Richard von Kühlmann

Richard von Kühlmann (* 3. Mai 1873 in Konstantinopel; † 6. oder 16. Februar 1948 in Ohlstadt, Oberbayern) war ein deutscher Diplomat und Industrieller. Bekannt wurde er vor allem als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes des Kaiserreichs während des Ersten Weltkrieges (August 1917 bis Juli 1918) sowie als Verhandlungsführer der deutschen Delegation bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, die den Krieg zwischen Deutschland und Sowjetrussland im März 1918 beendeten.
Leben
Richard von Kühlmann entstammte einer westfälischen Industriellenfamilie. Sein Vater Otto von Kühlmann (1834–1915) war Advokat, Eisenbahn-Generaldirektor der Anatolischen Eisenbahn und Politiker. Seine Mutter war Anna Freiin von Redwitz-Schmölz (1852–1924). Den Adelsstand der Familie hatte der Vater begründet, als er am 15. Juni 1892 in den erblichen Adelsstand erhoben wurde.[1] Richard von Kühlmann studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Leipzig, Berlin und München.
Diplomatische Laufbahn (1899-1914)
Nach der Promotion zum Dr. jur. im Jahr 1896 trat Kühlmann 1899 in den diplomatischen Dienst ein. Er wurde zunächst als Legationssekretär an der deutschen Botschaft in Sankt Petersburg verwendet und kam später an die deutschen Gesandtschaft in Teheran, wo er bereits frühzeitig die damals erfolgende allmähliche Annäherung Großbritanniens an Russland erkannte.
Zur Zeit der Ersten Marokkokrise 1905 war Kühlmann an der dortigen Gesandtschaft in Tanger beschäftigt. Öffentliches Aufsehen erregte er als Begleiter von Kaiser Wilhelm II. während seinem Landgang in Tanger der von den Franzosen - die Marokko als ihr Einflussgebiet ansahen - als Provokation aufgefasst wurde und sich zu einer internationalen Affäre ausweitete.
Kühlmann heiratete in erster Ehe am 25. Januar 1906 Margarete von Stumm (1884−1917). Aus dieser Ehe ging unter anderem der spätere Politiker Knut von Kühlmann, Freiherr von Stumm-Ramholz (1916–1977) hervor.[2]
1908 wurde Kühlmann als Botschaftsrat an die deutsche Botschaft in London versetzt, wo er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 tätig blieb. Ähnlich den Botschaftern von Metternich und von Lichnowsky plädierte er zu dieser Zeit für einen deutsch-englischen Ausgleich. Dieser sollte nach Kühlmanns Auffassung ohne das Druckmittel der Flotte herbeigeführt werden.[3] Ende 1913 verhandelte Kühlmann im Auftrag der Reichsregierung mit Vertretern des britischen Außen- und Kolonialministeriums über eine zukünftige Aufteilung der portugiesischen und belgischen Kolonien in Afrika. Das von ihm ausgehandelte Abkommen fand die Zustimmung der Berliner Regierung und wurde im Oktober 1913 vom Staatssekretär des Reichskolonialamtes Wilhelm Solf unterzeichnet. Inhaltlich verständigten die beiden Vertragsparteien sich darauf, dass Deutschland in Zukunft Anspruch auf Angola, außer dem Grenzgebiet zu Nordrhodesien, sowie auf Sao Tomé und Principe haben sollte, während England das südliche Mosambik erhalten sollte.[4]
Tätigkeit im Ersten Weltkrieg (1914-1918)

Die Fotografie wurde während den Verhandlungen zum Friedensvertrag von Brest-Litowsk geschossen.
Nach kurzen Verwendungen in Schweden und den Niederlanden wurde Kühlmann von 1916 bis 1917 als Botschafter in Konstantinopel eingesetzt. Von 5. August 1917 bis 9. Juli 1918 amtierte er als Staatssekretär im Auswärtigen Amt (entspricht im heutigen Sprachgebrauch dem Außenminister) und verhandelte für die zivile Reichsleitung den Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit Russland. Dabei trat er gegenüber der Dritten Obersten Heeresleitung (OHL) mäßigend auf, ohne den gewünschten Erfolg zu erzielen.
Kühlmann lehnte Ludendorffs Forderung, entgegen dem Brester Vertrag, nach staatlicher Anerkennung Livlands, Estlands und Georgiens und die Verschiebung der Ostgrenze ab, konnte sich mit seinem Argument, die Großmacht Russland würde immer ein Expansionsbedürfnis nach den Ostseeprovinzen entwickeln, aber nicht durchsetzen.[5]
In diesem Sinne äußerte er am 9. März 1918 gegenüber Kanzler Hertling:
„Eine vollkommene Abschnürung Russlands von der Ostsee, und die dauernde Bedrohung seiner Hauptstadt aus nächster Nähe sind ein Zustand, der mit absoluter Sicherheit einen dauernden deutsch-russischen Gegensatz schaffen und zu einem zukünftigen Krieg führen muss.[6]“
Die ehrgeizigen Expansionspläne der deutschen Generalität im Osten sah Kühlmann mit Skepsis: Je schlechter es ihnen im Westen geht, um so toller treiben sie es im Osten.[7]
Die Ausführung des Brest-Litowsker Vertrages war durch erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Kühlmann auf der einen Seite und der OHL, und dort insbesondere Erich Ludendorff, auf der anderen Seite, geprägt. Kühlmanns „Ostkonzeption“ lautete, kein Engagement im Osten, sondern möglichst Konzentration aller Kräfte im Westen, mit Rücksicht auf die Beziehungen mit Österreich-Ungarn, die öffentliche Meinung in Deutschland und die entscheidende Westoffensive. Dieser Auffassung verpflichtet wehrte er sich im Februar gegen die von Ludendorff angesetzte Wiederaufnahme der Feindseligkeiten mit Russland. Da Russland für Kühlmann keine militärische Bedrohung darstellte, wandte es sich gegen die Idee der OHL und Kaiser Wilhelms, den Bolschewismus, durch einen Marsch auf Sankt Petersburg, zu beseitigen. Sein Hauptargument war dabei, dass es gerade dem Bolschewismus zu verdanken sei, das Russland sich in einem für Deutschland günstigen Zustand der Schwäche und militärischer Ohnmacht befände. Außerdem, so Kühlmann, gewährleiste die Herrschaft der Bolschewiki, neben der inneren Zersplitterung, auch die weitere Bündnisunfähigkeit Russlands. Diese Einschätzung führte Kühlmann zu dem Urteil, dass die Westmächte ein um das Potential Russlands verstärktes Deutschland niemals hinnehmen könnte, sondern im Gegenteil durch eine deutsche Politik der Expansion und Annexion im Osten dazu veranlasst würde, den Krieg „à outrance“ weiterzuführen.[8] Dass sich schließlich die Wilhelmstraße in ihrer Ablehnung einer Intervention ins revolutionäre Russland gegen die OHL durchsetzen konnte, lag jedoch weniger daran, dass man sich von Kühlmanns Argumenten überzeugen ließ als viel mehr daran, dass man aufgrund der Kämpfte an der Westfront keine Truppen mehr für eine solche Aktion zur Verfügung hatte.[9]
Im Sommer 1918 versuchte Kühlmann, Befürworter eines Ausgleichsfriedens, geheime Verhandlungen mit Sir William Tyrrell in den Niederlanden in die Wege zu leiten um den in seinen Augen nicht mehr gewinnbaren Krieg ein erträgliches Ende zu machen. Kaiser Wilhelm II., der dem Ansatz zunächst mit Wohlwollen begegnet war, verwarf diesen jedoch schließlich unter dem Druck der Obersten Heeresleitung. Nach einer Rede im Reichstag im Juni 1918, in der Kühlmann vorsichtig an einem ausschließlichen militärischen Sieg zweifelte und einen Ausgleich mit Großbritannien auf dem Verhandlungswege andeutete, erzwang die Oberste Heeresleitung seinen Rücktritt.
Nach dem Weltkrieg
Nach dem Ersten Weltkrieg zog sich Kühlmann aus dem diplomatischen Dienst zurück, schrieb Bücher und war Gutsverwalter in Ohlstadt. Darüber hinaus gehörte er, als Eigentümervertreter für die Familie Stumm, mehreren Aufsichtsräten in der Stahlindustrie an. In zweiter Ehe heiratete Kühlmann am 4. März 1920 Marie-Anne von Friedlaender-Fuld (1892−1973), die Tochter des Großindustriellen Fritz Friedlaender (1858–1917) und der Milly Fuld, Briefpartnerin des Dichters Rainer Maria Rilke (1875–1926). Diese Ehe wurde am 13. April 1923 in München geschieden.[10] 1928 übernahm Kühlmann den Vorsitz über den Deutschen Kulturbund.[11]
Wolfgang Schadewaldt portraitierte ihn folgendermaßen:
„Richard von Kühlmann war stets ein geistig aufgeschlossener Kopf, vielseitig interessiert, ein gediegener Literaturkenner und gescheiter Kunstfreund [...] Seine gesellschaftliche Gewandtheit, seine Unterhaltungsgabe traten nicht nur im Verkehr mit diplomatischen und höfischen Kreisen in den Vordergrund, sondern sie haben ihm auch sonst stets Sympathie und Freundschaft erworben. Die politische Gesprächsführung war die stärkste Seite seines Wesens: er sucht die offene Aussprache [...] Es fehlte ihm die große politische Leidenschaft, die sich um jeden Preis durchzusetzen strebt und damit zum Ziele kommt. Er sieht das Notwendige, sucht es durchzusetzen, über den Willen der entscheidenden Faktoren hinweg, aber er tritt zur Seite, wenn sie ihm nicht folgen. Er fühlt sich nicht als Kämpfer [...][12]“
Einzelnachweise
- ↑ Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser, Teil B 1933, Verlag Justus Perthes, Gotha 1933.
- ↑ Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser, Teil B 1933, Verlag Justus Perthes, Gotha 1933.
- ↑ Gregor Schöllgen: Imperialismus und Gleichgewicht. Deutschland, England und die orientalische Frage 1871–1914, Verlag Oldenbourg, München 2000, ISBN 3-486-52003-2, S. 181f. und 333.
- ↑ Fritz Fischer: Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 1914. Düsseldorf 1969, S. 448ff.
- ↑ Winfried Baumgart: Deutsche Ostpolitik 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Wien/München 1966, S. 279 und Hans-Erich Volkmann: Die deutsche Baltikumpolitik zwischen Brest-Litovsk und Compiègne. Ein Beitrag zur „Kriegszieldiskussion“, Verlag Böhlau, Köln/Wien 1970, S. 17.
- ↑ Winfried Baumgart:Deutsche Ostpolitik 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Wien/München 1966. S. 64.
- ↑ Hans-Erich Volkmann: Die deutsche Baltikumpolitik zwischen Brest-Litovsk und Compiègne. Ein Beitrag zur „Kriegszieldiskussion“. Verlag Böhlau, Köln/Wien 1970, S. 297.
- ↑ Winfried Baumgart: Deutsche Ostpolitik 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Wien/München 1966. S. 370-375.
- ↑ Fritz Klein/ Willibald Gutsche/ Joachim Petzold (Hrsg.): Deutschland im ersten Weltkrieg. Band 3: November 1917 bis November 1918. Berlin/DDR 1970, S. 383f.
- ↑ Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser, Teil B 1933, Verlag Justus Perthes, Gotha 1933.
- ↑ Guido Müller: Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund. Verlag Oldenbourg, München 2005, ISBN 978-3-486-57736-5, S. 451.
- ↑ Stefan Meineke: Friedrich Meinecke. Persönlichkeit und politisches Denken bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Verlag de Gruyter, Berlin 1995, ISBN 3-11-013979-0, S. 212.
Werke (Auswahl)
- Deutsche Weltpolitik und kein Krieg! von * * *. Verlag Puttkammer & Mühlbrecht, Berlin 1913
- Die Diplomaten. Verlag Reimar Hobbing, Berlin 1939
- Erinnerungen. Verlag Lambert Schneider, Heidelberg 1948
Literatur
- Neue Deutsche Biographie, Band 13, Berlin 1982, S. 189f.
Weblinks
- Verhandlungen von Brest-Litowsk
- Vorlage:PND
- Literaturliste im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin
Personendaten | |
---|---|
NAME | Kühlmann, Richard von |
ALTERNATIVNAMEN | Kühlmann, Richard |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Diplomat und Politiker |
GEBURTSDATUM | 3. Mai 1873 |
GEBURTSORT | Konstantinopel |
STERBEDATUM | 16. Februar 1948 |
STERBEORT | Ohlstadt |