Kirchenstaat
Der Kirchenstaat war das ehemalige Herrschaftsgebiet des Papstes, das 756 durch die Pippinsche Schenkung aus den Ländereien des Bischofs von Rom (Patrimonium Petri) entstanden ist. Er wurde 1870 endgültig dem italienischen Staat einverleibt. In den Lateranverträgen wurde geregelt, dass die Vatikanstadt als Nachfolger des Kirchenstaates den eines Nationalstaates vergleichbaren Status erhält.
Patrimonium Petri
Seit dem 4. Jahrhundert wuchs der Grundbesitz der römischen Kirche in Italien durch Schenkungen zahlreicher Güter in Süd- und Mittelitalien und auf Sizilien an. Die Patrimonium Petri (Vermögen des Petrus) genannten Besitzungen machten den Bischof von Rom im 6. Jahrhundert zu einem der größten Grundbesitzer in Italien. Durch die von Papst Gregor I. während seiner Amtszeit durchgeführte Reform und den Wechsel zu einer straffen Zentralverwaltung bekam das Patrimonium Petri viel mehr den Charakter eines Herrschaftsgebildes. Unter Berufung auf eine angebliche Urkunde Konstantins, die Konstantinische Schenkung, erhoben die Päpste Anspruch auf eine unabhängige geistliche und weltliche Landesherrschaft. Obwohl die Konstantinische Schenkung 1440 als Fälschung entlarvt wurde, blieb sie jahrhundertelang Grundlage für den päpstlichen Herrschaftsanspruch in Italien.
Zu Anfang des 8. Jahrhunderts kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der weströmischen Kirche, den Langobardenkönigen und dem oströmischen Kaiserreich, in deren Folge viele Besitzungen wieder verlorengingen. Es verblieb lediglich der Dukat (byzantinischer Verwaltungsbezirk) Rom als Herrschaftsgebiet.
Pippinsche Schenkung
Als Pippin III. 751 zum König der Franken gewählt wurde, ließ er sich von Papst Zacharias die Wahl bestätigen. Dadurch wurden die Karolinger als Königsgeschlecht bestätigt. Die Expansionsbestrebungen des Langobardenkönigs Aistulf in Italien bewogen Papst Stephan II. 754 dazu, sich von Byzanz abzuwenden und die Franken als Gegenleistung für deren Legitimierung um Schutz zu bitten.

Pippin versprach als christlicher König, die von den Langobarden zurückeroberten Gebiete dem Nachfolger Petri zu übereignen. In der Urkunde von Quierzy 754 garantiert er dem Papst das Dukat Rom, das Exarchat von Ravenna, die Pentapolis, Tuszien, Venetien, Istrien und die Herzogtümer Spoleto und Benevent als kirchliche Territorien. Diese Urkunde begründete als Pippinsche Schenkung die Grundlage des Kirchenstaates. Der genaue Text ist nicht bekannt und die Schenkungsurkunde nicht erhalten, weswegen die Faktizität der Pippinischen Schenkung von einigen Historikern bezweifelt wird.
Die Kaiserkrönung von Pippins Sohn, Karl dem Großen, durch Papst Leo III. am Weihnachtstag 800 kann mehr oder weniger als Gründungszeitpunkt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation als Nachfolger des antiken römischen Reiches gelten; zugleich begründet die Krönung auch die besondere Schutzbeziehung zwischen dem Heiligen Römischen Reich und dem Kirchenstaat.
756 erwarb der Kirchenstaat das Exarchat Ravenna durch Schenkungen, bis 787 kommen Sabina, Südtuszien und einige kleinere Territorien dazu. Der Kirchenstaat reichte nun von Küste zu Küste. 1201 kam das ihm garantierte Herzogtum Spoleto hinzu. In der Goldbulle von Eger erkannte Kaiser Friedrich II. den Kirchenstaat offiziell an.
Im 15. Jahrhundert kamen weitere Gebiete um Parma, Modena, Bologna, Ferrara, Romagna und Perugia hinzu. Der Kirchenstaat reichte nun bis an die Grenzen des Pippinschen Schenkungsversprechens und hatte unter Papst Julius II. seine größte Ausdehnung erreicht.
Die Bedeutung des Kirchenstaates als territoriales Herrschaftsgebilde sinkt ab dem 16. Jahrhundert wieder, er konnte sich im Ringen um die Herrschaft in Italien nicht über andere Territorialherren in Italien erheben und war immer von anderen Großmächten abhängig.
Napoleonische Epoche

Im Verlauf der französischen Revolution und während der napoleonischen Herrschaft über Europa verkleinerte sich das Territorium des Kirchenstaats zunehmend. Die Städte Bologna und Ferrara wurden schon im Ersten Koalitionskrieg 1796 ausgegliedert und bildeten zusammen mit dem Herzogtum Modena zuerst die neugegründete Cispadanische Republik, 1797 einen Teil der Cisalpinischen Republik (ab 1802 Italienische Republik und ab 1805 Königreich Italien). 1798 wurde in Rom die Römische Republik ausgerufen, die aber schon im Herbst 1799 im Zweiten Koalitionskrieg unterging. Der wiedererstandene Kirchenstaat sicherte seinen Fortbestand vorerst durch das Konkordat mit Napoléon Bonaparte vom 15. Juli 1801. Die Verweigerung eines Bündnisses gegen England führte zur Besetzung Roms durch französische Truppen (Februar 1808) und am 10. Juni 1809 zur Vereinigung des säkularisierten Kirchenstaats mit dem französischen Kaiserreich (Departemente Tiber und Trasimenus) bzw. mit dem napoleonischen Königreich Italien (Provinzen Urbino, Ancona, Macerata). Der Papst wurde gefangen gesetzt und nach Fontainebleau in Frankreich gebracht.
Kirchenstaat nach 1815
Nach dem Sturz Napoleons kehrte der Papst 1814 nach Rom zurück; 1815 wurde Europa auf dem Wiener Kongress im Sinne der Restauration neu geordnet und dabei der Kirchenstaat in seinen Grenzen von 1797 als Enklave innerhalb des Königreichs Italien wieder eingerichtet. Am 9. Februar 1849 wurde er als Republik ausgerufen. Da seine politische und wirtschaftliche Situation aber instabil war, wurde seine Fläche 1860 auf das einstige Patrimonium Petri reduziert. Das Verhältnis zu Italien war weiterhin ungeklärt und 1870 besetzte und annektierte das Königreich Italien die noch verbleibenden Gebiete.
Die "Römische Frage" nach der Stellung des Papstes und seines Verhältnisses zu Italien wurde erst 1929 unter Mussolini in den Lateranverträgen geklärt. Darin beschränkt sich das weltliche Territorium der römischen Kirche auf die Vatikanstadt. Dem Vatikan als Nachfolger des Kirchenstaates wurde volle Souveränität zugesichert und ein internationaler Status, der dem einer eigenständigen Nation gleichkommt.
Regierungsform
Der Kirchenstaat als politische Einheit sollte vor allem die Unabhängigkeit des mit absolutistischer Macht regierenden Papstes sichern. Da dieser vom Kardinalskollegium gewählt wurde, handelte es sich rein formal um eine Wahlmonarchie.