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Hominisation

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Die Menschwerdung oder latinisiert die Hominisation bezeichnet die biologische und kulturelle Entwicklung des Menschen, die mit affenartigen Primaten begann und erst bei einem eventuellen Untergang der Menschheit abgeschlossen sein wird.

Die Menschwerdung begann nach heutigem Forschungsstand in Ost-Afrika, offenbar in mehreren Ansätzen und teilweise parallelen Zweigen. Zu den vielen ungelösten Fragen gehört, warum von allen Menschenformen (darunter der berühmte Neandertaler) nur der moderne Mensch (Homo sapiens sapiens) übrig blieb. Die Wissenschaft, die sich mit der Untersuchung der Menschwerdung befasst, ist die Paläanthropologie, eine Unterwissenschaft der Anthropologie. Ihre Geschichte ist durchzogen von der Suche nach dem fehlenden Glied, der die Übergänge von der einen in die andere Population (Art) erklären würde. Das Auffinden eines solchen Übergangsglieds ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, weil die Entstehung der einzelnen Zweige in zufälligen Veränderungen im Erbgut (Mutation), verursacht durch Fehler in der Erbsubstanz des genetischen Codes der Ursprungsart, nur bei einem oder bei nur wenigen Exemplaren (einer Kernfamilie) vermutet werden muss.

Der "Stammbaum" des Menschen

Man nimmt heute an, dass die Menschwerdung vor etwa 5 bis 7 Millionen Jahren in Afrika begann. Stammesgeschichtlich haben sich die Schimpansen zu dieser Zeit von der gemeinsamen Entwicklungslinie abgetrennt. Es entstanden zunächst die vermutlichen Vorläufer des Menschen, die Australopithecinen ("Südaffen").

Evolution des Menschen ab den Australopithecinen; von unten nach oben: Ardipithecus, Australopithecus afarensis, Australopithecus africanus, Homo habilis, Homo ergaster, Homo rudolfensis, Homo erectus, Homo heidelbergensis, Homo sapiens neanderthalensis, Homo sapiens praesapiens, Homo sapiens sapiens

Als ältester Vorläufer des Menschen gilt seit dem Fund aus dem Jahre 2000 im ostafrikanischen Rift Valley der sogenannte "Millenium Mann" der der Art Orrorin tugenensis angehörte. Die ältesten Hominiden-Fossilien sind ca. 4,4 Millionen Jahre alt. Sie gehören zu einer Art, die als Ardipithecus ramidus (von ramidus = die Wurzel) bezeichnet wird. Neben einer ganzen Reihe von Fossilien haben erst die Australopithecinen auch direktere Spuren hinterlassen: Bei Laetoli in der Olduvai-Schlucht in Tansania wurden Fußabdrücke gefunden, die von einem Australopithecus afarensis stammen und eindeutig den aufrechten Gang belegen.

Eines der besterhaltenen Australopithecinen-Skelette gehört ebenfalls zu einem Weiblichen der Art Australopithecus afarensis. Es wurde von Donald Johanson und Tom Gray in Hadar in Äthiopien gefunden. Am selben Tag noch (dem 30. November 1974) wurde dieses Weibchen, 3,18 Millionen Jahre nach ihrer Geburt, auf den berühmt gewordenen Namen "Lucy" getauft. Die Legende sagt, dass den Entdeckern der Beatles-Song Lucy in the Sky with diamonds durch den Kopf gegangen war. Lucy befindet sich heute im Nationalmuseum von Äthiopien in Addis Abeba. Auch Lucy hat einiges zur Beweislage im Fall "Aufrechter Gang" beigetragen: Ihr Knochenbau zeigt eine Verdickung unter dem Kniegelenk (zum Abfangen des Körpergewichts beim Aufrechtgehen) und weist keine tiefe Grube mehr für die Elle im Ellbogen auf (wie bei Primaten, die sich mit den Fingerknöcheln beim Gehen abstützen).

Aus den Australopithecinen bildeten sich vor zwei bis drei Millionen Jahren die ersten Vertreter der Gattung Homo hervor.

Hierbei handelt es sich um den Homo rudolfensis (benannt nach dem Rudolf-See in Kenia), den Homo habilis (der "geschickte" Mensch, für den bereits Werkzeugherstellung nachzuweisen ist) und den Homo ergaster. Über diese Arten ist noch wenig bekannt, die Fundsituation ist auch recht heterogen, und die Verwandtschaftsbeziehungen sind noch ungenügend geklärt.

Etwas klarer wird die Situation für den Zeitraum von vor ca. eineinhalb bis zwei Millionen Jahren, als der Homo erectus auftrat. Diese Menschenform ist die erste, die Afrika verlässt und sich über den vorderen Orient nach Europa und Asien auszubreiten beginnt.

Über die Weiterentwicklung bestehen wieder unterschiedliche Vorstellungen. Sicher ist, dass der Homo erectus vor noch nicht allzulanger Zeit ausgestorben ist. Die jüngsten Fossilien des Homo erectus, die in Java gefunden wurden, sind gerade mal 50.000 Jahre alt. Vor ca. 800.000 Jahren muss sich nun aber zum Homo erectus parallel eine zweite Form entwickelt haben, der Homo heidelbergensis. In der angloamerikanischen Forschung wird er als eigenständige Art klassifiziert, die europäische Forschung hält ihn eher für eine Unterart des Homo erectus.

Aus dem Homo heidelbergensis und/oder dem Homo erectus entwickelten sich zwei weitere Menschenformen: Der Neandertaler (Homo neanderthalensis) und der Homo sapiens, der heutige Mensch samt seinen direkten Vorfahren. Zwar ist man sich also über die Klassifizierung einzelner Funde nicht immer einig, aber es kann doch als gesichert gelten, dass der Homo heidelbergensis und/oder der Homo erectus, der Neandertaler und frühe Homo sapiens-Formen teilweise zur gleichen Zeit lebten.

Über die Ursprünge des Homo sapiens gehen die Meinungen ebenfalls auseinander: Entweder er hat sich in einer zweiten Welle von Afrika aus über die Welt verbreitet (die "Out of Africa"-Hypothese"), oder er hat sich quasi überall auf der Welt in lokalen Gruppen aus den dortigen frühen Menschen entwickelt, wobei sich diese lokalen Entwicklungen genetisch vermischten (die "Multiregionale" Hypothese). Genetische Befunde stützen vor allem die erste Variante, wenngleich eine Vermischung zwischen Homo sapiens und den späten Vertretern der anderen Arten nicht ausgeschlossen und für Einzelfälle wahrscheinlich ist.

Welche Hypothese auch immer die richtige ist, nachgewiesen ist: vor ca. 130.000 Jahren gibt es in Afrika den ersten modernen Menschen, den Homo sapiens. Vor etwa 100.000 Jahren tritt diese Art auch außerhalb Afrikas auf. Sie ist die einzige Menschenart, die Amerika (vor etwa 35.000 Jahren, nach mancher Ansicht jedoch wesentlich früher) und Australien (vor etwa 60.000 Jahren) besiedelt hat. Sie ist zugleich die letzte überlebende Art ihrer Familie.

In den Jahren 2000-2002 wurde die Fachwelt durch neue archäologische Funde erschüttert (www.nature.com). Gleich vier neue Gattungen und ein halbes Dutzend neuer Arten kamen in den Sedimenten zum Vorschein. Beim geschichtlichen Einordnen unserer Ahnen wird auf das tradionelle Geäst zunehmend verzichtet.

Die fossilen Funde werden einerseits nach Alter, andererseits nach morphologischen Eigenschaften (Zähne und Gehirn) zusammengefasst. Die einzelnen Gruppen sind dabei überraschenderweise in gerade diesen Eigenschaften recht inhomogen: so hat der älteste Hominidenfund verblüffend moderne Merkmale hinsichtlich der zierlichen Zähne und des flachen Gesichtes.

Eine schematische und grobe Einteilung aus news.bbc.co.uk:


  Homo Paranthropus Australopithecus Kenyanthropus Ardipithecus Orrorin Sahelanthropus
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Millionen Jahre Vergangenheit


Modelle der frühen Hominisation

Anhand der Skelettmerkmale kann festgestellt werden, dass sich der aufrechte, zweibeinige Gang des Menschen deutlich früher entwickelte als die starke Vergrößerung des Gehirns.

Zur Erklärung gibt es vor allem zwei Modelle:

  • die Savannen-Hypothese. Sie sieht eine weltweite klimatische Veränderung mit einer Ausbreitung der Steppen und einem Rückgang der Waldbiotope als Anstoß. Der aufrechten Gang könnte sich bereits vorher als Anpassung an eine Lebensform zwischen Baum und Boden entwickelt haben. Während rein baumbewohnende Arten sich ebenso vierfüßig fortbewegen wie rein bodenbewohnende, ist eine Lebensweise, die einen Großteil ihrer Nahrungsquellen auf dem Boden findet, diese aber im Schutz der Bäume verzehrt, für eine aufrechte Fortbewegung prädestiniert ("präadaptiert").
  • die Wasseraffen-Theorie, weiter entwickelt zur Wat-Affen-Theorie. Sie geht davon aus, dass während der frühen Hominisation Vorfahren des heutigen Menschen teilweise am und im Wasser gelebt haben. So zeigen auch Menschenaffen (die ungern ins Wasser gehen) im Wasser watend den aufrechten Gang. Bei einer Intensivierung dieser Lebensweise hätte es einen Selektionsdruck gegeben, der anatomische Anpassungen an den aufrechten Gang sowie weitere Merkmale, die für eine semiaquatische Lebensweise günstig sind, (geringe Behaarung) begünstigt hätte.

Eine treibende Kraft der Hominisation war möglicherweise das Zusammenwirken von aufrechtem Gang (dadurch freie Greifhände) und dem Zwang zur Kooperation in der Gruppe. Hieraus könnte zuerst die Gebärdensprache und später die Wortsprache entstanden sein. Eine Verständigung über Zeichen begünstigt die Ablösung von instinktgesteuerten Verhalten zugunsten kultureller Normen. Dadurch wurden schnelle Anpassungen an neue Lebensräume und veränderte Lebensbedingungen zusätzlich zur biologischen Evolution möglich.

ökologische Differenzierung bei Australopithecinen

Eine Klimaveränderung, ausgelöst durch die plattentektonische Hebung Ostafrikas, bewirkte nun eine weitgehende Versteppung des angestammten Lebensraums. Diese Grassteppe bot in erster Linie Nahrung für Grasfresser (Paarhufer, Wiederkäuer), die es vorher schon, meist in kleineren Formen, als Waldbewohner gab. Diese traten nun bald in großen Herden auf, und weil sie zahlreicher wurden, konnten sich auch Raubtiere und Aasfresser vermehren.

So differenzierten sich zwei Typen von Vormenschen. Die eine Strategie war eine biologische Anpassung an das neue zellulosereiche Nahrungsangebot. Australopithecus robustus und andere Arten entwickelten als Anpassung eine gewaltige Kaumuskulatur und entsprechend mächtige Molaren, Molar (Zahn). Die Muskulatur setzte dabei an einem deutlich sichtbaren Knochenkamm auf dem Scheitel des Schädels an. Es gab verschiedene, meist mächtige und große Primaten, die diese ökologische Nische zu nutzen versuchten, die allerdings allesamt wieder ausstarben.

Eine andere Strategie war die des Fleischfressers. In den Anfängen dürfte sich dies aber auf Aas und Beuteraub beschränkt haben, da der Mensch weder die Fähigkeit besaß, als Raubtier größere Beutetiere zu stellen, noch über Klauen oder Zähne verfügte, die geeignet gewesen wären, ein Beutetier zu töten oder aufzubrechen. Sehr wahrscheinlich kam es hier zum ersten Werkzeuggebrauch, in dem zufällig gefundene scharfkantige Steine dazu benutzt wurden, Beutetiere aufzubrechen. In dieser Phase der Evolution gab es also primitiven Werkzeuggebrauch und sehr wahrscheinlich auch einfache Formen der Kommunikation.

Der größte evolutionäre Schritt war dann aber wohl die Entwicklung der Jagd. Kommunikation und Waffen wurden dabei so weiterentwickelt, dass der frühe Mensch sein biologisches Manko durch kulturelle Leistungen aufhob und nun befähigt war, selbst zu jagen.

Aber damit war die biologische Evolution nicht abgeschlossen. Unter dem Selektionsdruck, Werkzeuge und Kommunikation zu verfeinern, und dem Angebot von reichlich hochwertigem Eiweiß waren höhere intellektuelle Fähigkeiten von Vorteil. Der Mensch entwickelte ein größeres Gehirn und ging vollends zum alleinigen aufrechtem Gang über. Da sich das weibliche Becken unter Einfluss des aufrechten Ganges aber nicht an den wachsenden Kopfumfang des Neugeborenen anpassen konnte, kamen diese zu einem biologisch immer weiter vorverlegten Termin, also immer weniger weit entwickelt und immer mehr und länger auf Brutpflege angewiesen, zur Welt. Zudem war mehr Zeit nötig, um die Fähigkeiten von den Erwachsenen zu erlernen (vertikale Proliferation im Gegensatz zur horizontalen Proliferation durch Vererbung). Die Evolution half mit der "Erfindung" der Pubertät. Die Entwicklung der Keimzellen wird für einige Jahre gestoppt, wodurch eine längere Zeit von Kindheit und Jugend entsteht, die es dem Menschen ermöglicht, alle überlebensnotwendigen Fähigkeiten zu erlernen. Ohne diese Phase wäre der Mensch mit ungefähr sechs Jahren geschlechtsreif (?).

Eine weitere biologische Anpassung war das Schwitzen am gesamten Körper. Die ersten Primaten regulierten ihre Körpertemperatur wie alle Säugetiere über die Atmung. Dies schränkte den Umfang der Wärmeabfuhr stark ein. Erst der Mensch nutzte zur Wärmeabfuhr den ganzen Körper und wurde damit in Punkto Ausdauer und Anpassungsfähigkeit den meisten Tieren überlegen. Außerdem ermöglichte das Schwitzen, auch unter großer Hitze oder Anstrengung die Kommunikationsfähigkeit über Sprache zu erhalten. Wirklich effektiv war die Fähigkeit zu schwitzen jedoch nur, wenn kein Fell die Luftzirkulation behinderte. In der Folge wurde der Mensch also weitgehend nackt, entwickelte später als Ersatz die schützende Kleidung, die ihm das Überleben in kälteren Regionen ermöglichte.

Evolution des Sexualverhaltens

Unter der Anpassung an seine neue Lebensweise veränderte sich auch das Sexualverhalten. Zum einen änderten sich die Attribute sexueller Attraktion. Für den Mann wurde eine Frau besonders attraktiv, wenn sie hohe Erfolgsaussichten bot, gemeinsame Nachkommen zu bekommen und erfolgreich groß zu ziehen. Die Attribute waren u.a.: Jugendlichkeit (große Augen im Verhältnis zum Kopf, (Kindchenschema, werden noch heute größer geschminkt), guter Ernährungszustand und die Fähigkeit zu stillen (große pralle Brust), aktuelle Fruchtbarkeit / Ovulation (unter dem Einfluss der Hormone werden die Lippen stärker durchblutet, prall und rot, Gesundheit (lange gesunde Haare, glatte gesunde Haut). Die männlichen Attribute sexueller Attraktion stehen dabei immer in einem Zwiespalt aus weiblicher Sicht: sie benötigt für die lange Phase der Brutpflege den Schutz und die Versorgung durch den Mann. Damit wäre der wirtschaftlich potenteste Mann der attraktivste, dieser ist aber nicht automatisch auch der genetisch beste Vererber. Somit kann das Weibchen wählen zwischen dem "attraktiven Halodri" = "Macho" oder dem "zuverlässigen Ernährer".

Unter den gegebenen Umständen haben beide Partner ein Interesse an einer monogamen Beziehung, zumindest bis die gemeinsamen Nachkommen selbständig sind. Das Weibchen muss sicherstellen, das ihr Partner ihr weiterhin zur Seite steht und sie versorgt. Das Männchen muss sichergehen, das seine Partnerin sich nicht auch mit anderen Männchen einlässt und er womöglich die Nachkommen eines Konkurrenten versorgt. Beide werden eifersüchtig. Gleichzeitig gewinnen auch Lug und Trug eine Rolle. Das Männchen wird versuchen zu schwindeln, was seine wirtschaftliche Potenz und Treue angeht, um sich mit möglichst vielen Weibchen zu paaren und seinem Genom auf diese Weise einen Vorteil zu verschaffen. Das Weibchen schummelt natürlich ebenso, hilft bei der Attraktivität nach und gaukelt dem Männchen Treue vor, während es sich nebenher mit dem attraktiven Halodri paart. (Auch heute kann man bei Frauen ein Verhalten beobachten, bei dem sie zum Zeitpunkt der Ovulation einen Hang zum Fremdgehen entwickeln, unter Verhaltensforschern "Gen-shopping" genannt.) Insgesamt lässt die weltweite Verteilung der y-chromosmalen (rein männlich vererbten) und mitochondrialen (rein weiblich veerbten) DNA den Schluss zu, dass zumindest entwicklungsgeschichtlich Frauen weniger treu sind als Männer.

Im Rahmen der Menschwerdung von der sexuellen Evolution zu sprechen ist insofern schwierig, als sich das Thema auf ein Verhalten bezieht. Ist es noch möglich anhand von Artefakten die Werkzeugherstellung zu belegen, ist ein solches Vorgehen beim Sexualverhalten unmöglich und die Ergebnisse wären rein spekulativ. Was anhand von Fossilienbelegen unmöglich scheint, ist durch die Analyse der modernen Fossilien - unserem Erbgut - wahrscheinlicher geworden. Und im Zusammenspiel mit der vergleichenden Verhaltensforschung ergibt sich ein Bild, das doch Licht in das Dunkel um das Paarungsverhalten der Frühmenschen bringen kann. Gestützt auf die Annahme, daß wir mit verwandten Primaten eine gemeinsame Vergangenheit geteilt haben, sollte man sich das Sexualverhalten dieser Arten anschauen, um Vermutungen über unsere Vorfahren anstellen zu können.

In die engere Auswahl kommen dabei die Hylobates (Gibbons und Siamang), die beiden Schimpansenarten, die Gorillas und der Orang-Utan. Schon bei dieser Auswahl fällt in Bezug auf das Sexualverhalten auf, daß fast alle Spielarten vertreten sind. Orang-Utans mit semisolitärer Lebensweise (d.h. Einzelgänger bis auf die zur Paarung notwendigen Zeitfenster), Gorillas mit ihren Haremsgruppen und Schimpansen mit mehr oder weniger Promiskuität werden dem polygamen Umfeld zugerechnet. Dagegen verhalten sich Gibbons monogam. Alle diese Einordnungen sind für die Individuen einer Art derart homogen, daß man mehr als Sozialisationsgründe für die jeweilige Spielart des Sexualverhaltens annehmen muß.

In der taxanomischen Einordnung des Menschen sind aber tradierte (und verständliche) Fehler gemacht worden, die es zuerst zu erwähnen gilt. So ist schon anhand der Anzahl der Chromosomen in einer einfachen Sortierfolge zu sehen, daß der Mensch mit 46 Chromosomen genau zwischen den Hylobaten mit 44 (auch 42 und 50) Chromosomen und den großen Menschenaffen mit 48 Chromosomen einzuordnen ist. Noch aussagekräftiger ist der Vergleich der Masse an DNS bei den drei Entwicklungslinien, der allerdings auf das gleiche Ergebnis hindeutet.

Setzt man also vorraus, daß die Evolution immer komplexere Lebewesen mit mehr genetischem Potiential basierend auf mehr DNS hervorbringt, sind die Gibbonarten noch die ursprünglichsten Vertreter der "menschenähnlichen Primaten" und die großen Menschenaffen die modernsten Hominoidea. Die Schimpansenvorfahren schienen in dem für die Menschwerdung relevanten Zeitraum also noch nicht zu existieren und haben sich erst nach der Abspaltung von der menschlichen Stammeslinie entwickelt. Das ist auch die Antwort für Yves Coppens Aussage, der das "schier unglaubliche Fehlen jeglicher Prä-Schimpansen- und Prä-Gorilla-Fossilien" monierte, während Frühmenschen und/oder Australopithecinen Afrika schon durchstreiften.

Unserem genetischen Verwandschaftsgrad zum Schimpansen widerspricht dies nicht: Auf einer angenommenen Zeitachse können sich Prä-Hylobates und andere Hominoidea vor 20 Millionen Jahren getrennt haben, während Vormenschen und Prä-Panidae erst vor 3 Millionen Jahren genetisch voneinander isoliert wurden. (Doch wir wissen, daß sich gravierende genetische Unterschiede auch innerhalb kürzester Zeit einstellen können.) Und diese genetische Isolation kann die gleichen Ursachen gehabt haben, wie die Trennung der beiden Schimpansenarten, die - obwohl genetisch und geographisch gar nicht weit voneinander entfernt - im Kopulationsverhalten "nicht mehr miteinander können".

Rekapitulieren wir einmal, daß die Menschwerdung irgendwo zwischen Gibbon und Schimpanse stattgefunden hat, so bietet sich eine Auswahl möglicher Spielarten der Sexualität nahezu zwingend an. Diskutieren wir daraufhin die beiden Hauptkandidaten für die natürlichen Veranlagungen des Menschengeschlechts auf sexuellem Gebiet - Monogamie oder Promiskuität -, fällt als erstes die hohe Durchdringung aller historischen und existenten Kulturen mit der monogamen Variante auf. Durch die o.g. historisch bedingte taxanomische Einordnung des Frühmenschen nahm man bis hierhin an, daß auch unser Vorfahr weitaus schimpansenähnlicher sei und damit wahrscheinlich auch promisk wie sein Verwandter sei. Somit sei die Monogamie eine Folge der entstehenden Zivilisation.

Sich dagegen den Menschen als genetisch prädisponierten, monogamen Primaten vorzustellen fällt nicht nur westlichen Forschern schwer, die Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Monogamie haben. Auch Institutionen sind zu oft in der Arroganz verfangen, daß sie selbst die Monogamie "erfunden" hätten, obwohl schon seit Jahrzehnten Belege dafür vorliegen, daß die Monogamie - zumindest bei den anderen Tierarten - eine biologisch begründete und genetisch weitervererbte Variante des Sexualverhaltens ist. Der Grund dafür ist einfach: Es gibt keine denkbare Sozialisationsform, die einerseits monogames Verhalten zur Folge hat und andererseits bei allen betroffenen Tierarten greift. Es bleibt nur ein ererbtes Verhalten, das in den Körpern "irgendwie" organisiert sein muß.

Es gilt als sicher, daß sich der rezente Mensch morphologisch nur relativ geringfügig von seinen Schimpansenverwandten unterscheidet. Aber gerade in dem äußeren Genitalapparat weist der rezente Mensch weniger Ähnlichkeiten mit den Schimpansenarten auf, bei denen z.B. eine auffällige Sexualschwellung bei den Weibchen die Rezeptivität signalisiert. Vielmehr gleichen die menschlichen Sexualorgane denen der Gibbons, bei denen z.B. nichts Äußeres auf den Eisprung hindeutet.

Rekapitulierend ist zu vermerken, daß gerade die Aussagen zum Sexualverhalten von Vor- und Frühmenschen höchst spekulativ sind und es in keiner Weise gerechtfertigt ist ererbte Veranlagungen auszuschließen. Eine angenommene Entwicklung vom polygamen zum monogamen Sexualverhalten ist darüberhinaus unwahrscheinlich.

Literatur

  • Carsten Niemitz: "Das Geheimnis des aufrechten Gangs. Unsere Evolution verlief anders." C.H.Beck Verlag, München 2004 ISBN 3-406-51606-8
  • Friedemann Schrenk, Timothy G. Bromage, Henrik Kaessmann: Die Frühzeit des Menschen: Zurück zu den Wurzeln. Biologie in unserer Zeit 32(6), S. 352 - 359 (2002), ISSN 0045-205X