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Jean-Jacques Rousseau

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Jean-Jacques Rousseau (* 28. Juni 1712 in Genf, † 2. Juli 1778 in Ermenonville bei Paris) war ein französischer Schriftsteller.

Rousseau

Der als Person ein Leben lang schwierige und als Literat schwer klassifizierbare Rousseau zählt zu den einflussreichsten europäischen Autoren überhaupt.


Kindheit und Jugend

Rousseau wurde in Genf als Sohn eines protestantischen Uhrmachers französischer Herkunft geboren. Seine Mutter starb bald nach seiner Geburt und auch sein Vater verschwand aus seinem Leben, als er 10 war, so dass er eine unstete Kindheit und Jugend hatte und ziemlich herumgeschubst wurde.

Mit 12 wurde er Lehrling bei einem Gerichtsschreiber, später bei einem Gravierer, der ihn wegen seiner Bockigkeit schlug. Als er 1728 bei der abendlichen Rückkehr von einem Sonntagsspaziergang die Genfer Stadttore verschlossen fand, ging er kurzentschlossen auf Wanderschaft und geriet über einen Priester an die fromme Mme de Warens in Annecy (Savoyen), die gerade zum Katholizismus konvertiert war. Diese nahm ihn auf und schickte ihn bald weiter nach Turin in das Hospice des catéchumènes (ein Internat zur religiösen Umerziehung), wo er sich bekehren und katholisch taufen ließ, was er später aber widerrief.

Zurück in Annecy, besuchte er auf Wunsch von Mme de Warens das dortige Priesterseminar, brach dieses jedoch bald ab, weil er es vorzog, Musiker zu werden. Bei dem Kapellmeister, der ihn sein Handwerk lehren sollte, hielt er es aber auch nicht aus. Nach zwei, drei Jahren unsteter Wanderschaft (unter anderem marschierte er zu Fuß nach Paris – und von dort enttäuscht wieder zurück) kroch er 1731 wieder bei Mme de Warens unter, die ihn nun wie einen Ziehsohn aufnahm. Bei „maman“ las er, musizierte und begann zu schreiben. Auch wurde er – etwas widerstrebend – von ihr in die Anfangsgründe der Liebe eingeführt. Nach acht glücklichen und für seine Bildung sehr fruchtbaren Jahren erhielt er jedoch einen Rivalen in Gestalt des neuen Sekretärs von Mme de Warens.

Mühsame Anfänge und erster Ruhm

Rousseau verließ sie, war einige Zeit Hauslehrer in Lyon und ging dann (1742) nach Paris, um ein von ihm entwickeltes Notensystem von der Académie des Sciences patentieren zu lassen. Als das misslang, begleitete er 1743 als Privatsekretär den französischen Botschafter nach Venedig, hielt es aber wieder einmal nicht aus und kehrte 1744 zurück nach Paris.

Hier fand er nun Anschluss an andere junge Intellektuelle, insbesondere Denis Diderot, der ihn 1746 mit der Abfassung musikologischer Artikel für die Encyclopédie betraute, und Melchior Grimm, den Herausgeber der für europäische Fürstenhöfe bestimmten Correspondance littéraire. Über Diderot und Grimm erhielt er Zutritt zu einigen Salons, blieb dort meist jedoch frustrierter Zaungast, da er nicht brillant parlieren konnte.

1745 liierte er sich mit der Dienstmagd Thérèse Levasseur. Da er kaum Geld verdiente, musste sie arbeiten und gab deshalb ihre fünf gemeinsamen Kinder nach der Geburt bei den Findelkindern (Enfants trouvés) ab, wo sie vermutlich, wie die meisten so entsorgten Säuglinge, nicht überlebten.

1749 besuchte Rousseau den in der Festung Vincennes inhaftierten Diderot und las unterwegs im Mercure de France die Preisfrage der Académie von Dijon: „Le Rétablissement des sciences et des arts a-t-il contribué à épurer les mœurs?“ (Hat die Renaissance der Wissenschaften und Künste dazu beigetragen, die Sitten zu reinigen?) Er hatte die provokante Idee, die Frage zu verneinen, und schrieb seinen Discours sur les Sciences et les Arts (Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste, 1750), worin er die nach Luxus strebende zeitgenössische europäische Gesellschaft in die sittliche Dekadenz abgleiten sieht.

Der Discours lief den optimistischen Vorstellungen der meisten Intellektuellen der Zeit zwar völlig entgegen, fiel aber trotzdem auf erstaunlich fruchtbaren Boden. Rousseau erhielt den ersten Preis und wurde über Nacht berühmt. 1752 wurden mit Erfolg seine Oper Le Devin de village (der Dorfwahrsager) und seine Komödie Narcisse aufgeführt. Er hätte sich nun etablieren können und sollte sogar am Hof eingeführt werden, doch lehnte er das ab und mutierte zum Natur-Apostel.

1754 reiste er nach Genf, nahm dort die Staatsbürgerschaft wieder an und schwor dem Katholizismus ab. 1755 machte er sich bei der Staatsgewalt und allen Etablierten verdächtig mit seinem Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes (Abhandlung über Ursprünge und Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen), der die Antwort war auf eine weitere Preisfrage der Académie von Dijon: „Quelle est l'origine de l'inégalité parmi les hommes, et est-elle autorisée par la loi naturelle?“ (Was ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, und wird sie vom Naturrecht erlaubt?) Rousseau, der kleinbürgerliche Habenichts, erklärt hierin die soziale Ungleichheit aus der Herausbildung der Arbeitsteilung und der dadurch ermöglichten Aneignung der Erträge der Arbeit Vieler durch einige Wenige, die anschließend auch die Herrschaft okkupieren und autoritäre Staatswesen organisieren, um ihren Besitzstand zu schützen. Rousseau wurde mit dieser wahrhaft revolutionären Schrift einer der Väter des europäischen Sozialismus.

Höhepunkt des Erfolgs und Absturz

Rousseaus Grab in Paris

1756-62 lebte er in Montmorency bei Paris, als Gast zuerst der vielseitig interessierten, selbst schriftstellernden Mme d'Épinay, dann des hochadeligen Duc de Luxembourg. In dieser Zeit schrieb er – teilweise nebeneinander – seine erfolgreichsten und langfristig wirksamsten Werke: den empfindsamen Briefroman La Nouvelle Héloïse (Die neue Heloise, 1761), der die letztlich unmögliche Liebe des bürgerlichen Intellektuellen Saint-Preux zu der adeligen Julie d'Étanges darstellt; den Bildungsroman Émile (1762), der das Ideal einer "natürlichen" kindgemäßen Erziehung entwickelt; den staatsphilosophischen Traktat Le Contrat social (=der Gesellschaftsvertrag, 1762), der die Rechte der Individuen gegenüber dem Staat, aber auch dessen Ansprüche gegenüber den Individuen zu definieren und zu begründen versucht und den heute so wichtigen Begriff der Volkssouveränität kreiert, auf dem die Legitimität von Volksentscheiden und allgemeinen Wahlen gründet.

Während La Nouvelle Héloïse sofort ein großer Erfolg war und eine ganze Welle von Briefromanen in ganz Europa auslöste (darunter z.B. Goethes Werther), wurden der Contrat social und der Émile nach ihrem Erscheinen verboten. Vor allem entfesselte die im letzteren als Einschub enthaltene deistische Profession de foi d'un vicaire savoyard (=Glaubensbekenntnis eines savoyischen Vikars) einen Sturm der Entrüstung bei allen orthodoxen Christen. Rousseau entging nur durch Flucht der Verhaftung.

Von 1762-1770 führte er ein Wanderleben, denn spätestens 1758 hatte er auch seine Freunde im Kreis um Diderot, Grimm und Mme d'Épinay sowie andere "philosophes" verärgert mit der Lettre à d'Alembert sur les spectacles (=Brief an d'Alembert über das Theater), worin er ein Lieblingskind der Aufklärung, das Theater, als potentiell unsittlich und als unnütz angeprangert hatte. Er verbrachte einige Zeit in Môtiers in der Schweiz, bis er sich dort vergrault fühlte; dann war er einige Monate in London als Gast des Philosophen David Hume, mit dem er sich zerstritt.

Nach und nach wurde seine tatsächliche Verfolgung und Verunglimpfung verschlimmert durch einen Verfolgungswahn. Dieser speiste einen Rechtfertigungszwang, aus dem heraus Rousseau eine Reihe autobiographischer Werke verfasste, darunter die auch die Intimsphäre nicht schonenden Confessions (=Geständnisse, 1765-1770, erst postum publiziert), die praktisch eine neue Untergattung der Autobiografie kreierten; oder die in lyrischer Prosa gehaltenen Rêveries d'un promeneur solitaire (=Träumereien eines einsamen Spaziergängers, 1776-1778), die auf ebenfalls neue Art Gegenwartsmomente zum Ausgangspunkt von Rückblicken in die eigene Vergangenheit machen.

Ab 1770 lebte Rousseau wieder, zurückgezogen und von den Behörden stillschweigend geduldet, in Paris. 1778 nahm er die Gastfreundschaft des Marquis de Girardin auf Schloss Ermenonville an, wo er kurz danach starb und auf der „Île des peupliers“ (=Insel der Pappeln) im Park begraben wurde. 1794 wurden seine Gebeine triumphal ins Pariser Panthéon überführt.

Die literarische Nachwirkung Rousseaus in ganz Europa wie auch sein Einfluss auf die Pädagogik und auf die politische Theorie der Revolutionszeit und des 19. Jahrhunderts sind kaum zu überschätzen.

Denken

Rousseau macht die Gesellschaft dafür verantwortlich, dass der Menschheit die natürlichen Stärken verloren gingen. Die Gesellschaft dient dem einzigen Zweck, Eigentum und Macht der Besitzenden zu sichern. Das Eigentum führt jedoch zu Ungleichheit und Unfreiheit. Er fordert, dass den Menschen die „Ungewissheit, die Unschuld und die Armut“ zurückgegeben werden solle, damit sie von den Übeln des wissenschaftlichen Fortschritts erlöst sei. In seinen Werken setzt er sich mit dem Problem auseinander, wie eine Erziehung ohne negative Beeinflussung durch die Gesellschaft möglich sein könnte (siehe sein Werk: Emile oder Über die Erziehung.) Damit beeinflusste er u.a. Leo Tolstoi und dessen Bauernschule von Jasnaja Poljana.

Anders als die Masse der Aufklärer fordert Rousseau nicht, den Verstand zu gebrauchen. Vielmehr will er den Menschen dazu bringen, auf sein Gefühl zu vertrauen. Da für ihn jeder Mensch ein natürliches Kontrollorgan (Gewissen) besitzt, haben Entscheidungen, die er unbeeinflusst trifft stets gute Absichten. Die Übel, die man in der Welt findet, sind auf Handlungen zurückzuführen, die von der Gesellschaft beeinflusst wurden.

Der Mensch ist ergo durch die Vergesellschaftung ein Gefangener geworden. Aus diesem Grund forderte Rousseau die Volkssouveränität, da „der Gehorsam gegenüber dem Gesetz, das man sich selbst vorschreibt, Freiheit sei“.

Demokratietheorie

Ausgangspunkt von Rousseaus Demokratietheorie ist das Bestehen eines gemeinsamen Willens des Volkes (volonté générale), der zugunsten des allgemeinen Wohls ausgerichtet ist und sich von dem gesamten Willen des Volkes (volonté de tous) insofern abhebt, als keine Sonderinteressen Einzelner (volonté particulière) vorhanden seien. Das Gemeinwohl kann nur durch vernunftgetragene Diskussionen herausgebildet werden und ihm entsprechend wird regiert.

Zu seiner Zeit galt Rousseau mit seinen Auffassungen und Forderungen als revolutionär, seine Theorien wurden oft kritisiert, aber später auch aufgegriffen und neu interpretiert. Er wandte sich strikt gegen die aufkommende repräsentative Demokratie aber auch gegen Montesquieus Gewaltenteilung oder John Lockes und Adam Smiths ökonomische Lösungsstrategie. Stattdessen stellte er sich die Demokratie als freie Vereinbarung und Selbstverwaltung mit starkem basisdemokratischem Fundament vor.

Er lehnte somit den Souveränitätstransfer z.B. an ein gewähltes Parlament kategorisch ab. Und dies mit guten Grund. Denn Rousseau war gewiss alles andere als ein Phantast. Seine Beobachtung der Dinge, wie sie sich im Paris des 18. Jahrhunderts und innerhalb der Genfer Aristokratie zutrugen, ließ ihn sensibel werden für die Gefahr einer übermächtigen Exekutive. Zur Regierung - so Rousseau - ist sowieso nur eine kleine Elite berufen und ihr faktisches Übergewicht droht das Volk zu ersticken. Allein deshalb fordert er, alle Mitwirkungsrechte sowie die Kontrolle über die Regierung in die Hände der Bürgerversammlung zu legen. Es ist gerade deshalb nicht korrekt, Rousseau einen radikalen Demokraten zu nennen. Sein Anliegen war nicht die reine Demokratie i.S. der antiken griechischen Stadtstaaten, sondern einen Ausgleich zwischen dem Volk und der Regierung zu schaffen.

Im übrigen ist Rousseaus Demokratieverständnis zugleich ein Rechtsstaatverständnis. Obschon der Staat mit seinen Bürgern im Grunde alles tun kann, was ihm beliebt, so muss er dies immer durch das Recht tun. Was jedoch Recht ist und was nicht wird durch die eingangs geschilderte „volonté générale“, also durch die Bürger selbst bestimmt. Es erhellt sich die eintümlich enge Verknüpfung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ferner zeigt sich daran, dass Rousseaus Demokratietheorie mit jener antiken Auffassung der reinen Demokratie nicht vergleichbar ist.

Pädagogik

In Rousseaus pädagogischen Hauptwerk Emile wird die fiktive Erziehung eines Zöglings (Emile) Rousseaus beschrieben. Die Erziehung beginnt im Kindesalter und erstreckt sich bis zum ca. 25. Lebensjahr, dann heiratet Emile seine Sophie. Die Kindheit ist zunächst das Alter der Natur, in dieser Zeit lernt Emile v.a. die Naturwissenschaften kennen. Dann folgt der Abschnitt der Pubertät und schließlich das Alter der Vernunft: die Jugendzeit. Erst jetzt kann man an den Zögling mit geistigen „Inhalten“ (Philosophie, Religion, Politik,...) herantreten. Viele Pädagogen nach Rousseau verkennen die Bedeutung, die er der Natur beimisst, und setzten Erziehung mit Entwicklung gleich (z.B. Maria Montessori, Ellen Key). So wie sich die Natur selbständig entwickelt, soll sich auch das Kind einfach entwickeln, und jegliche Eingriffe von außen sind zu unterlassen. Rousseau versteht unter „natürlicher Entwicklung“ aber die Herausbildung der menschlichen Vernunft und nicht die Entwicklung eines urwüchsigen Wilden der in der Natur haust. Rousseau betont zwar immer wieder die Selbständigkeit des Zöglings der sich vieles selbst aneignet (das Ziel, das der Erzieher vor Augen hat, ist, ihn zum Menschen zu erziehen, und das ist schwierig genug), wenn es denn für ihn nützlich ist; die eigentliche Kunst der Erziehung aber besteht darin, dass der Zögling nur das will, was er wollen soll. Er wird also doch indirekt durch den Erzieher Rousseau geleitet.

Seine Theorien besonders bezüglich der Erziehung beeinflussten wichtige Persönlichkeiten wie Giovanni Bosco und Johann Heinrich Pestalozzi.

Werke

  • Abhandlung über den Ursprung und die Grundlage der Ungleichheit unter den Menschen, 1755
  • Gesellschaftsvertrag, 1762
  • Émile, 1762

Literatur

  • Fetscher, Iring: Rousseaus politische Philosophie. Frankfurt am Main, Suhrkamp 1989.
  • Forschner, Maximillian: Rousseau. Freiburg/ München, Karl Alber 1977.
  • Lieber, Hans- Joachim (Hg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung 1997, S. 219-230.
  • Steinvorth, Ulrich: Stationen der politischen Theorie. Stuttgart, Reclam 1981, S. 97-132.
  • Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. Opladen, Leske+Budrich 2000, S. 91-103.

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