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Gedenkstätte Bullenhuser Damm

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An der gleichnamigen Straße im Hamburger Stadtteil Hammerbrook lag die Schule Bullenhuser Damm, in deren Keller am 20. April 1945 zwanzig Kinder zusammen mit ihren Pflegern ermordet wurden. Die Schule war im Kriege zeitweilig ein Nebenlager des KZ Neuengamme; sie wurde im Jahre 1980 umbenannt nach Janusz Korczak, seitdem teilweise als Gedenkstätte geführt und seit 1987 nicht mehr für den Schulunterricht genutzt.

Das Verbrechen

Der SS-Arzt Kurt Heißmeyer hatte seit Juni 1944 im KZ Neuengamme medizinisch unsinnige Experimente an russischen Kriegsgefangenen vorgenommen und im November 1944 zwanzig jüdische Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren aus Auschwitz für weitere Versuche angefordert. Die Kinder wurden mit Tbc infiziert; später wurden ihnen dann Drüsen als Gewebeproben entnommen.

Um die Spuren dieser Untat zu verwischen, sollten die Kinder angeblich auf Befehl aus Berlin beseitigt werden. Dazu verbrachte man sie mitsamt ihren Pflegern am späten Abend des 20. April 1945 in die Keller der leerstehenden Schule Bullenhuser Damm. Der SS-Arzt Alfred Trzebinski gab den Kindern eine Morphiumspritze, seine Mittäter erdrosselten die Kinder später an Stricken im Heizungskeller. In der selben Nacht wurden dort noch 28 Erwachsene, Pfleger und russische Kriegsgefangene, ermordet.

In den letzten Wochen des Krieges gab es zahlreiche Versuche, NS-Verbrechen zu vertuschen und Tatzeugen zu beseitigen; man verwendet dafür den Fachbegriff Kriegsendphasenverbrechen.

Strafverfolgung

Während einige Mittäter, unter ihnen auch der Arzt Trzebinski, bereits kurz nach Kriegsende gefasst und am 3. Mai 1946 im Curiohaus-Prozess zum Tode verurteilt wurden, konnte der Dr. Heißmeyer unbehelligt unter seinem richtigen Namen weiter praktizieren, bis die Ermittlungen aufgrund einer Veröffentlichung im STERN von 1959 zu seiner Verhaftung in der DDR im Jahre 1963 führten. Er wurde 1966 zu lebenslanger Haft verurteilt und verstarb dort 1967. Der im Curiohaus-Prozess belastete SS-Hauptsturmführer Strippel, der wegen anderer Verbrechen eingesessen hatte, wurde im Jahre 1979 im STERN der Mittäterschaft beschuldigt. Er klagte erfolgreich dagegen und erstritt ein "Ordnungsgeld". Mehrfach stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. 1983 wies die Justizsenatorin die Staatsanwaltschaft an, die Klage gegen Strippel zu erheben. 1987 wurde das Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt.

Dem Journalisten Günther Schwarberg ist es durch seine Recherchen und sein Buch Der SS-Arzt und die Kinder vom Bullenhuser Damm gelungen, die Namen der Kinder und die Untat vor dem Vergessen zu bewahren.

Vom Tatort zur Gedenkstätte

Nach kurzer Zwischennutzung als Seewetterwarte wird das Gebäude ab 1948 wieder als Schule genutzt. Nachweisbar seit 1950 legen Mitglieder der VVN zum Gedenken Blumen im Kellerraum ab. 1963 wird im Treppenhaus eine Gedenktafel angebracht, auf der jedoch die russischen Opfer nicht erwähnt werden.

Am 20. April 1979 versammeln sich 2000 Menschen vor der Schule; Überlebende der Familien gründen die Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm und im Kellerraum werden Schautafeln angebracht. 1980 wird die Schule vom Senat zur Gedenkstätte erklärt und nach Janusz Korczak benannt. Kurz darauf lassen Neonazis eine Rohrbombe vor dem Eingang explodieren.

1985 wird der schon 1982 geplante Rosengarten eingeweiht. In Sichtweite zum Gebäude werden von Besuchern Rosen gepflanzt; Tafeln erinnern an einzelne Kinder und auch den russischen Opfern ist hier ein Denkmal gesetzt.

1986 tagt im Gebäude ein so genanntes "Internationales Tribunal", um die Verzögerung des Prozesses gegen den Mittäter Strippel anzuprangern. Bis 1996 versucht ein Staatsanwalt, die Beschriftung einer Ausstellungstafel entfernen zu lassen, die Versäumnisse bei der Aufarbeitung darstellt und aus einer Einstellungsverfügung zitiert.

Am 20. April 1995 wurden im Hamburger Stadtteil Schnelsen/Burgwedel mehrere Straßen im großen Neubaugebiet nach den ermordeten Kindern benannt. Eine ebenfalls dort zentral aufgestellte Erinnerungstafel wurde 2003 beschmiert.

1996 wurde in Verona ein Spielplatz nach einem der Opfer benannt; in Paris trägt eine Straße den Namen eines der Kinder.

Zum Jahrestag der Ermordung gibt es Gedenkveranstaltungen nicht nur am Ort des Verbrechens, sondern auch am Roman-Zeller-Platz in Schnelsen/Burgwedel, die von den benachbarten Grundschulen gestaltet wird.

Am konkreten Beispiel Bullenhuser Damm lassen sich exemplarisch die unterschiedlichsten Phasen einer Vergangenheitsbewältigung ablesen.

Literatur