venezianischen Bastionen auch Kreta. Zuletzt fiel Candia nach mehr als zwanzigjähriger Belagerung.
Unter der Herrschaft der Osmanen konvertierten viele Kreter zum Islam, manche auch nur auf dem Papier. In den Städten bildeten Moslems bald 70 % der Bevölkerung und die Christen waren in der Minderheit. Auf dem Land waren hingegen nur ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung Moslems.[1] Der Widerstand gegen die Türkenherrschaft wurde jedoch immer stärker; die Widerständler zogen sich in unwegsame Gebiete wie die Sfakia zurück. Der erste kretische Aufstand gegen die türkischen Besatzer unter Daskalogiannis im Jahre 1770 ging von dort aus, wurde jedoch blutig niedergeschlagen.
Nach dem Ausbruch der griechischen Freiheitskämpfe auf dem Festland 1821 erhoben sich die Kreter erneut, wurden jedoch 1824 von ägyptischen Truppen geschlagen. Weitere Aufstände wie die Einnahme der Festungsinsel Gramvousa (1825 - 1828) und die Tragödie von Arkadi 1866 zeigten den entschlossenen Freiheitswillen der Kreter. 1866 wurden sie durch das italienisch-bulgarische Garibaldi-Bataillon unterstützt. Im Jahr 1896 rebellierte die griechisch-orthodoxe Bevölkerung wieder gegen die osmanische Herrschaft. Ein Eingreifen Griechenlands führte zum Türkisch-Griechischen Krieg, der 1897 mit einer Niederlage Griechenlands endete. Im Friedensvertrag vom 4. Dezember 1897 erhielt Kreta aber auf Druck der europäischen Großmächte den Status eines internationalen Protektorats.
Kreta im 20. Jahrhundert


Seit 1898 war Kreta de facto ein unabhängiger Staat und nurmehr unter nomineller Oberhoheit des Sultans. 1913 wurde die Insel in Folge des Ersten Balkankriegs mit Griechenland vereinigt. Erst nach dem griechisch-türkischen Krieg (1919-1922) und dem Vertrag von Lausanne wurde die muslimische Bevölkerung Kretas zwangsumgesiedelt [2].
Während des Zweiten Weltkrieges standen 1941 griechische, britische und neuseeländische Truppen auf Kreta. Sie sollten die Insel gegen die Deutschen und Italiener halten, um die britische Schifffahrt im Mittelmeer zu sichern. Das gelang nicht, ab dem 20. Mai 1941 war Kreta Schauplatz des ersten großangelegten Luftlandeangriffs im Zweiten Weltkrieg, mit dem Ergebnis, dass die Deutschen die Insel eroberten. Der anschließende Partisanenkampf, dem sich große Bevölkerungsteile anschlossen, führte zu eskalierenden Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. Einige Beispiele: Auf Befehl von Generaloberst Kurt Student wurden am 2. Juni 1941 die meisten männlichen Bewohner des Ortes Kondomari erschossen und Stadt Kandanos zerstört. In der Gemeinde Viannos wurden am 14. September 1943 500 Bewohner, zumeist Frauen und Kinder erschossen. Am 20. Mai 1944 umstellten Einheiten unter dem Befehl des deutschen Kommandanten der „Festung Kreta“ General Bruno Bräuer das jüdische Viertel (278 Mitglieder) der Stadt Chania. Flüchtende Einwohner wurden erschossen, alle anderen wurden per Schiff zunächst nach Heraklion gebracht und zwei Wochen später nach Griechenland deportiert. Der ehemals griechische Frachter Tanais (Danae), der die überlebenden Mitglieder der jüdischen Gemeinde zusammen mit Hunderten griechischer Geiseln und einigen italienischen Kriegsgefangenen nach Athen bringen sollte, sank auf der Überfahrt. Das Schiff wurde am 9. Juni 1944 von dem britischen U-Boot Vivid torpediert.[3] [4] Nur vier der jüdischen Einwohner Chanias sollen überlebt haben.[5]
Bis zum Herbst 1944 blieb die gesamte Insel unter deutscher Besatzung. Die letzten Soldaten des deutschen Küstenjägerregiments wurden erst einen Monat nach Kriegsende von den Alliierten in Chania entwaffnet.
Während der Besetzung kamen etwa 8.000 Kreter bei Kämpfen oder bei Massakern zu Tode. Bruno Bräuer wurde nach Kriegsende an Griechenland überstellt und zum Tode verurteilt. Mit dem ebenfalls wegen Kriegsverbrechen auf Kreta verurteilten General Friedrich-Wilhelm Müller wurde er am 20. Mai 1947 um 5 Uhr hingerichtet.
Als bemerkenswert gilt ferner auch die Entführung des deutschen Generals Heinrich Kreipe am 26. April 1944 von Kreta nach Ägypten durch den britischen Special Operations Executive in Zusammenarbeit mit Kretern.
Einzelnachweise
- ↑ Lambert Schneider: Kreta. 5000 Jahre Kunst und Kultur. Minoische Paläste, byzantinische Kapellen und venezianische Stadtanlagen. DuMont, Köln 1998, ISBN 3-7701-3801-5, S. 74f.
- ↑ Auswahlkriterium bei dieser Vertreibung war primär die Religionszugehörigkeit, nicht die ethnische Zugehörigkeit, d.h. auch griechischstämmige muslimische Familien wurden ausgewiesen (Pandelis Prevelakis Die Chronik einer Stadt).
- ↑ K. E. Fleming, Greece. A Jewish History. Princeton University Press, Princeton 2007, S. 110, ISBN 0-691-10272-4.
- ↑ Jürgen Rohwer (u. a.), Allied Submarine Attacks of World War Two. Greenhill Books, London 1997, S. 216, ISBN 3-7637-5975-1.
- ↑ Zur älteren Geschichte der jüdischen Gemeinden auf Kreta: Joshua Starr: Jewish Life in Crete Under the Rule of Venice, Proceedings of the American Academy for Jewish Research 12 (1942) 59-114.
Literatur
- Angelos Chaniotis: Das antike Kreta. C.H.Beck, München 2004, ISBN 3-406-50850-2.
- Adonis Vassilakis: La Crète minoenne. 2000, ISBN 960-500-344-9.
- Theocharis E. Detorakis: Geschichte von Kreta. Heraklion 1997.
- Paul Faure: Kreta. Das Leben im Reich des Minos. Stuttgart 1976.
- Klaus Gallas, Klaus Wessel, Manolis Borboudakis: Byzantinisches Kreta. Hirmer, München 1983.
- Klaus Gallas: Kreta. Von den Anfängen Europas bis zur kreto-venezianischen Kunst. DuMont, Köln, 8. Aufl. 1995.
- Stefan Link: Das griechische Kreta. Stuttgart 1994.
- Xylander, Marlen von: Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941-1945, Rombach Freiburg 1989, 153 S. ISBN 3-7930-0192-X
Weblinks
- Κρητική Πολιτεία – Geschichte des Staates Kreta (1898–1913) (griechisch)
- kreta-wiki.de – Wiki zur Dokumentation der Deutschen Besetzung Kretas im Zweiten Weltkrieg
- Film ueber den Widerstand auf Kreta 1941–1945