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Schweineinfluenza

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Hausschweine

Die Schweineinfluenza (auch Schweinegrippe oder Porzine Influenza) ist eine akut verlaufende Infektionskrankheit der Atemwege bei Hausschweinen. Diese wird durch porzine (dem Schwein zugehörige) Influenzaviren verursacht, die der Virusgattung Influenzavirus A, Spezies Influenza-A-Virus angehören. Durch Reassortment der Segmente des RNA-Genoms von porzinen und humanen Influenzaviren kann es bei Ausbrüchen von Schweineinfluenza zur Entstehung neuer antigenetischer Varianten kommen (Antigenshift), die für das Tier oder den Menschen neue pathogene Eigenschaften besitzen. Diese neu entstehenden Subtypen (Reassortanten) sind jedoch keine klassischen Erreger der Schweineinfluenza.

Erreger

Influenza-A-Viren im TEM-Bild

Häufigster Erreger der Schweineinfluenza sind Influenza-A-Viren der Subtypen H1N1, selten H3N2. Sehr selten werden (humane) Influenza-C-Viren bei Schweinen isoliert. Die Influenzaviren bei Schweinen wurden früher auch als SIV (swine influenza virus) bezeichnet. Neben Influenzaviren, die auch eine Erkrankung beim Schwein auslösen, wurden eine Vielzahl an humanen, aviären und porzinen Virus-Subtypen aus Schweinen isoliert, die von diesen ohne Zeichen einer Influenzavirusinfektion verbreitet werden können.

Das erste porzine Influenzavirus (A/swine/Iowa/15/30 [H1N1]) wurde 1930 isoliert[1]. In Europa verschwand dieser Erreger am Ende der 1950er Jahre vollständig, bis er 1976 wahrscheinlich durch importierte Schweine erneut in die europäischen Schweinebestände eingetragen wurde, wo er seitdem endemisch ist. Die porzinen H1N1-Subtypen zeigten in den letzten 60 Jahren eine hohe genetische und antigenetische Stabilität. Erst 1979 tauchte erstmals ein aviärer H1N1-Subtyp bei Schweinen in Europa auf, der sehr ähnlich den Subtypen bei Enten war.[2] Seither findet eine Kozirkulation porziner und aviärer Stämme nachweislich statt.

Ende der 1990er Jahre wurden in den USA auch H1N2-Reassortanten bei Schweinen isoliert, die eine Mischung aus porzinen H1N1- und human/aviären H3N2-Reassortanten darstellten. Die Empfänglichkeit von Schweinen gegenüber aviären und humanen Influenzaviren wird neben der experimentellen und natürlichen Infektion[3] auch durch die Tatsache gestützt, dass das Epithel der Luftröhre bei Schweinen beide Arten von Oberflächenrezeptoren aufweist, den aviären α2,3- und dem humanen α2,6-Sialinsäure-Rezeptor.[4] Die Vermehrung von aviären Influenzaviren in Schweinen selektiert daher zusätzlich Varianten, die bevorzugt auch an humane Rezeptoren binden.

Pathogenese und Krankheitsbild

Die porzinen Influenzaviren werden durch Tröpfcheninfektion über die Schleimhäute des Atemtraktes übertragen, wo sie sich zunächst in einzelnen Zellen des Epithels vermehren. Bereits in dieser Phase kann das infizierte Tier weitere Tiere des Bestandes infizieren. Als Inkubationszeit werden 1 bis 4 Tage angegeben. Ohne Virämie breitet sich die Infektion innerhalb weniger Tage über das gesamte Respirationssystem – und damit auch die Lunge – aus. Ein schnell ansteigendes, hohes Fieber (bis 42 °C), schwere Atemwegsentzündung, gesteigerte Schleimsekretion in der Nase und Tränenfluss kennzeichnen das volle Krankheitsbild. Eine interstitielle Pneumonie und eine akute Bronchitis sind typisch.

Die Schweineinfluenza ist hochkontagiös und breitet sich rasch innerhalb eines Tierbestandes aus. Die Erkrankung zeigt damit eine hohe Morbidität, jedoch eine geringe Letalität; nach 5 bis 7 Tagen klingen die Krankheitszeichen sehr rasch wieder ab. Als Komplikationen kommen nicht selten zusätzliche Sekundärinfektionen (Superinfektionen) mit bakteriellen Erregern vor, die dann das klinische Bild bestimmen können. Häufig sind die schweinepathogenen Vertreter der Bakteriengattungen Pasteurella, Mycoplasma und Bordetella an der Sekundärinfektion beteiligt. Die porzinen Influenzaviren können noch bis zu 5 Wochen nach Ausheilung der Erkrankung vom Tier ausgeschieden werden.

Schweineinfluenza und Influenza beim Menschen

Die klassischen porzinen Virusstämme verursachen beim Menschen selten, und dann nur milde Erkrankungen. Die Speziesbarriere von humanen, aviären und porzinen Virusstämmen kann durch eine Virusreplikation im Schwein jedoch durch die genetische Durchmischung der Genomsegmente durchbrochen werden. Die Bedeutung des Schweines bei der Entstehung neuer, pathogener humaner Stämme wird oft als „mixing vessel“ [5] (Mischgefäß) charakterisiert. Bei diesem Übertritt zwischen den Spezies tauchen porzine Reassortanten beim Menschen und humane und aviäre Reassortanten im Schwein auf. Letztere sind jedoch keine Erreger der klassischen Schweineinfluenza.

Porzine Reassortanten beim Menschen

Jener H1N1-Subtyp, der 1918/19 unter dem Namen Spanische Grippe zu einer großen Pandemie führte, wird mittlerweile als ursprünglich porziner Subtyp angesehen oder zumindest ein gemeinsamer Ursprungsstamm angenommen.[6] [7]

Ein Übertritt auf Menschen wurde 1976 beobachtet, als aus einem erkrankten Soldaten des Fort Dix in Burlington County (New Jersey), ein porziner H1N1-Stamm isoliert wurde, der dann auch bei fünf weiteren Soldaten gefunden wurde.[8] Vier Soldaten erkrankten an einer viralen Lungenentzündung, ein Patient starb. Der Virusstamm glich einem ein Jahr zuvor aus Schweinen isolierten Subtyp. Umfangreiche serologische Untersuchungen zeigten, dass mindestens 500 Personen infiziert worden waren; die Infektionquelle konnte jedoch nicht näher bestimmt werden. 1988 trat ein Fall einer tödlich verlaufenden Infektion in Wisconsin auf, bei dem ein Virus isoliert wurde, das in 7 der 8 RNA-Segmente einem bei Schweinen endemischen Virus glich. Besondere Mutationen im Hinblick auf eine erhöhte Pathogenität wurden jedoch nicht gefunden.[9] In Europa kam es durch die Kozirkulation von aviären und humanen H3N2-Stämmen in Schweinen 1993 zum Auftreten eines neuen Subtyps, mit dem zwei Kinder in den Niederlanden infiziert wurden.[10]

Ein neu aufgetretener H1N1-Subtyp, in der Presse unter anderem als Mexiko-Grippe bezeichnet, wurde im April 2009 in Mexiko und den Vereinigen Staaten isoliert.[11] Diese neu aufgetretene Reassortante zeigt möglicherweise eine signifikant höhere Morbidität und Letalität bei Personen, die nicht zu den klassischen Risikopatienten (Kleinkinder, ältere Menschen) gehören und wird auch effektiv von Mensch zu Mensch übertragen. Eine Erkrankung von Schweinen wurde nicht beobachtet und die Infektionsquelle nicht bestimmt. Der isolierte Stamm ist in vitro resistent gegen die bei Influenza wirksamen Virustatika Amantadin und Rimantadin, jedoch in vitro nach ersten Hinweisen sensibel für Neuraminidase-Hemmer Oseltamivir und Zanamivir.[12] Der Ausbruch wird irreführend als „Schweinegrippe“ bezeichnet, da die isolierten Virusstämme keine Erreger der eigentlichen Schweineinfluenza darstellen. Sie besitzen nur eines von acht Genomsegmenten, das porzinen Ursprungs sein könnte und wurden daher als humane Reassortanten mit aviären und porzinen Anteilen klassifiziert. [13]

Humane Reassortanten bei Schweinen

Die Infektion von Schweinen mit humanen Subtypen wurde erstmals 1938 serologisch nachgewiesen.[14] Anfang der 1990er Jahre konnte durch Vergleich zirkulierender humaner und porziner Virusstämme aus Italien und China der regelmäßige lokal begrenzte Übertritt von humanen Viren auf Schweine gezeigt werden.[15]

Natürliches Reservoir

In der Natur gelten latent infizierte Schweine, sowie Wasservögel und Lungenwurmlarven (Metastrongylus) in Regenwürmern[16] als Erregerreservoir.

Diagnostik

Aufgrund des raschen Krankheitsverlaufs ist eine serologische Untersuchung auf Antikörper während der Erkrankung nicht sinnvoll. Zum Nachweis der porzinen Influenzaviren ist der direkte Erregernachweis mittels Virusisolierung oder Polymerase-Kettenreaktion aus Nasen- und Rachenabstrichen meist erfolgreich. Bei Auftreten typischer Symptome in einem Tierbestand genügt es zumeist, bei einzelnen Tieren den Erreger nachzuweisen. Ein Infektionsausbruch kann im Nachhinein festgestellt werden, wenn aus einer Serumprobe zum Zeitpunkt der Erkrankung und einer weiteren Probe vier Wochen danach der Antikörpertiter bestimmt wird. Ein Titeranstieg der spezifischen Antikörper um den Faktor 4 gilt dann als beweisend.

Prophylaxe und Bekämpfung

Gegen die häufigsten Erreger der Schweineinfluenza ist ein Kombinationsimpfstoff für Schweine verfügbar, der mehrere inaktivierte Subtypen der Influenzaviren (H1N1 und H3N2) enthält. Die Impfung wird bei Ferkeln um die 10. Lebenswoche durchgeführt, eine notwendige Zweitimpfung folgt vier Wochen nach der ersten Impfung. Um die Antikörperkonzentration im Kolostrum zu erhöhen und damit besonders gefährdete neugeborene Ferkel zu schützen, werden Muttersauen vier Wochen vor dem Abferkeltermin erneut geimpft.

Die Schweineinfluenza unterliegt in Deutschland, Österreich und der Schweiz keiner gesetzlichen Meldepflicht.

Quellen

  • B. Liess, O.-R. Kaaden (Hg.): Virusinfektionen bei Haus- und Nutztieren, 2. Aufl. Hannover 2003, S. 88-90, ISBN 3-87706-745-X
  • Brian W. J. Mahy und Marc H. van Regenmortel (eds.): Encyclopedia of Virology, 3. Auflage, San Diego 2008, Band 3, S. 101, ISBN 978-0-12-373935-3
  • David M. Knipe, Peter M. Howley (eds.-in-chief): Fields’ Virology. 5. Auflage, Philadelphia 2007, Band 2, S. 1709f ISBN 0-7817-6060-7

Einzelnachweise

  1. R. E. Shope: The etiology of swine influenza. Science (1931) 73(1886): S. 214-215 PMID 17729823
  2. M. Pensaert, K. Ottis et al.: Evidence for the natural transmission of influenza A virus from wild ducts to swine and its potential importance for man. Bull. World Health Organisation (1981) 59(1): S. 75-78 PMID 6973418
  3. H. Kida, T. Ito et al.: Potential for transmission of avian influenza viruses to pigs. Journal of General Virology (1994) 75 (9): S. 2183-2188 PMID 8077918 (pdf)
  4. T. Ito, J. N. Couceiro et al.: Molecular basis for the generation in pigs of influenza A viruses with pandemic potential. Journal of Virology (1998) 72(9): S. 7367-7373 PMID 9696833 (pdf)
  5. C. Scholtissek, H. Burger et al.: The nucleoprotein as a possible major factor in determining host specificity of influenza H3N2 viruses. Virology (1985) 147(2): S. 287-294 PMID 2416114
  6. O.T. Gorman, W. J. Bean et al.: Evolution of influenza A virus nucleoprotein genes: implications for the origins of H1N1 human and classical swine viruses. J. Virol. (1991) 65(7): S. 3704-3714 PMID 2041090
  7. J. K. Taubenberger: The origin and virulence of the 1918 "Spanish" influenza virus. Proc Am Philos Soc. (2006) 150(1): S. 86-112 (Review) PMID 17526158
  8. A. P. Kendal et al.: Identification and preliminary antigenic analysis of swine influenza-like viruses isolated during an influenza outbreak at Fort Dix, New Jersey. J. Infectious Dis. (1977) 136 Suppl:S 381-385 PMID 606762
  9. P. A. Rocha et al.: Laboratory characterization of a swine influenza virus isolated from a fatal case of human influenza. J. Clin. Microbiol. (1989) 27(6): S. 1413-1416 PMID 2754013
  10. E. C. Claas, Y. Kawaoka et al.: Infection of children with avian-human reassortant influenza virus from pigs in Europe. Virology (1994) 204(1): S. 453-457 PMID 8091678
  11. Swine Influenza A (H1N1) Infections --- California and Texas, April 2009. Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR) April 24, 2009 / Vol. 58 / Dispatch;1-3
  12. Einschätzung des RKI, Stand 27. April 2009
  13. Genom-Link eines isolierten Stammes
  14. R. E. Shope: An intermediate host for the swine influenza virus. Science (1939) 89(2315): S. 441-442 PMID 17816951
  15. M. R. Castrucci et al.: Antigenic and sequence analysis of H3 influenza virus haemagglutinins from pigs in Italy. J. Gen. Virol. (1994) 75 (2): S. 371-379 PMID 8113758
  16. H. Kammer, R. P. Hanson: Studies on the transmission of swine influenza virus with Metastrongylus species in specific pathogen-free swine. J. Infect. Dis. (1962) 110: S. 99-102 PMID 14453488