Johann Ludwig Fricker
Johann Ludwig Fricker (* 14. Juni 1729 in Stuttgart; † 13. September 1766 in Dettingen an der Erms) war ein württembergischer Pfarrer und Vertreter des Pietismus.
Leben
Fricker war der der Sohn eines Barbiers aus Stuttgart, die Mutter stammte aus einer Kaufmannsfamilie. Er studierte als Stiftler in Tübingen von 1747 an Philosophie und Naturwissenschaften und hatte in dieser Zeit schon eine starke Neigung zu Mathematik und Musik. Von 1749 bis 1752 studierte er Theologie. Gläubige Mitstudierende wie Karl Heinrich Rieger und Magnus Friedrich Roos hatten in dieser Zeit großen Einfluss auf das theologische Denken Frickers. Durch diese bekam er auch Kontakt mit Johann Albrecht Bengel, der ihn mit einer Erbauungsrede in einem Tübinger Stipendium bekehrte.
Durch das Studium der Bengelschen Schriften hat sich sein Glaube verfestigt. In der Folge wurde er vor allem von Friedrich Christoph Oetinger in Walddorf bei Tübingen sowie von Friedrich Christoph Steinhofer in Dettingen an der Erms beeinflusst. Durch Oetinger wurde Fricker auch in die Physik und Mathematik eingeführt und bekam durch durch diesen eine Stelle als Mitarbeiter des Konstrukteurs Johann Georg Neßtfell aus Wiesentheid in Franken, um diesem beim Bau einer astronomischen Weltmaschine zu helfen.
Um diese Maschine dem Kaiser in Wien vorzuführen, nahm Neßtfell Fricker mit auf die Reise an den kaiserlichen Hof. Von dort aus zog er weiter in die Markgrafschaft Mähren und das zum Königreich Ungarn gehörende Oberungarn (die heutige Slowakei), wo er seine naturwissenschaftlichen und astronomischen Kenntnisse vertiefte. Bei dieser Reise besuchte er in Mähren den Prämonstratenser Prokop Diwisch in Přímětice / Brenditz bei Znoymo / Znaim, einem der ersten Erforscher elektrischer Erscheinungen, dessen Lehren er in Mitteleuropa verbreiten wollte.
1735 wurde Fricker Hauslehrer in Stuttgart und 1755 in einer mennonitischen Familie in Amsterdam, von wo er mit seinem Schüler auch eine Reise nach London unternahm, um dort unter anderem die Methodisten John Wesley und George Whitefield kennen zu lernen. 1760 kehrte er nach Württemberg zurück und besuchte auf dieser Reise verschiedene Städte am Niederrhein sowie das Wuppertal. Dabei kam er in Kontakt mit Samuel Collenbusch, Matthias Jorissen, Johann Christian Henke und Gerhard Tersteegen und wurde so zu einem der Vermittler zwischen Friedrich Christoh Oetinger und den niederländischen bzw. niederrheinischen Pietisten.
In Württemberg übernahm er 1761 das Amt des Pfarrverwesers in Kirchheim unter Teck, danach war er Vikar in Uhingen an der Fils und danach, von 1762 bis 1764 Diakonus, d. h. Zweiter Pfarrer, in Dettingen an der Erms sowie Pfarrer in der Filialgemeinde Hülben, wo er den wesentlichen Anstoß für die Einführung des Pietismus gegeben hat. Dabei hatte er in der Hülbener Schulmeistersgattin Anna Katharina Kullen, verwitweter Schilling, geb. Buck, sowie dem Dettinger Bäckermeister Christoph Handel (1720 - 1800) eifrige Unterstützer. Fricker, der nach eigenem Bekunden eine trockene, herbe und wortkarge Natur war und an seine Gemeinde hohe theologische Ansprüche stellte, zog bei seinen Erbauungsstunden zeitweise zwei- bis dreihundert Teilnehmer an. Er verwies im Sinne des auf tätiges Christentum, die praxis pietatis, dringenden Pietismus auf die Bedeutung des Jakobusbriefs in Ergänzung zum Römerbrief, den er ebenfalls besonders hoch schätzte.
Fricker war der begabteste Schüler von Friedrich Christoph Oetinger und ist der geistliche Vater einer großen Anzahl pietistischer Hausgemeinschaften auf und unter der mittleren Schwäbischen Alb. Mit dem Denken Oetingers deckte sich seine Auffassung, dass die damals aufstrebende Naturwissenschaft von der Bibel aus zu verstehen und in sie hineinzubauen sei. Von Oetinger wurde er auch in das Denken der Kabbala eingeführt. Bengel wiederum hat ihn dahingehend überzeugt, dass im Jahre 1836 das erste Millenium, eine glückliche Zeit von 1000 Jahren bevorstehe.
Fricker war auch Musiktheoretiker und hat als solcher wahrscheinlich den Dichter Friedrich Hölderlin beeinflusst, der den Ausdruck "die Dissonanzen der Welt" im Schlußteil seines Romans "Hyperion" wohl aus einer kabbalistisch-musiktheoretischen Abhandlung Frickers übernommen hat. Da Oetingers Schrift über "Die Eulerische und Frickerische Theorie Ueber Die Music" 1767 in der zensurfreien, freimaurerfreundlichen Stadt Neuwied gedruckt wurde, wurde Frickers Musiktheorie auch in der Neuwieder Loge zu den Drei Pfauen bekannt, der später Ludwig van Beethovens wichtigster Bonner Lehrer, Christian Gottlieb Neefe, angehörte. Oetingers Schrift wurde 1770 nochmals in Oetingers Sammelband "Die Metaphysic in Connexion mit der Chemie" abgedruckt, der selbst in die Bibliothek des Freimaurers Wolfgang Amadeus Mozart gelangte: Wien war zu Mozarts Zeit eine Hochburg von Alchemisten, Rosenkreuzern, Freimaurern und Illuminaten.
Fricker wurde auch durch seine physikalischen Überlegungen bekannt, ansatzweise selbst Albert Einstein, so durch seine Vorstellungen über eine vierte Dimension und über die Elektrizität, die er theologisch begründete.
In neuerer Zeit hat besonders der Konzertpianist und Musikwissenschaftler Herbert Henck, ein Schüler Karlheinz Stockhausens, das Interesse der musikwissenschaftlichen, technikgeschichtlichen und kirchengeschichtlichen Forschung an Johann Ludwig Fricker gefördert. Breymayer 04:32, 22. Apr. 2009 (CEST)
Schriften
- Die Weisheit im Staube, d. i. Anweisung, wie man unter den allergewöhnlichsten u. gemeinsten Umständen, die man gleichwie Staub gering ansieht u. wenig beachtet, auf die einfältig leitende Stimme Gottes bei sich merken soll, 1. Aufl. [o. O.] 1775.
Literatur
- Ehmann, Karl Christian Eberhard (Hrsg:): Johann Ludwig Fricker. 388 S. Tübingen (Osiander) 1864
- Ritschl, Albrecht: Geschichte des Pietismus III. 147 S. Bonn (Marcus) 1886.
- Große, Constantin (Hrsg.): Die alten Tröster. Ein Wegweiser in die Erbauungslitteratur der evangelisch-lutherischen Kirche des 16-18. Jahrhunderts. 502 S. Hermannsburg (Missionshandlung) 1900.
- Hermelink, Heinrich: Geschichte der evangelischen Kirche in Wuerttemberg von der Reformation bis zur Gegenwart : das Reich Gottes in Wirtemberg. 528 S. Stuttgart u. a. (Wunderlich) 1949
- Martin Brecht, Johannes van den Berg, Klaus Deppermann, Gustav Adolf Benrath: Geschichte des Pietismus. 4 Bd., Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht)
- Ehmer, Hermann und Sträter, Udo (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte des württembergischen Pietismus. Festschrift für Gerhard Schäfer zum 75. Geburtstag am 2. Juni 1998 und Martin Brecht zum 65. Geburtstag am 6. März 1997. 382 S., 2 Tafeln. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1998. ISBN: 3-525-55896-1
- Herrmann, Ulrich und Priem, Karin: Konfession als Lebenskonflikt. 404 S. 2001. Juventa. ISBN: 3779911256
- Henck, Herbert: Johann Ludwig Frickers irdische und himmlische Musik. Rechnungen und Reflexionen einer „sich Bilder-machenden Vernunft“. In: Holtz, Sabine, Betsch, Gerhard und Zwink, Eberhard Zwink (Hrsg.): Mathesis, Naturphilosophie und Arkanwissenschaft im Umkreis Friedrich Christoph Oetingers (1702–1782). Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Bd. 63. 312 S. 2005. ISBN 978-3-515-08439-0